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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

weigert, würde man dem Sieger -- Sieger, weil wir uns selbst die Mittel für
unsre Sicherheit verweigert haben -- wahrscheinlich zehnfach bewilligen müssen, und
zwar ohne jedes Besinnen. Die Verbündeten Regierungen sollten sich deshalb weniger
auf Bitten und Feilschen legen, weniger die Schonung der Fraktionsinteressen als
die Sicherheit und den Frieden des Landes im Auge haben und diesen Hog ent¬
schlossen, unbeirrt und mit Energie gehn. Daß Bebel über die Geringfügigkeit
der Forderungen des Kriegsministers spottet, spricht Bände. Wir sollten'lebe
andre Reform in Deutschland, jede neue sozialpolitische Maßregel -- deren wir'heute
schon so viele haben, daß Graf Posadowsky mit großem Ernst ans den beginnenden
Unsegen hinweisen konnte, so lange beiseite stellen, bis eine annehmbare'Mchs-
fincmzreform zustande gekommen ist, denn sie wird nachgerade zur Lebensbedfngüng
für unsre gesamte nationale Existenz. Will oder kann die Mehrheit 'des
Reichstags das nicht begreifen, dann wird von allen verfassungsmäßigen Hol^in
Gebrauch gemacht werden müssen, die Nation aufzuklären. ,'

Reichstagsreden werden nur von wenigen gelesen, sie sind in den Zeni."W-
berichten ohnehin meist falsch oder entstellt und willkürlich zusammengestrichen.' Me
Vorbereitung einer Reichsfinanzreform muß vor der breitesten Öffentlichkeit mit dem
größten Nachdruck erfolgen und dabei der Meinung, "es geht auch so," von An¬
fang an jeder Boden entzogen werden. Die kleinen Staaten sind nahe daran ^ i)l
eine finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage zu geratendes
darf doch nicht dahin kommen, daß um der Fraktiousinteressen und um der Muffn-
umschmeichlung willen, die für diese nötig scheint, die Fundamente des Reichsoaus^'us
Wanken geraten. Staatssekretär Graf Posadowsky hat in einer vielbemerkten RedV
unter dem Beifall aller Seiten des Reichstags auf die ungeheure Zunahme des WvM
Standes unsrer arbeitenden Klassen als auf eine Quelle unsrer nationalen Kra^
und Leistungsfähigkeit hingewiesen. Sollte dieser so gewaltig cmgewachsne h'it
noch immer weiter wachsende Wohlstand nicht eine einträglichere Besteuerung hon
Bier und Tabak um so leichter erlauben? An der Sicherheit dieses Reichs, Kris-'
ihnen soviel Arbeitsverdienst und damit so großen Wohlstand ermöglicht, haben
doch gerade die arbeitenden Klassen das allermeiste Interesse; sie würden z. 'B.
die Folgen eines Krieges, den England gegen Deutschland vom Zaune bräche, um
allerschwersten empfinden. Für die arbeitenden Klassen gerade ist somit eine aus¬
reichende deutsche Flotte vom höchsten Wert, ganz abgesehen davon, daß ein sehr
wesentlicher Bruchteil der für die Flotte bewilligten Gelder in Gestalt von Arbeits¬
löhnen ihnen zufließt, also auch uoch den Nutzen einer gesicherten ausgiebigen
Arbeitsgelegenheit für viele Taufende ausmacht!

