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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Die S-einen auf Markby

Endlich war der letzte Tropfen Madeira getrunken, und die drei stark in
Anspruch genvmmnen Tischherreu kamen relativ auf freien Fuß.

Elu hatte feierlich ihre Ehre verpfändet -- bei sich privatim natürlich --,
daß sie heute niemand zum Singen bringen würde. Der gute und angenehme
Robert -- er tat ihr freilich etwas leid -- mochte so betrübt und enttäuscht sein,
wie er wollte. Sie wußte, sobald sie zu singen anfing, schaute Arvid sie an,
denn das tat er immer, und dann würde sie gleich herauskommen und mit einem
kläglichen Fiasko endigen. Sie behauptete, sie fühle sich nicht ganz wohl, klagte,
daß sie gefroren habe und sich nun nicht auf ihre Stimme verlassen könne. Der
arme Robert stand da und strich über seinen Steinway, sah Elu überredend an
und streichelte den glänzenden Deckel des Instruments, sodaß es Steine hätte
rühren können. Sogar Dagny dachte, es sei eine Schande für Elu, so hartherzig
zu sein.

Immerhin gab sie sich Mühe, edelmütig zu sein und ihn auf andre Weise
schadlos zu halten. Sie spielte alles, was er nur wünschte -- wenn sie nur nicht
singen mußte! --, und den halben Abend saß sie neben ihm auf dem Sofa und
betrachtete alle seine Photographien von Norwegen. Die kleine Dagny, der endlich
die Augen ernstlich darüber aufgingen, was alle andern schon längst entdeckt hatten,
beobachtete die beiden mit großen unverstellt vorwurfsvollen und ängstlichen Augen.

Fräulein Gerda war eine ausgezeichnete Wirtin von der alleranspruchsvollsteu
Art. Sie hielt ihre Gäste da, wo sie sie einmal angebracht hatte, wie in einem
Schraubstock fest und unterhielt alle feierlich der Reihe nach. Sobald es sich
jemand irgendwo auf eigne Faust behaglich gemacht hatte, fuhr sie sogleich ohne
Gnade und Barmherzigkeit wie ein Habicht auf ihn los und führte thu auf den
Weg der Pflicht zurück. Dies nannte sie "niemand vergessen," und sie dozierte
offen und laut, daß das die erste Pflicht einer guten Wirtin sei.

So saß sie denn auch an diesem Tage auf einem bescheidnen Schemel ganz
vorn am Sofatisch und bewachte ihre Herde als eine wachsame und sehr beweg¬
liche Hirtin. Wenn sie jemand "für sich sitzen" sah, war sie sofort bei ihm und
eröffnete ein gebildetes Gespräch, bis schließlich der Delinquent alle separatistischen
und aufrührerischen Bestrebungen mutlos aufgab und wieder in den Schafstall unter
der großen Lampe kroch.

Ihre arme Cousine Julie quälte sie diesesmal mehr als gewöhnlich. Aber
selbstverständlich faßte Julie Gerdas Freundlichkeit nicht so auf. Wie sollte sie
auch? -- Nein! aber es war schrecklich, geradezu gezwungen zu werden, einen
ganzen Abend lang Erik Bricmt gegenüber zu sitzen und in langsamem Tempo
ein halbes Dutzend Theatervorstellungen, die sie nicht gesehen hatte, und ebenso
viele Konzerte, von denen sie keinen Begriff hatte, durchsprechen zu hören. Gerda
wählte taktvollcrwcise immer Gegenstände, bei denen man "allgemeines Interesse"
voraussetzen konnte; das war einer der Hauptgrundsätze ihres Kodex. Und so oft
Julie aufsah und einen ihrer nichtssagenden Sätze hervorbrachte, zu denen sie
Cousine Gerda und der "allgemeine Gesellschaftston" zwangen, begegnete sie Eriks
Blick, der verständnisvoll, schelmisch, leicht ironisch und bisweilen so unverstellt
zärtlich auf ihr ruhte, daß sie Herzklopfen bekam und bis unter die Haare er¬
rötete und dann eine ganze Reihe Ausflüchte vorbringen mußte, über die Hitze
und Gott weiß was alles, sodaß sie die ausgezeichnete Gerda ganz außer sich
brachte. Denn sie passe doch immer so genau auf, daß die richtige Temperatur
in den Zimmern herrsche . . . Das sei etwas besonders Wichtiges, wenn man
Gäste habe, sagte Gerda.

Erik wünschte sie im stillen in eine Temperatur hinunter, deren Wärmegrad
er nicht näher bezeichnen wollte, und die Unterhaltung wurde immer schleppender,
sodaß schließlich sogar das Wetter herhalten mußte.

