Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Lhamberlams britische Reichsxolitik Wegnahme der dänischen Flotte bewiesen dieses Machtbewußtsein deutlich, das Über die tiefer liegenden, in der Art des Volkes ruhenden Gründe dieses Lhamberlams britische Reichsxolitik Wegnahme der dänischen Flotte bewiesen dieses Machtbewußtsein deutlich, das Über die tiefer liegenden, in der Art des Volkes ruhenden Gründe dieses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294669"/> <fw type="header" place="top"> Lhamberlams britische Reichsxolitik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077"> Wegnahme der dänischen Flotte bewiesen dieses Machtbewußtsein deutlich, das<lb/> durch den Ausgang des Wiener Kongresses nur erhöht werden mußte; Eng¬<lb/> land erhielt Malta, Helgoland, die Schutzherrschaft über die Ionischen Inseln<lb/> und damit die Macht über das Mittelländische Meer zugesprochen. Die gegen<lb/> alles Völkerrecht erfolgte Besetzung Ägyptens, die Gewinnung Sansibars und<lb/> andres mehr erhöhen nur den Glanz von Englands Namen und seiner Macht.<lb/> Und so schien es bis auf unsre Tage, bis zur Unterwerfung der Buren, ge¬<lb/> blieben zu sein. Die Entfaltung der industriellen Kräfte stärkte seine Stellung<lb/> ungeheuer, alle Mängel der Verfassung und der Verwaltung schadeten ihm schein¬<lb/> bar nichts, sogar die irische Frage, die seinen Bestand eine Zeit lang ernstlich<lb/> bedroht hatte, kam allmählich zur Ruhe. England blieb in dem Gewirr der euro¬<lb/> päischen und der überseeischen Politik meist für sich, es mied allzu enge Bünd¬<lb/> nisse mit andern Mächten, es suchte niemandes Gunst, sondern ließ sich suchen.<lb/> Längst hat dieses Land die Schutzzölle wie einen hemmenden Ballast zur Seite<lb/> geworfen und hat allen Völkern freien Verkehr im stolzen Vertrauen darauf<lb/> geboten, daß seine eigne industrielle Überlegenheit und Gewandtheit im Übersee¬<lb/> handel ihm doch immer das Übergewicht sichern müßten. Wahrlich ein gewaltiger,<lb/> fast märchenhafter Siegeslauf eines Staates, der seinem Stammlande nach zu<lb/> den kleinsten Europas zählt. Ein Siegeslauf, dessen Ziel erreicht worden ist dank<lb/> der Nüchternheit und der Zähigkeit seiner Bevölkerung, dank der Erziehung zum<lb/> Welthandel durch deutsche Lehrmeister und durch den Kampf mit dem Meere.</p><lb/> <p xml:id="ID_1079" next="#ID_1080"> Über die tiefer liegenden, in der Art des Volkes ruhenden Gründe dieses<lb/> Aufsteigens macht Graf Jork von Wartenberg in seiner Weltgeschichte in Um¬<lb/> rissen ein paar feine Bemerkungen. Er sagt, es sei auffallend, wie wenig<lb/> wahrhaft große, die Masse um Haupteslänge überragende Männer England,<lb/> wie viele Deutschland gehabt hat. England aber ist nach Rom das gewaltigste<lb/> Staatsgebilde geworden, während Deutschland jahrhundertelang in tiefster<lb/> Zerrissenheit ohnmächtig dalag. Das dürfte daran liegen, daß das Volk die<lb/> meisten großen Charaktere hervorbringt, bei dem die Einzelpersönlichkeiten selbst<lb/> am schärfsten individuell herausgearbeitet sind. Da nun aber der große<lb/> Charakter nur individuell wirksam ist, und es dabei ohne starke Eigenwilligkeit<lb/> nicht abgeht, so trifft er bei der an sich sehr scharfen individuellen Ausbildung<lb/> jedes einzelnen der großen Masse oder wenigstens der Gebildeten auf besonders<lb/> starken Widerspruch gegen seinen eignen Willen. So war es in Griechenland,<lb/> das trotz seinen großen Männern zerfiel, so ist es in Deutschland, das seinen<lb/> großen Männern immer das Leben möglichst schwer gemacht hat. In Eng¬<lb/> land dagegen ist wie im alten Rom die ganze politische Gedankenrichtung viel<lb/> einheitlicher, der politische Instinkt, das politische Denken viel feiner ausge¬<lb/> bildet, viel tiefer eingewurzelt und viel mehr verbreitet. Auch der größte<lb/> Mann ragt dort nicht so sehr qualitativ als quantitativ aus der Masse hervor,<lb/> dafür wird er leichter verstanden, man folgt williger seiner Leitung, die schließlich<lb/> doch nach der von der Nation instinktiv als richtig empfundnen Richtung geht-<lb/> In England hat ähnlich wie im alten Venedig eine aristokratische Oligarchie, die<lb/> die Staatsgeschäfte als eine Familienangelegenheit betrachtet, die Entwicklung<lb/> entscheidend beeinflußt, weil sich in diesen Familien allmählich eine Gleichmäßigkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0252]
Lhamberlams britische Reichsxolitik
Wegnahme der dänischen Flotte bewiesen dieses Machtbewußtsein deutlich, das
durch den Ausgang des Wiener Kongresses nur erhöht werden mußte; Eng¬
land erhielt Malta, Helgoland, die Schutzherrschaft über die Ionischen Inseln
und damit die Macht über das Mittelländische Meer zugesprochen. Die gegen
alles Völkerrecht erfolgte Besetzung Ägyptens, die Gewinnung Sansibars und
andres mehr erhöhen nur den Glanz von Englands Namen und seiner Macht.
