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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanna

zusammen." Das klang zwar orakelhaft, war aber offenbar als gutes Omen ge¬
meint. Während des hatten in einer andern Ecke des Zimmers Susanna und Adrian
die Köpfe zusammengesteckt und geflüstert. Da Adrian seitdem mit keinem Hauch
mehr nach dem Zweck der Reise fragte und des öftern verständnisinnig vor sich
hin lächelte, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Susanna, wie sie ja vorher schon halb
und halb beabsichtigt hatte, ihn ins Vertrauen gezogen hatte.

Wer neuerdings in Sampaolo gewesen ist, wird sich des Hotels de Rome
erinnern, eines kleinen funkelnagelneuen Etablissements an der Ecke des San Guido¬
platzes und der Riva Vittorio Emmanuele, das sich als keins von der Art präsentiert,
deren Lokalton Schmutz und Unbehagen sind, und vor denen man gewarnt wird,
wenn man sich von der gewöhnlichen Touristenstraße entfernen will, das vielmehr
trotz der Weltferne Vallanzas ein schmuckes und behagliches Wirtshaus ist.

Das gemeinschaftliche Wohngemach der beiden Freunde war ein Eckzimmer im
ersten Stock. Die Fenster der einen Seite gingen ans die Piazza mit ihrer grauen
alten Kirche, der Kathedrale von San Paolo und San Guido, ihrem daneben¬
stehenden Glockenturm, ihrer großen Fontäne in der Mitte, und der die ganze
östliche Seite einnehmenden, mit verwitterten Freskogemcilden bedeckten Front des
Palazzo Rosso. Die Fenster der andern Seite gewährten die Aussicht auf die
Riva mit ihrer Palmenallee und auf die Bucht mit ihren vor Anker liegenden
Schiffen, ihren Fischerbooten, den sie umgebenden olivenbestandnen Hügeln, die von
unten bis oben mit Dörfern und Villen bedeckt waren, und den aus ihr empor¬
steigenden Inseln Jsolci Nobile, Isola Fratello und Isola Sorella -- das ganze
weite Bild glänzend im Sonnenschein.

Auf der sich nach Norden öffnenden kühlen, schattigen Piazza wurde eben ein
großer Markt abgehalten: ein buntes Gewirr von Waren, Tieren und Menschen.
Männer, Weiber und Kinder, Hunde, Esel, Geißen, Kälber, Schweine und Feder¬
vieh; Gemüse und Obst, geviertelte Melonen mit grüner Schale, schwarzen Kernen
und rosigem Fleisch, große, goldgelbe Kürbisse, Gewinde von Zwiebeln, zu wahren
Bergen aufgehäufte Feigen; Stiefel, Kopfbedeckungen, fertige Kleidungsstücke für
Leute beiderlei Geschlechts, billige Schmuckgegenstände waren hier zu haben und
Hausgeräte aller Art, von Töpfen und Pfannen aus getriebnen Kupfer, Messing¬
lampen, eisernen Bettstellen mit Strohmatratzen bis zu Oldruckbildern in schreienden
Farben, König und Königin und der unvermeidliche Garibaldi. Das Getöse war
wahrhaft ohrenzerreißend: die Menschen riefen ihre Waren aus, schacherten und
feilschten, lachten und schimpften; Esel schrien, Kälber blökten, Hunde bellten, Enten
schnatterten, und Schweine grunzten. Ein Zahnarzt hatte seiner Kunst neben dem
Marktbrunnen eine Stätte bereitet und schrie seine Hilfbereitschaft den Zahnleidenden
aus, fand auch wirklich ab und zu einen armen Dulder bereit, seine Hilfe über sich
ergehn zu lassen, dann aber ertönte alsbald über all das lärmende Getöse laut und
durchdringend das Schmerzgeheul des Opfers.

All das Geräusch suchte der Stadtausrnfer zu übertönen, der verzweiflungs¬
voll seine Trommel schlug und etwas verkündigen wollte, dem allem Anschein nach
niemand Beachtung schenkte. Die Weiber trugen schreiendfarbige Röcke -- grün
und rot oder blau und gelb gestreift -- und lange schwarze Schleier, die den
Kopf bedeckten und bis auf den Gürtel niederfielen; die Männer dunkle, gewebte
Wolljacken, Barchenthosen, rote Gürtel an Stelle der Hosenträger und rote Fischer¬
mützen mit einer über das Ohr baumelnden Troddel.

Zwei solche Männer kamen gerade Arni in Arm über den Platz geschleudert
und sangen mit schöner Stimme; der eine hielt die Melodie, der andre sang die
zweite Stimme dazu.

Anthony und Adrian sahen eine Zeit lang schweigend ans das Gewimmel
hinab, Anthony finster und teilnahmlos, Adrian ganz außer sich vor Entzücken.
Es war der erste Anblick Sampaolvs im Tagesglanz, sie waren gestern Abend von
Venedig angekommen, als es schon dunkel war.


