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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Nie Amerikaner

dem heldenhaften Opfertode John Browns und von den Liedern vernommen,
mit denen die Regimenter nenengländischer Freiwilliger in den Krieg für die
Union gegangen sind. In ihnen schreitet der Geist dieses Märtyrers der Anti-
sklavereibewegnng den Soldaten voran. Wie mancher nenengländische Rekrut
hat bereitwillig die Todeskngel empfangen, indem er, eines dieser choralartigen
Lieder singend, auf John Browns Bahn gegen die Verteidiger der Sklaverei
ins Feld zog!




Wir haben dem Miinsterbergschen Buch etwas mehr Raum gewidmet, als
wir sonst für neue literarische Erscheinungen übrig haben, die nicht gerade von
erschütternder Bedeutung sind. Wir nehmen es als Dokument einer wichtigen
Stimmung und als Äußerung eines höchst beachtenswerten Bestrebens auf.
Daß seit einigen Jahren unsre Amerikaliteratur nach Menge und Güte so ge¬
waltig gewachsen ist, hat seine tiefer liegenden Gründe. Und diesen eben wollen
wir auch unsrerseits gerecht werden. Die Völker der Erde erkennen, je inniger
sie sich berühren, immer deutlicher, was ihnen gemein ist, und was sie trennt.
Wir fassen es als die Aufgabe der zum Urteil Berufnen auf, diesen Prozeß zu
fördern. Von uns Deutschen und Amerikanern liegt es nun offen: im Tiefste,:
und Besten gleichen wir uns, eben darum gehören die besten Geister beider
Völker in einem viel tiefern Sinne beiden an als die, die nur die oberfläch¬
lichen Eigenschaften ausprägen. Goethe hat Carlyle gezeugt, und Emerson hat
durch Carlyle zu Goethe geführt, das Beste über Goethe gesagt, was überhaupt
ein Fremder über ihn sagen kann. Diese Beziehungen sollen nicht verwelken,
das Verhältnis Goethe-Emerson soll nicht vereinzelt bleiben. Auch in der Be¬
urteilung der großen Angelegenheiten des Völker- und Staatenlebens müssen
sich Grundzüge der gemeinsamen Anlage zur Geltung bringen. Nur darauf
beruht die Möglichkeit der Verhütung von Zwisten, der Milderung unver¬
meidlicher Reibungen. Bei der Bedeutung, die die germanischen Völker heute
in der Welt errungen haben, ist ihr wechselseitiges Verständnis eine Sache
von viel größern Folgen und Wirkungen als die Verwandtschaftsgefühle,
deren sich die romanischen "Schwestern" so gern, in der Theorie wenigstens,
berühmen.

Auf die billige und verständige Beurteilung ihrer eignen Lage und Zukunft,
die bei den besonnenen Amerikanern auch mitten in der Begeisterung über den
Aufschwung der letzten Jahre nicht aufgehört hat, muß Europa in dem großen
Kampf um wirtschaftlichen Vorrang rechnen, der unvermeidlich geworden ist.
Die Vertreter einer gemäßigten Wirtschaftspolitik können sich an dieselben
Tendenzen des amerikanischen Geistes wenden, die sich im englischen unter
ähnlichen Verhältnissen als zuverlässige Stützen des Freihandels erwiesen
haben. Als sie ?re>s Ir-uZs nicht unter allen Verhältnissen durchführbar
fanden, gingen sie wenigstens bis zu lÄr?raa-z zurück, und billiger, einsichts¬
voller, friedliebender Handel, das ist es ja, was auch noch von hervorragenden
Nationnlvkonomen der Vereinigten Staaten als die ihrem Lande zuträglichste
Politik empfohlen wird. Die großen Stahl-, Petroleum-, Knpferkönige krümmen


Nie Amerikaner

dem heldenhaften Opfertode John Browns und von den Liedern vernommen,
mit denen die Regimenter nenengländischer Freiwilliger in den Krieg für die
Union gegangen sind. In ihnen schreitet der Geist dieses Märtyrers der Anti-
sklavereibewegnng den Soldaten voran. Wie mancher nenengländische Rekrut
hat bereitwillig die Todeskngel empfangen, indem er, eines dieser choralartigen
Lieder singend, auf John Browns Bahn gegen die Verteidiger der Sklaverei
ins Feld zog!




Wir haben dem Miinsterbergschen Buch etwas mehr Raum gewidmet, als
wir sonst für neue literarische Erscheinungen übrig haben, die nicht gerade von
erschütternder Bedeutung sind. Wir nehmen es als Dokument einer wichtigen
Stimmung und als Äußerung eines höchst beachtenswerten Bestrebens auf.
Daß seit einigen Jahren unsre Amerikaliteratur nach Menge und Güte so ge¬
waltig gewachsen ist, hat seine tiefer liegenden Gründe. Und diesen eben wollen
wir auch unsrerseits gerecht werden. Die Völker der Erde erkennen, je inniger
sie sich berühren, immer deutlicher, was ihnen gemein ist, und was sie trennt.
Wir fassen es als die Aufgabe der zum Urteil Berufnen auf, diesen Prozeß zu
fördern. Von uns Deutschen und Amerikanern liegt es nun offen: im Tiefste,:
und Besten gleichen wir uns, eben darum gehören die besten Geister beider
Völker in einem viel tiefern Sinne beiden an als die, die nur die oberfläch¬
lichen Eigenschaften ausprägen. Goethe hat Carlyle gezeugt, und Emerson hat
durch Carlyle zu Goethe geführt, das Beste über Goethe gesagt, was überhaupt
ein Fremder über ihn sagen kann. Diese Beziehungen sollen nicht verwelken,
das Verhältnis Goethe-Emerson soll nicht vereinzelt bleiben. Auch in der Be¬
urteilung der großen Angelegenheiten des Völker- und Staatenlebens müssen
sich Grundzüge der gemeinsamen Anlage zur Geltung bringen. Nur darauf
beruht die Möglichkeit der Verhütung von Zwisten, der Milderung unver¬
meidlicher Reibungen. Bei der Bedeutung, die die germanischen Völker heute
in der Welt errungen haben, ist ihr wechselseitiges Verständnis eine Sache
von viel größern Folgen und Wirkungen als die Verwandtschaftsgefühle,
deren sich die romanischen „Schwestern" so gern, in der Theorie wenigstens,
berühmen.

