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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Übernahme eine sorgfältige Auswahl erfolgt, so wie es jetzt selten vorkommt,
daß die als Justitiare angenommnen Gerichtsbeamten zur Justiz zurückkehren
müssen, weil sie sich in der Verwaltung nicht bewähren. Tatsächlich hat sich
die preußische Verwaltung ja anch von 1868 bis 1879 ausschließlich durch die
Übernahme von Justizbeamten ergänzt.

Sollte nun jemand fragen, wie gerade ein Verwaltungsbeamter dazu
kommt, die juristische Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu befürworten, so
kann ich darauf nur antworten, daß es geschieht, weil ich die Mängel der
administrativen Ausbildung selbst empfunden habe, weil ich gesehen habe, wie
leicht sich die Juristen auf der Grundlage ihrer abgeschlossenen Bildung in den
Verwaltungsdienst einleben, und weil es mir scheint, daß gerade deshalb die
Neigung besteht, die Juristen zu bevorzugen. Dann aber möchte ich überhaupt
annehmen, daß es richtiger und besser ist, die Juristen und die Verwaltungs¬
beamten möglichst lange auf derselben Grundlage auszubilden und arbeiten
zu lassen.

Es ist für die Beamten selbst besser, weil sie dann vor die Wahl des
Berufs erst gestellt werden, wenn sie sich selbst und ihre Fähigkeiten beurteilen
können; und es ist für die beteiligten Verwaltungen besser, die dann die für
ihre Zwecke geeignete Auswahl unter Persönlichkeiten treffen können, die aus¬
gebildet und entwickelt sind. Wie man nicht schon auf der Schule für be¬
sondre Berufe ausbildet, sondern die humanistische Bildung auch heute noch
als die beste für alle wissenschaftlichen Berufe, abgesehen von den rein
technischen, hält, weil der Geist auf diese Weise am besten geschult wird, so
sollte man eigentlich folgerichtig anch annehmen, daß auch für die künftigen
Verwaltungsbeamten die Ausbildung die beste ist, die in besonder," Maße ge¬
eignet ist, die Urteilsfähigkeit zu schürfen.

Dann aber kommt noch ein besondres, persönliches Interesse der Ver¬
waltungsbeamten in Frage. Es ist immer gut, eine Ausbildung genossen zu
haben, die die Möglichkeit des Überganges in einen andern Beruf offen läßt.
Das ist nützlich, weil es oft vorkommt, daß jemand seine Anschauung über
den von ihm erwählten Beruf wechselt, und gerade in der preußischen Ver¬
waltung können, so wie die Verhältnisse heute liegen, vielen jungen Beamten
Enttäuschungen kaum erspart bleiben. Wer wirklich Neigung zum Verwaltungs¬
dienste hat, wird in der Regel keine volle Befriedigung finden, wenn er sein
Leben lang gezwungen ist, nur Bureaudienst zu tun; die Zahl der Beamten
ist aber in den letzten zehn Jahren so bedeutend vermehrt worden, daß es nur
noch wenigen gelingen kann, die von den meisten erstrebte Stellung eines
Landrath zu erlangen. Es liegt hier eigentlich ein Widerspruch vor, unter
dessen Folgen viele leiden müssen, und da sich die Verhältnisse in Zukunft
voraussichtlich noch weiter zuungunsten derer entwickeln werden, die Landrat
werden wollen und es nicht werden können, so ist es leicht möglich, daß künftig
bei Verwaltungsbeamten öfter als bisher der Wunsch hervortritt, zu einem
andern Berufe überzugehn. Dazu kommt aber noch, daß der Verwaltungs-
benmte abhängig ist, und daß sich also für ihn leichter die Möglichkeit eines
Konflikts ergibt, als für andre Beamte, nud unter Umständen also auch die


Übernahme eine sorgfältige Auswahl erfolgt, so wie es jetzt selten vorkommt,
daß die als Justitiare angenommnen Gerichtsbeamten zur Justiz zurückkehren
müssen, weil sie sich in der Verwaltung nicht bewähren. Tatsächlich hat sich
die preußische Verwaltung ja anch von 1868 bis 1879 ausschließlich durch die
Übernahme von Justizbeamten ergänzt.

Sollte nun jemand fragen, wie gerade ein Verwaltungsbeamter dazu
kommt, die juristische Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu befürworten, so
kann ich darauf nur antworten, daß es geschieht, weil ich die Mängel der
administrativen Ausbildung selbst empfunden habe, weil ich gesehen habe, wie
leicht sich die Juristen auf der Grundlage ihrer abgeschlossenen Bildung in den
Verwaltungsdienst einleben, und weil es mir scheint, daß gerade deshalb die
Neigung besteht, die Juristen zu bevorzugen. Dann aber möchte ich überhaupt
annehmen, daß es richtiger und besser ist, die Juristen und die Verwaltungs¬
beamten möglichst lange auf derselben Grundlage auszubilden und arbeiten
zu lassen.

Es ist für die Beamten selbst besser, weil sie dann vor die Wahl des
Berufs erst gestellt werden, wenn sie sich selbst und ihre Fähigkeiten beurteilen
können; und es ist für die beteiligten Verwaltungen besser, die dann die für
ihre Zwecke geeignete Auswahl unter Persönlichkeiten treffen können, die aus¬
gebildet und entwickelt sind. Wie man nicht schon auf der Schule für be¬
sondre Berufe ausbildet, sondern die humanistische Bildung auch heute noch
als die beste für alle wissenschaftlichen Berufe, abgesehen von den rein
technischen, hält, weil der Geist auf diese Weise am besten geschult wird, so
sollte man eigentlich folgerichtig anch annehmen, daß auch für die künftigen
Verwaltungsbeamten die Ausbildung die beste ist, die in besonder,» Maße ge¬
eignet ist, die Urteilsfähigkeit zu schürfen.

