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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinsetn und Träumt

treiben, ist ein gegenseitiges Helfen und Aushelfen möglich wie in keiner andern,
es ist aber auch notwendig. Bei der Grnmmeternte kommt es häufig vor, daß sie
nach andauernden Frühherbstregen und Stürmen in wenig Tagen eingebracht
werden muß; da treten die ältesten Verwandtschaftsbeziehungen wieder in Kraft,
der entfernteste Vetter hilft dem Bauer, der das seine nicht bewältigen kann, es
helfen die Nachbarn, Helfer kommen aus den Nachbarorten. Es ereignete sich, daß
der alte Preußenfritz und seine noch ältere Ehehälfte zugleich krank waren, als der
kleine Weinberg, den sie hatten, geleert werden mußte; der einzige Sohn war
Soldat. Da traten die Nachbarn zusammen und besorgten das Geschäft glatt.

Es gibt Menschen, deren poetisches Gefühl nur im Überlieferten, im Her¬
gebrachten blüht, und andre, die Neues nötig haben; jene haben die Poesie in sich
und wissen es nicht, weshalb sie natürlich auch nicht davon sprechen, diese sind
immer hungrig danach. Man nennt jene die Ungebildeten, diese die Gebildeten.
Im Innern eines Bauern, der an einem schönen Samstag Abend müde von der
Arbeit, aber zufrieden mit ihr, zwischen seiner Wiese und seinem Acker dem Hofe
zu schlendert, ist eine Poesie, die tausend Dichter schon auszusprechen gesucht haben;
so echt, wie sie in ihm lebt, ist es keinem gelungen, sie zu singen oder zu sagen.

Auch das gehört eben zur Stille dieses Lebens, daß die Leute nicht viel Auf¬
hebens machen. Es hat jeder und hat jedes seinen Pflichtenkreis; in der Regel
ist er nicht weit, der wird ausgefüllt, so gut es geht, nach jahrhundertalter Weise,
und so wird auch die Erfüllung der Pflicht nach Maßen gemessen, die seit Jahr¬
hunderten seststehn. Und so ist es mit den Gefühlen. Wenn draußen die Schnee¬
flocken wirbelten, und man konnte auf der warmen Ofenb.auk sitzen und dem
Schnurren der Spinnräder und den alten Geschichten zuhören, empfand man bei
Bauern und Nichtbanern die Poesie, die darin liegt; aber die Bauern sprachen
nicht davon, es zeigte sich in ihrem Gehaben, die Nichtbauern meinten sie rühmen
zu müssen.

Die Arbeit zog dem Leben jedes einzelnen die Linien, denen es folgte, sie
grub die Furchen, in denen diese Bächlein zu fließen hatten. Wenn man sah, wie
übel die Menschen standen, die sich dem Müßiggang ergaben, wie schwer die Alten
ihr Leben und sich selbst ertrugen, die "übergeben" hatten, um noch ein paar
Jährlein ruhig zuzubringen, lernte man die zusammenhaltende Macht der Arbeit
schätzen. Ein Geistlicher sagte: Die Arbeit der Bauern wirkt mehr als meine
Predigt, und wenn von schwierigen Ehen die Rede war, hörte man: Wenn die
beiden nicht gewöhnt wären, zusammen zu arbeiten und zu Hausen (sparen), wären
sie längst auseinander gelaufen. Die moralischen Verwicklungen sind auf ein mög¬
lichst geringes Maß reduziert, die Ströme der Leidenschaft fließen in den Betten
des Herkommens zwischen hohen Dämmen breit dahin, Überschwemmungen sind
selten, weil Dammbrüche fast unmöglich sind. Der Bauer geht gebückt, es ist aber
doch Kraft in ihm, nämlich die Kraft, die aus der Berührung mit der Erde ent¬
springt. Der Bauer sieht oft trüb oder träumerisch in die Welt, aber es ist doch
ein Geist in ihm, der in seiner Einfachheit sicherer durch Leben und Pflichten durch¬
leitet als der zerstückte auseinandergezogne Geist des "Gebildeten." Was einfache
Arbeit, die nicht beständig sich zerfasert und auseinanderläuft, zwischen Sonnen¬
aufgang und Untergang leistet, lernt man nur auf dem Acker. Das Dorf bleibt
eine Schule tüchtiger Arbeit, die den Tag nutzt, solange er scheint. In der Dorf¬
geschichte liegt der hohe Wert des schlichten und des Ehrlichen, das dem Grunde
der Dinge näher ist als das Reiche und Schillernde und damit auch näher der
Poesie. Es kommt nur darauf an, diese Natur so schlicht und ehrlich zu geben,
wie sie ist. Manchmal, wenn ich oben unter den drei Buchen die Nibelungen oder
Homer las, zuckte blitzartig in mir ein Gefühl der Verwandtschaft dieses ruhigen
unbegehrlichen Lebens, das in so festen Formen sicher dahinfloß, mit dem Epischen
auf. Ich konnte die Verwandtschaft nicht deuten, ich fühlte sie nur undeutlich als
ein Glück. Jetzt weiß ich, dieses Leben war episch!


