Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

sagt er, hat mir wohl erschlossen, daß keinem sein Meister im Haus wachset noch
seinen Lehrer hinter dem Ofen hat. Die Künste sind nicht verschlossen in eines
Vaterland, sondern ausgeteilt durch die ganze Welt, sie sind nicht in einem Menschen
oder an einem Ort, sie müssen zusammengeklaubt werden und gesucht, da sie sind.
Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden. Wie mag hinter dem
Ofen ein guter Kosmographus wachsen oder ein Geograph? Gibt nicht das Gesicht
den Augen einen rechten Grund? So laß nun den Grund bestatten. Was sagt dann
der Birnenbrater hinter dem Ofen? Was ist das, das ohne das Gesicht bezeugt
mag werden? Hat sich Gott nicht selbst mit Augen zu sehen gegeben? ... An
einer andern Stelle sagt er: Die Weisheit ist eine Gabe Gottes, da er sie hingibt,
in demselbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt, da soll sie
gesucht werden ... Die Schrift wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur
aber durch Land zu Land, als oft ein Land als oft ein Blatt. Also ist voäsx
Uaturas, also muß man ihre Blätter umkehren. . .

Welch leidenschaftlicher Trieb zur Natur, zur Wirklichkeit! Und welche Stärke
in seiner Wendung von dem gesellschaftlichen starren Wesen seines Zeitalters weg.
das noch so tief in den Schalen des Mittelalters steckte, zu einer freien Auffassung
des Menschentums. Freilich bedeutete das nur die Rückkehr zur christlichen Armut,
aber nicht angelernte, sondern aus freier Menschlichkeit heraus. Selig und mehr
denn selig ist der Mann, dem Gott die Gnad gibt der Armut, schrieb Paracelsus
in: leider xi-oloKi ack ^ätam bsawm.

Diese Generation von Helden des Geistes war noch keineswegs aufklärungs¬
trunken. Wieviel höher stand ein Mann desselben Jahrhunderts, ein Erasmus von
Rotterdam, der die Freude an dem Sonnenaufgang der Wissenschaft verband mit
der liebevollen Vertiefung in die religiösen Probleme seiner Zeit, als der gemeine
Rationalist, dem schon das Talglichtstümpchen seines überkommenen Wissens den
Blick für alles Tiefe der Schöpfungsgehetmnisse trübt. Das ist es, was uns ge¬
rade in den germanischen Geistern der Renaissance jugendlich, erfrischend anmutet,
daß sie nicht wie ihre welschen Zeitgenossen, um ein Wort von Taine zu wieder¬
holen, "Heiden waren, die sich vor dem jüngsten Gericht fürchten." Gerade
Paracelsus ist der Vertreter eines recht innigen, dankbaren Gottesglaubens. Man sagt:
Paracelsus hat einen mystischen Zug in seinem Denken. Welcher tiefe Geist des
vorwissenschaftlichen Zeitalters, dem ein so tiefer Blick in die Natur gegeben war.
wäre nicht zu einem Teil Mystiker? Aber nur im Innersten des Paracelsus lebte
und leuchtete dieser Zug. Er scheint ganz von ferne her wie ein verlorenes
Lichtlein tief in den Wald oder wie das Grubenlicht eines Bergmanns in großer
Tiefe. Nur augeublickweise flammt es auf und übergießt dann seinen ganzen
Horizont mit Glut und uns mit ihm. Paracelsus gehört noch der Zeit an, wo die
Naturgeheimnisse in die kleinsten Fenster des täglichen Daseins hineinrankten und
kein Licht von der äußern Welt anders als gebrochen und gefärbt in die Seele
fiel. Es ist ja gewiß wahr, daß, was wir wissen, unendlich gering ist im Vergleich
mit dem, was wir nicht wissen, aber immer doch teilt und sondert unser Blick in
die Natur Bekanntes und weniger Bekanntes, und das Rätselhafte dringt nicht be¬
ständig mit Macht auf uns ein. Anders in jener Zeit, die die Natur um nichts
weniger liebte, weil sie ihr ein einziges großes Geheimnis war; denn es war
Gottes Natur. Und so verbindet sich auch in Paracelsus Gottinnigkeit mit glühender
Naturliebe und unermüdlicher Naturbetrachtung. Der pantheistische Gedanke, daß
Gott und Natur in demselben tiefen Abgrund liegen, mochte Paracelsus nicht bewußt
geworden sein, der für seine praktische, hilfreiche Lebensarbeit einen lebendigen Gott
brauchte, aber die feine Grenze zwischen mystischer Naturauffassung und Pantheismus
bestand für ihn nicht, und wenn er sie ahnte, beachtete er sie nicht. Er dachte
dazu viel zu groß und schaute zu tief. Die Welt War ihm eine Gotteswelt im
Größten und im Kleinsten, die Erforschung der Natur ein beständiger Gottesdienst.
Vor allem die Geheimnisse des Werdens und des Vergehens, das vertrauensvolle