Nun wäre es ja gewiß recht nützlich, wenn wir durch eine starke Allianz
zur See eine ähnliche Konstellation schaffen könnten, wie sie das deutsch-öster¬
reichische Bündnis zu Lande fünfundzwanzig Jahre lang gewesen ist und heute
'was ist, wenngleich sein eigentlicher Anlaß, eine russisch-französische Bedrohung
Mitteleuropas, einstweilen wohl für lange Zeit zu den UnWahrscheinlichkeiten ge¬
hört. Aber zu einem Bündnis gehört vor allen Dingen eine Interessengemeinschaft,
sonst bleibt es Theorie und hat nur theoretischen Wert. Kaiser Wilhelm der Erste
lehnte es sogar ab, Bündnisse anders als für einen bestimmten Zweck, aä roe, ab¬
zuschließen, weil sie mir dadurch Leben und Inhalt haben. Die Rheinisch-West¬
fälische Zeitung verlangt nun nach "Weltbündnissen," gibt aber leider keine Macht
an, die bereit wäre, ein solches mit uns abzuschließen, das obendrein -- wenigstens
nach der Auffassung des genannten Blattes -- nur gegen England gerichtet sein
könnte. Die Rheinisch-Westfälische Zeitung wirft dabei dem Reichskanzler Opti¬
mismus und Selbsttäuschung vor, er tue so, als ob ein Krieg zwischen England
und Deutschland überhaupt ausgeschlossen sei, "weil angeblich die vernünftigen und
klaren Köpfe in England nicht dafür zu haben wären." Was verlangt denn nun
eine solche Zeitung? Soll der Reichskanzler vor den Reichstag treten und er¬
klären: Ju England ist leider eine stark bedrohliche Stimmung, die zum nicht ge-


Grenzboten IV 1904 96
Maßgebliches und Unmaßgebliches

weigert, würde man dem Sieger — Sieger, weil wir uns selbst die Mittel für
unsre Sicherheit verweigert haben — wahrscheinlich zehnfach bewilligen müssen, und
zwar ohne jedes Besinnen. Die Verbündeten Regierungen sollten sich deshalb weniger
auf Bitten und Feilschen legen, weniger die Schonung der Fraktionsinteressen als
die Sicherheit und den Frieden des Landes im Auge haben und diesen Hog ent¬
schlossen, unbeirrt und mit Energie gehn. Daß Bebel über die Geringfügigkeit
der Forderungen des Kriegsministers spottet, spricht Bände. Wir sollten'lebe
andre Reform in Deutschland, jede neue sozialpolitische Maßregel — deren wir'heute
schon so viele haben, daß Graf Posadowsky mit großem Ernst ans den beginnenden
Unsegen hinweisen konnte, so lange beiseite stellen, bis eine annehmbare'Mchs-
fincmzreform zustande gekommen ist, denn sie wird nachgerade zur Lebensbedfngüng
für unsre gesamte nationale Existenz. Will oder kann die Mehrheit 'des
Reichstags das nicht begreifen, dann wird von allen verfassungsmäßigen Hol^in
Gebrauch gemacht werden müssen, die Nation aufzuklären. ,'

Reichstagsreden werden nur von wenigen gelesen, sie sind in den Zeni.«W-
berichten ohnehin meist falsch oder entstellt und willkürlich zusammengestrichen.' Me
Vorbereitung einer Reichsfinanzreform muß vor der breitesten Öffentlichkeit mit dem
größten Nachdruck erfolgen und dabei der Meinung, „es geht auch so," von An¬
fang an jeder Boden entzogen werden. Die kleinen Staaten sind nahe daran ^ i)l
eine finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage zu geratendes
darf doch nicht dahin kommen, daß um der Fraktiousinteressen und um der Muffn-
umschmeichlung willen, die für diese nötig scheint, die Fundamente des Reichsoaus^'us
Wanken geraten. Staatssekretär Graf Posadowsky hat in einer vielbemerkten RedV
unter dem Beifall aller Seiten des Reichstags auf die ungeheure Zunahme des WvM
Standes unsrer arbeitenden Klassen als auf eine Quelle unsrer nationalen Kra^
und Leistungsfähigkeit hingewiesen. Sollte dieser so gewaltig cmgewachsne h'it
noch immer weiter wachsende Wohlstand nicht eine einträglichere Besteuerung hon
Bier und Tabak um so leichter erlauben? An der Sicherheit dieses Reichs, Kris-'
ihnen soviel Arbeitsverdienst und damit so großen Wohlstand ermöglicht, haben
doch gerade die arbeitenden Klassen das allermeiste Interesse; sie würden z. 'B.
die Folgen eines Krieges, den England gegen Deutschland vom Zaune bräche, um
allerschwersten empfinden. Für die arbeitenden Klassen gerade ist somit eine aus¬
reichende deutsche Flotte vom höchsten Wert, ganz abgesehen davon, daß ein sehr
wesentlicher Bruchteil der für die Flotte bewilligten Gelder in Gestalt von Arbeits¬
löhnen ihnen zufließt, also auch uoch den Nutzen einer gesicherten ausgiebigen
Arbeitsgelegenheit für viele Taufende ausmacht!