Auf die billige und verständige Beurteilung ihrer eignen Lage und Zukunft,
die bei den besonnenen Amerikanern auch mitten in der Begeisterung über den
Aufschwung der letzten Jahre nicht aufgehört hat, muß Europa in dem großen
Kampf um wirtschaftlichen Vorrang rechnen, der unvermeidlich geworden ist.
Die Vertreter einer gemäßigten Wirtschaftspolitik können sich an dieselben
Tendenzen des amerikanischen Geistes wenden, die sich im englischen unter
ähnlichen Verhältnissen als zuverlässige Stützen des Freihandels erwiesen
haben. Als sie ?re>s Ir-uZs nicht unter allen Verhältnissen durchführbar
fanden, gingen sie wenigstens bis zu lÄr?raa-z zurück, und billiger, einsichts¬
voller, friedliebender Handel, das ist es ja, was auch noch von hervorragenden
Nationnlvkonomen der Vereinigten Staaten als die ihrem Lande zuträglichste
Politik empfohlen wird. Die großen Stahl-, Petroleum-, Knpferkönige krümmen


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[0775] Nie Amerikaner dem heldenhaften Opfertode John Browns und von den Liedern vernommen, mit denen die Regimenter nenengländischer Freiwilliger in den Krieg für die Union gegangen sind. In ihnen schreitet der Geist dieses Märtyrers der Anti- sklavereibewegnng den Soldaten voran. Wie mancher nenengländische Rekrut hat bereitwillig die Todeskngel empfangen, indem er, eines dieser choralartigen Lieder singend, auf John Browns Bahn gegen die Verteidiger der Sklaverei ins Feld zog! Wir haben dem Miinsterbergschen Buch etwas mehr Raum gewidmet, als wir sonst für neue literarische Erscheinungen übrig haben, die nicht gerade von erschütternder Bedeutung sind. Wir nehmen es als Dokument einer wichtigen Stimmung und als Äußerung eines höchst beachtenswerten Bestrebens auf. Daß seit einigen Jahren unsre Amerikaliteratur nach Menge und Güte so ge¬ waltig gewachsen ist, hat seine tiefer liegenden Gründe. Und diesen eben wollen wir auch unsrerseits gerecht werden. Die Völker der Erde erkennen, je inniger sie sich berühren, immer deutlicher, was ihnen gemein ist, und was sie trennt. Wir fassen es als die Aufgabe der zum Urteil Berufnen auf, diesen Prozeß zu fördern. Von uns Deutschen und Amerikanern liegt es nun offen: im Tiefste,: und Besten gleichen wir uns, eben darum gehören die besten Geister beider Völker in einem viel tiefern Sinne beiden an als die, die nur die oberfläch¬ lichen Eigenschaften ausprägen. Goethe hat Carlyle gezeugt, und Emerson hat durch Carlyle zu Goethe geführt, das Beste über Goethe gesagt, was überhaupt ein Fremder über ihn sagen kann. Diese Beziehungen sollen nicht verwelken, das Verhältnis Goethe-Emerson soll nicht vereinzelt bleiben. Auch in der Be¬ urteilung der großen Angelegenheiten des Völker- und Staatenlebens müssen sich Grundzüge der gemeinsamen Anlage zur Geltung bringen. Nur darauf beruht die Möglichkeit der Verhütung von Zwisten, der Milderung unver¬ meidlicher Reibungen. Bei der Bedeutung, die die germanischen Völker heute in der Welt errungen haben, ist ihr wechselseitiges Verständnis eine Sache von viel größern Folgen und Wirkungen als die Verwandtschaftsgefühle, deren sich die romanischen „Schwestern" so gern, in der Theorie wenigstens, berühmen. Auf die billige und verständige Beurteilung ihrer eignen Lage und Zukunft, die bei den besonnenen Amerikanern auch mitten in der Begeisterung über den Aufschwung der letzten Jahre nicht aufgehört hat, muß Europa in dem großen Kampf um wirtschaftlichen Vorrang rechnen, der unvermeidlich geworden ist. Die Vertreter einer gemäßigten Wirtschaftspolitik können sich an dieselben Tendenzen des amerikanischen Geistes wenden, die sich im englischen unter ähnlichen Verhältnissen als zuverlässige Stützen des Freihandels erwiesen haben. Als sie ?re>s Ir-uZs nicht unter allen Verhältnissen durchführbar fanden, gingen sie wenigstens bis zu lÄr?raa-z zurück, und billiger, einsichts¬ voller, friedliebender Handel, das ist es ja, was auch noch von hervorragenden Nationnlvkonomen der Vereinigten Staaten als die ihrem Lande zuträglichste Politik empfohlen wird. Die großen Stahl-, Petroleum-, Knpferkönige krümmen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/775>, abgerufen am 26.06.2024.