Maßgebliches und Unmaßgebliches

sagt er, hat mir wohl erschlossen, daß keinem sein Meister im Haus wachset noch
seinen Lehrer hinter dem Ofen hat. Die Künste sind nicht verschlossen in eines
Vaterland, sondern ausgeteilt durch die ganze Welt, sie sind nicht in einem Menschen
oder an einem Ort, sie müssen zusammengeklaubt werden und gesucht, da sie sind.
Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden. Wie mag hinter dem
Ofen ein guter Kosmographus wachsen oder ein Geograph? Gibt nicht das Gesicht
den Augen einen rechten Grund? So laß nun den Grund bestatten. Was sagt dann
der Birnenbrater hinter dem Ofen? Was ist das, das ohne das Gesicht bezeugt
mag werden? Hat sich Gott nicht selbst mit Augen zu sehen gegeben? ... An
einer andern Stelle sagt er: Die Weisheit ist eine Gabe Gottes, da er sie hingibt,
in demselbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt, da soll sie
gesucht werden ... Die Schrift wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur
aber durch Land zu Land, als oft ein Land als oft ein Blatt. Also ist voäsx
Uaturas, also muß man ihre Blätter umkehren. . .

Welch leidenschaftlicher Trieb zur Natur, zur Wirklichkeit! Und welche Stärke
in seiner Wendung von dem gesellschaftlichen starren Wesen seines Zeitalters weg.
das noch so tief in den Schalen des Mittelalters steckte, zu einer freien Auffassung
des Menschentums. Freilich bedeutete das nur die Rückkehr zur christlichen Armut,
aber nicht angelernte, sondern aus freier Menschlichkeit heraus. Selig und mehr
denn selig ist der Mann, dem Gott die Gnad gibt der Armut, schrieb Paracelsus
in: leider xi-oloKi ack ^ätam bsawm.