Nun wäre es ja gewiß recht nützlich, wenn wir durch eine starke Allianz
zur See eine ähnliche Konstellation schaffen könnten, wie sie das deutsch-öster¬
reichische Bündnis zu Lande fünfundzwanzig Jahre lang gewesen ist und heute
'was ist, wenngleich sein eigentlicher Anlaß, eine russisch-französische Bedrohung
Mitteleuropas, einstweilen wohl für lange Zeit zu den UnWahrscheinlichkeiten ge¬
hört. Aber zu einem Bündnis gehört vor allen Dingen eine Interessengemeinschaft,
sonst bleibt es Theorie und hat nur theoretischen Wert. Kaiser Wilhelm der Erste
lehnte es sogar ab, Bündnisse anders als für einen bestimmten Zweck, aä roe, ab¬
zuschließen, weil sie mir dadurch Leben und Inhalt haben. Die Rheinisch-West¬
fälische Zeitung verlangt nun nach „Weltbündnissen," gibt aber leider keine Macht
an, die bereit wäre, ein solches mit uns abzuschließen, das obendrein — wenigstens
nach der Auffassung des genannten Blattes — nur gegen England gerichtet sein
könnte. Die Rheinisch-Westfälische Zeitung wirft dabei dem Reichskanzler Opti¬
mismus und Selbsttäuschung vor, er tue so, als ob ein Krieg zwischen England
und Deutschland überhaupt ausgeschlossen sei, „weil angeblich die vernünftigen und
klaren Köpfe in England nicht dafür zu haben wären." Was verlangt denn nun
eine solche Zeitung? Soll der Reichskanzler vor den Reichstag treten und er¬
klären: Ju England ist leider eine stark bedrohliche Stimmung, die zum nicht ge-


