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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Glücksinseln und Träume

die ins Feld oder zur Straße führen, und jede von ihnen endigt mit einem Stein¬
unterbau, auf dem die schwersten Erntewagen in die Scheune hineinfahren können.
Der mag ein Rest der Tenne aus der Zeit sein, wo im Freien gedroschen wurde.

Der kleine gelbe Bach fließt mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Dorf,
zu meiner Zeit war er unter allen Dingen und Menschen dieser Gegend überhaupt
das einzige, dem es pressierte. Was man ihm zu arbeiten gab, erledigte er mit
erstaunlichem Fleiß in der kürzesten Zeit, und gründlich; also stürzte er sich oben
im Dorf in eine hölzerne Rinne, schoß hindurch, als ob sie in keiner Weise be¬
moost wäre, und doch leuchtete sie in der Sonne wie Smaragd, und warf sich
dann sogleich in das altersbraune Mühlrad, als ob er es in Stücke reißen wollte,
sprang darüber weg, daß die Tropfen leuchtend flogen, nachdem er es hastig in
seinen alten rostigen Angeln umgedreht hatte, und floß dann eine Strecke zutrau¬
licher zwischen grünen Ufern hinter dem Dorfe hin; da hier nicht viel zu tun war,
nagte er im Vorübergehn an einem Steinpfeiler der Pfarrmaner, den das un¬
artige Bächlein jedes Jahr einmal ins Wanken brachte. Dann kam er zu uns,
wo ihm aller Abfall des Apothekenlaboratoriums, besonders der geschmacklose ans-
destillierte oder nusmazerierte Inhalt ruhiger Kupferblasen und staubiger "Maul¬
affen" ^) übergeben wurde, den er aufs schleunigste weiter beförderte. Die Klein¬
heit, Geschwindigkeit und Unermüdlichkeit des Angelbachs veranlaßte in meinen
Gedanken seinen Vergleich mit Menschen. Ihm gleich war zwar niemand, den ich
kannte, aber der kleine quecksilberne Schullehrer ließ mit ähnlicher Unermüdlichkeit
seine belehrende und erklärende Stimme aus dem im Sommer geöffneten Fenster
seines niedern Schulhauses erschallen und begleitete seinen Unterricht mit dem
Klopfen seines Bakulus auf den Schultischen, der Tafel oder den Schülern mit
einer Beharrlichkeit des Wellenschlags. Und dann war der Briefträger und sein
Weib, beide bestrebt, die schmächtige Korrespondenz Eichelbergs so rasch wie möglich
an die Adressaten abzuliefern, um sofort wieder an ihre Korbflechtarbeit zu gehn,
weshalb sie allmorgentlich das Dorf um- und durcheilten, dem Bächlein von ferne
vergleichbar. Was sich sonst in unserm Dorfe bewegte, ließ sich Zeit, sogar die
Doktorkutsche, die bei Regen ausfuhr, denn der Doktor konnte das rasche Fahren
nicht vertragen. Die andern Wagenbesitzer -- und alle Honoratioren besaßen mehr
oder weniger alte Fahrwerkzeuge -- fuhren langsam, weil ihre Wagen es waren,
die rasches Fahren nicht vertrugen. Besonders die Pfarrerwagen zogen dahin, von
dicken Gäulen schwer gezogen, als wollten sie den festesten Acker aufpflügen. Und
unsre Dorfstraße war allerdings bei Regenwetter von einem frischgepflügten Acker
nicht eben sehr verschieden.

Die Stelle des Bürgersteigs vertreten im Dorfe kleine Strecken rasenbewachsener
Streifen längs der Häuser und Gärten, selten durch uralte Bohlen verbunden;
hierher rettet sich der Verkehr, wenn nach langem Regen die Wege ein Schlamm¬
strom geworden sind.

Es ist eine eigne behagliche Schönheit, die der Bauernhäuser; sie fordert
zwar nicht Bewunderung, denn es liegt in ihrer Natur, bescheiden zu sein, aber
alles in ihr hat einen direkten Bezug auf ein reges, leicht zu überschauendes Leben.
Die wohlgehaltnen Spaliere und Reben sprechen vom Fleiß, das ganze Anwesen
vom zusammenhaltenden Einfluß nüchterner Sparsamkeit; das Bänkchen vor dein
Haus erzählt von der Ruhe nach der Arbeit, vom Hinaussehen zu den Sternen,
die Gewürzpflanzen im Garten, die Blumen im Fenster, das Holz, das an der
Seite hin aufgeschichtet ist, und die Neisigwellen, die aus dem Giebel schauen, die
Katze auf der Schwelle und die stattliche Reihe hölzerner Milchschüsseln, die frisch
gescheuert zum Trocknen uns der Bank stehn, wollen alle nicht schön sein oder
Schönheit erzeugen, oder nur so weit als Ordnung und Behage" schön sind, oder
wie eine Hausfrau schön ist durch starke Arme, kluge Augen, fröhlichen Mund.



