Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.Die kleine Marina und ihr Gemahl Marquis von Santa Cruz geschickt werden . . . Wenn sie vernünftig darüber nach¬ Sie fing wieder an, auf und nieder zu wandern, ohne mehr an die Tafeln Wenn nun Frasquito starb . . . wenn es wirklich so schlimm wurde . . . Sie Arme Dona Maria! Arme kleine verwitwete Marquise von El Viso! . . . Marina ging mit tief gesenktem Haupt und starrte wehmütig zu Boden. Und dann, nach einer Weile fing sie an, über den Krieg in Amerika zu Und dann plötzlich -- der Gedanke durchzuckte sie wie ein Messerstich: Was Marina blieb mitten im Zimmer stehn und faltete die Hände. Sie ging zu Es war Abend geworden. Durch die offnen Fenster drang von der Straße Die kleine Marina und ihr Gemahl Marquis von Santa Cruz geschickt werden . . . Wenn sie vernünftig darüber nach¬ Sie fing wieder an, auf und nieder zu wandern, ohne mehr an die Tafeln Wenn nun Frasquito starb . . . wenn es wirklich so schlimm wurde . . . Sie Arme Dona Maria! Arme kleine verwitwete Marquise von El Viso! . . . Marina ging mit tief gesenktem Haupt und starrte wehmütig zu Boden. Und dann, nach einer Weile fing sie an, über den Krieg in Amerika zu Und dann plötzlich — der Gedanke durchzuckte sie wie ein Messerstich: Was Marina blieb mitten im Zimmer stehn und faltete die Hände. Sie ging zu Es war Abend geworden. Durch die offnen Fenster drang von der Straße <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294591"/> <fw type="header" place="top"> Die kleine Marina und ihr Gemahl</fw><lb/> <p xml:id="ID_668" prev="#ID_667"> Marquis von Santa Cruz geschickt werden . . . Wenn sie vernünftig darüber nach¬<lb/> dachte, war es ja schrecklich, das; sie wirklich Lust gehabt hatte, zu lachen . . .<lb/> Nun, auf alle Fälle konnte Frasquito ja doch nicht so gefährlich krank sein, denn<lb/> es währte ja lange, lange, bis man von Madrid nach Paris kommen konnte . . .<lb/> Erst der Bote da hinunter, und dann die Reise . . . Einige Monate wenigstens,<lb/> und so lange brauchte man ja nicht daran zu denken. Er würde schon leben . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Sie fing wieder an, auf und nieder zu wandern, ohne mehr an die Tafeln<lb/> zu denken, ernsthaft, mit gerunzelter Stirn.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Wenn nun Frasquito starb . . . wenn es wirklich so schlimm wurde . . . Sie<lb/> hoffte — sie hoffte von ganzer Seele —, daß Mama oder ihr Schwiegervater<lb/> es nicht für nötig halten würden, daß sie sich in ein Kloster zurückzöge. Ach<lb/> Gott — nein! . . . Sie hatte ja nichts Böses getan, und sie war ja immer gut<lb/> gegen den armen Frasquito gewesen — war seiue Freundin und Vertraute ge¬<lb/> wesen, wie eine gute Gattin es sein mußte. Sie durften nicht auf den Einfall<lb/> kommen, sie in ein Kloster zu sperren, nur weil es vielleicht das Passendste war.<lb/> Nein, aber ein ganzes Jahr oder noch länger, das gelobte sie sich hoch und teuer,<lb/> wollte sie in Schwarz gehn — auch nicht einen bunten Faden! — und mit<lb/> doppelten, Schleier! Sie wollte Seelenmessen in zwölf, nein in dreizehn Kirchen<lb/> lesen lassen, denn Christus war einer, und die Zahl der Apostel betrug zwölf (der<lb/> Sicherheit halber rechnete sie Judas auch mit), und sie wollte nicht einen einzigen<lb/> Menschen sehen außer Mama und Papa und ihre Brüder, nicht einmal Manolito,<lb/> und ihr Beichtvater sollte sogar das Recht habe», ihr vorzuschreiben, wieviel Aves<lb/> und Credos sie jeden Tag beten müßte. Und wenn sie sich in ihrem florbehcmgnen<lb/> Wagen auf der Straße zeigte, so sollten die Menschen, die selber keine Trauer<lb/> hatten, gerührt auf sie zeigen und unter Tränen flüstern:</p><lb/> <p xml:id="ID_671"> Arme Dona Maria! Arme kleine verwitwete Marquise von El Viso! . . .