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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Ivcmderuilgen in der Niederlausitz

fruchtbare uiid liebliche Gefilde geschaffen. Will man aber die alte Landesnatur,
das "Toberlu" Walthers von der Vogelweide kennen lernen, so muß man die
südlich von Dobrilugk liegenden Forsten, die alten Grenzwälder der Lausitz gegen
die Mark Meißen, durchstreifen. Zu diesem Zwecke hatte mir der freundliche Post¬
meister des Städtchens den einzigen Passagiersitz der am Morgen von der Bahn¬
station Nückersdorf in die benachbarten Walddörfer fahrenden Karriolpost zur Ver¬
fügung gestellt. So zog uns, den Schwager Postillon und mich, an einem
wunderschönen Oktobermorgen ein rüstiger Brauner durch deu sandigen, oft schön
verästelten Kiefernwald nach Opvelhciin, einem alten Klosterdorf, das Bodo von
Mburg im Jahre 1297 mit Schadewitz und der beide Dörfer unigebenden Heide
für 275 Mark Freiberger Silbers an Dobrilugk verkaufte. Es ist noch heute ein
langgestrecktes Waldbauerndorf ohne Rittergut mit einstöckigen Gehöften, überragt
von einer kleinen, auf wildverwachsener Anhöhe halb versteckten Kirche. Als wir
weiter fuhren, spähte ich vergebens nach dem in der Urkunde genannten Grenzbach
"Thorineke," nach dem Orte "Gork, caval tböotouiee Horst vocatur," nach "Nachoz,
cznocl etiam clioitur Horst" und andern Grenzmalen. Welche lockende Aufgabe
für einen Geschichtsfreund, mit Hilfe alter Flurkarten, mündlicher Überlieferung und
eigner topographischer Forschung alle die in den Dobrilugker Urkunden vorkommenden
Ortsnamen richtig zu lokalisieren und zu deuten! Unterdessen sind wir um das
zwischen Oppelhain und Gordon liegende sumpfige Gelände herumgekommen und fahren
in dieses Dorf ein: es liegt recht ansehnlich auf einer großen Wnldblöße, von Wind¬
mühlen umgeben. Nach einer Urkunde von 1394 bestand zwischen deu Herzögen
von Sachsen-Wittenberg und Dobrilugk ein Streit um das Dorf "Jordan und daz
holtz genant Lug, daz hinder dem solbin dorse gelegen ist"; das Dorf heißt heute
im Volksmuude "Görne," das von Sümpfe" dnrchzogne Holz aber noch immer
der Lues oder Lauch. Dahin führte mich des Gordoner Gastwirts blondes Töchterlein.
Denn ich wollte im Lauch das nicht eben leicht zu findende Waldatelier des Malers
Schreyer aufsuchen, dem ich schon längst einen Besuch schuldig war. An dem Punkte,
wo sich von dein südwärts leitenden Hauptwege rechts ein schmaler Fußweg trennt,
verließ mich meine kleine Führerin, und nun wanderte ich einsam weiter dnrch die
Wildnis den Floßgraben entlang, der einst den Holzreichtum der Fiusterwalder und
Dobrilugker Forsten über Elsterwerda zur Elbe führte. Kaum war ich ein Viertel¬
stündchen weitergegangen, da sah ich plötzlich Tisch und Bank auf grünem Nasen
und dicht dabei ein braunes Holzhänschen friedlich nnter dem Schutze des nach
allen Seiten vorspringenden Walmdaches liegen. Als ich näher kam, bewiesen mir
eine mit einem Drahtgitter verschlossene Laube voll getrockneter Torfziegel, eine ans
Steinen vor dem Hause errichtete Feuerstätte und zwei Aschenhaufen, daß die Siedlung
bewohnt war. Das große nach Norden gerichtete Fenster und einige blane und
gelbe Ölfarbenkleckse am Holzwerk verraten das Maleratelier. Aber vergebens klopfe
ich in immer stärkerer Tonart an Tür und Fenster, der Vogel ist ausgeflogen.