Glücksinsetn und Träumt

treiben, ist ein gegenseitiges Helfen und Aushelfen möglich wie in keiner andern,
es ist aber auch notwendig. Bei der Grnmmeternte kommt es häufig vor, daß sie
nach andauernden Frühherbstregen und Stürmen in wenig Tagen eingebracht
werden muß; da treten die ältesten Verwandtschaftsbeziehungen wieder in Kraft,
der entfernteste Vetter hilft dem Bauer, der das seine nicht bewältigen kann, es
helfen die Nachbarn, Helfer kommen aus den Nachbarorten. Es ereignete sich, daß
der alte Preußenfritz und seine noch ältere Ehehälfte zugleich krank waren, als der
kleine Weinberg, den sie hatten, geleert werden mußte; der einzige Sohn war
Soldat. Da traten die Nachbarn zusammen und besorgten das Geschäft glatt.

Es gibt Menschen, deren poetisches Gefühl nur im Überlieferten, im Her¬
gebrachten blüht, und andre, die Neues nötig haben; jene haben die Poesie in sich
und wissen es nicht, weshalb sie natürlich auch nicht davon sprechen, diese sind
immer hungrig danach. Man nennt jene die Ungebildeten, diese die Gebildeten.
Im Innern eines Bauern, der an einem schönen Samstag Abend müde von der
Arbeit, aber zufrieden mit ihr, zwischen seiner Wiese und seinem Acker dem Hofe
zu schlendert, ist eine Poesie, die tausend Dichter schon auszusprechen gesucht haben;
so echt, wie sie in ihm lebt, ist es keinem gelungen, sie zu singen oder zu sagen.

Auch das gehört eben zur Stille dieses Lebens, daß die Leute nicht viel Auf¬
hebens machen. Es hat jeder und hat jedes seinen Pflichtenkreis; in der Regel
ist er nicht weit, der wird ausgefüllt, so gut es geht, nach jahrhundertalter Weise,
und so wird auch die Erfüllung der Pflicht nach Maßen gemessen, die seit Jahr¬
hunderten seststehn. Und so ist es mit den Gefühlen. Wenn draußen die Schnee¬
flocken wirbelten, und man konnte auf der warmen Ofenb.auk sitzen und dem
Schnurren der Spinnräder und den alten Geschichten zuhören, empfand man bei
Bauern und Nichtbanern die Poesie, die darin liegt; aber die Bauern sprachen
nicht davon, es zeigte sich in ihrem Gehaben, die Nichtbauern meinten sie rühmen
zu müssen.

Die Arbeit zog dem Leben jedes einzelnen die Linien, denen es folgte, sie
grub die Furchen, in denen diese Bächlein zu fließen hatten. Wenn man sah, wie
übel die Menschen standen, die sich dem Müßiggang ergaben, wie schwer die Alten
ihr Leben und sich selbst ertrugen, die „übergeben" hatten, um noch ein paar
Jährlein ruhig zuzubringen, lernte man die zusammenhaltende Macht der Arbeit
schätzen. Ein Geistlicher sagte: Die Arbeit der Bauern wirkt mehr als meine
Predigt, und wenn von schwierigen Ehen die Rede war, hörte man: Wenn die
beiden nicht gewöhnt wären, zusammen zu arbeiten und zu Hausen (sparen), wären
sie längst auseinander gelaufen. Die moralischen Verwicklungen sind auf ein mög¬
lichst geringes Maß reduziert, die Ströme der Leidenschaft fließen in den Betten
des Herkommens zwischen hohen Dämmen breit dahin, Überschwemmungen sind
selten, weil Dammbrüche fast unmöglich sind. Der Bauer geht gebückt, es ist aber
doch Kraft in ihm, nämlich die Kraft, die aus der Berührung mit der Erde ent¬
springt. Der Bauer sieht oft trüb oder träumerisch in die Welt, aber es ist doch
ein Geist in ihm, der in seiner Einfachheit sicherer durch Leben und Pflichten durch¬
leitet als der zerstückte auseinandergezogne Geist des „Gebildeten." Was einfache
Arbeit, die nicht beständig sich zerfasert und auseinanderläuft, zwischen Sonnen¬
aufgang und Untergang leistet, lernt man nur auf dem Acker. Das Dorf bleibt
eine Schule tüchtiger Arbeit, die den Tag nutzt, solange er scheint. In der Dorf¬
geschichte liegt der hohe Wert des schlichten und des Ehrlichen, das dem Grunde
der Dinge näher ist als das Reiche und Schillernde und damit auch näher der
Poesie. Es kommt nur darauf an, diese Natur so schlicht und ehrlich zu geben,
wie sie ist. Manchmal, wenn ich oben unter den drei Buchen die Nibelungen oder
Homer las, zuckte blitzartig in mir ein Gefühl der Verwandtschaft dieses ruhigen
unbegehrlichen Lebens, das in so festen Formen sicher dahinfloß, mit dem Epischen
auf. Ich konnte die Verwandtschaft nicht deuten, ich fühlte sie nur undeutlich als
ein Glück. Jetzt weiß ich, dieses Leben war episch!


