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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Smyrna

Raum geboten haben. Jetzt liegt an der Stätte dieser Herrlichkeit ein elendes
türkisches Dorf; Fieberdünste wehren heute die bessere Besiedlung. Milet ist
ausgestorben.

Mit der von Smyrna nach Norden und dann nach Osten (nach Afiun-
Karahissar) gerichteten Eisenbahn gelangt man leicht nach Manissa, dem
NAMKLM g,ä LixMm der Alten. Die Entfernung beträgt nur 66 Kilometer.
Man fährt um den Sipylos links herum und kommt bald in das fruchtbare
Tal des ansehnlichen Flusses Hermos, das mit Getreide, Oliven, Feigen, Tabak
und Baumwolle trefflich angebaut ist. Magnesia war die alte Hauptstadt
Lybiens, keine griechische Gründung, aber schon frühzeitig gänzlich gräzisiert.
Hier schlugen die beiden Scipionen Antiochus den Großen, ein Sieg, mit dem
die Römer in Asien entscheidend Fuß faßten. Die Stadt hat während des Mittel¬
alters unter verschiednen Schicksalen ihr Dasein behauptet und ist heute von
fünfzig- bis sechzigtausend Seelen bewohnt, unter denen die Griechen nur eine
kleine Minderheit sind. Daß eine solche Stadt hier gedeihen kann, daß trotz
aller Mißwirtschaft der Landbau immer wieder auflebt, ist ein lebendiges Zeichen
für die wunderbare Fruchtbarkeit der Gegend. Frühes Altertum und neue Be¬
lebung durch die Errungenschaften unsrer Zeit reichen sich hier die Hand. Dort
an der Felswand ist ein riesiges Frauenbild als Relief herausgearbeitet, das
die Griechen als Mutter Kybele deuteten, das aber wahrscheinlich schon der
babylonischen Kultur angehört und die finstere Göttin Astarte, in der Bibel
Vcmls Gattin Astaroth, darstellt. Aus dem klassischen Altertum hat sich nichts
erhalten. Als Kind der Gegenwart haftet die Lokomotive vorbei. Von hier
bis zum alten Sardes, dem Regierungssitz der persischen Satrapen in der Zeit
von der Zerstörung des Lyderreichs durch Khros den Ältern bis zu der griechischen
durch Alexander, hat sie nur 27 Kilometer. Sardes hatte auf einer kleinen
Anhöhe eine Akropolis, die sich heute nur noch durch ihre Ruinen verrät. Zur
Zeit Barbarossas, der hier verweilte, mag noch manches gestanden haben. Von
der eigentlichen Stadt sieht man dürftige Trümmer eines Gymnasiums, eines
Hippodroms, eines Stations, eines Theaters und eines Tores der Stadt¬
mauer -- alle diese Bauten stammen wohl aus griechischer Zeit; ferner von einem
römischen Tempel und byzantinischen Kirchen. Sehr bedeutend ist die Nekropolis
der Stadt, auch sie ist natürlich in der Hauptsache zerstört. Das heutige Sart
ist, obgleich Station an der Eisenbahn, ein elendes Türkendorf.

Ganz nahe, eine Station näher bei Smyrna, bei Kassaba, zweigt eine
Bahn nordwärts nach Somma ab, von wo aus man jetzt die bequemste Ver¬
bindung mit dem nur wenig Meilen nordwestwärts liegenden Bergama, dem
alten Pergamon, hat. Es wird wohl nicht lange mehr dauern, bis auch nach
dieser durch die Ausgrabungen Humanus so berühmt gewordnen Stätte die
Eisenbahn geht und sie mit gellenden Pfiffen aus dem tausendjährigen Schlaf
aufrüttelt. Ohne sie schlummert im Orient alles ruhig weiter.




Smyrna

Raum geboten haben. Jetzt liegt an der Stätte dieser Herrlichkeit ein elendes
türkisches Dorf; Fieberdünste wehren heute die bessere Besiedlung. Milet ist
ausgestorben.

Mit der von Smyrna nach Norden und dann nach Osten (nach Afiun-
Karahissar) gerichteten Eisenbahn gelangt man leicht nach Manissa, dem
NAMKLM g,ä LixMm der Alten. Die Entfernung beträgt nur 66 Kilometer.
Man fährt um den Sipylos links herum und kommt bald in das fruchtbare
Tal des ansehnlichen Flusses Hermos, das mit Getreide, Oliven, Feigen, Tabak
und Baumwolle trefflich angebaut ist. Magnesia war die alte Hauptstadt
Lybiens, keine griechische Gründung, aber schon frühzeitig gänzlich gräzisiert.
Hier schlugen die beiden Scipionen Antiochus den Großen, ein Sieg, mit dem
die Römer in Asien entscheidend Fuß faßten. Die Stadt hat während des Mittel¬
alters unter verschiednen Schicksalen ihr Dasein behauptet und ist heute von
fünfzig- bis sechzigtausend Seelen bewohnt, unter denen die Griechen nur eine
kleine Minderheit sind. Daß eine solche Stadt hier gedeihen kann, daß trotz
aller Mißwirtschaft der Landbau immer wieder auflebt, ist ein lebendiges Zeichen
für die wunderbare Fruchtbarkeit der Gegend. Frühes Altertum und neue Be¬
lebung durch die Errungenschaften unsrer Zeit reichen sich hier die Hand. Dort
an der Felswand ist ein riesiges Frauenbild als Relief herausgearbeitet, das
die Griechen als Mutter Kybele deuteten, das aber wahrscheinlich schon der
babylonischen Kultur angehört und die finstere Göttin Astarte, in der Bibel
Vcmls Gattin Astaroth, darstellt. Aus dem klassischen Altertum hat sich nichts
erhalten. Als Kind der Gegenwart haftet die Lokomotive vorbei. Von hier
bis zum alten Sardes, dem Regierungssitz der persischen Satrapen in der Zeit
von der Zerstörung des Lyderreichs durch Khros den Ältern bis zu der griechischen
durch Alexander, hat sie nur 27 Kilometer. Sardes hatte auf einer kleinen
Anhöhe eine Akropolis, die sich heute nur noch durch ihre Ruinen verrät. Zur
Zeit Barbarossas, der hier verweilte, mag noch manches gestanden haben. Von
der eigentlichen Stadt sieht man dürftige Trümmer eines Gymnasiums, eines
Hippodroms, eines Stations, eines Theaters und eines Tores der Stadt¬
mauer — alle diese Bauten stammen wohl aus griechischer Zeit; ferner von einem
römischen Tempel und byzantinischen Kirchen. Sehr bedeutend ist die Nekropolis
der Stadt, auch sie ist natürlich in der Hauptsache zerstört. Das heutige Sart
ist, obgleich Station an der Eisenbahn, ein elendes Türkendorf.

