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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

die grausam ausgestochen und abgeschnitten werden. Nicht als Bekämpfer, sondern
meist nur als sinniger Beobachter beteilige ich mich daran, staunend über die
kräftigen Wurzeln und derben kurzen Stengel der niedergetretnen Pflanzen, und
hoch erfreut durch die Entdeckung, daß auch zwischen Pflastersteinen fette Regen-
Würmer gedeihen. Was mochte noch tiefer sich regen? Wenn man nur graben
könnte! Liegen doch alle Schätze des Märchens unter der Erde, wohnen doch
Zwerge und Kobolde in der Tiefe, wächst doch Gold und Edelstein da drunten.
Ich legte den Regenwurm sorgsam in die Spalte, der ich ihn enthoben hatte, und
deckte ihn wieder mit Erde zu. Aber meine Gedanken verweilten bei ihm und
gruben nach, bis sie es leuchten sahen tief unten von einer andern Sonne und
einem andern Monde, und was ich von Glänzen und Glitzern jemals gesehen oder
geahnt hatte, war nun an den Wänden von Höhlen in der Tiefe. Da strahlte
Gold und Silber und glühte Metall mit der Glut, die Abends bei sinkender
Sonne an der Spitze des Blitzableiters auf dem hohen Hause uns gegenüber
niederfloß, da gingen leuchtende Bäche und tropfte blaues Wasser, und überall
regte es sich von Wesen, neben denen mich der geheimnisvolle Wurm der Pflaster¬
steine ganz bescheiden aber befreundet deuchte.

Dann kamen aber auch wieder sonnige Tage, wo man die Augen vor dem
vielen Licht verschließen mußte, das auf die Steine und die Mauern hcrabrieselte;
da wuchsen in meinem Kinderglauben die Gräser und der Löwenzahn in ihren
Spalten, trugen Ähren und schmückten sich mit hohen Blumen, die goldne Käfer
anlockten. Und Licht floß von oben aus den Ast- und Zweiggittern der Bäume
und zwischen großen grünen Blättern herein, die es freudig durchglühte. Und es
war das keine Märchenwelt, wie die untere, sondern eine Welt, wie sie uus um¬
gibt, nur schöner, leuchtender, weshalb auch die Pflaumen auf den Bäumen un¬
beschadet der frühen Jahreszeit wie blaue Edelsteine hingen.

Dann stand mir das kleine einstöckige Haus meiner Eltern mitten im Wiesen¬
grün, und der frische Duft vom Wachsen und Blühen zog über die zwei niedern
Sandsteinschwellen in das Haus herein. Dazu waren diese sehr geeignet, denn
die Schritte von Generationen hatten ihnen eine schöne Nundung gegeben. Es
saß sich darum so weich auf diesen Steinstufen wie auf einem Polster, doch kühler
zuzeiten, und ich habe in nieinem Leben keinen Sitz mehr so gern gehabt wie
diesen. Dazu trug jedenfalls nicht wenig der tiefdunkle Hintergrund des Hansflnrs
bei, worin dann und wann ein leuchtender grauer Streif, in dem Billionen
Stäubchen tanzten, beim Öffnen einer Tür erschien. Sehr oft stand die Tür unsrer
Küche offen, die auf diesen Gang mündete, und ans ihr stahlen sich bläuliche
Schimmer von blinkendem Zinn und dumpfroter Glanz von Kuvferkesscln heraus.
Aber viel mehr interessierten mich Düfte, die denselben Weg nahmen, und viel¬
verheißende Geräusche von dürrem Holze, das in der Flamme zerkrachte, von Fett,
das in der Pfanne zerspratzte, und von rollenden, dankenden, schneidenden Bewegungen
auf einem klappernden Brett. Das war das Kuchenbrett, das ich mir am liebsten
mit Mehl bestreut und mit eineni eiergelben Teig belegt dachte, aus dem die ge¬
schickte Hand meiner Mutter mit der Öffnung eines Wasserglases Küchlein von er¬
freulicher Rundung "aufstand," die dann im Schmalz unter dem erwähnten be¬
deutungsvollen Geräusch gebacken wurden. Sehr erfreulich waren auch die Düfte
langsam dörrenden Obstes, die sehr warm und weich einem besondern Aufbau ent¬
strömten, der sich über dem Herd erhob. Und über allem schwebte, gleichsam alle
kräftigend, der Geruch der Schinken und Würste, die in dem breiten Rauchfang
hingen. Alles das drang ans dem dunkeln Gang zu mir, wenn ich auf den Stein-
stufen des Häufleins saß und in die lichte Welt Hinausschnute. Dem Büblein kam
der Gedanke: Die Farbe, die Töne, die Düfte besuchen dich auf ihrem Weg ins
Freie: sie wissen, daß dem Büblein der Besuch der Küche verboten ist, und bringen
ihm Kunde von dem, was da hinten im Dunkeln vorgeht. Das saß aber geduldig
und vertraute die Zeit, bis der Ruf erscholl: Buhle, essen! Da sah man das
Blondköpfchen vor dem kleinen Tische stehn und sein Mittaggebet sprechen, während-


