Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Werden die Lozialdemokraten marschieren?

Dürften die meisten reden und singen, wie sie möchten, so würden sie mit
Begeisterung das Kriegslied der Internationale -- der radikale französische
Kriegsminister Andre verbat sich vor Jahr und Tag die Absingung dieses
blutrünstigen Kauens in seiner Gegenwart -- in die Luft schmettern. Eine
Strophe dieses Liedes sei zu Nutz und Frommen ahnungsloser Gemüter hierher¬

gesetzt:^ " ^

Es sei nicht verschwiegen, daß es auch eine Anzahl von Mußsozialdemo¬
kraten gibt, die bloßen Millner, die ganz anders fühlen und denken, sobald sie
dem Terrorismus ihrer Umgebung entzogen sind. Hier ein Beispiel: Ein
Hauptmann nahm, nach sorgfältiger Prüfung während des ersten Dienstjahres,
einen als Sozialdemokraten überwiesnen Mann zum Burschen. Ein Pracht¬
mensch! Kein Heuchler, wenn er eine wirklich gute Gesinnung an den Tag
legte. Die Stunde der Entlassung kommt, und dem Scheidenden stehn die
Tränen in den Augen. Von Familienmitglied zu Familienmitglied geht er,
um jedem noch fest die Hand zu drücken. Der Hauptmann sagt: "Nun gehn
Sie aber doch gewiß nicht mehr unter die Sozialdemokraten!" Da senkt der
Angeredete den Kops: "Ich muß ja, Herr Hauptmann!" -- "Aber warum?" --
"Die andern, Herr Hauptmann! Die andern lachen mich nicht bloß aus, die
andern --" Er sprach nicht zu Ende.


^0. Steht die Partei hinter den Führern?

Als sich auf dem Erfurter Parteitage Bebel und Liebknecht für das Mit¬
gehn der Sozialisten in einem Kriege gegen Rußland ausgesprochen hatten,
da wurde Liebknecht vom Genossen Werner bezichtigt, er drücke die Sozial-
demokratie zu einer Opportunitätspartei herunter. Auch hiernach kann es gar
keinem Zweifel unterliegen, daß es in der Partei eine Anzahl von Männern
gibt, denen das, was die Führer bei Gelegenheit sagen, längst nicht weitgehend
genug erscheint. Im allgemeinen läßt sich bei der Parteidisziplin der Ge¬
nossen wohl annehmen, daß sie im Kriegsfalle den Weisungen der Führer
Folge leisten werden, wenn diese dann überhaupt solche Weisungen erteilen.
Wahrscheinlich aber werden sie schweigen, um weder von ihren Parteigenossen
noch auch von den Staatsbehörden für das, was geschieht, verantwortlich ge¬
macht werden zu können. Sie wissen ganz genau, daß ein Befehl zum
"Kriegsstreik," wenn er befolgt würde, unsägliches Unheil über die Schuldigen
bringen würde; sie möchten wohl wider den Stachel töten, aber sie sind
doch wieder zu klug dazu. Wenn einzelne für die sozialdemokratischen Ideen
demonstrieren sollten, nicht übel! Aber diese tragen dann die Verantwortung
ganz allein-

Und dann mögen sich die Parteiführer trotz der straffen Disziplin in der
Partei doch wohl sagen, daß unter Umstünden die soldatische Mannszucht


Werden die Lozialdemokraten marschieren?

Dürften die meisten reden und singen, wie sie möchten, so würden sie mit
Begeisterung das Kriegslied der Internationale — der radikale französische
Kriegsminister Andre verbat sich vor Jahr und Tag die Absingung dieses
blutrünstigen Kauens in seiner Gegenwart — in die Luft schmettern. Eine
Strophe dieses Liedes sei zu Nutz und Frommen ahnungsloser Gemüter hierher¬

gesetzt:^ " ^

Es sei nicht verschwiegen, daß es auch eine Anzahl von Mußsozialdemo¬
kraten gibt, die bloßen Millner, die ganz anders fühlen und denken, sobald sie
dem Terrorismus ihrer Umgebung entzogen sind. Hier ein Beispiel: Ein
Hauptmann nahm, nach sorgfältiger Prüfung während des ersten Dienstjahres,
einen als Sozialdemokraten überwiesnen Mann zum Burschen. Ein Pracht¬
mensch! Kein Heuchler, wenn er eine wirklich gute Gesinnung an den Tag
legte. Die Stunde der Entlassung kommt, und dem Scheidenden stehn die
Tränen in den Augen. Von Familienmitglied zu Familienmitglied geht er,
um jedem noch fest die Hand zu drücken. Der Hauptmann sagt: „Nun gehn
Sie aber doch gewiß nicht mehr unter die Sozialdemokraten!" Da senkt der
Angeredete den Kops: „Ich muß ja, Herr Hauptmann!" — „Aber warum?" —
„Die andern, Herr Hauptmann! Die andern lachen mich nicht bloß aus, die
andern —" Er sprach nicht zu Ende.