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[0401] Glücksinsetn und Träumt treiben, ist ein gegenseitiges Helfen und Aushelfen möglich wie in keiner andern, es ist aber auch notwendig. Bei der Grnmmeternte kommt es häufig vor, daß sie nach andauernden Frühherbstregen und Stürmen in wenig Tagen eingebracht werden muß; da treten die ältesten Verwandtschaftsbeziehungen wieder in Kraft, der entfernteste Vetter hilft dem Bauer, der das seine nicht bewältigen kann, es helfen die Nachbarn, Helfer kommen aus den Nachbarorten. Es ereignete sich, daß der alte Preußenfritz und seine noch ältere Ehehälfte zugleich krank waren, als der kleine Weinberg, den sie hatten, geleert werden mußte; der einzige Sohn war Soldat. Da traten die Nachbarn zusammen und besorgten das Geschäft glatt. Es gibt Menschen, deren poetisches Gefühl nur im Überlieferten, im Her¬ gebrachten blüht, und andre, die Neues nötig haben; jene haben die Poesie in sich und wissen es nicht, weshalb sie natürlich auch nicht davon sprechen, diese sind immer hungrig danach. Man nennt jene die Ungebildeten, diese die Gebildeten. Im Innern eines Bauern, der an einem schönen Samstag Abend müde von der Arbeit, aber zufrieden mit ihr, zwischen seiner Wiese und seinem Acker dem Hofe zu schlendert, ist eine Poesie, die tausend Dichter schon auszusprechen gesucht haben; so echt, wie sie in ihm lebt, ist es keinem gelungen, sie zu singen oder zu sagen. Auch das gehört eben zur Stille dieses Lebens, daß die Leute nicht viel Auf¬ hebens machen. Es hat jeder und hat jedes seinen Pflichtenkreis; in der Regel ist er nicht weit, der wird ausgefüllt, so gut es geht, nach jahrhundertalter Weise, und so wird auch die Erfüllung der Pflicht nach Maßen gemessen, die seit Jahr¬ hunderten seststehn. Und so ist es mit den Gefühlen. Wenn draußen die Schnee¬ flocken wirbelten, und man konnte auf der warmen Ofenb.auk sitzen und dem Schnurren der Spinnräder und den alten Geschichten zuhören, empfand man bei Bauern und Nichtbanern die Poesie, die darin liegt; aber die Bauern sprachen nicht davon, es zeigte sich in ihrem Gehaben, die Nichtbauern meinten sie rühmen zu müssen. Die Arbeit zog dem Leben jedes einzelnen die Linien, denen es folgte, sie grub die Furchen, in denen diese Bächlein zu fließen hatten. Wenn man sah, wie übel die Menschen standen, die sich dem Müßiggang ergaben, wie schwer die Alten ihr Leben und sich selbst ertrugen, die „übergeben" hatten, um noch ein paar Jährlein ruhig zuzubringen, lernte man die zusammenhaltende Macht der Arbeit schätzen. Ein Geistlicher sagte: Die Arbeit der Bauern wirkt mehr als meine Predigt, und wenn von schwierigen Ehen die Rede war, hörte man: Wenn die beiden nicht gewöhnt wären, zusammen zu arbeiten und zu Hausen (sparen), wären sie längst auseinander gelaufen. Die moralischen Verwicklungen sind auf ein mög¬ lichst geringes Maß reduziert, die Ströme der Leidenschaft fließen in den Betten des Herkommens zwischen hohen Dämmen breit dahin, Überschwemmungen sind selten, weil Dammbrüche fast unmöglich sind. Der Bauer geht gebückt, es ist aber doch Kraft in ihm, nämlich die Kraft, die aus der Berührung mit der Erde ent¬ springt. Der Bauer sieht oft trüb oder träumerisch in die Welt, aber es ist doch ein Geist in ihm, der in seiner Einfachheit sicherer durch Leben und Pflichten durch¬ leitet als der zerstückte auseinandergezogne Geist des „Gebildeten." Was einfache Arbeit, die nicht beständig sich zerfasert und auseinanderläuft, zwischen Sonnen¬ aufgang und Untergang leistet, lernt man nur auf dem Acker. Das Dorf bleibt eine Schule tüchtiger Arbeit, die den Tag nutzt, solange er scheint. In der Dorf¬ geschichte liegt der hohe Wert des schlichten und des Ehrlichen, das dem Grunde der Dinge näher ist als das Reiche und Schillernde und damit auch näher der Poesie. Es kommt nur darauf an, diese Natur so schlicht und ehrlich zu geben, wie sie ist. Manchmal, wenn ich oben unter den drei Buchen die Nibelungen oder Homer las, zuckte blitzartig in mir ein Gefühl der Verwandtschaft dieses ruhigen unbegehrlichen Lebens, das in so festen Formen sicher dahinfloß, mit dem Epischen auf. Ich konnte die Verwandtschaft nicht deuten, ich fühlte sie nur undeutlich als ein Glück. Jetzt weiß ich, dieses Leben war episch!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/401>, abgerufen am 04.07.2024.