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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse

Preußen und die Kaiserin Eugenie als Gäste des türkischen Hofes gewohnt haben.
Mehr noch fallen in die Augen die diesem gegenüber am europäischen Ufer liegenden
Riesenpaläste von Dolmabagtsche und Tschiragan, der eine 650 Meter, der andre
gar 750 Meter lang, beide ini sogenannten türkischen Renaissancestil in den fünf¬
ziger und den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus blendendem
Marmor erbaut. Da gibt es Theater- und Tempelfassnden, Prachtportale, eine
Überfülle von Ornamentenschmuck und herrliches Gitterwerk. Das Innere übertrifft
noch das Äußere an Reichtum, Verschwendung und wahrhaft orientalischem Prunk.
Der große Thron- und Festsaal von Dolmabagtsche, der zum Beispiel zu der große"
Gratulationscour am Beiramfest benutzt wird, ist einer der größten und schönsten
Säle Europas, und Tschiragan soll an unglaublichem Luxus Dolmabagtsche noch
übertreffen. Aber nun die Kehrseite dieser Pracht. In Dolmabagtsche wurde der
Herr des Palastes und des Reiches, Abdul Asif, am 18. Mai 1876 durch eine
Palastrevolution gestürzt und aus dem allmächtigen Herrscher zum Gefangnen. Einige
Wochen darauf fand man ihn im letzten Außengebäude des Tschiraganpalastes,
wohin man ihn gebracht hatte, mit zerschnittnen Pulsadern. Aber der, der an seine
Stelle getreten war, Murad der Fünfte, trieb es auch nur drei Monate. Dann
setzte man ihn ebenfalls ab, und sein Bruder, der jetzt regierende Abdul-Hamid,
hält ihn im Tschiragan in strengster Haft und völliger Abgeschlossenheit. Das ist
die Bruderliebe, wie sie in der Vielweiberei und Haremswirtschaft gedeiht. Söhne
von demselben Vater, aber verschiednen Müttern stehn sich völlig fremd, und wenn
es sich um Thron und Besitz handelt, durchaus feindlich gegenüber. Nur die, die
von derselben Mutter oder Amme genährt sind, lieben einander.

Der jetzige Padischah residiert bekanntlich in dem hinter dem Tschiragan oben
auf der Höhe liegenden Mdis-Kiosk (d. i. Sternenpalast). Den nicht eben großen,
aber luxuriös eingerichteten Palast umgibt ein sehr ansehnlicher Park, worin der
Sultan spazieren fährt und jagt. In ihm liegt auch der Harem, der Marstall,
sowie Bureaus und Kiosks von verschiedner Art, darunter der Chalet-Kiosk, worin
unser Kaiser 1889 wohnte. Das Ganze bildet einen weiten, von hohen Mauern
umgebnen und von zahlreichen Militärposten scharf bewachten Bezirk, den der Sultan,
ein wohl nicht ohne Grund sehr argwöhnischer Herr, nie verläßt. Er besucht nicht
einmal, wie seine Vorgänger, die großen alten Moscheen in Stambul. Da er sich
nun aber jeden Freitag öffentlich im Gottesdienst zeigen muß, wenn er sich in den
Augen seiner Untertanen nicht gänzlich diskreditieren will, so hat er 1886 zu diesem
Zwecke eine eigne kleine, moderne, elegante Moschee neben dem Hauptportal des
Yildis-Kiosk bauen lassen.

Hier findet jeden Freitag das berühmte Selamlik (eigentlich Begrüßungs-
zimmer im türkischen Hause, dann Begrüßung, Besuch selbst) statt, das für deu
Fremden in Konstantinopel ungefähr dasselbe bedeutet wie eine vom Papst gelesene
Ostermesse in Rom. Es ist die einzige Gelegenheit, wo das Volk seinen Padischah
zu sehen bekommen kann, und deshalb ist immer eine große Menge zur Stelle.
In frühern Jahren war für die Fremden der Moschee gegenüber eine Tribüne auf¬
geschlagen, zu der man durch das Konsulat seines Heimatstaats gegen Erlegung von
zwanzig Piaster den Zutritt erlangen konnte. Aber in den letzten Jahren ist das Mi߬
trauen des Großherrn gegen die bösen Europäer so gewachsen, daß die Tribüne abge¬
brochen worden ist; die Fremden müssen sich nun in weiterer Entfernung aufstellen.