Erik, mich Arvid, hatten längst im geheimen unter dem Tisch auf ihre Uhr
gesehen, als Frau Olga endlich darauf aufmerksam machte, daß es, wenn sie mit


Die S-einen auf Markby

Endlich war der letzte Tropfen Madeira getrunken, und die drei stark in
Anspruch genvmmnen Tischherreu kamen relativ auf freien Fuß.

Elu hatte feierlich ihre Ehre verpfändet — bei sich privatim natürlich —,
daß sie heute niemand zum Singen bringen würde. Der gute und angenehme
Robert — er tat ihr freilich etwas leid — mochte so betrübt und enttäuscht sein,
wie er wollte. Sie wußte, sobald sie zu singen anfing, schaute Arvid sie an,
denn das tat er immer, und dann würde sie gleich herauskommen und mit einem
kläglichen Fiasko endigen. Sie behauptete, sie fühle sich nicht ganz wohl, klagte,
daß sie gefroren habe und sich nun nicht auf ihre Stimme verlassen könne. Der
arme Robert stand da und strich über seinen Steinway, sah Elu überredend an
und streichelte den glänzenden Deckel des Instruments, sodaß es Steine hätte
rühren können. Sogar Dagny dachte, es sei eine Schande für Elu, so hartherzig
zu sein.

Immerhin gab sie sich Mühe, edelmütig zu sein und ihn auf andre Weise
schadlos zu halten. Sie spielte alles, was er nur wünschte — wenn sie nur nicht
singen mußte! —, und den halben Abend saß sie neben ihm auf dem Sofa und
betrachtete alle seine Photographien von Norwegen. Die kleine Dagny, der endlich
die Augen ernstlich darüber aufgingen, was alle andern schon längst entdeckt hatten,
beobachtete die beiden mit großen unverstellt vorwurfsvollen und ängstlichen Augen.

Fräulein Gerda war eine ausgezeichnete Wirtin von der alleranspruchsvollsteu
Art. Sie hielt ihre Gäste da, wo sie sie einmal angebracht hatte, wie in einem
Schraubstock fest und unterhielt alle feierlich der Reihe nach. Sobald es sich
jemand irgendwo auf eigne Faust behaglich gemacht hatte, fuhr sie sogleich ohne
Gnade und Barmherzigkeit wie ein Habicht auf ihn los und führte thu auf den
Weg der Pflicht zurück. Dies nannte sie „niemand vergessen," und sie dozierte
offen und laut, daß das die erste Pflicht einer guten Wirtin sei.

So saß sie denn auch an diesem Tage auf einem bescheidnen Schemel ganz
vorn am Sofatisch und bewachte ihre Herde als eine wachsame und sehr beweg¬
liche Hirtin. Wenn sie jemand „für sich sitzen" sah, war sie sofort bei ihm und
eröffnete ein gebildetes Gespräch, bis schließlich der Delinquent alle separatistischen
und aufrührerischen Bestrebungen mutlos aufgab und wieder in den Schafstall unter
der großen Lampe kroch.

Ihre arme Cousine Julie quälte sie diesesmal mehr als gewöhnlich. Aber
selbstverständlich faßte Julie Gerdas Freundlichkeit nicht so auf. Wie sollte sie
auch? — Nein! aber es war schrecklich, geradezu gezwungen zu werden, einen
ganzen Abend lang Erik Bricmt gegenüber zu sitzen und in langsamem Tempo
ein halbes Dutzend Theatervorstellungen, die sie nicht gesehen hatte, und ebenso
viele Konzerte, von denen sie keinen Begriff hatte, durchsprechen zu hören. Gerda
wählte taktvollcrwcise immer Gegenstände, bei denen man „allgemeines Interesse"
voraussetzen konnte; das war einer der Hauptgrundsätze ihres Kodex. Und so oft
Julie aufsah und einen ihrer nichtssagenden Sätze hervorbrachte, zu denen sie
Cousine Gerda und der „allgemeine Gesellschaftston" zwangen, begegnete sie Eriks
Blick, der verständnisvoll, schelmisch, leicht ironisch und bisweilen so unverstellt
zärtlich auf ihr ruhte, daß sie Herzklopfen bekam und bis unter die Haare er¬
rötete und dann eine ganze Reihe Ausflüchte vorbringen mußte, über die Hitze
und Gott weiß was alles, sodaß sie die ausgezeichnete Gerda ganz außer sich
brachte. Denn sie passe doch immer so genau auf, daß die richtige Temperatur
in den Zimmern herrsche . . . Das sei etwas besonders Wichtiges, wenn man
Gäste habe, sagte Gerda.

Erik wünschte sie im stillen in eine Temperatur hinunter, deren Wärmegrad
er nicht näher bezeichnen wollte, und die Unterhaltung wurde immer schleppender,
sodaß schließlich sogar das Wetter herhalten mußte.

