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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Ganners

kann nur noch übertroffen werden durch die etwa von Gaunern selbst -- unter
ausdrücklicher Versicherung der Zuverlässigkeit -- angefertigten Verzeichnisse rot-
welscher Vokabeln. Leider gibt es nur eine einzige solche Arbeit, die somit als
"die originellste Erscheinung auf dem Gebiete der Linguistik überhaupt" (Avi-
Lallemcmt) bezeichnet werden darf: es ist das Wörterbuch des sogenannten "Konstnnzer
Hans," alias Johann Baptist Herrenberger, eines seinerzeit gefürchteten schwäbischen
Gauners, das im Jahre 1791 unter dem Titel "Wahrhafte Entdeckung der Jciuner-
oder Jenischeu Sprache" zu Sulz am Neckar erschienen ist und sein Entsteh" wohl
einer Anregung des um die Erforschung des deutschen Gaunertums hochverdienten
württembergischen Oberamtmanns Georg Jakob Schäffer verdankt.

Sehr produktiv ist endlich die Schnftstellerei über Gaunersprache im neun¬
zehnten Jahrhundert gewesen. Gerade in dieser Zeit ist darüber aber anch recht
viel Unbrauchbares und Seichtes zutage gefördert worden, von sinnlosen Plagiaten,
ja absichtlichen Fälschungen ganz zu schweigen. Will man einzelne Autoren, die
schon vor Ave-Lallemand auf diesem Gebiet einigermaßen Ersprießliches geleistet
haben, besonders hervorheben, so dürften -- neben dein Dichter Hoffmann von
Fallersleben und dem Philologen A. F. Pott in Halle -- etwa folgende Juristen
an erster Stelle zu nennen sein: der hmmoversche Amtsschreiber Mejer (1807),
der Heidelberger Stadtdirektor Ludwig Pfister (1812). der Kieler Polizeimeister
Justizrat C. D. Christenseu (1814), der schon früher erwähnte Gießener Hofgerichts¬
rat Fr. L. A. von Grolmann (Wörterbuch der Gaunersprache, 1822), der ober¬
österreichische Amtsshndikus Cajetan Karmayer zu Freistadt (dessen 1835 nieder-
geschriebne, sehr umfangreiche Sammlung rotwelscher Wörter erst 1899 durch H, Groß
bekannt gemacht worden ist), endlich C. W. Zimmermann, der 1847 die erste um¬
fassendere Wortliste der besonders interessanten Berliner Verbrechersprache ver¬
öffentlicht hat.

Aber eine neue Periode hat doch erst Avü-Lallemand mit seinem "Deutschen
Gcmnertnm" eingeleitet. Daß sich freilich auch an diesem Werke vom streng philo¬
logischen Standpunkt aus noch gar manches ausietzeu läßt, zeigte schon die scharfe
Kritik des Wiener Bibliothekars Josef Maria Wagner im Jahre 1863 (in Herrigs
"Archiv für das Studium der neuer" Sprachen" usw.), worin mit Recht namentlich
einzelne allzu gekünstelte Etymologien getadelt waren, zu denen den Versasser seine
"fast krankhafte" Sucht verleitet hat, womöglich überall, auch bei ganz harmlosen
Wörtern aus unsrer Muttersprache, hebräischen Ursprung zu wittern. Er hat es
zum Beispiel fertig gebracht, dem ehrlichen -- wenn mich nicht ganz deatschen,
so doch jedenfalls christlichen -- "stosset" (stösset, Töffel oder Töffel), einer
Abkürzung der Deminntivform des Eigennamens Christoph (Christusträgerj, israe¬
litische Abstammung anzudichten und deu auch der gewöhnlichen Umgangssprache
längst bekannten "Kläffer" auf das jüdische Wort "Ksicw," Hund, zurückzuführen.
Aber diese und andre Schwächen der Arbeit -- wie die zahlreichen Weit¬
schweifigkeiten und Wiederholungen -- müssen im ganzen doch zurücktreten hinter
ihren Vorzügen und Verdienste", die, außer in der Mitteilung wichtiger, zum
Teil sogar noch unbekannt gewesener Quellen, vor allem darin gesehen werden
dürfen, daß hier zum erstenmal eine zusammenhängende, für ihre Zeit fast erschöpfende
und gleichsam auf psychologischer Grundlage aufgebaute Darstellung der deutschen
Gannersprache gegeben ist, wie sie in ähnlichem Umfange bis dahin sogar von
den Philologen noch nicht unternommen worden war. Überhaupt bewahrten die
Sprachforscher anch nach Ave-Lallemants Buch, das die Jurisie" sofort ebenso
fleißig wie unselbständig ab- und auszuschreiben begannen, zunächst uoch durchweg
ihre kühle Zurückhnltuug gegenüber dem Notwelsch. Erst die Gegenwart hat
hierin gründlichen Wandel geschafft. Ungefähr um dieselbe Zeit, als der öster¬
reichische Kriminalist Hanns Groß, zurzeit Professor des Strafrechts an der
deutschen Universität in Prag, durch mehrere selbständige Veröffentlichungen über
die Gannersprache die Juristen aufs neue auf den inzwischen auch bei ihnen etwas