Kegelförmige Glasflaschen mit weiter Öffnung.
Glücksinseln und Träume

die ins Feld oder zur Straße führen, und jede von ihnen endigt mit einem Stein¬
unterbau, auf dem die schwersten Erntewagen in die Scheune hineinfahren können.
Der mag ein Rest der Tenne aus der Zeit sein, wo im Freien gedroschen wurde.

Der kleine gelbe Bach fließt mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Dorf,
zu meiner Zeit war er unter allen Dingen und Menschen dieser Gegend überhaupt
das einzige, dem es pressierte. Was man ihm zu arbeiten gab, erledigte er mit
erstaunlichem Fleiß in der kürzesten Zeit, und gründlich; also stürzte er sich oben
im Dorf in eine hölzerne Rinne, schoß hindurch, als ob sie in keiner Weise be¬
moost wäre, und doch leuchtete sie in der Sonne wie Smaragd, und warf sich
dann sogleich in das altersbraune Mühlrad, als ob er es in Stücke reißen wollte,
sprang darüber weg, daß die Tropfen leuchtend flogen, nachdem er es hastig in
seinen alten rostigen Angeln umgedreht hatte, und floß dann eine Strecke zutrau¬
licher zwischen grünen Ufern hinter dem Dorfe hin; da hier nicht viel zu tun war,
nagte er im Vorübergehn an einem Steinpfeiler der Pfarrmaner, den das un¬
artige Bächlein jedes Jahr einmal ins Wanken brachte. Dann kam er zu uns,
wo ihm aller Abfall des Apothekenlaboratoriums, besonders der geschmacklose ans-
destillierte oder nusmazerierte Inhalt ruhiger Kupferblasen und staubiger „Maul¬
affen" ^) übergeben wurde, den er aufs schleunigste weiter beförderte. Die Klein¬
heit, Geschwindigkeit und Unermüdlichkeit des Angelbachs veranlaßte in meinen
Gedanken seinen Vergleich mit Menschen. Ihm gleich war zwar niemand, den ich
kannte, aber der kleine quecksilberne Schullehrer ließ mit ähnlicher Unermüdlichkeit
seine belehrende und erklärende Stimme aus dem im Sommer geöffneten Fenster
seines niedern Schulhauses erschallen und begleitete seinen Unterricht mit dem
Klopfen seines Bakulus auf den Schultischen, der Tafel oder den Schülern mit
einer Beharrlichkeit des Wellenschlags. Und dann war der Briefträger und sein
Weib, beide bestrebt, die schmächtige Korrespondenz Eichelbergs so rasch wie möglich
an die Adressaten abzuliefern, um sofort wieder an ihre Korbflechtarbeit zu gehn,
weshalb sie allmorgentlich das Dorf um- und durcheilten, dem Bächlein von ferne
vergleichbar. Was sich sonst in unserm Dorfe bewegte, ließ sich Zeit, sogar die
Doktorkutsche, die bei Regen ausfuhr, denn der Doktor konnte das rasche Fahren
nicht vertragen. Die andern Wagenbesitzer — und alle Honoratioren besaßen mehr
oder weniger alte Fahrwerkzeuge — fuhren langsam, weil ihre Wagen es waren,
die rasches Fahren nicht vertrugen. Besonders die Pfarrerwagen zogen dahin, von
dicken Gäulen schwer gezogen, als wollten sie den festesten Acker aufpflügen. Und
unsre Dorfstraße war allerdings bei Regenwetter von einem frischgepflügten Acker
nicht eben sehr verschieden.

Die Stelle des Bürgersteigs vertreten im Dorfe kleine Strecken rasenbewachsener
Streifen längs der Häuser und Gärten, selten durch uralte Bohlen verbunden;
hierher rettet sich der Verkehr, wenn nach langem Regen die Wege ein Schlamm¬
strom geworden sind.

Es ist eine eigne behagliche Schönheit, die der Bauernhäuser; sie fordert
zwar nicht Bewunderung, denn es liegt in ihrer Natur, bescheiden zu sein, aber
alles in ihr hat einen direkten Bezug auf ein reges, leicht zu überschauendes Leben.
Die wohlgehaltnen Spaliere und Reben sprechen vom Fleiß, das ganze Anwesen
vom zusammenhaltenden Einfluß nüchterner Sparsamkeit; das Bänkchen vor dein
Haus erzählt von der Ruhe nach der Arbeit, vom Hinaussehen zu den Sternen,
die Gewürzpflanzen im Garten, die Blumen im Fenster, das Holz, das an der
Seite hin aufgeschichtet ist, und die Neisigwellen, die aus dem Giebel schauen, die
Katze auf der Schwelle und die stattliche Reihe hölzerner Milchschüsseln, die frisch
gescheuert zum Trocknen uns der Bank stehn, wollen alle nicht schön sein oder
Schönheit erzeugen, oder nur so weit als Ordnung und Behage» schön sind, oder
wie eine Hausfrau schön ist durch starke Arme, kluge Augen, fröhlichen Mund.



