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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eduard und dem deutschen Reichskanzler stattgefunden haben, kann in Petersburg
niemand wissen. Sollte es der Fall gewesen sein, so waren alle in Betracht
kommenden Persönlichkeiten sicherlich darüber einig, daß der Augenblick für
eine Vermittlung jedenfalls noch nicht gekommen sei. Um so weniger konnten
Bedingungen für eine solche diskutiert werden, die doch von dem Zeitpunkt
selbst und von der dann vorhandnen Lage, sowohl auf dem Kriegsschauplatz
als auch in den heimischen Ressourcen der beiden Kriegführenden, sehr abhängig
sein würden. Auch die keineswegs völlig übereinstimmenden Interessen der
europäischen Mächte spielen dabei eine Rolle. England betrachtet ein Zurückdrängen
der russischen Macht in Ostasien als in seinem Interesse liegend, sonst würde es
mit Japan kein Bündnis eingegangen sein; zugleich ist ihm aber sehr lieb, daß
dieses Zurückdrängen von den Japanern und ohne Risiko für England versucht
Wird. Die ziemlich verbreitete Annahme, daß jeder japanische Schlag gegen Ruß-
land von allen europäischen Mächten mitempfunden werden müsse, scheint in den
leitenden Kreisen Großbritanniens vorläufig nicht geteilt zu werden. Nach englischer
Auffassung wird Japan, auch wenn es siegreich ist, doch sehr geschwächt aus diesem
Kriege hervorgehn und dann einer Anlehnung an Großbritannien um so mehr
bedürfen; im andern Falle weiß sich England einem Japan gegenüber, das nach
dem Kriege eine antieuropäische "Politik der gelben Rasse" aufnehmen würde, ge¬
nügend stark, mit oder ohne europäische Verbündete einer solchen Richtung der
japanischen Politik Zügel anzulegen. Ebenso scheint die in England vorhandne
starke auf eine Verständigung mit Rußland gerichtete Strömung damit zu rechnen,
daß Rußland nach dem Siege zu einer Verständigung viel geneigter sein, gegen¬
wärtig aber jede Anregung in diesem Sinne als eine dem beabsichtigten Zweck
wenig dienliche Kränkung empfinden würde. Die sehr lebhaften englischen Neigungen
und Sympathien des russischen Kaisers dürfen von englischer Seite nicht in einen
Gegensatz zum russischen Nationalgefühl gebracht werden.

Wie sich also das Kriegsglück in Ostasien schließlich auch entscheiden mag, die
englische Politik wird jeder Situation Bordelle abzugewinnen wissen, sie hat deshalb
ganz und gar keinen Anlaß, einen der beiden Kriegführenden durch voreilige Ver¬
mittlungsanerbieten zu verstimmen. Diesen Anlaß hat aber auch Deutschland nicht.
Eine Erörterung der Lage in Ostasien während der Kieler Begegnung könnte somit
höchstens zu der Übereinstimmung geführt haben, daß eine Vermittlung mindestens so
lange ausgeschlossen ist, als nicht einer der beiden Kriegführenden sie nachsucht. Auch
dann würde sie immer noch fraglich und von vielen Umständen abhängig sein. Damit
scheidet jeder direkte Einfluß der Kieler Begegnung auf den weitern Verlauf des russisch-
japcmischen Gegensatzes einstweilen vollständig aus; er ist auch von keiner Seite in
irgend einem Augenblick beabsichtigt gewesen. Ein Privater Gedankenaustausch über den
bisherigen Gang des Krieges war dabei selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Aber von
deutscher Seite war dabei zu berücksichtigen, daß Deutschland in diesem Kriege eine streng
neutrale Macht, England der vertragsmäßig Verbündete Japans ist, und daß die Inter¬
essen der beiden Länder in bezug aus Rußlands Stellung in Ostasien nicht kongruent sind.

Der preußische Landtag ist dem Reichstage in die Ferien nachgefolgt. Das
Abgeordnetenhaus hat mit dem Reichstage gemeinsam, daß es die Hälfte seiner
Zeit auf unendliche Etatsdebatten verwandt hat. Die Spalten des stenographischen
Berichts, die beim Reichstage die ansehnliche Zahl von 6500 erreichen -- fünf¬
undsechzig Spalten Rede für jede Sitzung! --, steigen beim Abgeordnetenhause
sogar auf 6600. Macht also mehr als 13000 Spalten Reden, die innerhalb von
sechs Monaten in Berlin gehalten worden sind, das Herrenhaus hat dazu dann
noch 1100 beigetragen. Welche Zeitvergeudung liegt in dieser Art von Parla¬
mentarismus! -- Die wichtigste Leistung, die der Landtag zustande gebracht hat,
war das Ansiedlungsgesetz, das den deutsch-polnischen Gegensatz im preußischen
Abgeordnetenhause von neuem in seinen Tiefen aufrührte. Das Zentrum hat bei
diesem Anlaß wieder einmal mit den Polen gemeinsame Sache gemacht und dabei
wohl der Tatsache Rechnung getragen, daß die polnischen Landbanken, durch deren