Und so schien es bis auf unsre Tage, bis zur Unterwerfung der Buren, ge¬
blieben zu sein. Die Entfaltung der industriellen Kräfte stärkte seine Stellung
ungeheuer, alle Mängel der Verfassung und der Verwaltung schadeten ihm schein¬
bar nichts, sogar die irische Frage, die seinen Bestand eine Zeit lang ernstlich
bedroht hatte, kam allmählich zur Ruhe. England blieb in dem Gewirr der euro¬
päischen und der überseeischen Politik meist für sich, es mied allzu enge Bünd¬
nisse mit andern Mächten, es suchte niemandes Gunst, sondern ließ sich suchen.
Längst hat dieses Land die Schutzzölle wie einen hemmenden Ballast zur Seite
geworfen und hat allen Völkern freien Verkehr im stolzen Vertrauen darauf
geboten, daß seine eigne industrielle Überlegenheit und Gewandtheit im Übersee¬
handel ihm doch immer das Übergewicht sichern müßten. Wahrlich ein gewaltiger,
fast märchenhafter Siegeslauf eines Staates, der seinem Stammlande nach zu
den kleinsten Europas zählt. Ein Siegeslauf, dessen Ziel erreicht worden ist dank
der Nüchternheit und der Zähigkeit seiner Bevölkerung, dank der Erziehung zum
Welthandel durch deutsche Lehrmeister und durch den Kampf mit dem Meere.
Über die tiefer liegenden, in der Art des Volkes ruhenden Gründe dieses
Aufsteigens macht Graf Jork von Wartenberg in seiner Weltgeschichte in Um¬
rissen ein paar feine Bemerkungen. Er sagt, es sei auffallend, wie wenig
wahrhaft große, die Masse um Haupteslänge überragende Männer England,
wie viele Deutschland gehabt hat. England aber ist nach Rom das gewaltigste
Staatsgebilde geworden, während Deutschland jahrhundertelang in tiefster
Zerrissenheit ohnmächtig dalag. Das dürfte daran liegen, daß das Volk die
meisten großen Charaktere hervorbringt, bei dem die Einzelpersönlichkeiten selbst
am schärfsten individuell herausgearbeitet sind. Da nun aber der große
Charakter nur individuell wirksam ist, und es dabei ohne starke Eigenwilligkeit
nicht abgeht, so trifft er bei der an sich sehr scharfen individuellen Ausbildung
jedes einzelnen der großen Masse oder wenigstens der Gebildeten auf besonders
starken Widerspruch gegen seinen eignen Willen. So war es in Griechenland,
das trotz seinen großen Männern zerfiel, so ist es in Deutschland, das seinen
großen Männern immer das Leben möglichst schwer gemacht hat. In Eng¬
land dagegen ist wie im alten Rom die ganze politische Gedankenrichtung viel
einheitlicher, der politische Instinkt, das politische Denken viel feiner ausge¬
bildet, viel tiefer eingewurzelt und viel mehr verbreitet. Auch der größte
Mann ragt dort nicht so sehr qualitativ als quantitativ aus der Masse hervor,
dafür wird er leichter verstanden, man folgt williger seiner Leitung, die schließlich
doch nach der von der Nation instinktiv als richtig empfundnen Richtung geht-
In England hat ähnlich wie im alten Venedig eine aristokratische Oligarchie, die
die Staatsgeschäfte als eine Familienangelegenheit betrachtet, die Entwicklung
entscheidend beeinflußt, weil sich in diesen Familien allmählich eine Gleichmäßigkeit
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