Wir nahmen also eines schönen Freitags für schweres Geld zu dreien einen
Wagen und fuhren den langen Weg hinaus bis zur Höhe des Mldis-Kiosks.
Auf einem weiten Platze in einiger Entfernung gegenüber der Moschee hielten die
ankommenden Kutschen, und es entstand rasch ein großer, in regelmäßigen Reihen
cmfgefnhrner Wagenpark. Da noch viel Zeit war bis zur Auffahrt des Sultans,
so konnten wir in aller Ruhe die herrliche Aussicht betrachten, die sich nach rechts
über die Stadt und das Meer auftat. Auch konnten wir anfangs noch zu Fuß
durch ein geöffnetes Gittertor bis in die unmittelbare Nähe der Moschee selbst ge-


Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse

Preußen und die Kaiserin Eugenie als Gäste des türkischen Hofes gewohnt haben.
Mehr noch fallen in die Augen die diesem gegenüber am europäischen Ufer liegenden
Riesenpaläste von Dolmabagtsche und Tschiragan, der eine 650 Meter, der andre
gar 750 Meter lang, beide ini sogenannten türkischen Renaissancestil in den fünf¬
ziger und den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus blendendem
Marmor erbaut. Da gibt es Theater- und Tempelfassnden, Prachtportale, eine
Überfülle von Ornamentenschmuck und herrliches Gitterwerk. Das Innere übertrifft
noch das Äußere an Reichtum, Verschwendung und wahrhaft orientalischem Prunk.
Der große Thron- und Festsaal von Dolmabagtsche, der zum Beispiel zu der große»
Gratulationscour am Beiramfest benutzt wird, ist einer der größten und schönsten
Säle Europas, und Tschiragan soll an unglaublichem Luxus Dolmabagtsche noch
übertreffen. Aber nun die Kehrseite dieser Pracht. In Dolmabagtsche wurde der
Herr des Palastes und des Reiches, Abdul Asif, am 18. Mai 1876 durch eine
Palastrevolution gestürzt und aus dem allmächtigen Herrscher zum Gefangnen. Einige
Wochen darauf fand man ihn im letzten Außengebäude des Tschiraganpalastes,
wohin man ihn gebracht hatte, mit zerschnittnen Pulsadern. Aber der, der an seine
Stelle getreten war, Murad der Fünfte, trieb es auch nur drei Monate. Dann
setzte man ihn ebenfalls ab, und sein Bruder, der jetzt regierende Abdul-Hamid,
hält ihn im Tschiragan in strengster Haft und völliger Abgeschlossenheit. Das ist
die Bruderliebe, wie sie in der Vielweiberei und Haremswirtschaft gedeiht. Söhne
von demselben Vater, aber verschiednen Müttern stehn sich völlig fremd, und wenn
es sich um Thron und Besitz handelt, durchaus feindlich gegenüber. Nur die, die
von derselben Mutter oder Amme genährt sind, lieben einander.

Der jetzige Padischah residiert bekanntlich in dem hinter dem Tschiragan oben
auf der Höhe liegenden Mdis-Kiosk (d. i. Sternenpalast). Den nicht eben großen,
aber luxuriös eingerichteten Palast umgibt ein sehr ansehnlicher Park, worin der
Sultan spazieren fährt und jagt. In ihm liegt auch der Harem, der Marstall,
sowie Bureaus und Kiosks von verschiedner Art, darunter der Chalet-Kiosk, worin
unser Kaiser 1889 wohnte. Das Ganze bildet einen weiten, von hohen Mauern
umgebnen und von zahlreichen Militärposten scharf bewachten Bezirk, den der Sultan,
ein wohl nicht ohne Grund sehr argwöhnischer Herr, nie verläßt. Er besucht nicht
einmal, wie seine Vorgänger, die großen alten Moscheen in Stambul. Da er sich
nun aber jeden Freitag öffentlich im Gottesdienst zeigen muß, wenn er sich in den
Augen seiner Untertanen nicht gänzlich diskreditieren will, so hat er 1886 zu diesem
Zwecke eine eigne kleine, moderne, elegante Moschee neben dem Hauptportal des
Yildis-Kiosk bauen lassen.

Hier findet jeden Freitag das berühmte Selamlik (eigentlich Begrüßungs-
zimmer im türkischen Hause, dann Begrüßung, Besuch selbst) statt, das für deu
Fremden in Konstantinopel ungefähr dasselbe bedeutet wie eine vom Papst gelesene
Ostermesse in Rom. Es ist die einzige Gelegenheit, wo das Volk seinen Padischah
zu sehen bekommen kann, und deshalb ist immer eine große Menge zur Stelle.
In frühern Jahren war für die Fremden der Moschee gegenüber eine Tribüne auf¬
geschlagen, zu der man durch das Konsulat seines Heimatstaats gegen Erlegung von
zwanzig Piaster den Zutritt erlangen konnte. Aber in den letzten Jahren ist das Mi߬
trauen des Großherrn gegen die bösen Europäer so gewachsen, daß die Tribüne abge¬
brochen worden ist; die Fremden müssen sich nun in weiterer Entfernung aufstellen.