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eduard und dem deutschen Reichskanzler stattgefunden haben, kann in Petersburg
niemand wissen. Sollte es der Fall gewesen sein, so waren alle in Betracht
kommenden Persönlichkeiten sicherlich darüber einig, daß der Augenblick für
eine Vermittlung jedenfalls noch nicht gekommen sei. Um so weniger konnten
Bedingungen für eine solche diskutiert werden, die doch von dem Zeitpunkt
selbst und von der dann vorhandnen Lage, sowohl auf dem Kriegsschauplatz
als auch in den heimischen Ressourcen der beiden Kriegführenden, sehr abhängig
sein würden. Auch die keineswegs völlig übereinstimmenden Interessen der
europäischen Mächte spielen dabei eine Rolle. England betrachtet ein Zurückdrängen
der russischen Macht in Ostasien als in seinem Interesse liegend, sonst würde es
mit Japan kein Bündnis eingegangen sein; zugleich ist ihm aber sehr lieb, daß
dieses Zurückdrängen von den Japanern und ohne Risiko für England versucht
Wird. Die ziemlich verbreitete Annahme, daß jeder japanische Schlag gegen Ruß-
land von allen europäischen Mächten mitempfunden werden müsse, scheint in den
leitenden Kreisen Großbritanniens vorläufig nicht geteilt zu werden. Nach englischer
Auffassung wird Japan, auch wenn es siegreich ist, doch sehr geschwächt aus diesem
Kriege hervorgehn und dann einer Anlehnung an Großbritannien um so mehr
bedürfen; im andern Falle weiß sich England einem Japan gegenüber, das nach
dem Kriege eine antieuropäische „Politik der gelben Rasse" aufnehmen würde, ge¬
nügend stark, mit oder ohne europäische Verbündete einer solchen Richtung der
japanischen Politik Zügel anzulegen. Ebenso scheint die in England vorhandne
starke auf eine Verständigung mit Rußland gerichtete Strömung damit zu rechnen,
daß Rußland nach dem Siege zu einer Verständigung viel geneigter sein, gegen¬
wärtig aber jede Anregung in diesem Sinne als eine dem beabsichtigten Zweck
wenig dienliche Kränkung empfinden würde. Die sehr lebhaften englischen Neigungen
und Sympathien des russischen Kaisers dürfen von englischer Seite nicht in einen
Gegensatz zum russischen Nationalgefühl gebracht werden.

Wie sich also das Kriegsglück in Ostasien schließlich auch entscheiden mag, die
englische Politik wird jeder Situation Bordelle abzugewinnen wissen, sie hat deshalb
ganz und gar keinen Anlaß, einen der beiden Kriegführenden durch voreilige Ver¬
mittlungsanerbieten zu verstimmen. Diesen Anlaß hat aber auch Deutschland nicht.
Eine Erörterung der Lage in Ostasien während der Kieler Begegnung könnte somit
höchstens zu der Übereinstimmung geführt haben, daß eine Vermittlung mindestens so
lange ausgeschlossen ist, als nicht einer der beiden Kriegführenden sie nachsucht. Auch
dann würde sie immer noch fraglich und von vielen Umständen abhängig sein. Damit
scheidet jeder direkte Einfluß der Kieler Begegnung auf den weitern Verlauf des russisch-
japcmischen Gegensatzes einstweilen vollständig aus; er ist auch von keiner Seite in
irgend einem Augenblick beabsichtigt gewesen. Ein Privater Gedankenaustausch über den
bisherigen Gang des Krieges war dabei selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Aber von
deutscher Seite war dabei zu berücksichtigen, daß Deutschland in diesem Kriege eine streng
neutrale Macht, England der vertragsmäßig Verbündete Japans ist, und daß die Inter¬
essen der beiden Länder in bezug aus Rußlands Stellung in Ostasien nicht kongruent sind.

Der preußische Landtag ist dem Reichstage in die Ferien nachgefolgt. Das
Abgeordnetenhaus hat mit dem Reichstage gemeinsam, daß es die Hälfte seiner
Zeit auf unendliche Etatsdebatten verwandt hat. Die Spalten des stenographischen
Berichts, die beim Reichstage die ansehnliche Zahl von 6500 erreichen — fünf¬
undsechzig Spalten Rede für jede Sitzung! —, steigen beim Abgeordnetenhause
sogar auf 6600. Macht also mehr als 13000 Spalten Reden, die innerhalb von
sechs Monaten in Berlin gehalten worden sind, das Herrenhaus hat dazu dann
noch 1100 beigetragen. Welche Zeitvergeudung liegt in dieser Art von Parla¬
mentarismus! — Die wichtigste Leistung, die der Landtag zustande gebracht hat,
war das Ansiedlungsgesetz, das den deutsch-polnischen Gegensatz im preußischen
Abgeordnetenhause von neuem in seinen Tiefen aufrührte. Das Zentrum hat bei
diesem Anlaß wieder einmal mit den Polen gemeinsame Sache gemacht und dabei
wohl der Tatsache Rechnung getragen, daß die polnischen Landbanken, durch deren