Das „Rotwelsch" des deutschen Ganners

kann nur noch übertroffen werden durch die etwa von Gaunern selbst — unter
ausdrücklicher Versicherung der Zuverlässigkeit — angefertigten Verzeichnisse rot-
welscher Vokabeln. Leider gibt es nur eine einzige solche Arbeit, die somit als
„die originellste Erscheinung auf dem Gebiete der Linguistik überhaupt" (Avi-
Lallemcmt) bezeichnet werden darf: es ist das Wörterbuch des sogenannten „Konstnnzer
Hans," alias Johann Baptist Herrenberger, eines seinerzeit gefürchteten schwäbischen
Gauners, das im Jahre 1791 unter dem Titel „Wahrhafte Entdeckung der Jciuner-
oder Jenischeu Sprache" zu Sulz am Neckar erschienen ist und sein Entsteh» wohl
einer Anregung des um die Erforschung des deutschen Gaunertums hochverdienten
württembergischen Oberamtmanns Georg Jakob Schäffer verdankt.

Sehr produktiv ist endlich die Schnftstellerei über Gaunersprache im neun¬
zehnten Jahrhundert gewesen. Gerade in dieser Zeit ist darüber aber anch recht
viel Unbrauchbares und Seichtes zutage gefördert worden, von sinnlosen Plagiaten,
ja absichtlichen Fälschungen ganz zu schweigen. Will man einzelne Autoren, die
schon vor Ave-Lallemand auf diesem Gebiet einigermaßen Ersprießliches geleistet
haben, besonders hervorheben, so dürften — neben dein Dichter Hoffmann von
Fallersleben und dem Philologen A. F. Pott in Halle — etwa folgende Juristen
an erster Stelle zu nennen sein: der hmmoversche Amtsschreiber Mejer (1807),
der Heidelberger Stadtdirektor Ludwig Pfister (1812). der Kieler Polizeimeister
Justizrat C. D. Christenseu (1814), der schon früher erwähnte Gießener Hofgerichts¬
rat Fr. L. A. von Grolmann (Wörterbuch der Gaunersprache, 1822), der ober¬
österreichische Amtsshndikus Cajetan Karmayer zu Freistadt (dessen 1835 nieder-
geschriebne, sehr umfangreiche Sammlung rotwelscher Wörter erst 1899 durch H, Groß
bekannt gemacht worden ist), endlich C. W. Zimmermann, der 1847 die erste um¬
fassendere Wortliste der besonders interessanten Berliner Verbrechersprache ver¬
öffentlicht hat.