Trotzdem setze ich mich auf die Bank am Tische, und indem ich das vorsichtigerweise
aus Gordon mitgebrachte Schinkenbrot verzehre, ruhe ich mich ans und sauge die
ganze Anmut und den stillen Zauber dieses Plätzchens in mich ein. Über mir spannt
sich azurblau der wolkenlose Himmel, um mich her flutet warmer Sonnenschein, webt
lautlose Stille, nur eine späte Grille zirpt im nahen Ginsterbusch. Wie wonnesam
ist es doch an solchem Tage in dieser Waldeinsamkeit. Schreyers Blockhaus steht
dicht am Floßgraben in einer kleinen, runden Lichtung; wie Wächter und Schützer
stehen die dunkeln Kiefern und hellen Birken rings im Kreise, fast andächtig, als
wüßten sie, wie sehr sie der Meister liebt, und wie er es versteht, sie in der
wechselnden Beleuchtung der Gezeiten so zu idealisieren, daß dann ihr Konterfei
würdig erscheint, in berühmten Galerien einen hervorragenden Platz einzunehmen-
Wenn Walther von der Vogelweide eins der Lauchbilder sehen könnte, die hier
unter geheimnisvoller Mitwirkung der Natur und des Himmelslichtes entsteh,!, er
würde versöhnt aus den Dobrilugker Wäldern scheiden und drunten im malerische",


Ivcmderuilgen in der Niederlausitz

fruchtbare uiid liebliche Gefilde geschaffen. Will man aber die alte Landesnatur,
das „Toberlu" Walthers von der Vogelweide kennen lernen, so muß man die
südlich von Dobrilugk liegenden Forsten, die alten Grenzwälder der Lausitz gegen
die Mark Meißen, durchstreifen. Zu diesem Zwecke hatte mir der freundliche Post¬
meister des Städtchens den einzigen Passagiersitz der am Morgen von der Bahn¬
station Nückersdorf in die benachbarten Walddörfer fahrenden Karriolpost zur Ver¬
fügung gestellt. So zog uns, den Schwager Postillon und mich, an einem
wunderschönen Oktobermorgen ein rüstiger Brauner durch deu sandigen, oft schön
verästelten Kiefernwald nach Opvelhciin, einem alten Klosterdorf, das Bodo von
Mburg im Jahre 1297 mit Schadewitz und der beide Dörfer unigebenden Heide
für 275 Mark Freiberger Silbers an Dobrilugk verkaufte. Es ist noch heute ein
langgestrecktes Waldbauerndorf ohne Rittergut mit einstöckigen Gehöften, überragt
von einer kleinen, auf wildverwachsener Anhöhe halb versteckten Kirche. Als wir
weiter fuhren, spähte ich vergebens nach dem in der Urkunde genannten Grenzbach
„Thorineke," nach dem Orte „Gork, caval tböotouiee Horst vocatur," nach „Nachoz,
cznocl etiam clioitur Horst" und andern Grenzmalen. Welche lockende Aufgabe
für einen Geschichtsfreund, mit Hilfe alter Flurkarten, mündlicher Überlieferung und
eigner topographischer Forschung alle die in den Dobrilugker Urkunden vorkommenden
Ortsnamen richtig zu lokalisieren und zu deuten! Unterdessen sind wir um das
zwischen Oppelhain und Gordon liegende sumpfige Gelände herumgekommen und fahren
in dieses Dorf ein: es liegt recht ansehnlich auf einer großen Wnldblöße, von Wind¬
mühlen umgeben. Nach einer Urkunde von 1394 bestand zwischen deu Herzögen
von Sachsen-Wittenberg und Dobrilugk ein Streit um das Dorf „Jordan und daz
holtz genant Lug, daz hinder dem solbin dorse gelegen ist"; das Dorf heißt heute
im Volksmuude „Görne," das von Sümpfe» dnrchzogne Holz aber noch immer
der Lues oder Lauch. Dahin führte mich des Gordoner Gastwirts blondes Töchterlein.