Diese Generation von Helden des Geistes war noch keineswegs aufklärungs¬
trunken. Wieviel höher stand ein Mann desselben Jahrhunderts, ein Erasmus von
Rotterdam, der die Freude an dem Sonnenaufgang der Wissenschaft verband mit
der liebevollen Vertiefung in die religiösen Probleme seiner Zeit, als der gemeine
Rationalist, dem schon das Talglichtstümpchen seines überkommenen Wissens den
Blick für alles Tiefe der Schöpfungsgehetmnisse trübt. Das ist es, was uns ge¬
rade in den germanischen Geistern der Renaissance jugendlich, erfrischend anmutet,
daß sie nicht wie ihre welschen Zeitgenossen, um ein Wort von Taine zu wieder¬
holen, „Heiden waren, die sich vor dem jüngsten Gericht fürchten." Gerade
Paracelsus ist der Vertreter eines recht innigen, dankbaren Gottesglaubens. Man sagt:
Paracelsus hat einen mystischen Zug in seinem Denken. Welcher tiefe Geist des
vorwissenschaftlichen Zeitalters, dem ein so tiefer Blick in die Natur gegeben war.
wäre nicht zu einem Teil Mystiker? Aber nur im Innersten des Paracelsus lebte
und leuchtete dieser Zug. Er scheint ganz von ferne her wie ein verlorenes
Lichtlein tief in den Wald oder wie das Grubenlicht eines Bergmanns in großer
Tiefe. Nur augeublickweise flammt es auf und übergießt dann seinen ganzen
Horizont mit Glut und uns mit ihm. Paracelsus gehört noch der Zeit an, wo die
Naturgeheimnisse in die kleinsten Fenster des täglichen Daseins hineinrankten und
kein Licht von der äußern Welt anders als gebrochen und gefärbt in die Seele
fiel. Es ist ja gewiß wahr, daß, was wir wissen, unendlich gering ist im Vergleich
mit dem, was wir nicht wissen, aber immer doch teilt und sondert unser Blick in
die Natur Bekanntes und weniger Bekanntes, und das Rätselhafte dringt nicht be¬
ständig mit Macht auf uns ein. Anders in jener Zeit, die die Natur um nichts
weniger liebte, weil sie ihr ein einziges großes Geheimnis war; denn es war
Gottes Natur. Und so verbindet sich auch in Paracelsus Gottinnigkeit mit glühender
Naturliebe und unermüdlicher Naturbetrachtung. Der pantheistische Gedanke, daß
Gott und Natur in demselben tiefen Abgrund liegen, mochte Paracelsus nicht bewußt
geworden sein, der für seine praktische, hilfreiche Lebensarbeit einen lebendigen Gott
brauchte, aber die feine Grenze zwischen mystischer Naturauffassung und Pantheismus
bestand für ihn nicht, und wenn er sie ahnte, beachtete er sie nicht. Er dachte
dazu viel zu groß und schaute zu tief. Die Welt War ihm eine Gotteswelt im
Größten und im Kleinsten, die Erforschung der Natur ein beständiger Gottesdienst.
Vor allem die Geheimnisse des Werdens und des Vergehens, das vertrauensvolle