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[0060] Maßgebliches und Unmaßgebliches Eduard und dem deutschen Reichskanzler stattgefunden haben, kann in Petersburg niemand wissen. Sollte es der Fall gewesen sein, so waren alle in Betracht kommenden Persönlichkeiten sicherlich darüber einig, daß der Augenblick für eine Vermittlung jedenfalls noch nicht gekommen sei. Um so weniger konnten Bedingungen für eine solche diskutiert werden, die doch von dem Zeitpunkt selbst und von der dann vorhandnen Lage, sowohl auf dem Kriegsschauplatz als auch in den heimischen Ressourcen der beiden Kriegführenden, sehr abhängig sein würden. Auch die keineswegs völlig übereinstimmenden Interessen der europäischen Mächte spielen dabei eine Rolle. England betrachtet ein Zurückdrängen der russischen Macht in Ostasien als in seinem Interesse liegend, sonst würde es mit Japan kein Bündnis eingegangen sein; zugleich ist ihm aber sehr lieb, daß dieses Zurückdrängen von den Japanern und ohne Risiko für England versucht Wird. Die ziemlich verbreitete Annahme, daß jeder japanische Schlag gegen Ruß- land von allen europäischen Mächten mitempfunden werden müsse, scheint in den leitenden Kreisen Großbritanniens vorläufig nicht geteilt zu werden. Nach englischer Auffassung wird Japan, auch wenn es siegreich ist, doch sehr geschwächt aus diesem Kriege hervorgehn und dann einer Anlehnung an Großbritannien um so mehr bedürfen; im andern Falle weiß sich England einem Japan gegenüber, das nach dem Kriege eine antieuropäische „Politik der gelben Rasse" aufnehmen würde, ge¬ nügend stark, mit oder ohne europäische Verbündete einer solchen Richtung der japanischen Politik Zügel anzulegen. Ebenso scheint die in England vorhandne starke auf eine Verständigung mit Rußland gerichtete Strömung damit zu rechnen, daß Rußland nach dem Siege zu einer Verständigung viel geneigter sein, gegen¬ wärtig aber jede Anregung in diesem Sinne als eine dem beabsichtigten Zweck wenig dienliche Kränkung empfinden würde. Die sehr lebhaften englischen Neigungen und Sympathien des russischen Kaisers dürfen von englischer Seite nicht in einen Gegensatz zum russischen Nationalgefühl gebracht werden. Wie sich also das Kriegsglück in Ostasien schließlich auch entscheiden mag, die englische Politik wird jeder Situation Bordelle abzugewinnen wissen, sie hat deshalb ganz und gar keinen Anlaß, einen der beiden Kriegführenden durch voreilige Ver¬ mittlungsanerbieten zu verstimmen. Diesen Anlaß hat aber auch Deutschland nicht. Eine Erörterung der Lage in Ostasien während der Kieler Begegnung könnte somit höchstens zu der Übereinstimmung geführt haben, daß eine Vermittlung mindestens so lange ausgeschlossen ist, als nicht einer der beiden Kriegführenden sie nachsucht. Auch dann würde sie immer noch fraglich und von vielen Umständen abhängig sein. Damit scheidet jeder direkte Einfluß der Kieler Begegnung auf den weitern Verlauf des russisch- japcmischen Gegensatzes einstweilen vollständig aus; er ist auch von keiner Seite in irgend einem Augenblick beabsichtigt gewesen. Ein Privater Gedankenaustausch über den bisherigen Gang des Krieges war dabei selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Aber von deutscher Seite war dabei zu berücksichtigen, daß Deutschland in diesem Kriege eine streng neutrale Macht, England der vertragsmäßig Verbündete Japans ist, und daß die Inter¬ essen der beiden Länder in bezug aus Rußlands Stellung in Ostasien nicht kongruent sind. Der preußische Landtag ist dem Reichstage in die Ferien nachgefolgt. Das Abgeordnetenhaus hat mit dem Reichstage gemeinsam, daß es die Hälfte seiner Zeit auf unendliche Etatsdebatten verwandt hat. Die Spalten des stenographischen Berichts, die beim Reichstage die ansehnliche Zahl von 6500 erreichen — fünf¬ undsechzig Spalten Rede für jede Sitzung! —, steigen beim Abgeordnetenhause sogar auf 6600. Macht also mehr als 13000 Spalten Reden, die innerhalb von sechs Monaten in Berlin gehalten worden sind, das Herrenhaus hat dazu dann noch 1100 beigetragen. Welche Zeitvergeudung liegt in dieser Art von Parla¬ mentarismus! — Die wichtigste Leistung, die der Landtag zustande gebracht hat, war das Ansiedlungsgesetz, das den deutsch-polnischen Gegensatz im preußischen Abgeordnetenhause von neuem in seinen Tiefen aufrührte. Das Zentrum hat bei diesem Anlaß wieder einmal mit den Polen gemeinsame Sache gemacht und dabei wohl der Tatsache Rechnung getragen, daß die polnischen Landbanken, durch deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/60>, abgerufen am 23.07.2024.