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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gräfin Susanns

und wils ich durch sie lehre, lernte ich dnrch Kummer, Leichtfertig! Er warf
>vieder einen schwarzen Blick dem Beleidiger zu und hielt seine Tasse hin, um sie
zum drittenmal füllen zu lassen.

Gesegnet sei der Mann, der den Tee erfunden hat, murmelte er andächtig.
Besonders am Freitag -- fuhr er fort, indem er sich an Susanna wandte --, ist
er da nicht ein Geschenk? Ich weiß nicht, wie man ohne ihn über den Freitag
wegkommen könnte. Ihr armen, lieben, glücklichen Protestanten -- er richtete seine
Bemerkung ein Fräulein Sandns -- habt keine Ahnung, wie oft der Freitag da
ist- Ich glaube, es gibt sieben Freitage in der Woche.

Susanna lachte leise; dort sin dem wundervollen, frischen, enganliegenden,
blaugrauen Gewand, mit feinen Krausen, Spitzen und Stickereien) saß sie in der
Ecke eines langen, roten Damastsofas, neben dem hübsch gedeckten Teetisch. Anthony,
der nahe bei ihr stand, sah ans sie hinab und war sich bewußt, daß er sehr be¬
friedigt und sehr sehnsüchtig in seinem Herzen war.

Wie prachtvoll sie ist. Gab es noch einmal solches Haar in der Welt? solche
Augen? solche Lippen? Wer hatte noch so ein Gewand? Und dann dieser schwache,
zarteste Duft, eine Erinnerung an Veilchen! -- Etwas dieser Art sang unbestimmt
in seinen Gedanken.

Aber Ihre Erfahrung? und Ihre Lebenserfahrung? Fräulein Sandns be¬
stand darauf.

Er hat sie rein vergessen, versicherte ihr Anthony.

Sie vergessen? Unsinn! warf ihm Adrian mit Verachtung vor. Aber Sie
sind alle so vorschnell. Man muß doch seine Gedanken sammeln. Es gibt fünfzig
mögliche Arten, eine Geschichte zu erzählen -- man muß die effektvollste aus¬
wähle". Und dann, wenn Sie so weit sind, hat das Leben so viele Erfahrungen
und so viele verschiedne Arten von Erfahrungen. Das Leben ist für den Menschen
mit offnen Augen eine Folge von vielfarbigen Überraschungen. Ich konnte niemals
und werde niemals verstehn können, wie es möglich ist, daß es Leute gibt, die es
langweilig finden. -- Was würden Sie dazu sagen -- er sah nach dein Flügel
hinüber --. wenn ich Ihnen ein kleines Lied sänge?

Sie sind unnachahmlich, aber Sie können einen zur Verzweiflung bringe"! --
Fräulein Sandns gab ihn mit einem resignierten Kopfschütteln auf.

Bitte, singen Sie uus ein kleines Lied! bat Susanna.

Er wandte sich tänzelnd zu dem Instrument. Aber mitten auf dem Wege
blieb er wieder stehn.

Ernst oder heiter, heilig oder profan? fragte er über die Schulter weg.

Irgend etwas -- was Sie wollen, antwortete Suscmnn.

Ich null Ihnen ein kleines Ave Maria singen, entschied er, worauf er anstatt
zu beginnen seinen Rücken halb gegen den Flügel drehte, halb seine Zuhörer ins
Auge faßte.

Wenn ein Musiker ein Ave Maria komponiert, belehrte er sie, so ist das,
was er versuchen sollte, dasselbe, was die feinen alten Meister des fünfzehnten
Jahrhunderts in Italien versuchten, wenn sie eine Verkündigung malten. Er sollte
darzustellen versuchen, wils man gehört haben würde, wenn man dabei gewesen
wäre, gerade so wie die Maler darzustellen versuchten, was man gesehen haben
würde. Nun, und was war das? Was würde man gehört haben? Was hörte
unsre heilige Jungfrau selbst? sehen Sie! Es war Frühling, und es war Abend.
Und sie saß in ihrem Garten. Und Gott sandte seinen Engel, der ihr die hohe
Botschaft verkündigen sollte. Aber sie sollte sich nicht fürchten. Sie, die Gott so
teuer war, das kleine fünfzehnjährige Mägdlein, voll Erstaunen, Schüchternheit und
Unschuld, sie durste nicht erschreckt werden. Sie saß in ihrem Garten, zwischen
ihren Lilien. Vögel sangen rings um sie her, ein Lüftchen säuselte leise in den
Palmen, ganz nahe plätscherte eine Quelle; vom Dorfe her hörte man das Ge¬
räusch vieler Stimmen. Alle die muntern, vertrauten Laute der Natur und des


Grenzboten III 1904 79
Gräfin Susanns

und wils ich durch sie lehre, lernte ich dnrch Kummer, Leichtfertig! Er warf
>vieder einen schwarzen Blick dem Beleidiger zu und hielt seine Tasse hin, um sie
zum drittenmal füllen zu lassen.