<lb/> Und sie wollte still sitzen wie eine Bildsäule hinter ihrem undurchsichtigen Schleier,<lb/> gesenkten Hauptes, den Rosenkranz in den Händen.</p><lb/> <p xml:id="ID_672"> Marina ging mit tief gesenktem Haupt und starrte wehmütig zu Boden.<lb/> Jedesmal, wenn sie an das Ende des Saales kam, wandte sie sich auf den Ab¬<lb/> sätzen um und ging denselben Weg zurück. Die Gedanken schwirrten ihr durch<lb/> den Kopf — sie dachte nicht richtig, denn sie wollte ja nicht denken und hin¬<lb/> derte sich selbst mit aller Macht daran, es zu tun, aber sie mochte wollen oder<lb/> nicht, denken mußte sie doch. Sie dachte an Versailles, an den Hof — es war<lb/> natürlich keine Spur von Sinn darin, jetzt nach Madrid zurückzureisen! Sie<lb/> dachte an die Herzogin von Bouillon in dem blauen Kleid ... sie fing an, ein<lb/> wenig alt zu werden . . . und was für schlechte Zähne sie hatte . . . dachte an<lb/> Muhme Starhembergs Palast in Brüssel, an Hovgstraetcn, das jetzt Mamas ältestem<lb/> Bruder gehörte, an Wien und den Kaiserhof, wo Frau von Starhemberg so viel<lb/> zu sagen hatte . . . Aranjuez war nur langweilig; das sagten alle, die sich auf<lb/> dergleichen verstanden . . . Manolito hatte gesagt, sie müsse Weimar und Italien<lb/> sehen. Sehen! . . . Sehen! — sie blieb einen Augenblick stehn und atmete tief<lb/> auf: um den Mund spielte ein anmutiges Lächeln — natürlich wollte sie alles<lb/> sehen, das Leben und die Zeit lagen ja vor ihr . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_673"> Und dann, nach einer Weile fing sie an, über den Krieg in Amerika zu<lb/> grübeln — es war eine Torheit ohnegleichen von Emanuel, daran zu denken, zu<lb/> den wilden Menschen hinüber zu reisen . . . Gerade jetzt . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_674"> Und dann plötzlich — der Gedanke durchzuckte sie wie ein Messerstich: Was<lb/> würde der Marquis von Santa Cruz sagen? . . . Frasquito war sein einziger<lb/> Sohn. . . Sein einziger. . .</p><lb/> <p xml:id="ID_675"> Marina blieb mitten im Zimmer stehn und faltete die Hände. Sie ging zu<lb/> dem Madonnenbild in der Ecke und fiel auf die Knie.</p><lb/> <p xml:id="ID_676" next="#ID_677"> Es war Abend geworden. 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Die kleine Marina und ihr Gemahl
Marquis von Santa Cruz geschickt werden . . . Wenn sie vernünftig darüber nach¬
dachte, war es ja schrecklich, das; sie wirklich Lust gehabt hatte, zu lachen . . .
Nun, auf alle Fälle konnte Frasquito ja doch nicht so gefährlich krank sein, denn
es währte ja lange, lange, bis man von Madrid nach Paris kommen konnte . . .
Erst der Bote da hinunter, und dann die Reise . . . Einige Monate wenigstens,
und so lange brauchte man ja nicht daran zu denken. Er würde schon leben . . .
Sie fing wieder an, auf und nieder zu wandern, ohne mehr an die Tafeln
zu denken, ernsthaft, mit gerunzelter Stirn.
