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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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fasscr ebenso sicher beherrscht, wie er sie klar reden läßt. In den etwa zwölf
Abschnitten des Buches werden uns vorgeführt: die Durchführung der Mobilmachung,
die Armierung der Festungen und der Küsten, der Eiseubahuaufmarsch, die Bildung
von neuen Truppenverbänden, die Verwendung der Überzähligen bei den Ersatz-
uud Besatzungstruppen, die Etappen, die Festungsartillerie und der Belagerungs¬
train, die Festungspionicrkompagnien, Eisenbahn- und Telegraphenabteilungen, die
Kriegsgefangnen und die Formation der Garuisontruppen, die Maßregeln zur
Sicherung des Ersatzes bei den Truppenteilen des Feldheeres.

Jeder Leser, auch der uicht kriegswissenschaftlich gebildete, kann aus diesem
Rückblick auf die einzig schöne und große Zeit lernen, daß eine gute Sache, wie
die Verteidigung und die Einigung des Vaterlandes, eine freudige und hingebende
Anstrengung aller Kräfte bis zum äußersten mit sich bringt. Die Zahl der Frei¬
willigen war überraschend groß; der Durchschnitt der Verpflegungsstärke vom
August 1870 bis zum Juni 1871 beinahe 39 vom Tausend der im Jahre 1867
ermittelten Bevölkerungszahl; von den 162 preußischen Landwehrbataillonen hatten
129 in Feindesland Verwendung gefunden; groß war die Zahl der Verheirateten
unter deu Einberufuen: 972, 908, 902 usw. auf ein Infanterieregiment. So
glatt ging alles, daß Roon öfter äußerte, daß die vierzehn Tage nach der Nacht
vom 15. zum 16. Juli für sein Ressort fast die sorgen- und arbeitslosesten seines
Dienstlebens gewesen seien. Daß es aber trotzdem und trotz dem guten Willen
aller Teile später nicht an Reibungen fehlte, erfahren wir auch hier wiederholt.
Ohne sie gibt es nun eben keinen Fortschritt in der Welt, mag Krieg oder Friede
sein. So müssen wir sie uns auch jetzt gefallen lassen, wo immer sie auftreten,
und wie sehr wir auch unter ihnen seufzen.

Weit über die Durchschnittsliteratnr erhebt sich der Roman: Allzeit Fremde,
von Luise Algenstaedt (L. Arnshagen). Verlag von Fr. Bahn, Schwerin i. M., 1905.
Die Verfasserin stellt uns mitten im modernen Leben ein Stück Judentum dar,
wie es in seiner alten, ehrwürdigen Art, in seinen geheiligten Anschauungen, Sitten
und Gebräuchen zuweilen noch fortlebt. Der reiche Jude Benjamin Ascher kauft
dem verarmten Gutsbesitzer Tahliu das Gut Reihersdorf ab. Der älteste Sohn,
der junge Heinrich Tahlin, bleibt -- wenn auch widerwillig und mit stiller Ver¬
achtung gegen die Judenfnmilie erfüllt -- als Verwalter bei Aschers auf Reihers¬
dorf. Bald verwandelt sich der Abscheu Heinrich Tahlins in die größte Hochachtung
vor seinem Chef, denn der alte Benjamin Ascher zeigt sich als ein wahrer Ehren¬
mann nach Goethes Wort: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Zugleich
erweist er sich als ein strenger, überzeugter Jsraelit, der mit Fanatismus an seinem
Glauben hängt. Sein Sohn William, der Typus des modernen, irreligiöse!,, geist-
reichelnden, von Heinischen Geiste durchsetzten Literaturjuden, sagt an einer Stelle:
"Wir müssen nus assimilieren, verzeih, Papa. Wir müssen uns vermischen und uns
absorbieren lassen, wo wir Staatsangehörige sind. Wir müssen aus dem Besten
von ihrer und unsrer Religion uns unsre Ideale bilden, indem wir den Geist unsrer
Tage in ihre wie in unsre Überlieferungen hineinleuchten lassen. Wir müssen sie
dazu bringen, uns für ihresgleichen zu halten. Und unvermerkt werden wir dann
vermöge unsrer überragenden Fähigkeiten doch immer in herrschende Stellung ge¬
langen." Sein Vater antwortet ihm: "Wir assimilieren uns nicht! Schon immer
haben einige das gewollt, und es ist ihnen nicht gelungen. Auch nicht, wenn sie
zu Verrätern geworden sind an unserm Glauben. Unsre Gesichtsbildung schlägt in
einem halben Dutzend Mischgenerationen wieder dnrch -- und unser Bolkscharakter
ebenfalls, und die andern rechnen uns beides nach. Sie sehen mit den scharfen
Augen, welche die Abneigung macht. Und wir können anch nicht alles leugnen --
wir sind anders und müssen ihnen notwendig ärgerlich sein usw. Mit kurzen
Worten: die Juden bleiben allzeit Fremde!"