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294664"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065"> sagt er, hat mir wohl erschlossen, daß keinem sein Meister im Haus wachset noch<lb/>
seinen Lehrer hinter dem Ofen hat. Die Künste sind nicht verschlossen in eines<lb/>
Vaterland, sondern ausgeteilt durch die ganze Welt, sie sind nicht in einem Menschen<lb/>
oder an einem Ort, sie müssen zusammengeklaubt werden und gesucht, da sie sind.<lb/>
Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden. Wie mag hinter dem<lb/>
Ofen ein guter Kosmographus wachsen oder ein Geograph? Gibt nicht das Gesicht<lb/>
den Augen einen rechten Grund? So laß nun den Grund bestatten. Was sagt dann<lb/>
der Birnenbrater hinter dem Ofen? Was ist das, das ohne das Gesicht bezeugt<lb/>
mag werden? Hat sich Gott nicht selbst mit Augen zu sehen gegeben? ... An<lb/>
einer andern Stelle sagt er: Die Weisheit ist eine Gabe Gottes, da er sie hingibt,<lb/>
in demselbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt, da soll sie<lb/>
gesucht werden ... Die Schrift wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur<lb/>
aber durch Land zu Land, als oft ein Land als oft ein Blatt. Also ist voäsx<lb/>
Uaturas, also muß man ihre Blätter umkehren. . .</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1067"> Welch leidenschaftlicher Trieb zur Natur, zur Wirklichkeit! Und welche Stärke<lb/>
in seiner Wendung von dem gesellschaftlichen starren Wesen seines Zeitalters weg.<lb/>
das noch so tief in den Schalen des Mittelalters steckte, zu einer freien Auffassung<lb/>
des Menschentums. Freilich bedeutete das nur die Rückkehr zur christlichen Armut,<lb/>
aber nicht angelernte, sondern aus freier Menschlichkeit heraus. Selig und mehr<lb/>
denn selig ist der Mann, dem Gott die Gnad gibt der Armut, schrieb Paracelsus<lb/>
in: leider xi-oloKi ack ^ätam bsawm.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1068" next="#ID_1069"> Diese Generation von Helden des Geistes war noch keineswegs aufklärungs¬<lb/>
trunken. Wieviel höher stand ein Mann desselben Jahrhunderts, ein Erasmus von<lb/>
Rotterdam, der die Freude an dem Sonnenaufgang der Wissenschaft verband mit<lb/>
der liebevollen Vertiefung in die religiösen Probleme seiner Zeit, als der gemeine<lb/>
Rationalist, dem schon das Talglichtstümpchen seines überkommenen Wissens den<lb/>
Blick für alles Tiefe der Schöpfungsgehetmnisse trübt. Das ist es, was uns ge¬<lb/>
rade in den germanischen Geistern der Renaissance jugendlich, erfrischend anmutet,<lb/>
daß sie nicht wie ihre welschen Zeitgenossen, um ein Wort von Taine zu wieder¬<lb/>
holen, &#x201E;Heiden waren, die sich vor dem jüngsten Gericht fürchten." Gerade<lb/>
Paracelsus ist der Vertreter eines recht innigen, dankbaren Gottesglaubens. Man sagt:<lb/>
Paracelsus hat einen mystischen Zug in seinem Denken. Welcher tiefe Geist des<lb/>
vorwissenschaftlichen Zeitalters, dem ein so tiefer Blick in die Natur gegeben war.<lb/>
wäre nicht zu einem Teil Mystiker? Aber nur im Innersten des Paracelsus lebte<lb/>
und leuchtete dieser Zug. Er scheint ganz von ferne her wie ein verlorenes<lb/>
Lichtlein tief in den Wald oder wie das Grubenlicht eines Bergmanns in großer<lb/>
Tiefe. Nur augeublickweise flammt es auf und übergießt dann seinen ganzen<lb/>
Horizont mit Glut und uns mit ihm. Paracelsus gehört noch der Zeit an, wo die<lb/>
Naturgeheimnisse in die kleinsten Fenster des täglichen Daseins hineinrankten und<lb/>
kein Licht von der äußern Welt anders als gebrochen und gefärbt in die Seele<lb/>
fiel. Es ist ja gewiß wahr, daß, was wir wissen, unendlich gering ist im Vergleich<lb/>
mit dem, was wir nicht wissen, aber immer doch teilt und sondert unser Blick in<lb/>
die Natur Bekanntes und weniger Bekanntes, und das Rätselhafte dringt nicht be¬<lb/>
ständig mit Macht auf uns ein. Anders in jener Zeit, die die Natur um nichts<lb/>
weniger liebte, weil sie ihr ein einziges großes Geheimnis war; denn es war<lb/>
Gottes Natur. Und so verbindet sich auch in Paracelsus Gottinnigkeit mit glühender<lb/>
Naturliebe und unermüdlicher Naturbetrachtung. Der pantheistische Gedanke, daß<lb/>
Gott und Natur in demselben tiefen Abgrund liegen, mochte Paracelsus nicht bewußt<lb/>
geworden sein, der für seine praktische, hilfreiche Lebensarbeit einen lebendigen Gott<lb/>
brauchte, aber die feine Grenze zwischen mystischer Naturauffassung und Pantheismus<lb/>
bestand für ihn nicht, und wenn er sie ahnte, beachtete er sie nicht. Er dachte<lb/>
dazu viel zu groß und schaute zu tief. Die Welt War ihm eine Gotteswelt im<lb/>