Ganz nahe, eine Station näher bei Smyrna, bei Kassaba, zweigt eine
Bahn nordwärts nach Somma ab, von wo aus man jetzt die bequemste Ver¬
bindung mit dem nur wenig Meilen nordwestwärts liegenden Bergama, dem
alten Pergamon, hat. Es wird wohl nicht lange mehr dauern, bis auch nach
dieser durch die Ausgrabungen Humanus so berühmt gewordnen Stätte die
Eisenbahn geht und sie mit gellenden Pfiffen aus dem tausendjährigen Schlaf
aufrüttelt. Ohne sie schlummert im Orient alles ruhig weiter.




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[0463] Smyrna Raum geboten haben. Jetzt liegt an der Stätte dieser Herrlichkeit ein elendes türkisches Dorf; Fieberdünste wehren heute die bessere Besiedlung. Milet ist ausgestorben. Mit der von Smyrna nach Norden und dann nach Osten (nach Afiun- Karahissar) gerichteten Eisenbahn gelangt man leicht nach Manissa, dem NAMKLM g,ä LixMm der Alten. Die Entfernung beträgt nur 66 Kilometer. Man fährt um den Sipylos links herum und kommt bald in das fruchtbare Tal des ansehnlichen Flusses Hermos, das mit Getreide, Oliven, Feigen, Tabak und Baumwolle trefflich angebaut ist. Magnesia war die alte Hauptstadt Lybiens, keine griechische Gründung, aber schon frühzeitig gänzlich gräzisiert. Hier schlugen die beiden Scipionen Antiochus den Großen, ein Sieg, mit dem die Römer in Asien entscheidend Fuß faßten. Die Stadt hat während des Mittel¬ alters unter verschiednen Schicksalen ihr Dasein behauptet und ist heute von fünfzig- bis sechzigtausend Seelen bewohnt, unter denen die Griechen nur eine kleine Minderheit sind. Daß eine solche Stadt hier gedeihen kann, daß trotz aller Mißwirtschaft der Landbau immer wieder auflebt, ist ein lebendiges Zeichen für die wunderbare Fruchtbarkeit der Gegend. Frühes Altertum und neue Be¬ lebung durch die Errungenschaften unsrer Zeit reichen sich hier die Hand. Dort an der Felswand ist ein riesiges Frauenbild als Relief herausgearbeitet, das die Griechen als Mutter Kybele deuteten, das aber wahrscheinlich schon der babylonischen Kultur angehört und die finstere Göttin Astarte, in der Bibel Vcmls Gattin Astaroth, darstellt. Aus dem klassischen Altertum hat sich nichts erhalten. Als Kind der Gegenwart haftet die Lokomotive vorbei. Von hier bis zum alten Sardes, dem Regierungssitz der persischen Satrapen in der Zeit von der Zerstörung des Lyderreichs durch Khros den Ältern bis zu der griechischen durch Alexander, hat sie nur 27 Kilometer. Sardes hatte auf einer kleinen Anhöhe eine Akropolis, die sich heute nur noch durch ihre Ruinen verrät. Zur Zeit Barbarossas, der hier verweilte, mag noch manches gestanden haben. Von der eigentlichen Stadt sieht man dürftige Trümmer eines Gymnasiums, eines Hippodroms, eines Stations, eines Theaters und eines Tores der Stadt¬ mauer — alle diese Bauten stammen wohl aus griechischer Zeit; ferner von einem römischen Tempel und byzantinischen Kirchen. Sehr bedeutend ist die Nekropolis der Stadt, auch sie ist natürlich in der Hauptsache zerstört. Das heutige Sart ist, obgleich Station an der Eisenbahn, ein elendes Türkendorf. Ganz nahe, eine Station näher bei Smyrna, bei Kassaba, zweigt eine Bahn nordwärts nach Somma ab, von wo aus man jetzt die bequemste Ver¬ bindung mit dem nur wenig Meilen nordwestwärts liegenden Bergama, dem alten Pergamon, hat. Es wird wohl nicht lange mehr dauern, bis auch nach dieser durch die Ausgrabungen Humanus so berühmt gewordnen Stätte die Eisenbahn geht und sie mit gellenden Pfiffen aus dem tausendjährigen Schlaf aufrüttelt. Ohne sie schlummert im Orient alles ruhig weiter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/463>, abgerufen am 23.07.2024.