Kegelförmige Glasflaschen mit weiter Öffnung.
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[0340] Glücksinseln und Träume die ins Feld oder zur Straße führen, und jede von ihnen endigt mit einem Stein¬ unterbau, auf dem die schwersten Erntewagen in die Scheune hineinfahren können. Der mag ein Rest der Tenne aus der Zeit sein, wo im Freien gedroschen wurde. Der kleine gelbe Bach fließt mit unglaublicher Geschwindigkeit durch das Dorf, zu meiner Zeit war er unter allen Dingen und Menschen dieser Gegend überhaupt das einzige, dem es pressierte. Was man ihm zu arbeiten gab, erledigte er mit erstaunlichem Fleiß in der kürzesten Zeit, und gründlich; also stürzte er sich oben im Dorf in eine hölzerne Rinne, schoß hindurch, als ob sie in keiner Weise be¬ moost wäre, und doch leuchtete sie in der Sonne wie Smaragd, und warf sich dann sogleich in das altersbraune Mühlrad, als ob er es in Stücke reißen wollte, sprang darüber weg, daß die Tropfen leuchtend flogen, nachdem er es hastig in seinen alten rostigen Angeln umgedreht hatte, und floß dann eine Strecke zutrau¬ licher zwischen grünen Ufern hinter dem Dorfe hin; da hier nicht viel zu tun war, nagte er im Vorübergehn an einem Steinpfeiler der Pfarrmaner, den das un¬ artige Bächlein jedes Jahr einmal ins Wanken brachte. Dann kam er zu uns, wo ihm aller Abfall des Apothekenlaboratoriums, besonders der geschmacklose ans- destillierte oder nusmazerierte Inhalt ruhiger Kupferblasen und staubiger „Maul¬ affen" ^) übergeben wurde, den er aufs schleunigste weiter beförderte. Die Klein¬ heit, Geschwindigkeit und Unermüdlichkeit des Angelbachs veranlaßte in meinen Gedanken seinen Vergleich mit Menschen. Ihm gleich war zwar niemand, den ich kannte, aber der kleine quecksilberne Schullehrer ließ mit ähnlicher Unermüdlichkeit seine belehrende und erklärende Stimme aus dem im Sommer geöffneten Fenster seines niedern Schulhauses erschallen und begleitete seinen Unterricht mit dem Klopfen seines Bakulus auf den Schultischen, der Tafel oder den Schülern mit einer Beharrlichkeit des Wellenschlags. Und dann war der Briefträger und sein Weib, beide bestrebt, die schmächtige Korrespondenz Eichelbergs so rasch wie möglich an die Adressaten abzuliefern, um sofort wieder an ihre Korbflechtarbeit zu gehn, weshalb sie allmorgentlich das Dorf um- und durcheilten, dem Bächlein von ferne vergleichbar. Was sich sonst in unserm Dorfe bewegte, ließ sich Zeit, sogar die Doktorkutsche, die bei Regen ausfuhr, denn der Doktor konnte das rasche Fahren nicht vertragen. Die andern Wagenbesitzer — und alle Honoratioren besaßen mehr oder weniger alte Fahrwerkzeuge — fuhren langsam, weil ihre Wagen es waren, die rasches Fahren nicht vertrugen. Besonders die Pfarrerwagen zogen dahin, von dicken Gäulen schwer gezogen, als wollten sie den festesten Acker aufpflügen. Und unsre Dorfstraße war allerdings bei Regenwetter von einem frischgepflügten Acker nicht eben sehr verschieden. Die Stelle des Bürgersteigs vertreten im Dorfe kleine Strecken rasenbewachsener Streifen längs der Häuser und Gärten, selten durch uralte Bohlen verbunden; hierher rettet sich der Verkehr, wenn nach langem Regen die Wege ein Schlamm¬ strom geworden sind. Es ist eine eigne behagliche Schönheit, die der Bauernhäuser; sie fordert zwar nicht Bewunderung, denn es liegt in ihrer Natur, bescheiden zu sein, aber alles in ihr hat einen direkten Bezug auf ein reges, leicht zu überschauendes Leben. Die wohlgehaltnen Spaliere und Reben sprechen vom Fleiß, das ganze Anwesen vom zusammenhaltenden Einfluß nüchterner Sparsamkeit; das Bänkchen vor dein Haus erzählt von der Ruhe nach der Arbeit, vom Hinaussehen zu den Sternen, die Gewürzpflanzen im Garten, die Blumen im Fenster, das Holz, das an der Seite hin aufgeschichtet ist, und die Neisigwellen, die aus dem Giebel schauen, die Katze auf der Schwelle und die stattliche Reihe hölzerner Milchschüsseln, die frisch gescheuert zum Trocknen uns der Bank stehn, wollen alle nicht schön sein oder Schönheit erzeugen, oder nur so weit als Ordnung und Behage» schön sind, oder wie eine Hausfrau schön ist durch starke Arme, kluge Augen, fröhlichen Mund. Kegelförmige Glasflaschen mit weiter Öffnung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/340>, abgerufen am 23.07.2024.