Erik, mich Arvid, hatten längst im geheimen unter dem Tisch auf ihre Uhr
gesehen, als Frau Olga endlich darauf aufmerksam machte, daß es, wenn sie mit


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[0404] Die S-einen auf Markby Endlich war der letzte Tropfen Madeira getrunken, und die drei stark in Anspruch genvmmnen Tischherreu kamen relativ auf freien Fuß. Elu hatte feierlich ihre Ehre verpfändet — bei sich privatim natürlich —, daß sie heute niemand zum Singen bringen würde. Der gute und angenehme Robert — er tat ihr freilich etwas leid — mochte so betrübt und enttäuscht sein, wie er wollte. Sie wußte, sobald sie zu singen anfing, schaute Arvid sie an, denn das tat er immer, und dann würde sie gleich herauskommen und mit einem kläglichen Fiasko endigen. Sie behauptete, sie fühle sich nicht ganz wohl, klagte, daß sie gefroren habe und sich nun nicht auf ihre Stimme verlassen könne. Der arme Robert stand da und strich über seinen Steinway, sah Elu überredend an und streichelte den glänzenden Deckel des Instruments, sodaß es Steine hätte rühren können. Sogar Dagny dachte, es sei eine Schande für Elu, so hartherzig zu sein. Immerhin gab sie sich Mühe, edelmütig zu sein und ihn auf andre Weise schadlos zu halten. Sie spielte alles, was er nur wünschte — wenn sie nur nicht singen mußte! —, und den halben Abend saß sie neben ihm auf dem Sofa und betrachtete alle seine Photographien von Norwegen. Die kleine Dagny, der endlich die Augen ernstlich darüber aufgingen, was alle andern schon längst entdeckt hatten, beobachtete die beiden mit großen unverstellt vorwurfsvollen und ängstlichen Augen. Fräulein Gerda war eine ausgezeichnete Wirtin von der alleranspruchsvollsteu Art. Sie hielt ihre Gäste da, wo sie sie einmal angebracht hatte, wie in einem Schraubstock fest und unterhielt alle feierlich der Reihe nach. Sobald es sich jemand irgendwo auf eigne Faust behaglich gemacht hatte, fuhr sie sogleich ohne Gnade und Barmherzigkeit wie ein Habicht auf ihn los und führte thu auf den Weg der Pflicht zurück. Dies nannte sie „niemand vergessen," und sie dozierte offen und laut, daß das die erste Pflicht einer guten Wirtin sei. So saß sie denn auch an diesem Tage auf einem bescheidnen Schemel ganz vorn am Sofatisch und bewachte ihre Herde als eine wachsame und sehr beweg¬ liche Hirtin. Wenn sie jemand „für sich sitzen" sah, war sie sofort bei ihm und eröffnete ein gebildetes Gespräch, bis schließlich der Delinquent alle separatistischen und aufrührerischen Bestrebungen mutlos aufgab und wieder in den Schafstall unter der großen Lampe kroch. Ihre arme Cousine Julie quälte sie diesesmal mehr als gewöhnlich. Aber selbstverständlich faßte Julie Gerdas Freundlichkeit nicht so auf. Wie sollte sie auch? — Nein! aber es war schrecklich, geradezu gezwungen zu werden, einen ganzen Abend lang Erik Bricmt gegenüber zu sitzen und in langsamem Tempo ein halbes Dutzend Theatervorstellungen, die sie nicht gesehen hatte, und ebenso viele Konzerte, von denen sie keinen Begriff hatte, durchsprechen zu hören. Gerda wählte taktvollcrwcise immer Gegenstände, bei denen man „allgemeines Interesse" voraussetzen konnte; das war einer der Hauptgrundsätze ihres Kodex. Und so oft Julie aufsah und einen ihrer nichtssagenden Sätze hervorbrachte, zu denen sie Cousine Gerda und der „allgemeine Gesellschaftston" zwangen, begegnete sie Eriks Blick, der verständnisvoll, schelmisch, leicht ironisch und bisweilen so unverstellt zärtlich auf ihr ruhte, daß sie Herzklopfen bekam und bis unter die Haare er¬ rötete und dann eine ganze Reihe Ausflüchte vorbringen mußte, über die Hitze und Gott weiß was alles, sodaß sie die ausgezeichnete Gerda ganz außer sich brachte. Denn sie passe doch immer so genau auf, daß die richtige Temperatur in den Zimmern herrsche . . . Das sei etwas besonders Wichtiges, wenn man Gäste habe, sagte Gerda. Erik wünschte sie im stillen in eine Temperatur hinunter, deren Wärmegrad er nicht näher bezeichnen wollte, und die Unterhaltung wurde immer schleppender, sodaß schließlich sogar das Wetter herhalten mußte. Erik, mich Arvid, hatten längst im geheimen unter dem Tisch auf ihre Uhr gesehen, als Frau Olga endlich darauf aufmerksam machte, daß es, wenn sie mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/404>, abgerufen am 04.07.2024.