Aber eine neue Periode hat doch erst Avü-Lallemand mit seinem „Deutschen
Gcmnertnm" eingeleitet. Daß sich freilich auch an diesem Werke vom streng philo¬
logischen Standpunkt aus noch gar manches ausietzeu läßt, zeigte schon die scharfe
Kritik des Wiener Bibliothekars Josef Maria Wagner im Jahre 1863 (in Herrigs
„Archiv für das Studium der neuer» Sprachen" usw.), worin mit Recht namentlich
einzelne allzu gekünstelte Etymologien getadelt waren, zu denen den Versasser seine
„fast krankhafte" Sucht verleitet hat, womöglich überall, auch bei ganz harmlosen
Wörtern aus unsrer Muttersprache, hebräischen Ursprung zu wittern. Er hat es
zum Beispiel fertig gebracht, dem ehrlichen — wenn mich nicht ganz deatschen,
so doch jedenfalls christlichen — „stosset" (stösset, Töffel oder Töffel), einer
Abkürzung der Deminntivform des Eigennamens Christoph (Christusträgerj, israe¬
litische Abstammung anzudichten und deu auch der gewöhnlichen Umgangssprache
längst bekannten „Kläffer" auf das jüdische Wort „Ksicw," Hund, zurückzuführen.
Aber diese und andre Schwächen der Arbeit — wie die zahlreichen Weit¬
schweifigkeiten und Wiederholungen — müssen im ganzen doch zurücktreten hinter
ihren Vorzügen und Verdienste«, die, außer in der Mitteilung wichtiger, zum
Teil sogar noch unbekannt gewesener Quellen, vor allem darin gesehen werden
dürfen, daß hier zum erstenmal eine zusammenhängende, für ihre Zeit fast erschöpfende
und gleichsam auf psychologischer Grundlage aufgebaute Darstellung der deutschen
Gannersprache gegeben ist, wie sie in ähnlichem Umfange bis dahin sogar von
den Philologen noch nicht unternommen worden war. Überhaupt bewahrten die
Sprachforscher anch nach Ave-Lallemants Buch, das die Jurisie» sofort ebenso
fleißig wie unselbständig ab- und auszuschreiben begannen, zunächst uoch durchweg
ihre kühle Zurückhnltuug gegenüber dem Notwelsch. Erst die Gegenwart hat
hierin gründlichen Wandel geschafft. Ungefähr um dieselbe Zeit, als der öster¬
reichische Kriminalist Hanns Groß, zurzeit Professor des Strafrechts an der
deutschen Universität in Prag, durch mehrere selbständige Veröffentlichungen über
die Gannersprache die Juristen aufs neue auf den inzwischen auch bei ihnen etwas


