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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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der deutsche Humor solche Anmut und Zierlichkeit der Form erreicht -- für
Wilhelm Wackernagel sind die "Meisterstücke von Witz und Laune" nur lang¬
weilige Pasquille. Liscows Zeitgenossen nannten ihn den deutschen Swift,
Bodmer hat ihn besungen, in Leipzig wurde er Goethe "als ein vorzüglicher
Satiriker gepriesen und anempfohlen" -- aber Goethe "konnte in seinen
Schriften nichts erkennen, als daß er das alberne albern gefunden habe."
Kant las die Satiren mit Vergnügen, Moses Mendelssohn hatte "keinen
sonderlichen Geschmack an unserm Liscov," Johannes von Müller hat "einen
witzigern Mann nie unter einer Nation gefunden als diesen, den die seinige
vergißt."

Man hat nach den Ursachen dieses Vergessens gefragt und verschiedne
Erklärungen dafür gegeben. Die einfachste und natürlichste Erklärung gibt
Liscow selbst: "Ich weiß, daß satyrische Schriften, die wieder eine gewisse
Person gerichtet sind, nur eine kurtze Zeit gesuchet werden. Man hat ihrer
bald satt; und wer einen Ruhm suchet, der dauren soll, und seinen Nahmen
unsterblich machen will, der muß seine Sachen gantz anders anfangen als
ich. -- Es soll mir gleich viel seyn, ob die Nachwelt sich noch an meinen
Schriften ergetzet. Die Unsterblichkeit suche ich nicht. Ich will lieber


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Das wohlbesetzte Büfett ist ihm nicht immer beschieden gewesen. Als er
in Paris für die Wiederherstellung des abgesetzten Herzogs Karl Leopold von
Schwerin tätig war, ließ es ihm der Herzog an den nötigsten Geldmitteln
fehlen; als er später in knrsächsische Dienste trat, Kriegsrat und Sekretär
des Grafen Brühl wurde und das Unglück hatte, den allmächtigen Minister
zu beleidigen, hat er vier Wintermonate lang im Amtsarresthaus zu Dresden
schmale Gefangnenkost essen müssen. Und fast schien es, als sollte auch sein
Ruhm nicht dauern. Über sein Leben war so wenig bekannt, daß Goethe
schrieb: "seine Laufbahn war kurz, er starb gar bald, verschollen als ein un¬
ruhiger, unregelmäßiger Jüngling." Liscow ist mit sechzig Jahren auf seinem
Gute Berg bei Eilenburg gestorben (1761), hat Frau und Kinder hinterlassen,
und als er die literarische Laufbahn betrat, hatte er schon das dreißigste Jahr
überschritten. Diese Laufbahn war allerdings kurz, sie umfaßt nur wenig
Jahre. Den Satiren gegen Sivers folgten rasch nacheinander die Schriften
gegen Philippi, die "Nothwendigkeit der elenden Scribenten" und die Epistel
über Menzels "Recht der Natur." Eine andre Epistel, die Liscows Namen
trägt: "Ueber die Unnöthigteit der guten Werke zur Seligkeit" wurde erst
vierzig Jahre nach seinem Tode herausgegeben, und es war lange zweifelhaft,
ob er wirklich der Verfasser sei. Ich will hier auf die beiden Episteln nicht
eingehn, sie sind oft genug besprochen und in Auszügen mitgeteilt worden.

Die Satire, "die unter allen Schriften den besten Abgang gehabt hat,"
"Die Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit der elenden Scribenten" richtet sich
gegen "die überHand nehmende Schmiersucht der albernen Schreiber, die lästigen
Schwärme des gelehrten Ungeziefers."


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der deutsche Humor solche Anmut und Zierlichkeit der Form erreicht — für
Wilhelm Wackernagel sind die „Meisterstücke von Witz und Laune" nur lang¬
weilige Pasquille. Liscows Zeitgenossen nannten ihn den deutschen Swift,
Bodmer hat ihn besungen, in Leipzig wurde er Goethe „als ein vorzüglicher
Satiriker gepriesen und anempfohlen" — aber Goethe „konnte in seinen
Schriften nichts erkennen, als daß er das alberne albern gefunden habe."
Kant las die Satiren mit Vergnügen, Moses Mendelssohn hatte „keinen
sonderlichen Geschmack an unserm Liscov," Johannes von Müller hat „einen
witzigern Mann nie unter einer Nation gefunden als diesen, den die seinige
vergißt."

Man hat nach den Ursachen dieses Vergessens gefragt und verschiedne
Erklärungen dafür gegeben. Die einfachste und natürlichste Erklärung gibt
Liscow selbst: „Ich weiß, daß satyrische Schriften, die wieder eine gewisse
Person gerichtet sind, nur eine kurtze Zeit gesuchet werden. Man hat ihrer
bald satt; und wer einen Ruhm suchet, der dauren soll, und seinen Nahmen
unsterblich machen will, der muß seine Sachen gantz anders anfangen als
ich. — Es soll mir gleich viel seyn, ob die Nachwelt sich noch an meinen
Schriften ergetzet. Die Unsterblichkeit suche ich nicht. Ich will lieber


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Das wohlbesetzte Büfett ist ihm nicht immer beschieden gewesen. Als er
in Paris für die Wiederherstellung des abgesetzten Herzogs Karl Leopold von
Schwerin tätig war, ließ es ihm der Herzog an den nötigsten Geldmitteln
fehlen; als er später in knrsächsische Dienste trat, Kriegsrat und Sekretär
des Grafen Brühl wurde und das Unglück hatte, den allmächtigen Minister
zu beleidigen, hat er vier Wintermonate lang im Amtsarresthaus zu Dresden
schmale Gefangnenkost essen müssen. Und fast schien es, als sollte auch sein
Ruhm nicht dauern. Über sein Leben war so wenig bekannt, daß Goethe
schrieb: „seine Laufbahn war kurz, er starb gar bald, verschollen als ein un¬
ruhiger, unregelmäßiger Jüngling." Liscow ist mit sechzig Jahren auf seinem
Gute Berg bei Eilenburg gestorben (1761), hat Frau und Kinder hinterlassen,
und als er die literarische Laufbahn betrat, hatte er schon das dreißigste Jahr
überschritten. Diese Laufbahn war allerdings kurz, sie umfaßt nur wenig
Jahre. Den Satiren gegen Sivers folgten rasch nacheinander die Schriften
gegen Philippi, die „Nothwendigkeit der elenden Scribenten" und die Epistel
über Menzels „Recht der Natur." Eine andre Epistel, die Liscows Namen
trägt: „Ueber die Unnöthigteit der guten Werke zur Seligkeit" wurde erst
vierzig Jahre nach seinem Tode herausgegeben, und es war lange zweifelhaft,
ob er wirklich der Verfasser sei. Ich will hier auf die beiden Episteln nicht
eingehn, sie sind oft genug besprochen und in Auszügen mitgeteilt worden.

Die Satire, „die unter allen Schriften den besten Abgang gehabt hat,"
„Die Vortrefflichkeit und Nothwendigkeit der elenden Scribenten" richtet sich
gegen „die überHand nehmende Schmiersucht der albernen Schreiber, die lästigen
Schwärme des gelehrten Ungeziefers."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/449>, abgerufen am 23.07.2024.