Die ganze Familie Aschers ist sehr lebenswahr gezeichnet, besonders die Frau


Literatur

fasscr ebenso sicher beherrscht, wie er sie klar reden läßt. In den etwa zwölf
Abschnitten des Buches werden uns vorgeführt: die Durchführung der Mobilmachung,
die Armierung der Festungen und der Küsten, der Eiseubahuaufmarsch, die Bildung
von neuen Truppenverbänden, die Verwendung der Überzähligen bei den Ersatz-
uud Besatzungstruppen, die Etappen, die Festungsartillerie und der Belagerungs¬
train, die Festungspionicrkompagnien, Eisenbahn- und Telegraphenabteilungen, die
Kriegsgefangnen und die Formation der Garuisontruppen, die Maßregeln zur
Sicherung des Ersatzes bei den Truppenteilen des Feldheeres.

Jeder Leser, auch der uicht kriegswissenschaftlich gebildete, kann aus diesem
Rückblick auf die einzig schöne und große Zeit lernen, daß eine gute Sache, wie
die Verteidigung und die Einigung des Vaterlandes, eine freudige und hingebende
Anstrengung aller Kräfte bis zum äußersten mit sich bringt. Die Zahl der Frei¬
willigen war überraschend groß; der Durchschnitt der Verpflegungsstärke vom
August 1870 bis zum Juni 1871 beinahe 39 vom Tausend der im Jahre 1867
ermittelten Bevölkerungszahl; von den 162 preußischen Landwehrbataillonen hatten
129 in Feindesland Verwendung gefunden; groß war die Zahl der Verheirateten
unter deu Einberufuen: 972, 908, 902 usw. auf ein Infanterieregiment. So
glatt ging alles, daß Roon öfter äußerte, daß die vierzehn Tage nach der Nacht
vom 15. zum 16. Juli für sein Ressort fast die sorgen- und arbeitslosesten seines
Dienstlebens gewesen seien. Daß es aber trotzdem und trotz dem guten Willen
aller Teile später nicht an Reibungen fehlte, erfahren wir auch hier wiederholt.
Ohne sie gibt es nun eben keinen Fortschritt in der Welt, mag Krieg oder Friede
sein. So müssen wir sie uns auch jetzt gefallen lassen, wo immer sie auftreten,
und wie sehr wir auch unter ihnen seufzen.

Weit über die Durchschnittsliteratnr erhebt sich der Roman: Allzeit Fremde,
von Luise Algenstaedt (L. Arnshagen). Verlag von Fr. Bahn, Schwerin i. M., 1905.
Die Verfasserin stellt uns mitten im modernen Leben ein Stück Judentum dar,
wie es in seiner alten, ehrwürdigen Art, in seinen geheiligten Anschauungen, Sitten
und Gebräuchen zuweilen noch fortlebt. Der reiche Jude Benjamin Ascher kauft
dem verarmten Gutsbesitzer Tahliu das Gut Reihersdorf ab. Der älteste Sohn,
der junge Heinrich Tahlin, bleibt — wenn auch widerwillig und mit stiller Ver¬
achtung gegen die Judenfnmilie erfüllt — als Verwalter bei Aschers auf Reihers¬
dorf. Bald verwandelt sich der Abscheu Heinrich Tahlins in die größte Hochachtung
vor seinem Chef, denn der alte Benjamin Ascher zeigt sich als ein wahrer Ehren¬
mann nach Goethes Wort: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Zugleich
erweist er sich als ein strenger, überzeugter Jsraelit, der mit Fanatismus an seinem
Glauben hängt. Sein Sohn William, der Typus des modernen, irreligiöse!,, geist-
reichelnden, von Heinischen Geiste durchsetzten Literaturjuden, sagt an einer Stelle:
„Wir müssen nus assimilieren, verzeih, Papa. Wir müssen uns vermischen und uns
absorbieren lassen, wo wir Staatsangehörige sind. Wir müssen aus dem Besten
von ihrer und unsrer Religion uns unsre Ideale bilden, indem wir den Geist unsrer
Tage in ihre wie in unsre Überlieferungen hineinleuchten lassen. Wir müssen sie
dazu bringen, uns für ihresgleichen zu halten. Und unvermerkt werden wir dann
vermöge unsrer überragenden Fähigkeiten doch immer in herrschende Stellung ge¬
langen." Sein Vater antwortet ihm: „Wir assimilieren uns nicht! Schon immer
haben einige das gewollt, und es ist ihnen nicht gelungen. Auch nicht, wenn sie
zu Verrätern geworden sind an unserm Glauben. Unsre Gesichtsbildung schlägt in
einem halben Dutzend Mischgenerationen wieder dnrch — und unser Bolkscharakter
ebenfalls, und die andern rechnen uns beides nach. Sie sehen mit den scharfen
Augen, welche die Abneigung macht. Und wir können anch nicht alles leugnen —
wir sind anders und müssen ihnen notwendig ärgerlich sein usw. Mit kurzen
Worten: die Juden bleiben allzeit Fremde!"