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[0047] Das „Rotwelsch" des deutschen Ganners kann nur noch übertroffen werden durch die etwa von Gaunern selbst — unter ausdrücklicher Versicherung der Zuverlässigkeit — angefertigten Verzeichnisse rot- welscher Vokabeln. Leider gibt es nur eine einzige solche Arbeit, die somit als „die originellste Erscheinung auf dem Gebiete der Linguistik überhaupt" (Avi- Lallemcmt) bezeichnet werden darf: es ist das Wörterbuch des sogenannten „Konstnnzer Hans," alias Johann Baptist Herrenberger, eines seinerzeit gefürchteten schwäbischen Gauners, das im Jahre 1791 unter dem Titel „Wahrhafte Entdeckung der Jciuner- oder Jenischeu Sprache" zu Sulz am Neckar erschienen ist und sein Entsteh» wohl einer Anregung des um die Erforschung des deutschen Gaunertums hochverdienten württembergischen Oberamtmanns Georg Jakob Schäffer verdankt. Sehr produktiv ist endlich die Schnftstellerei über Gaunersprache im neun¬ zehnten Jahrhundert gewesen. Gerade in dieser Zeit ist darüber aber anch recht viel Unbrauchbares und Seichtes zutage gefördert worden, von sinnlosen Plagiaten, ja absichtlichen Fälschungen ganz zu schweigen. Will man einzelne Autoren, die schon vor Ave-Lallemand auf diesem Gebiet einigermaßen Ersprießliches geleistet haben, besonders hervorheben, so dürften — neben dein Dichter Hoffmann von Fallersleben und dem Philologen A. F. Pott in Halle — etwa folgende Juristen an erster Stelle zu nennen sein: der hmmoversche Amtsschreiber Mejer (1807), der Heidelberger Stadtdirektor Ludwig Pfister (1812). der Kieler Polizeimeister Justizrat C. D. Christenseu (1814), der schon früher erwähnte Gießener Hofgerichts¬ rat Fr. L. A. von Grolmann (Wörterbuch der Gaunersprache, 1822), der ober¬ österreichische Amtsshndikus Cajetan Karmayer zu Freistadt (dessen 1835 nieder- geschriebne, sehr umfangreiche Sammlung rotwelscher Wörter erst 1899 durch H, Groß bekannt gemacht worden ist), endlich C. W. Zimmermann, der 1847 die erste um¬ fassendere Wortliste der besonders interessanten Berliner Verbrechersprache ver¬ öffentlicht hat. Aber eine neue Periode hat doch erst Avü-Lallemand mit seinem „Deutschen Gcmnertnm" eingeleitet. Daß sich freilich auch an diesem Werke vom streng philo¬ logischen Standpunkt aus noch gar manches ausietzeu läßt, zeigte schon die scharfe Kritik des Wiener Bibliothekars Josef Maria Wagner im Jahre 1863 (in Herrigs „Archiv für das Studium der neuer» Sprachen" usw.), worin mit Recht namentlich einzelne allzu gekünstelte Etymologien getadelt waren, zu denen den Versasser seine „fast krankhafte" Sucht verleitet hat, womöglich überall, auch bei ganz harmlosen Wörtern aus unsrer Muttersprache, hebräischen Ursprung zu wittern. Er hat es zum Beispiel fertig gebracht, dem ehrlichen — wenn mich nicht ganz deatschen, so doch jedenfalls christlichen — „stosset" (stösset, Töffel oder Töffel), einer Abkürzung der Deminntivform des Eigennamens Christoph (Christusträgerj, israe¬ litische Abstammung anzudichten und deu auch der gewöhnlichen Umgangssprache längst bekannten „Kläffer" auf das jüdische Wort „Ksicw," Hund, zurückzuführen. Aber diese und andre Schwächen der Arbeit — wie die zahlreichen Weit¬ schweifigkeiten und Wiederholungen — müssen im ganzen doch zurücktreten hinter ihren Vorzügen und Verdienste«, die, außer in der Mitteilung wichtiger, zum Teil sogar noch unbekannt gewesener Quellen, vor allem darin gesehen werden dürfen, daß hier zum erstenmal eine zusammenhängende, für ihre Zeit fast erschöpfende und gleichsam auf psychologischer Grundlage aufgebaute Darstellung der deutschen Gannersprache gegeben ist, wie sie in ähnlichem Umfange bis dahin sogar von den Philologen noch nicht unternommen worden war. Überhaupt bewahrten die Sprachforscher anch nach Ave-Lallemants Buch, das die Jurisie» sofort ebenso fleißig wie unselbständig ab- und auszuschreiben begannen, zunächst uoch durchweg ihre kühle Zurückhnltuug gegenüber dem Notwelsch. Erst die Gegenwart hat hierin gründlichen Wandel geschafft. Ungefähr um dieselbe Zeit, als der öster¬ reichische Kriminalist Hanns Groß, zurzeit Professor des Strafrechts an der deutschen Universität in Prag, durch mehrere selbständige Veröffentlichungen über die Gannersprache die Juristen aufs neue auf den inzwischen auch bei ihnen etwas

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/47>, abgerufen am 25.08.2024.