^0. Steht die Partei hinter den Führern?

Als sich auf dem Erfurter Parteitage Bebel und Liebknecht für das Mit¬
gehn der Sozialisten in einem Kriege gegen Rußland ausgesprochen hatten,
da wurde Liebknecht vom Genossen Werner bezichtigt, er drücke die Sozial-
demokratie zu einer Opportunitätspartei herunter. Auch hiernach kann es gar
keinem Zweifel unterliegen, daß es in der Partei eine Anzahl von Männern
gibt, denen das, was die Führer bei Gelegenheit sagen, längst nicht weitgehend
genug erscheint. Im allgemeinen läßt sich bei der Parteidisziplin der Ge¬
nossen wohl annehmen, daß sie im Kriegsfalle den Weisungen der Führer
Folge leisten werden, wenn diese dann überhaupt solche Weisungen erteilen.
Wahrscheinlich aber werden sie schweigen, um weder von ihren Parteigenossen
noch auch von den Staatsbehörden für das, was geschieht, verantwortlich ge¬
macht werden zu können. Sie wissen ganz genau, daß ein Befehl zum
„Kriegsstreik," wenn er befolgt würde, unsägliches Unheil über die Schuldigen
bringen würde; sie möchten wohl wider den Stachel töten, aber sie sind
doch wieder zu klug dazu. Wenn einzelne für die sozialdemokratischen Ideen
demonstrieren sollten, nicht übel! Aber diese tragen dann die Verantwortung
ganz allein-