Glücksinseln und Träume

die grausam ausgestochen und abgeschnitten werden. Nicht als Bekämpfer, sondern
meist nur als sinniger Beobachter beteilige ich mich daran, staunend über die
kräftigen Wurzeln und derben kurzen Stengel der niedergetretnen Pflanzen, und
hoch erfreut durch die Entdeckung, daß auch zwischen Pflastersteinen fette Regen-
Würmer gedeihen. Was mochte noch tiefer sich regen? Wenn man nur graben
könnte! Liegen doch alle Schätze des Märchens unter der Erde, wohnen doch
Zwerge und Kobolde in der Tiefe, wächst doch Gold und Edelstein da drunten.
Ich legte den Regenwurm sorgsam in die Spalte, der ich ihn enthoben hatte, und
deckte ihn wieder mit Erde zu. Aber meine Gedanken verweilten bei ihm und
gruben nach, bis sie es leuchten sahen tief unten von einer andern Sonne und
einem andern Monde, und was ich von Glänzen und Glitzern jemals gesehen oder
geahnt hatte, war nun an den Wänden von Höhlen in der Tiefe. Da strahlte
Gold und Silber und glühte Metall mit der Glut, die Abends bei sinkender
Sonne an der Spitze des Blitzableiters auf dem hohen Hause uns gegenüber
niederfloß, da gingen leuchtende Bäche und tropfte blaues Wasser, und überall
regte es sich von Wesen, neben denen mich der geheimnisvolle Wurm der Pflaster¬
steine ganz bescheiden aber befreundet deuchte.

Dann kamen aber auch wieder sonnige Tage, wo man die Augen vor dem
vielen Licht verschließen mußte, das auf die Steine und die Mauern hcrabrieselte;
da wuchsen in meinem Kinderglauben die Gräser und der Löwenzahn in ihren
Spalten, trugen Ähren und schmückten sich mit hohen Blumen, die goldne Käfer
anlockten. Und Licht floß von oben aus den Ast- und Zweiggittern der Bäume
und zwischen großen grünen Blättern herein, die es freudig durchglühte. Und es
war das keine Märchenwelt, wie die untere, sondern eine Welt, wie sie uus um¬
gibt, nur schöner, leuchtender, weshalb auch die Pflaumen auf den Bäumen un¬
beschadet der frühen Jahreszeit wie blaue Edelsteine hingen.

Dann stand mir das kleine einstöckige Haus meiner Eltern mitten im Wiesen¬
grün, und der frische Duft vom Wachsen und Blühen zog über die zwei niedern
Sandsteinschwellen in das Haus herein. Dazu waren diese sehr geeignet, denn
die Schritte von Generationen hatten ihnen eine schöne Nundung gegeben. Es
saß sich darum so weich auf diesen Steinstufen wie auf einem Polster, doch kühler
zuzeiten, und ich habe in nieinem Leben keinen Sitz mehr so gern gehabt wie
diesen. Dazu trug jedenfalls nicht wenig der tiefdunkle Hintergrund des Hansflnrs
bei, worin dann und wann ein leuchtender grauer Streif, in dem Billionen
Stäubchen tanzten, beim Öffnen einer Tür erschien. Sehr oft stand die Tür unsrer
Küche offen, die auf diesen Gang mündete, und ans ihr stahlen sich bläuliche
Schimmer von blinkendem Zinn und dumpfroter Glanz von Kuvferkesscln heraus.
Aber viel mehr interessierten mich Düfte, die denselben Weg nahmen, und viel¬
verheißende Geräusche von dürrem Holze, das in der Flamme zerkrachte, von Fett,
das in der Pfanne zerspratzte, und von rollenden, dankenden, schneidenden Bewegungen
auf einem klappernden Brett. Das war das Kuchenbrett, das ich mir am liebsten
mit Mehl bestreut und mit eineni eiergelben Teig belegt dachte, aus dem die ge¬
schickte Hand meiner Mutter mit der Öffnung eines Wasserglases Küchlein von er¬
freulicher Rundung „aufstand," die dann im Schmalz unter dem erwähnten be¬
deutungsvollen Geräusch gebacken wurden. Sehr erfreulich waren auch die Düfte
langsam dörrenden Obstes, die sehr warm und weich einem besondern Aufbau ent¬
strömten, der sich über dem Herd erhob. Und über allem schwebte, gleichsam alle
kräftigend, der Geruch der Schinken und Würste, die in dem breiten Rauchfang
hingen. Alles das drang ans dem dunkeln Gang zu mir, wenn ich auf den Stein-
stufen des Häufleins saß und in die lichte Welt Hinausschnute. Dem Büblein kam
der Gedanke: Die Farbe, die Töne, die Düfte besuchen dich auf ihrem Weg ins
Freie: sie wissen, daß dem Büblein der Besuch der Küche verboten ist, und bringen
ihm Kunde von dem, was da hinten im Dunkeln vorgeht. Das saß aber geduldig
und vertraute die Zeit, bis der Ruf erscholl: Buhle, essen! Da sah man das
Blondköpfchen vor dem kleinen Tische stehn und sein Mittaggebet sprechen, während-