Grenzboten IV 1904 96
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[0717] Maßgebliches und Unmaßgebliches weigert, würde man dem Sieger — Sieger, weil wir uns selbst die Mittel für unsre Sicherheit verweigert haben — wahrscheinlich zehnfach bewilligen müssen, und zwar ohne jedes Besinnen. Die Verbündeten Regierungen sollten sich deshalb weniger auf Bitten und Feilschen legen, weniger die Schonung der Fraktionsinteressen als die Sicherheit und den Frieden des Landes im Auge haben und diesen Hog ent¬ schlossen, unbeirrt und mit Energie gehn. Daß Bebel über die Geringfügigkeit der Forderungen des Kriegsministers spottet, spricht Bände. Wir sollten'lebe andre Reform in Deutschland, jede neue sozialpolitische Maßregel — deren wir'heute schon so viele haben, daß Graf Posadowsky mit großem Ernst ans den beginnenden Unsegen hinweisen konnte, so lange beiseite stellen, bis eine annehmbare'Mchs- fincmzreform zustande gekommen ist, denn sie wird nachgerade zur Lebensbedfngüng für unsre gesamte nationale Existenz. Will oder kann die Mehrheit 'des Reichstags das nicht begreifen, dann wird von allen verfassungsmäßigen Hol^in Gebrauch gemacht werden müssen, die Nation aufzuklären. ,' Reichstagsreden werden nur von wenigen gelesen, sie sind in den Zeni.«W- berichten ohnehin meist falsch oder entstellt und willkürlich zusammengestrichen.' Me Vorbereitung einer Reichsfinanzreform muß vor der breitesten Öffentlichkeit mit dem größten Nachdruck erfolgen und dabei der Meinung, „es geht auch so," von An¬ fang an jeder Boden entzogen werden. Die kleinen Staaten sind nahe daran ^ i)l eine finanziell unhaltbare und damit auch politisch unhaltbare Lage zu geratendes darf doch nicht dahin kommen, daß um der Fraktiousinteressen und um der Muffn- umschmeichlung willen, die für diese nötig scheint, die Fundamente des Reichsoaus^'us Wanken geraten. Staatssekretär Graf Posadowsky hat in einer vielbemerkten RedV unter dem Beifall aller Seiten des Reichstags auf die ungeheure Zunahme des WvM Standes unsrer arbeitenden Klassen als auf eine Quelle unsrer nationalen Kra^ und Leistungsfähigkeit hingewiesen. Sollte dieser so gewaltig cmgewachsne h'it noch immer weiter wachsende Wohlstand nicht eine einträglichere Besteuerung hon Bier und Tabak um so leichter erlauben? An der Sicherheit dieses Reichs, Kris-' ihnen soviel Arbeitsverdienst und damit so großen Wohlstand ermöglicht, haben doch gerade die arbeitenden Klassen das allermeiste Interesse; sie würden z. 'B. die Folgen eines Krieges, den England gegen Deutschland vom Zaune bräche, um allerschwersten empfinden. Für die arbeitenden Klassen gerade ist somit eine aus¬ reichende deutsche Flotte vom höchsten Wert, ganz abgesehen davon, daß ein sehr wesentlicher Bruchteil der für die Flotte bewilligten Gelder in Gestalt von Arbeits¬ löhnen ihnen zufließt, also auch uoch den Nutzen einer gesicherten ausgiebigen Arbeitsgelegenheit für viele Taufende ausmacht! Nun wäre es ja gewiß recht nützlich, wenn wir durch eine starke Allianz zur See eine ähnliche Konstellation schaffen könnten, wie sie das deutsch-öster¬ reichische Bündnis zu Lande fünfundzwanzig Jahre lang gewesen ist und heute 'was ist, wenngleich sein eigentlicher Anlaß, eine russisch-französische Bedrohung Mitteleuropas, einstweilen wohl für lange Zeit zu den UnWahrscheinlichkeiten ge¬ hört. Aber zu einem Bündnis gehört vor allen Dingen eine Interessengemeinschaft, sonst bleibt es Theorie und hat nur theoretischen Wert. Kaiser Wilhelm der Erste lehnte es sogar ab, Bündnisse anders als für einen bestimmten Zweck, aä roe, ab¬ zuschließen, weil sie mir dadurch Leben und Inhalt haben. Die Rheinisch-West¬ fälische Zeitung verlangt nun nach „Weltbündnissen," gibt aber leider keine Macht an, die bereit wäre, ein solches mit uns abzuschließen, das obendrein — wenigstens nach der Auffassung des genannten Blattes — nur gegen England gerichtet sein könnte. Die Rheinisch-Westfälische Zeitung wirft dabei dem Reichskanzler Opti¬ mismus und Selbsttäuschung vor, er tue so, als ob ein Krieg zwischen England und Deutschland überhaupt ausgeschlossen sei, „weil angeblich die vernünftigen und klaren Köpfe in England nicht dafür zu haben wären." Was verlangt denn nun eine solche Zeitung? Soll der Reichskanzler vor den Reichstag treten und er¬ klären: Ju England ist leider eine stark bedrohliche Stimmung, die zum nicht ge- Grenzboten IV 1904 96

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/717>, abgerufen am 29.06.2024.