Gräfin Susanna

zusammen." Das klang zwar orakelhaft, war aber offenbar als gutes Omen ge¬
meint. Während des hatten in einer andern Ecke des Zimmers Susanna und Adrian
die Köpfe zusammengesteckt und geflüstert. Da Adrian seitdem mit keinem Hauch
mehr nach dem Zweck der Reise fragte und des öftern verständnisinnig vor sich
hin lächelte, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Susanna, wie sie ja vorher schon halb
und halb beabsichtigt hatte, ihn ins Vertrauen gezogen hatte.

Wer neuerdings in Sampaolo gewesen ist, wird sich des Hotels de Rome
erinnern, eines kleinen funkelnagelneuen Etablissements an der Ecke des San Guido¬
platzes und der Riva Vittorio Emmanuele, das sich als keins von der Art präsentiert,
deren Lokalton Schmutz und Unbehagen sind, und vor denen man gewarnt wird,
wenn man sich von der gewöhnlichen Touristenstraße entfernen will, das vielmehr
trotz der Weltferne Vallanzas ein schmuckes und behagliches Wirtshaus ist.

Das gemeinschaftliche Wohngemach der beiden Freunde war ein Eckzimmer im
ersten Stock. Die Fenster der einen Seite gingen ans die Piazza mit ihrer grauen
alten Kirche, der Kathedrale von San Paolo und San Guido, ihrem daneben¬
stehenden Glockenturm, ihrer großen Fontäne in der Mitte, und der die ganze
östliche Seite einnehmenden, mit verwitterten Freskogemcilden bedeckten Front des
Palazzo Rosso. Die Fenster der andern Seite gewährten die Aussicht auf die
Riva mit ihrer Palmenallee und auf die Bucht mit ihren vor Anker liegenden
Schiffen, ihren Fischerbooten, den sie umgebenden olivenbestandnen Hügeln, die von
unten bis oben mit Dörfern und Villen bedeckt waren, und den aus ihr empor¬
steigenden Inseln Jsolci Nobile, Isola Fratello und Isola Sorella — das ganze
weite Bild glänzend im Sonnenschein.

Auf der sich nach Norden öffnenden kühlen, schattigen Piazza wurde eben ein
großer Markt abgehalten: ein buntes Gewirr von Waren, Tieren und Menschen.
Männer, Weiber und Kinder, Hunde, Esel, Geißen, Kälber, Schweine und Feder¬
vieh; Gemüse und Obst, geviertelte Melonen mit grüner Schale, schwarzen Kernen
und rosigem Fleisch, große, goldgelbe Kürbisse, Gewinde von Zwiebeln, zu wahren
Bergen aufgehäufte Feigen; Stiefel, Kopfbedeckungen, fertige Kleidungsstücke für
Leute beiderlei Geschlechts, billige Schmuckgegenstände waren hier zu haben und
Hausgeräte aller Art, von Töpfen und Pfannen aus getriebnen Kupfer, Messing¬
lampen, eisernen Bettstellen mit Strohmatratzen bis zu Oldruckbildern in schreienden
Farben, König und Königin und der unvermeidliche Garibaldi. Das Getöse war
wahrhaft ohrenzerreißend: die Menschen riefen ihre Waren aus, schacherten und
feilschten, lachten und schimpften; Esel schrien, Kälber blökten, Hunde bellten, Enten
schnatterten, und Schweine grunzten. Ein Zahnarzt hatte seiner Kunst neben dem
Marktbrunnen eine Stätte bereitet und schrie seine Hilfbereitschaft den Zahnleidenden
aus, fand auch wirklich ab und zu einen armen Dulder bereit, seine Hilfe über sich
ergehn zu lassen, dann aber ertönte alsbald über all das lärmende Getöse laut und
durchdringend das Schmerzgeheul des Opfers.

All das Geräusch suchte der Stadtausrnfer zu übertönen, der verzweiflungs¬
voll seine Trommel schlug und etwas verkündigen wollte, dem allem Anschein nach
niemand Beachtung schenkte. Die Weiber trugen schreiendfarbige Röcke — grün
und rot oder blau und gelb gestreift — und lange schwarze Schleier, die den
Kopf bedeckten und bis auf den Gürtel niederfielen; die Männer dunkle, gewebte
Wolljacken, Barchenthosen, rote Gürtel an Stelle der Hosenträger und rote Fischer¬
mützen mit einer über das Ohr baumelnden Troddel.

Zwei solche Männer kamen gerade Arni in Arm über den Platz geschleudert
und sangen mit schöner Stimme; der eine hielt die Melodie, der andre sang die
zweite Stimme dazu.

Anthony und Adrian sahen eine Zeit lang schweigend ans das Gewimmel
hinab, Anthony finster und teilnahmlos, Adrian ganz außer sich vor Entzücken.
Es war der erste Anblick Sampaolvs im Tagesglanz, sie waren gestern Abend von
Venedig angekommen, als es schon dunkel war.