Die ganze Familie Aschers ist sehr lebenswahr gezeichnet, besonders die Frau


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[0598] Literatur fasscr ebenso sicher beherrscht, wie er sie klar reden läßt. In den etwa zwölf Abschnitten des Buches werden uns vorgeführt: die Durchführung der Mobilmachung, die Armierung der Festungen und der Küsten, der Eiseubahuaufmarsch, die Bildung von neuen Truppenverbänden, die Verwendung der Überzähligen bei den Ersatz- uud Besatzungstruppen, die Etappen, die Festungsartillerie und der Belagerungs¬ train, die Festungspionicrkompagnien, Eisenbahn- und Telegraphenabteilungen, die Kriegsgefangnen und die Formation der Garuisontruppen, die Maßregeln zur Sicherung des Ersatzes bei den Truppenteilen des Feldheeres. Jeder Leser, auch der uicht kriegswissenschaftlich gebildete, kann aus diesem Rückblick auf die einzig schöne und große Zeit lernen, daß eine gute Sache, wie die Verteidigung und die Einigung des Vaterlandes, eine freudige und hingebende Anstrengung aller Kräfte bis zum äußersten mit sich bringt. Die Zahl der Frei¬ willigen war überraschend groß; der Durchschnitt der Verpflegungsstärke vom August 1870 bis zum Juni 1871 beinahe 39 vom Tausend der im Jahre 1867 ermittelten Bevölkerungszahl; von den 162 preußischen Landwehrbataillonen hatten 129 in Feindesland Verwendung gefunden; groß war die Zahl der Verheirateten unter deu Einberufuen: 972, 908, 902 usw. auf ein Infanterieregiment. So glatt ging alles, daß Roon öfter äußerte, daß die vierzehn Tage nach der Nacht vom 15. zum 16. Juli für sein Ressort fast die sorgen- und arbeitslosesten seines Dienstlebens gewesen seien. Daß es aber trotzdem und trotz dem guten Willen aller Teile später nicht an Reibungen fehlte, erfahren wir auch hier wiederholt. Ohne sie gibt es nun eben keinen Fortschritt in der Welt, mag Krieg oder Friede sein. So müssen wir sie uns auch jetzt gefallen lassen, wo immer sie auftreten, und wie sehr wir auch unter ihnen seufzen. Weit über die Durchschnittsliteratnr erhebt sich der Roman: Allzeit Fremde, von Luise Algenstaedt (L. Arnshagen). Verlag von Fr. Bahn, Schwerin i. M., 1905. Die Verfasserin stellt uns mitten im modernen Leben ein Stück Judentum dar, wie es in seiner alten, ehrwürdigen Art, in seinen geheiligten Anschauungen, Sitten und Gebräuchen zuweilen noch fortlebt. Der reiche Jude Benjamin Ascher kauft dem verarmten Gutsbesitzer Tahliu das Gut Reihersdorf ab. Der älteste Sohn, der junge Heinrich Tahlin, bleibt — wenn auch widerwillig und mit stiller Ver¬ achtung gegen die Judenfnmilie erfüllt — als Verwalter bei Aschers auf Reihers¬ dorf. Bald verwandelt sich der Abscheu Heinrich Tahlins in die größte Hochachtung vor seinem Chef, denn der alte Benjamin Ascher zeigt sich als ein wahrer Ehren¬ mann nach Goethes Wort: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Zugleich erweist er sich als ein strenger, überzeugter Jsraelit, der mit Fanatismus an seinem Glauben hängt. Sein Sohn William, der Typus des modernen, irreligiöse!,, geist- reichelnden, von Heinischen Geiste durchsetzten Literaturjuden, sagt an einer Stelle: „Wir müssen nus assimilieren, verzeih, Papa. Wir müssen uns vermischen und uns absorbieren lassen, wo wir Staatsangehörige sind. Wir müssen aus dem Besten von ihrer und unsrer Religion uns unsre Ideale bilden, indem wir den Geist unsrer Tage in ihre wie in unsre Überlieferungen hineinleuchten lassen. Wir müssen sie dazu bringen, uns für ihresgleichen zu halten. Und unvermerkt werden wir dann vermöge unsrer überragenden Fähigkeiten doch immer in herrschende Stellung ge¬ langen." Sein Vater antwortet ihm: „Wir assimilieren uns nicht! Schon immer haben einige das gewollt, und es ist ihnen nicht gelungen. Auch nicht, wenn sie zu Verrätern geworden sind an unserm Glauben. Unsre Gesichtsbildung schlägt in einem halben Dutzend Mischgenerationen wieder dnrch — und unser Bolkscharakter ebenfalls, und die andern rechnen uns beides nach. Sie sehen mit den scharfen Augen, welche die Abneigung macht. Und wir können anch nicht alles leugnen — wir sind anders und müssen ihnen notwendig ärgerlich sein usw. Mit kurzen Worten: die Juden bleiben allzeit Fremde!" Die ganze Familie Aschers ist sehr lebenswahr gezeichnet, besonders die Frau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/598>, abgerufen am 23.07.2024.