Gesegnet sei der Mann, der den Tee erfunden hat, murmelte er andächtig.
Besonders am Freitag — fuhr er fort, indem er sich an Susanna wandte —, ist
er da nicht ein Geschenk? Ich weiß nicht, wie man ohne ihn über den Freitag
wegkommen könnte. Ihr armen, lieben, glücklichen Protestanten — er richtete seine
Bemerkung ein Fräulein Sandns — habt keine Ahnung, wie oft der Freitag da
ist- Ich glaube, es gibt sieben Freitage in der Woche.

Susanna lachte leise; dort sin dem wundervollen, frischen, enganliegenden,
blaugrauen Gewand, mit feinen Krausen, Spitzen und Stickereien) saß sie in der
Ecke eines langen, roten Damastsofas, neben dem hübsch gedeckten Teetisch. Anthony,
der nahe bei ihr stand, sah ans sie hinab und war sich bewußt, daß er sehr be¬
friedigt und sehr sehnsüchtig in seinem Herzen war.

Wie prachtvoll sie ist. Gab es noch einmal solches Haar in der Welt? solche
Augen? solche Lippen? Wer hatte noch so ein Gewand? Und dann dieser schwache,
zarteste Duft, eine Erinnerung an Veilchen! — Etwas dieser Art sang unbestimmt
in seinen Gedanken.

Aber Ihre Erfahrung? und Ihre Lebenserfahrung? Fräulein Sandns be¬
stand darauf.

Er hat sie rein vergessen, versicherte ihr Anthony.

Sie vergessen? Unsinn! warf ihm Adrian mit Verachtung vor. Aber Sie
sind alle so vorschnell. Man muß doch seine Gedanken sammeln. Es gibt fünfzig
mögliche Arten, eine Geschichte zu erzählen — man muß die effektvollste aus¬
wähle». Und dann, wenn Sie so weit sind, hat das Leben so viele Erfahrungen
und so viele verschiedne Arten von Erfahrungen. Das Leben ist für den Menschen
mit offnen Augen eine Folge von vielfarbigen Überraschungen. Ich konnte niemals
und werde niemals verstehn können, wie es möglich ist, daß es Leute gibt, die es
langweilig finden. — Was würden Sie dazu sagen — er sah nach dein Flügel
hinüber —. wenn ich Ihnen ein kleines Lied sänge?

Sie sind unnachahmlich, aber Sie können einen zur Verzweiflung bringe»! —
Fräulein Sandns gab ihn mit einem resignierten Kopfschütteln auf.

Bitte, singen Sie uus ein kleines Lied! bat Susanna.

Er wandte sich tänzelnd zu dem Instrument. Aber mitten auf dem Wege
blieb er wieder stehn.

Ernst oder heiter, heilig oder profan? fragte er über die Schulter weg.

Irgend etwas — was Sie wollen, antwortete Suscmnn.

Ich null Ihnen ein kleines Ave Maria singen, entschied er, worauf er anstatt
zu beginnen seinen Rücken halb gegen den Flügel drehte, halb seine Zuhörer ins
Auge faßte.

Wenn ein Musiker ein Ave Maria komponiert, belehrte er sie, so ist das,
was er versuchen sollte, dasselbe, was die feinen alten Meister des fünfzehnten
Jahrhunderts in Italien versuchten, wenn sie eine Verkündigung malten. Er sollte
darzustellen versuchen, wils man gehört haben würde, wenn man dabei gewesen
wäre, gerade so wie die Maler darzustellen versuchten, was man gesehen haben
würde. Nun, und was war das? Was würde man gehört haben? Was hörte
unsre heilige Jungfrau selbst? sehen Sie! Es war Frühling, und es war Abend.
Und sie saß in ihrem Garten. Und Gott sandte seinen Engel, der ihr die hohe
Botschaft verkündigen sollte. Aber sie sollte sich nicht fürchten. Sie, die Gott so
teuer war, das kleine fünfzehnjährige Mägdlein, voll Erstaunen, Schüchternheit und
Unschuld, sie durste nicht erschreckt werden. Sie saß in ihrem Garten, zwischen
ihren Lilien. Vögel sangen rings um sie her, ein Lüftchen säuselte leise in den
Palmen, ganz nahe plätscherte eine Quelle; vom Dorfe her hörte man das Ge¬
räusch vieler Stimmen. Alle die muntern, vertrauten Laute der Natur und des