Wir nahmen also eines schönen Freitags für schweres Geld zu dreien einen
Wagen und fuhren den langen Weg hinaus bis zur Höhe des Mldis-Kiosks.
Auf einem weiten Platze in einiger Entfernung gegenüber der Moschee hielten die
ankommenden Kutschen, und es entstand rasch ein großer, in regelmäßigen Reihen
cmfgefnhrner Wagenpark. Da noch viel Zeit war bis zur Auffahrt des Sultans,
so konnten wir in aller Ruhe die herrliche Aussicht betrachten, die sich nach rechts
über die Stadt und das Meer auftat. Auch konnten wir anfangs noch zu Fuß
durch ein geöffnetes Gittertor bis in die unmittelbare Nähe der Moschee selbst ge-


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[0645] Aonstautinopolitanische Reiseerlebnisse Preußen und die Kaiserin Eugenie als Gäste des türkischen Hofes gewohnt haben. Mehr noch fallen in die Augen die diesem gegenüber am europäischen Ufer liegenden Riesenpaläste von Dolmabagtsche und Tschiragan, der eine 650 Meter, der andre gar 750 Meter lang, beide ini sogenannten türkischen Renaissancestil in den fünf¬ ziger und den sechziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts aus blendendem Marmor erbaut. Da gibt es Theater- und Tempelfassnden, Prachtportale, eine Überfülle von Ornamentenschmuck und herrliches Gitterwerk. Das Innere übertrifft noch das Äußere an Reichtum, Verschwendung und wahrhaft orientalischem Prunk. Der große Thron- und Festsaal von Dolmabagtsche, der zum Beispiel zu der große» Gratulationscour am Beiramfest benutzt wird, ist einer der größten und schönsten Säle Europas, und Tschiragan soll an unglaublichem Luxus Dolmabagtsche noch übertreffen. Aber nun die Kehrseite dieser Pracht. In Dolmabagtsche wurde der Herr des Palastes und des Reiches, Abdul Asif, am 18. Mai 1876 durch eine Palastrevolution gestürzt und aus dem allmächtigen Herrscher zum Gefangnen. Einige Wochen darauf fand man ihn im letzten Außengebäude des Tschiraganpalastes, wohin man ihn gebracht hatte, mit zerschnittnen Pulsadern. Aber der, der an seine Stelle getreten war, Murad der Fünfte, trieb es auch nur drei Monate. Dann setzte man ihn ebenfalls ab, und sein Bruder, der jetzt regierende Abdul-Hamid, hält ihn im Tschiragan in strengster Haft und völliger Abgeschlossenheit. Das ist die Bruderliebe, wie sie in der Vielweiberei und Haremswirtschaft gedeiht. Söhne von demselben Vater, aber verschiednen Müttern stehn sich völlig fremd, und wenn es sich um Thron und Besitz handelt, durchaus feindlich gegenüber. Nur die, die von derselben Mutter oder Amme genährt sind, lieben einander. Der jetzige Padischah residiert bekanntlich in dem hinter dem Tschiragan oben auf der Höhe liegenden Mdis-Kiosk (d. i. Sternenpalast). Den nicht eben großen, aber luxuriös eingerichteten Palast umgibt ein sehr ansehnlicher Park, worin der Sultan spazieren fährt und jagt. In ihm liegt auch der Harem, der Marstall, sowie Bureaus und Kiosks von verschiedner Art, darunter der Chalet-Kiosk, worin unser Kaiser 1889 wohnte. Das Ganze bildet einen weiten, von hohen Mauern umgebnen und von zahlreichen Militärposten scharf bewachten Bezirk, den der Sultan, ein wohl nicht ohne Grund sehr argwöhnischer Herr, nie verläßt. Er besucht nicht einmal, wie seine Vorgänger, die großen alten Moscheen in Stambul. Da er sich nun aber jeden Freitag öffentlich im Gottesdienst zeigen muß, wenn er sich in den Augen seiner Untertanen nicht gänzlich diskreditieren will, so hat er 1886 zu diesem Zwecke eine eigne kleine, moderne, elegante Moschee neben dem Hauptportal des Yildis-Kiosk bauen lassen. Hier findet jeden Freitag das berühmte Selamlik (eigentlich Begrüßungs- zimmer im türkischen Hause, dann Begrüßung, Besuch selbst) statt, das für deu Fremden in Konstantinopel ungefähr dasselbe bedeutet wie eine vom Papst gelesene Ostermesse in Rom. Es ist die einzige Gelegenheit, wo das Volk seinen Padischah zu sehen bekommen kann, und deshalb ist immer eine große Menge zur Stelle. In frühern Jahren war für die Fremden der Moschee gegenüber eine Tribüne auf¬ geschlagen, zu der man durch das Konsulat seines Heimatstaats gegen Erlegung von zwanzig Piaster den Zutritt erlangen konnte. Aber in den letzten Jahren ist das Mi߬ trauen des Großherrn gegen die bösen Europäer so gewachsen, daß die Tribüne abge¬ brochen worden ist; die Fremden müssen sich nun in weiterer Entfernung aufstellen. Wir nahmen also eines schönen Freitags für schweres Geld zu dreien einen Wagen und fuhren den langen Weg hinaus bis zur Höhe des Mldis-Kiosks. Auf einem weiten Platze in einiger Entfernung gegenüber der Moschee hielten die ankommenden Kutschen, und es entstand rasch ein großer, in regelmäßigen Reihen cmfgefnhrner Wagenpark. Da noch viel Zeit war bis zur Auffahrt des Sultans, so konnten wir in aller Ruhe die herrliche Aussicht betrachten, die sich nach rechts über die Stadt und das Meer auftat. Auch konnten wir anfangs noch zu Fuß durch ein geöffnetes Gittertor bis in die unmittelbare Nähe der Moschee selbst ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/645>, abgerufen am 23.07.2024.