Wenn nun Frasquito starb . . . wenn es wirklich so schlimm wurde . . . Sie
hoffte — sie hoffte von ganzer Seele —, daß Mama oder ihr Schwiegervater
es nicht für nötig halten würden, daß sie sich in ein Kloster zurückzöge. Ach
Gott — nein! . . . Sie hatte ja nichts Böses getan, und sie war ja immer gut
gegen den armen Frasquito gewesen — war seiue Freundin und Vertraute ge¬
wesen, wie eine gute Gattin es sein mußte. Sie durften nicht auf den Einfall
kommen, sie in ein Kloster zu sperren, nur weil es vielleicht das Passendste war.
Nein, aber ein ganzes Jahr oder noch länger, das gelobte sie sich hoch und teuer,
wollte sie in Schwarz gehn — auch nicht einen bunten Faden! — und mit
doppelten, Schleier! Sie wollte Seelenmessen in zwölf, nein in dreizehn Kirchen
lesen lassen, denn Christus war einer, und die Zahl der Apostel betrug zwölf (der
Sicherheit halber rechnete sie Judas auch mit), und sie wollte nicht einen einzigen
Menschen sehen außer Mama und Papa und ihre Brüder, nicht einmal Manolito,
und ihr Beichtvater sollte sogar das Recht habe», ihr vorzuschreiben, wieviel Aves
und Credos sie jeden Tag beten müßte. Und wenn sie sich in ihrem florbehcmgnen
Wagen auf der Straße zeigte, so sollten die Menschen, die selber keine Trauer
hatten, gerührt auf sie zeigen und unter Tränen flüstern:
Arme Dona Maria! Arme kleine verwitwete Marquise von El Viso! . . .
Und sie wollte still sitzen wie eine Bildsäule hinter ihrem undurchsichtigen Schleier,
gesenkten Hauptes, den Rosenkranz in den Händen.
Marina ging mit tief gesenktem Haupt und starrte wehmütig zu Boden.
Jedesmal, wenn sie an das Ende des Saales kam, wandte sie sich auf den Ab¬
sätzen um und ging denselben Weg zurück. Die Gedanken schwirrten ihr durch
den Kopf — sie dachte nicht richtig, denn sie wollte ja nicht denken und hin¬
derte sich selbst mit aller Macht daran, es zu tun, aber sie mochte wollen oder
nicht, denken mußte sie doch. Sie dachte an Versailles, an den Hof — es war
natürlich keine Spur von Sinn darin, jetzt nach Madrid zurückzureisen! Sie
dachte an die Herzogin von Bouillon in dem blauen Kleid ... sie fing an, ein
wenig alt zu werden . . . und was für schlechte Zähne sie hatte . . . dachte an
Muhme Starhembergs Palast in Brüssel, an Hovgstraetcn, das jetzt Mamas ältestem
Bruder gehörte, an Wien und den Kaiserhof, wo Frau von Starhemberg so viel
zu sagen hatte . . . Aranjuez war nur langweilig; das sagten alle, die sich auf
dergleichen verstanden . . . Manolito hatte gesagt, sie müsse Weimar und Italien
sehen. Sehen! . . . Sehen! — sie blieb einen Augenblick stehn und atmete tief
auf: um den Mund spielte ein anmutiges Lächeln — natürlich wollte sie alles
sehen, das Leben und die Zeit lagen ja vor ihr . . .
Und dann, nach einer Weile fing sie an, über den Krieg in Amerika zu
grübeln — es war eine Torheit ohnegleichen von Emanuel, daran zu denken, zu
den wilden Menschen hinüber zu reisen . . . Gerade jetzt . . .
Und dann plötzlich — der Gedanke durchzuckte sie wie ein Messerstich: Was
würde der Marquis von Santa Cruz sagen? . . . Frasquito war sein einziger
Sohn. . . Sein einziger. . .
Marina blieb mitten im Zimmer stehn und faltete die Hände. Sie ging zu
dem Madonnenbild in der Ecke und fiel auf die Knie.
Es war Abend geworden. Durch die offnen Fenster drang von der Straße
herauf gedämpft der Lärm der Stadt Paris, die sich jetzt anschickte, den Sommer-
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