Denn ich wollte im Lauch das nicht eben leicht zu findende Waldatelier des Malers
Schreyer aufsuchen, dem ich schon längst einen Besuch schuldig war. An dem Punkte,
wo sich von dein südwärts leitenden Hauptwege rechts ein schmaler Fußweg trennt,
verließ mich meine kleine Führerin, und nun wanderte ich einsam weiter dnrch die
Wildnis den Floßgraben entlang, der einst den Holzreichtum der Fiusterwalder und
Dobrilugker Forsten über Elsterwerda zur Elbe führte. Kaum war ich ein Viertel¬
stündchen weitergegangen, da sah ich plötzlich Tisch und Bank auf grünem Nasen
und dicht dabei ein braunes Holzhänschen friedlich nnter dem Schutze des nach
allen Seiten vorspringenden Walmdaches liegen. Als ich näher kam, bewiesen mir
eine mit einem Drahtgitter verschlossene Laube voll getrockneter Torfziegel, eine ans
Steinen vor dem Hause errichtete Feuerstätte und zwei Aschenhaufen, daß die Siedlung
bewohnt war. Das große nach Norden gerichtete Fenster und einige blane und
gelbe Ölfarbenkleckse am Holzwerk verraten das Maleratelier. Aber vergebens klopfe
ich in immer stärkerer Tonart an Tür und Fenster, der Vogel ist ausgeflogen.
Trotzdem setze ich mich auf die Bank am Tische, und indem ich das vorsichtigerweise
aus Gordon mitgebrachte Schinkenbrot verzehre, ruhe ich mich ans und sauge die
ganze Anmut und den stillen Zauber dieses Plätzchens in mich ein. Über mir spannt
sich azurblau der wolkenlose Himmel, um mich her flutet warmer Sonnenschein, webt
lautlose Stille, nur eine späte Grille zirpt im nahen Ginsterbusch. Wie wonnesam
ist es doch an solchem Tage in dieser Waldeinsamkeit. Schreyers Blockhaus steht
dicht am Floßgraben in einer kleinen, runden Lichtung; wie Wächter und Schützer
stehen die dunkeln Kiefern und hellen Birken rings im Kreise, fast andächtig, als
wüßten sie, wie sehr sie der Meister liebt, und wie er es versteht, sie in der
wechselnden Beleuchtung der Gezeiten so zu idealisieren, daß dann ihr Konterfei
würdig erscheint, in berühmten Galerien einen hervorragenden Platz einzunehmen-
Wenn Walther von der Vogelweide eins der Lauchbilder sehen könnte, die hier
unter geheimnisvoller Mitwirkung der Natur und des Himmelslichtes entsteh,!, er
würde versöhnt aus den Dobrilugker Wäldern scheiden und drunten im malerische»,


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[0600] Ivcmderuilgen in der Niederlausitz fruchtbare uiid liebliche Gefilde geschaffen. Will man aber die alte Landesnatur, das „Toberlu" Walthers von der Vogelweide kennen lernen, so muß man die südlich von Dobrilugk liegenden Forsten, die alten Grenzwälder der Lausitz gegen die Mark Meißen, durchstreifen. Zu diesem Zwecke hatte mir der freundliche Post¬ meister des Städtchens den einzigen Passagiersitz der am Morgen von der Bahn¬ station Nückersdorf in die benachbarten Walddörfer fahrenden Karriolpost zur Ver¬ fügung gestellt. So zog uns, den Schwager Postillon und mich, an einem wunderschönen Oktobermorgen ein rüstiger Brauner durch deu sandigen, oft schön verästelten Kiefernwald nach Opvelhciin, einem alten Klosterdorf, das Bodo von Mburg im Jahre 1297 mit Schadewitz und der beide Dörfer unigebenden Heide für 275 Mark Freiberger Silbers an Dobrilugk verkaufte. Es ist noch heute ein langgestrecktes Waldbauerndorf ohne Rittergut mit einstöckigen Gehöften, überragt von einer kleinen, auf wildverwachsener Anhöhe halb versteckten Kirche. Als wir