Größten und im Kleinsten, die Erforschung der Natur ein beständiger Gottesdienst.<lb/>
Vor allem die Geheimnisse des Werdens und des Vergehens, das vertrauensvolle</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0247] Maßgebliches und Unmaßgebliches sagt er, hat mir wohl erschlossen, daß keinem sein Meister im Haus wachset noch seinen Lehrer hinter dem Ofen hat. Die Künste sind nicht verschlossen in eines Vaterland, sondern ausgeteilt durch die ganze Welt, sie sind nicht in einem Menschen oder an einem Ort, sie müssen zusammengeklaubt werden und gesucht, da sie sind. Die Kunst geht keinem nach, aber ihr muß nachgegangen werden. Wie mag hinter dem Ofen ein guter Kosmographus wachsen oder ein Geograph? Gibt nicht das Gesicht den Augen einen rechten Grund? So laß nun den Grund bestatten. Was sagt dann der Birnenbrater hinter dem Ofen? Was ist das, das ohne das Gesicht bezeugt mag werden? Hat sich Gott nicht selbst mit Augen zu sehen gegeben? ... An einer andern Stelle sagt er: Die Weisheit ist eine Gabe Gottes, da er sie hingibt, in demselbigen soll man sie suchen. Also auch da er die Kunst hinlegt, da soll sie gesucht werden ... Die Schrift wird erforschet durch ihre Buchstaben, die Natur aber durch Land zu Land, als oft ein Land als oft ein Blatt. Also ist voäsx Uaturas, also muß man ihre Blätter umkehren. . . Welch leidenschaftlicher Trieb zur Natur, zur Wirklichkeit! Und welche Stärke in seiner Wendung von dem gesellschaftlichen starren Wesen seines Zeitalters weg. das noch so tief in den Schalen des Mittelalters steckte, zu einer freien Auffassung des Menschentums. Freilich bedeutete das nur die Rückkehr zur christlichen Armut, aber nicht angelernte, sondern aus freier Menschlichkeit heraus. Selig und mehr denn selig ist der Mann, dem Gott die Gnad gibt der Armut, schrieb Paracelsus in: leider xi-oloKi ack ^ätam bsawm. Diese Generation von Helden des Geistes war noch keineswegs aufklärungs¬ trunken. Wieviel höher stand ein Mann desselben Jahrhunderts, ein Erasmus von Rotterdam, der die Freude an dem Sonnenaufgang der Wissenschaft verband mit der liebevollen Vertiefung in die religiösen Probleme seiner Zeit, als der gemeine Rationalist, dem schon das Talglichtstümpchen seines überkommenen Wissens den Blick für alles Tiefe der Schöpfungsgehetmnisse trübt. Das ist es, was uns ge¬ rade in den germanischen Geistern der Renaissance jugendlich, erfrischend anmutet, daß sie nicht wie ihre welschen Zeitgenossen, um ein Wort von Taine zu wieder¬ holen, „Heiden waren, die sich vor dem jüngsten Gericht fürchten." Gerade Paracelsus ist der Vertreter eines recht innigen, dankbaren Gottesglaubens. Man sagt: Paracelsus hat einen mystischen Zug in seinem Denken. Welcher tiefe Geist des vorwissenschaftlichen Zeitalters, dem ein so tiefer Blick in die Natur gegeben war. wäre nicht zu einem Teil Mystiker? Aber nur im Innersten des Paracelsus lebte und leuchtete dieser Zug. Er scheint ganz von ferne her wie ein verlorenes Lichtlein tief in den Wald oder wie das Grubenlicht eines Bergmanns in großer Tiefe. Nur augeublickweise flammt es auf und übergießt dann seinen ganzen Horizont mit Glut und uns mit ihm. Paracelsus gehört noch der Zeit an, wo die Naturgeheimnisse in die kleinsten Fenster des täglichen Daseins hineinrankten und kein Licht von der äußern Welt anders als gebrochen und gefärbt in die Seele fiel. Es ist ja gewiß wahr, daß, was wir wissen, unendlich gering ist im Vergleich mit dem, was wir nicht wissen, aber immer doch teilt und sondert unser Blick in die Natur Bekanntes und weniger Bekanntes, und das Rätselhafte dringt nicht be¬ ständig mit Macht auf uns ein. Anders in jener Zeit, die die Natur um nichts weniger liebte, weil sie ihr ein einziges großes Geheimnis war; denn es war Gottes Natur. Und so verbindet sich auch in Paracelsus Gottinnigkeit mit glühender Naturliebe und unermüdlicher Naturbetrachtung. Der pantheistische Gedanke, daß Gott und Natur in demselben tiefen Abgrund liegen, mochte Paracelsus nicht bewußt geworden sein, der für seine praktische, hilfreiche Lebensarbeit einen lebendigen Gott brauchte, aber die feine Grenze zwischen mystischer Naturauffassung und Pantheismus bestand für ihn nicht, und wenn er sie ahnte, beachtete er sie nicht. Er dachte dazu viel zu groß und schaute zu tief. Die Welt War ihm eine Gotteswelt im Größten und im Kleinsten, die Erforschung der Natur ein beständiger Gottesdienst. Vor allem die Geheimnisse des Werdens und des Vergehens, das vertrauensvolle

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/247
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/247>, abgerufen am 23.07.2024.