Grenzboten III 1904 79
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[0605] Gräfin Susanns und wils ich durch sie lehre, lernte ich dnrch Kummer, Leichtfertig! Er warf >vieder einen schwarzen Blick dem Beleidiger zu und hielt seine Tasse hin, um sie zum drittenmal füllen zu lassen. Gesegnet sei der Mann, der den Tee erfunden hat, murmelte er andächtig. Besonders am Freitag — fuhr er fort, indem er sich an Susanna wandte —, ist er da nicht ein Geschenk? Ich weiß nicht, wie man ohne ihn über den Freitag wegkommen könnte. Ihr armen, lieben, glücklichen Protestanten — er richtete seine Bemerkung ein Fräulein Sandns — habt keine Ahnung, wie oft der Freitag da ist- Ich glaube, es gibt sieben Freitage in der Woche. Susanna lachte leise; dort sin dem wundervollen, frischen, enganliegenden, blaugrauen Gewand, mit feinen Krausen, Spitzen und Stickereien) saß sie in der Ecke eines langen, roten Damastsofas, neben dem hübsch gedeckten Teetisch. Anthony, der nahe bei ihr stand, sah ans sie hinab und war sich bewußt, daß er sehr be¬ friedigt und sehr sehnsüchtig in seinem Herzen war. Wie prachtvoll sie ist. Gab es noch einmal solches Haar in der Welt? solche Augen? solche Lippen? Wer hatte noch so ein Gewand? Und dann dieser schwache, zarteste Duft, eine Erinnerung an Veilchen! — Etwas dieser Art sang unbestimmt in seinen Gedanken. Aber Ihre Erfahrung? und Ihre Lebenserfahrung? Fräulein Sandns be¬ stand darauf. Er hat sie rein vergessen, versicherte ihr Anthony. Sie vergessen? Unsinn! warf ihm Adrian mit Verachtung vor. Aber Sie sind alle so vorschnell. Man muß doch seine Gedanken sammeln. Es gibt fünfzig mögliche Arten, eine Geschichte zu erzählen — man muß die effektvollste aus¬ wähle». Und dann, wenn Sie so weit sind, hat das Leben so viele Erfahrungen und so viele verschiedne Arten von Erfahrungen. Das Leben ist für den Menschen mit offnen Augen eine Folge von vielfarbigen Überraschungen. Ich konnte niemals und werde niemals verstehn können, wie es möglich ist, daß es Leute gibt, die es langweilig finden. — Was würden Sie dazu sagen — er sah nach dein Flügel hinüber —. wenn ich Ihnen ein kleines Lied sänge? Sie sind unnachahmlich, aber Sie können einen zur Verzweiflung bringe»! — Fräulein Sandns gab ihn mit einem resignierten Kopfschütteln auf. Bitte, singen Sie uus ein kleines Lied! bat Susanna. Er wandte sich tänzelnd zu dem Instrument. Aber mitten auf dem Wege blieb er wieder stehn. Ernst oder heiter, heilig oder profan? fragte er über die Schulter weg. Irgend etwas — was Sie wollen, antwortete Suscmnn. Ich null Ihnen ein kleines Ave Maria singen, entschied er, worauf er anstatt zu beginnen seinen Rücken halb gegen den Flügel drehte, halb seine Zuhörer ins Auge faßte. Wenn ein Musiker ein Ave Maria komponiert, belehrte er sie, so ist das, was er versuchen sollte, dasselbe, was die feinen alten Meister des fünfzehnten Jahrhunderts in Italien versuchten, wenn sie eine Verkündigung malten. Er sollte darzustellen versuchen, wils man gehört haben würde, wenn man dabei gewesen wäre, gerade so wie die Maler darzustellen versuchten, was man gesehen haben würde. Nun, und was war das? Was würde man gehört haben? Was hörte unsre heilige Jungfrau selbst? sehen Sie! Es war Frühling, und es war Abend. Und sie saß in ihrem Garten. Und Gott sandte seinen Engel, der ihr die hohe Botschaft verkündigen sollte. Aber sie sollte sich nicht fürchten. Sie, die Gott so teuer war, das kleine fünfzehnjährige Mägdlein, voll Erstaunen, Schüchternheit und Unschuld, sie durste nicht erschreckt werden. Sie saß in ihrem Garten, zwischen ihren Lilien. Vögel sangen rings um sie her, ein Lüftchen säuselte leise in den Palmen, ganz nahe plätscherte eine Quelle; vom Dorfe her hörte man das Ge¬ räusch vieler Stimmen. Alle die muntern, vertrauten Laute der Natur und des Grenzboten III 1904 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/605>, abgerufen am 23.07.2024.