weiter fuhren, spähte ich vergebens nach dem in der Urkunde genannten Grenzbach „Thorineke," nach dem Orte „Gork, caval tböotouiee Horst vocatur," nach „Nachoz, cznocl etiam clioitur Horst" und andern Grenzmalen. Welche lockende Aufgabe für einen Geschichtsfreund, mit Hilfe alter Flurkarten, mündlicher Überlieferung und eigner topographischer Forschung alle die in den Dobrilugker Urkunden vorkommenden Ortsnamen richtig zu lokalisieren und zu deuten! Unterdessen sind wir um das zwischen Oppelhain und Gordon liegende sumpfige Gelände herumgekommen und fahren in dieses Dorf ein: es liegt recht ansehnlich auf einer großen Wnldblöße, von Wind¬ mühlen umgeben. Nach einer Urkunde von 1394 bestand zwischen deu Herzögen von Sachsen-Wittenberg und Dobrilugk ein Streit um das Dorf „Jordan und daz holtz genant Lug, daz hinder dem solbin dorse gelegen ist"; das Dorf heißt heute im Volksmuude „Görne," das von Sümpfe» dnrchzogne Holz aber noch immer der Lues oder Lauch. Dahin führte mich des Gordoner Gastwirts blondes Töchterlein. Denn ich wollte im Lauch das nicht eben leicht zu findende Waldatelier des Malers Schreyer aufsuchen, dem ich schon längst einen Besuch schuldig war. An dem Punkte, wo sich von dein südwärts leitenden Hauptwege rechts ein schmaler Fußweg trennt, verließ mich meine kleine Führerin, und nun wanderte ich einsam weiter dnrch die Wildnis den Floßgraben entlang, der einst den Holzreichtum der Fiusterwalder und Dobrilugker Forsten über Elsterwerda zur Elbe führte. Kaum war ich ein Viertel¬ stündchen weitergegangen, da sah ich plötzlich Tisch und Bank auf grünem Nasen und dicht dabei ein braunes Holzhänschen friedlich nnter dem Schutze des nach allen Seiten vorspringenden Walmdaches liegen. Als ich näher kam, bewiesen mir eine mit einem Drahtgitter verschlossene Laube voll getrockneter Torfziegel, eine ans Steinen vor dem Hause errichtete Feuerstätte und zwei Aschenhaufen, daß die Siedlung bewohnt war. Das große nach Norden gerichtete Fenster und einige blane und gelbe Ölfarbenkleckse am Holzwerk verraten das Maleratelier. Aber vergebens klopfe ich in immer stärkerer Tonart an Tür und Fenster, der Vogel ist ausgeflogen. Trotzdem setze ich mich auf die Bank am Tische, und indem ich das vorsichtigerweise aus Gordon mitgebrachte Schinkenbrot verzehre, ruhe ich mich ans und sauge die ganze Anmut und den stillen Zauber dieses Plätzchens in mich ein. Über mir spannt sich azurblau der wolkenlose Himmel, um mich her flutet warmer Sonnenschein, webt lautlose Stille, nur eine späte Grille zirpt im nahen Ginsterbusch. Wie wonnesam ist es doch an solchem Tage in dieser Waldeinsamkeit. Schreyers Blockhaus steht dicht am Floßgraben in einer kleinen, runden Lichtung; wie Wächter und Schützer stehen die dunkeln Kiefern und hellen Birken rings im Kreise, fast andächtig, als wüßten sie, wie sehr sie der Meister liebt, und wie er es versteht, sie in der wechselnden Beleuchtung der Gezeiten so zu idealisieren, daß dann ihr Konterfei würdig erscheint, in berühmten Galerien einen hervorragenden Platz einzunehmen- Wenn Walther von der Vogelweide eins der Lauchbilder sehen könnte, die hier unter geheimnisvoller Mitwirkung der Natur und des Himmelslichtes entsteh,!, er würde versöhnt aus den Dobrilugker Wäldern scheiden und drunten im malerische»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/600>, abgerufen am 26.06.2024.