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[0044] Glücksinseln und Träume die grausam ausgestochen und abgeschnitten werden. Nicht als Bekämpfer, sondern meist nur als sinniger Beobachter beteilige ich mich daran, staunend über die kräftigen Wurzeln und derben kurzen Stengel der niedergetretnen Pflanzen, und hoch erfreut durch die Entdeckung, daß auch zwischen Pflastersteinen fette Regen- Würmer gedeihen. Was mochte noch tiefer sich regen? Wenn man nur graben könnte! Liegen doch alle Schätze des Märchens unter der Erde, wohnen doch Zwerge und Kobolde in der Tiefe, wächst doch Gold und Edelstein da drunten. Ich legte den Regenwurm sorgsam in die Spalte, der ich ihn enthoben hatte, und deckte ihn wieder mit Erde zu. Aber meine Gedanken verweilten bei ihm und gruben nach, bis sie es leuchten sahen tief unten von einer andern Sonne und einem andern Monde, und was ich von Glänzen und Glitzern jemals gesehen oder geahnt hatte, war nun an den Wänden von Höhlen in der Tiefe. Da strahlte Gold und Silber und glühte Metall mit der Glut, die Abends bei sinkender Sonne an der Spitze des Blitzableiters auf dem hohen Hause uns gegenüber niederfloß, da gingen leuchtende Bäche und tropfte blaues Wasser, und überall regte es sich von Wesen, neben denen mich der geheimnisvolle Wurm der Pflaster¬ steine ganz bescheiden aber befreundet deuchte. Dann kamen aber auch wieder sonnige Tage, wo man die Augen vor dem vielen Licht verschließen mußte, das auf die Steine und die Mauern hcrabrieselte; da wuchsen in meinem Kinderglauben die Gräser und der Löwenzahn in ihren Spalten, trugen Ähren und schmückten sich mit hohen Blumen, die goldne Käfer anlockten. Und Licht floß von oben aus den Ast- und Zweiggittern der Bäume und zwischen großen grünen Blättern herein, die es freudig durchglühte. Und es war das keine Märchenwelt, wie die untere, sondern eine Welt, wie sie uus um¬ gibt, nur schöner, leuchtender, weshalb auch die Pflaumen auf den Bäumen un¬ beschadet der frühen Jahreszeit wie blaue Edelsteine hingen. Dann stand mir das kleine einstöckige Haus meiner Eltern mitten im Wiesen¬ grün, und der frische Duft vom Wachsen und Blühen zog über die zwei niedern Sandsteinschwellen in das Haus herein. Dazu waren diese sehr geeignet, denn die Schritte von Generationen hatten ihnen eine schöne Nundung gegeben. Es saß sich darum so weich auf diesen Steinstufen wie auf einem Polster, doch kühler zuzeiten, und ich habe in nieinem Leben keinen Sitz mehr so gern gehabt wie diesen. Dazu trug jedenfalls nicht wenig der tiefdunkle Hintergrund des Hansflnrs bei, worin dann und wann ein leuchtender grauer Streif, in dem Billionen Stäubchen tanzten, beim Öffnen einer Tür erschien. Sehr oft stand die Tür unsrer Küche offen, die auf diesen Gang mündete, und ans ihr stahlen sich bläuliche Schimmer von blinkendem Zinn und dumpfroter Glanz von Kuvferkesscln heraus. Aber viel mehr interessierten mich Düfte, die denselben Weg nahmen, und viel¬ verheißende Geräusche von dürrem Holze, das in der Flamme zerkrachte, von Fett, das in der Pfanne zerspratzte, und von rollenden, dankenden, schneidenden Bewegungen auf einem klappernden Brett. Das war das Kuchenbrett, das ich mir am liebsten mit Mehl bestreut und mit eineni eiergelben Teig belegt dachte, aus dem die ge¬ schickte Hand meiner Mutter mit der Öffnung eines Wasserglases Küchlein von er¬ freulicher Rundung „aufstand," die dann im Schmalz unter dem erwähnten be¬ deutungsvollen Geräusch gebacken wurden. Sehr erfreulich waren auch die Düfte langsam dörrenden Obstes, die sehr warm und weich einem besondern Aufbau ent¬ strömten, der sich über dem Herd erhob. Und über allem schwebte, gleichsam alle kräftigend, der Geruch der Schinken und Würste, die in dem breiten Rauchfang hingen. Alles das drang ans dem dunkeln Gang zu mir, wenn ich auf den Stein- stufen des Häufleins saß und in die lichte Welt Hinausschnute. Dem Büblein kam der Gedanke: Die Farbe, die Töne, die Düfte besuchen dich auf ihrem Weg ins Freie: sie wissen, daß dem Büblein der Besuch der Küche verboten ist, und bringen ihm Kunde von dem, was da hinten im Dunkeln vorgeht. Das saß aber geduldig und vertraute die Zeit, bis der Ruf erscholl: Buhle, essen! Da sah man das Blondköpfchen vor dem kleinen Tische stehn und sein Mittaggebet sprechen, während-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/44>, abgerufen am 23.07.2024.