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[0720] Gräfin Susanna zusammen." Das klang zwar orakelhaft, war aber offenbar als gutes Omen ge¬ meint. Während des hatten in einer andern Ecke des Zimmers Susanna und Adrian die Köpfe zusammengesteckt und geflüstert. Da Adrian seitdem mit keinem Hauch mehr nach dem Zweck der Reise fragte und des öftern verständnisinnig vor sich hin lächelte, ist es nicht unwahrscheinlich, daß Susanna, wie sie ja vorher schon halb und halb beabsichtigt hatte, ihn ins Vertrauen gezogen hatte. Wer neuerdings in Sampaolo gewesen ist, wird sich des Hotels de Rome erinnern, eines kleinen funkelnagelneuen Etablissements an der Ecke des San Guido¬ platzes und der Riva Vittorio Emmanuele, das sich als keins von der Art präsentiert, deren Lokalton Schmutz und Unbehagen sind, und vor denen man gewarnt wird, wenn man sich von der gewöhnlichen Touristenstraße entfernen will, das vielmehr trotz der Weltferne Vallanzas ein schmuckes und behagliches Wirtshaus ist. Das gemeinschaftliche Wohngemach der beiden Freunde war ein Eckzimmer im ersten Stock. Die Fenster der einen Seite gingen ans die Piazza mit ihrer grauen alten Kirche, der Kathedrale von San Paolo und San Guido, ihrem daneben¬ stehenden Glockenturm, ihrer großen Fontäne in der Mitte, und der die ganze östliche Seite einnehmenden, mit verwitterten Freskogemcilden bedeckten Front des Palazzo Rosso. Die Fenster der andern Seite gewährten die Aussicht auf die Riva mit ihrer Palmenallee und auf die Bucht mit ihren vor Anker liegenden Schiffen, ihren Fischerbooten, den sie umgebenden olivenbestandnen Hügeln, die von unten bis oben mit Dörfern und Villen bedeckt waren, und den aus ihr empor¬ steigenden Inseln Jsolci Nobile, Isola Fratello und Isola Sorella — das ganze weite Bild glänzend im Sonnenschein. Auf der sich nach Norden öffnenden kühlen, schattigen Piazza wurde eben ein großer Markt abgehalten: ein buntes Gewirr von Waren, Tieren und Menschen. Männer, Weiber und Kinder, Hunde, Esel, Geißen, Kälber, Schweine und Feder¬ vieh; Gemüse und Obst, geviertelte Melonen mit grüner Schale, schwarzen Kernen und rosigem Fleisch, große, goldgelbe Kürbisse, Gewinde von Zwiebeln, zu wahren Bergen aufgehäufte Feigen; Stiefel, Kopfbedeckungen, fertige Kleidungsstücke für Leute beiderlei Geschlechts, billige Schmuckgegenstände waren hier zu haben und Hausgeräte aller Art, von Töpfen und Pfannen aus getriebnen Kupfer, Messing¬ lampen, eisernen Bettstellen mit Strohmatratzen bis zu Oldruckbildern in schreienden Farben, König und Königin und der unvermeidliche Garibaldi. Das Getöse war wahrhaft ohrenzerreißend: die Menschen riefen ihre Waren aus, schacherten und feilschten, lachten und schimpften; Esel schrien, Kälber blökten, Hunde bellten, Enten schnatterten, und Schweine grunzten. Ein Zahnarzt hatte seiner Kunst neben dem Marktbrunnen eine Stätte bereitet und schrie seine Hilfbereitschaft den Zahnleidenden aus, fand auch wirklich ab und zu einen armen Dulder bereit, seine Hilfe über sich ergehn zu lassen, dann aber ertönte alsbald über all das lärmende Getöse laut und durchdringend das Schmerzgeheul des Opfers. All das Geräusch suchte der Stadtausrnfer zu übertönen, der verzweiflungs¬ voll seine Trommel schlug und etwas verkündigen wollte, dem allem Anschein nach niemand Beachtung schenkte. Die Weiber trugen schreiendfarbige Röcke — grün und rot oder blau und gelb gestreift — und lange schwarze Schleier, die den Kopf bedeckten und bis auf den Gürtel niederfielen; die Männer dunkle, gewebte Wolljacken, Barchenthosen, rote Gürtel an Stelle der Hosenträger und rote Fischer¬ mützen mit einer über das Ohr baumelnden Troddel. Zwei solche Männer kamen gerade Arni in Arm über den Platz geschleudert und sangen mit schöner Stimme; der eine hielt die Melodie, der andre sang die zweite Stimme dazu. Anthony und Adrian sahen eine Zeit lang schweigend ans das Gewimmel hinab, Anthony finster und teilnahmlos, Adrian ganz außer sich vor Entzücken. Es war der erste Anblick Sampaolvs im Tagesglanz, sie waren gestern Abend von Venedig angekommen, als es schon dunkel war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/720>, abgerufen am 23.07.2024.