Und dann mögen sich die Parteiführer trotz der straffen Disziplin in der
Partei doch wohl sagen, daß unter Umstünden die soldatische Mannszucht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295655"/>
            <fw type="header" place="top"> Werden die Lozialdemokraten marschieren?</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2150" next="#ID_2151"> Dürften die meisten reden und singen, wie sie möchten, so würden sie mit<lb/>
Begeisterung das Kriegslied der Internationale &#x2014; der radikale französische<lb/>
Kriegsminister Andre verbat sich vor Jahr und Tag die Absingung dieses<lb/>
blutrünstigen Kauens in seiner Gegenwart &#x2014; in die Luft schmettern. Eine<lb/>
Strophe dieses Liedes sei zu Nutz und Frommen ahnungsloser Gemüter hierher¬</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2151" prev="#ID_2150"> gesetzt:^ "  ^</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_5" type="poem">
              <l/>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_2152"> Es sei nicht verschwiegen, daß es auch eine Anzahl von Mußsozialdemo¬<lb/>
kraten gibt, die bloßen Millner, die ganz anders fühlen und denken, sobald sie<lb/>
dem Terrorismus ihrer Umgebung entzogen sind. Hier ein Beispiel: Ein<lb/>
Hauptmann nahm, nach sorgfältiger Prüfung während des ersten Dienstjahres,<lb/>
einen als Sozialdemokraten überwiesnen Mann zum Burschen. Ein Pracht¬<lb/>
mensch! Kein Heuchler, wenn er eine wirklich gute Gesinnung an den Tag<lb/>
legte. Die Stunde der Entlassung kommt, und dem Scheidenden stehn die<lb/>
Tränen in den Augen. Von Familienmitglied zu Familienmitglied geht er,<lb/>
um jedem noch fest die Hand zu drücken. Der Hauptmann sagt: &#x201E;Nun gehn<lb/>
Sie aber doch gewiß nicht mehr unter die Sozialdemokraten!" Da senkt der<lb/>
Angeredete den Kops: &#x201E;Ich muß ja, Herr Hauptmann!" &#x2014; &#x201E;Aber warum?" &#x2014;<lb/>
&#x201E;Die andern, Herr Hauptmann! Die andern lachen mich nicht bloß aus, die<lb/>
andern &#x2014;"  Er sprach nicht zu Ende.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> ^0. Steht die Partei hinter den Führern?</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2153"> Als sich auf dem Erfurter Parteitage Bebel und Liebknecht für das Mit¬<lb/>
gehn der Sozialisten in einem Kriege gegen Rußland ausgesprochen hatten,<lb/>
da wurde Liebknecht vom Genossen Werner bezichtigt, er drücke die Sozial-<lb/>
demokratie zu einer Opportunitätspartei herunter. Auch hiernach kann es gar<lb/>
keinem Zweifel unterliegen, daß es in der Partei eine Anzahl von Männern<lb/>
gibt, denen das, was die Führer bei Gelegenheit sagen, längst nicht weitgehend<lb/>
genug erscheint. Im allgemeinen läßt sich bei der Parteidisziplin der Ge¬<lb/>
nossen wohl annehmen, daß sie im Kriegsfalle den Weisungen der Führer<lb/>
Folge leisten werden, wenn diese dann überhaupt solche Weisungen erteilen.<lb/>
Wahrscheinlich aber werden sie schweigen, um weder von ihren Parteigenossen<lb/>
noch auch von den Staatsbehörden für das, was geschieht, verantwortlich ge¬<lb/>
macht werden zu können. Sie wissen ganz genau, daß ein Befehl zum<lb/>
&#x201E;Kriegsstreik," wenn er befolgt würde, unsägliches Unheil über die Schuldigen<lb/>
bringen würde; sie möchten wohl wider den Stachel töten, aber sie sind<lb/>
doch wieder zu klug dazu. Wenn einzelne für die sozialdemokratischen Ideen<lb/>
demonstrieren sollten, nicht übel! Aber diese tragen dann die Verantwortung<lb/>
ganz allein-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2154" next="#ID_2155"> Und dann mögen sich die Parteiführer trotz der straffen Disziplin in der<lb/>
Partei doch wohl sagen, daß unter Umstünden die soldatische Mannszucht</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] Werden die Lozialdemokraten marschieren? Dürften die meisten reden und singen, wie sie möchten, so würden sie mit Begeisterung das Kriegslied der Internationale — der radikale französische Kriegsminister Andre verbat sich vor Jahr und Tag die Absingung dieses blutrünstigen Kauens in seiner Gegenwart — in die Luft schmettern. Eine Strophe dieses Liedes sei zu Nutz und Frommen ahnungsloser Gemüter hierher¬ gesetzt:^ " ^ Es sei nicht verschwiegen, daß es auch eine Anzahl von Mußsozialdemo¬ kraten gibt, die bloßen Millner, die ganz anders fühlen und denken, sobald sie dem Terrorismus ihrer Umgebung entzogen sind. Hier ein Beispiel: Ein Hauptmann nahm, nach sorgfältiger Prüfung während des ersten Dienstjahres, einen als Sozialdemokraten überwiesnen Mann zum Burschen. Ein Pracht¬ mensch! Kein Heuchler, wenn er eine wirklich gute Gesinnung an den Tag legte. Die Stunde der Entlassung kommt, und dem Scheidenden stehn die Tränen in den Augen. Von Familienmitglied zu Familienmitglied geht er, um jedem noch fest die Hand zu drücken. Der Hauptmann sagt: „Nun gehn Sie aber doch gewiß nicht mehr unter die Sozialdemokraten!" Da senkt der Angeredete den Kops: „Ich muß ja, Herr Hauptmann!" — „Aber warum?" — „Die andern, Herr Hauptmann! Die andern lachen mich nicht bloß aus, die andern —" Er sprach nicht zu Ende. ^0. Steht die Partei hinter den Führern? Als sich auf dem Erfurter Parteitage Bebel und Liebknecht für das Mit¬ gehn der Sozialisten in einem Kriege gegen Rußland ausgesprochen hatten, da wurde Liebknecht vom Genossen Werner bezichtigt, er drücke die Sozial- demokratie zu einer Opportunitätspartei herunter. Auch hiernach kann es gar keinem Zweifel unterliegen, daß es in der Partei eine Anzahl von Männern gibt, denen das, was die Führer bei Gelegenheit sagen, längst nicht weitgehend genug erscheint. Im allgemeinen läßt sich bei der Parteidisziplin der Ge¬ nossen wohl annehmen, daß sie im Kriegsfalle den Weisungen der Führer Folge leisten werden, wenn diese dann überhaupt solche Weisungen erteilen. Wahrscheinlich aber werden sie schweigen, um weder von ihren Parteigenossen noch auch von den Staatsbehörden für das, was geschieht, verantwortlich ge¬ macht werden zu können. Sie wissen ganz genau, daß ein Befehl zum „Kriegsstreik," wenn er befolgt würde, unsägliches Unheil über die Schuldigen bringen würde; sie möchten wohl wider den Stachel töten, aber sie sind doch wieder zu klug dazu. Wenn einzelne für die sozialdemokratischen Ideen demonstrieren sollten, nicht übel! Aber diese tragen dann die Verantwortung ganz allein- Und dann mögen sich die Parteiführer trotz der straffen Disziplin in der Partei doch wohl sagen, daß unter Umstünden die soldatische Mannszucht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/436>, abgerufen am 29.06.2024.