Dann aber kommt noch ein besondres, persönliches Interesse der Ver¬
waltungsbeamten in Frage. Es ist immer gut, eine Ausbildung genossen zu
haben, die die Möglichkeit des Überganges in einen andern Beruf offen läßt.
Das ist nützlich, weil es oft vorkommt, daß jemand seine Anschauung über
den von ihm erwählten Beruf wechselt, und gerade in der preußischen Ver¬
waltung können, so wie die Verhältnisse heute liegen, vielen jungen Beamten
Enttäuschungen kaum erspart bleiben. Wer wirklich Neigung zum Verwaltungs¬
dienste hat, wird in der Regel keine volle Befriedigung finden, wenn er sein
Leben lang gezwungen ist, nur Bureaudienst zu tun; die Zahl der Beamten
ist aber in den letzten zehn Jahren so bedeutend vermehrt worden, daß es nur
noch wenigen gelingen kann, die von den meisten erstrebte Stellung eines
Landrath zu erlangen. Es liegt hier eigentlich ein Widerspruch vor, unter
dessen Folgen viele leiden müssen, und da sich die Verhältnisse in Zukunft
voraussichtlich noch weiter zuungunsten derer entwickeln werden, die Landrat
werden wollen und es nicht werden können, so ist es leicht möglich, daß künftig
bei Verwaltungsbeamten öfter als bisher der Wunsch hervortritt, zu einem
andern Berufe überzugehn. Dazu kommt aber noch, daß der Verwaltungs-
benmte abhängig ist, und daß sich also für ihn leichter die Möglichkeit eines
Konflikts ergibt, als für andre Beamte, nud unter Umständen also auch die


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[0684] Übernahme eine sorgfältige Auswahl erfolgt, so wie es jetzt selten vorkommt, daß die als Justitiare angenommnen Gerichtsbeamten zur Justiz zurückkehren müssen, weil sie sich in der Verwaltung nicht bewähren. Tatsächlich hat sich die preußische Verwaltung ja anch von 1868 bis 1879 ausschließlich durch die Übernahme von Justizbeamten ergänzt. Sollte nun jemand fragen, wie gerade ein Verwaltungsbeamter dazu kommt, die juristische Ausbildung der Verwaltungsbeamten zu befürworten, so kann ich darauf nur antworten, daß es geschieht, weil ich die Mängel der administrativen Ausbildung selbst empfunden habe, weil ich gesehen habe, wie leicht sich die Juristen auf der Grundlage ihrer abgeschlossenen Bildung in den Verwaltungsdienst einleben, und weil es mir scheint, daß gerade deshalb die Neigung besteht, die Juristen zu bevorzugen. Dann aber möchte ich überhaupt annehmen, daß es richtiger und besser ist, die Juristen und die Verwaltungs¬ beamten möglichst lange auf derselben Grundlage auszubilden und arbeiten zu lassen. Es ist für die Beamten selbst besser, weil sie dann vor die Wahl des Berufs erst gestellt werden, wenn sie sich selbst und ihre Fähigkeiten beurteilen können; und es ist für die beteiligten Verwaltungen besser, die dann die für ihre Zwecke geeignete Auswahl unter Persönlichkeiten treffen können, die aus¬ gebildet und entwickelt sind. Wie man nicht schon auf der Schule für be¬ sondre Berufe ausbildet, sondern die humanistische Bildung auch heute noch als die beste für alle wissenschaftlichen Berufe, abgesehen von den rein technischen, hält, weil der Geist auf diese Weise am besten geschult wird, so sollte man eigentlich folgerichtig anch annehmen, daß auch für die künftigen Verwaltungsbeamten die Ausbildung die beste ist, die in besonder,» Maße ge¬ eignet ist, die Urteilsfähigkeit zu schürfen. Dann aber kommt noch ein besondres, persönliches Interesse der Ver¬ waltungsbeamten in Frage. Es ist immer gut, eine Ausbildung genossen zu haben, die die Möglichkeit des Überganges in einen andern Beruf offen läßt. Das ist nützlich, weil es oft vorkommt, daß jemand seine Anschauung über den von ihm erwählten Beruf wechselt, und gerade in der preußischen Ver¬ waltung können, so wie die Verhältnisse heute liegen, vielen jungen Beamten Enttäuschungen kaum erspart bleiben. Wer wirklich Neigung zum Verwaltungs¬ dienste hat, wird in der Regel keine volle Befriedigung finden, wenn er sein Leben lang gezwungen ist, nur Bureaudienst zu tun; die Zahl der Beamten ist aber in den letzten zehn Jahren so bedeutend vermehrt worden, daß es nur noch wenigen gelingen kann, die von den meisten erstrebte Stellung eines Landrath zu erlangen. Es liegt hier eigentlich ein Widerspruch vor, unter dessen Folgen viele leiden müssen, und da sich die Verhältnisse in Zukunft voraussichtlich noch weiter zuungunsten derer entwickeln werden, die Landrat werden wollen und es nicht werden können, so ist es leicht möglich, daß künftig bei Verwaltungsbeamten öfter als bisher der Wunsch hervortritt, zu einem andern Berufe überzugehn. Dazu kommt aber noch, daß der Verwaltungs- benmte abhängig ist, und daß sich also für ihn leichter die Möglichkeit eines Konflikts ergibt, als für andre Beamte, nud unter Umständen also auch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/684>, abgerufen am 23.07.2024.