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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das "Rotwelsch" des deutschen Gauners

deutung in der neuern Terminologie der gewerbsmäßigen Falschspieler ("Frei-
schupper") anzutreffen ist. Wie in Lessings "Minna von Bnrnhelm" der
Franzose Riccault de la Marliniere die glatte Phrase eorriAvr tortnus dem
derben deutschen "betrügen" vorzieht, so haben auch unsre Gauner in dieser
Spezialität zur Beschönigung ihres unlauter" Treibens die gefälligem Formen
unsrer gallischen Nachbarn verwandt. Da begegnen wir zunächst einem Kommer-
zianten (Professionsspieler), so genannt nach seiner Tätigkeit, dem "Commerce
machen." Beschränkt er diese auf dumme Tölpel aus dein gewöhnlichen Volke, so heißt er
Tripoteur, Bauernfänger, plündert er dagegen in feinerer Weise auch Personen
aus den bessern Ständen aus, so wird er als Grec bezeichnet, nach dem ver¬
meintlichen Nativnallaster des Griechenvolkes, das ja schon den Römern als falsch
galt (vergl. sacs Frasos., Treulosigkeit). Eine ganze Verbündete Falschspielergruppe
heißt Cagnotte; mit einem militärischen Titel -- Colonel -- wird der Haus¬
wirt bedacht, bei dem falsch gespielt wird; Premier ist der Hauptspieler,
Mangeur dessen Gehilfe, der die falschen Karten (Portöes) einschmuggelt,
Mciquillage heißt das Kennzeichnen der Karten zum Falschspiele, Filage'das
Abziehen der falschen Karten. Coupe das falsche Abheben, Transportieren
das plötzliche Verschwindenlassen von Karten usw.

Viel unbedeutender erscheint im ganzen auffälligerweise der Anteil, den die
fremden Sprachen der Völker germanischer Rasse an der Entwicklung unsers Rot¬
welsch gehabt haben. Jedoch sind manche holländische Wörter durch Vermittlung
der niederländischen Übersetzung des Inder VccZÄtoruin sowie später durch deu
Einfluß der großen holländischen und flandrischen Räuberbanden (Ende des acht¬
zehnten Jahrhunderts) auch in die Sprache der deutschen Gauner eingedrungen,
und auch Spuren des Englischen lassen sich hier und da erkennen. Schon in
Wortlisten des sechzehnten Jahrhunderts sind sie anzutreffen, wie die Vokabelin
Coxe (oder Kutse) für Henne (alte Form für cveta; vergl. eoxeomb, Hahnenkamm),
Trewael, Schuh (von travsl, Reise. Gang) und Deyster, Würfel (von alios,
Plural von als; vergl. w alios würfeln) beweisen, denen später noch andre zur Seite
traten, wie namentlich Black für Tinte, Cone, Kant oder Kautz (von de> ent,
schneiden) für Messer, Batteters für Kartoffeln (wohl direkt von pota-wos, während
die Nebenform Budnden oder Budoden mehr an das italienische Mals anklingt)
und das sonderbare "Fischueß" für Weste, eine Verstümmelung aus tasliicmist,,
der Modenarr, die zugleich als interessante Umkehrung eines x^is pro wto erscheint,
in der sich die scharfe Beobachtungsgabe der Gauner kundgibt, indem sie bei einem
richtigen "Gigerl" eine schöne bunte Weste gleichsam als die Hauptsache betrachtete".

Daß man schließlich auch auf die nordischen Sprachen einzelne rotwelsche Aus¬
drücke mit Sicherheit zurückführen kann, dafür sei hier wenigstens noch ein
Beispiel erwähnt. Fast in allen Wörterverzeichnissen enthalten ist das (freilich
dialektisch oft sehr entstellte) Zeitwort fe(h)mern oder febern für schreiben und
das davon wieder gebildete Substantiv Fe(h)mer, Feberer usw., der Schreiber,
das abzuleiten ist von Feen(e), Fehm(e), Föhn, die Hand. Dieses Wort aber
stammt nus dem Schwedischen, wo es zunächst die Zahl 5 bedeutet, was man dann
auf die fünf Finger der Hand übertragen hat.

Die Gauner haben sich aber nicht bloß damit begnügt, viele Wörter aus fremden
Sprachen in ihr Rotwelsch aufzunehmen, die sich dann im Laufe der Zeiten all¬
mählich ganz von selbst mehr oder weniger veränderten, sie haben sie häufig auch
grundsätzlich schon von vornherein nach ganz bestimmten Regeln umzugestalten und
noch unkenntlicher zu machen versucht. Da jedoch dieselbe Methode auch sür viele
rein deutsche Wörter, ja hier sogar noch weit häufiger angewandt worden ist, so
empfiehlt es sich, diese Gruppe rotwelscher Formen ohne Rücksicht auf ihren fremden
oder einheimischen Ursprung zusammenzufassen. Das Auffälligste an allen diesen Wort¬
entstellungen, die Ave-Lallemand einst unnötigerweise mit den kabbalistischen Formen
und dem Aberglauben der Gauner in Zusammenhang gebracht hat, ist wohl ihre


Grenzboten III 1904 22
Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners

deutung in der neuern Terminologie der gewerbsmäßigen Falschspieler („Frei-
schupper") anzutreffen ist. Wie in Lessings „Minna von Bnrnhelm" der
Franzose Riccault de la Marliniere die glatte Phrase eorriAvr tortnus dem
derben deutschen „betrügen" vorzieht, so haben auch unsre Gauner in dieser
Spezialität zur Beschönigung ihres unlauter» Treibens die gefälligem Formen
unsrer gallischen Nachbarn verwandt. Da begegnen wir zunächst einem Kommer-
zianten (Professionsspieler), so genannt nach seiner Tätigkeit, dem „Commerce
machen." Beschränkt er diese auf dumme Tölpel aus dein gewöhnlichen Volke, so heißt er
Tripoteur, Bauernfänger, plündert er dagegen in feinerer Weise auch Personen
aus den bessern Ständen aus, so wird er als Grec bezeichnet, nach dem ver¬
meintlichen Nativnallaster des Griechenvolkes, das ja schon den Römern als falsch
galt (vergl. sacs Frasos., Treulosigkeit). Eine ganze Verbündete Falschspielergruppe
heißt Cagnotte; mit einem militärischen Titel — Colonel — wird der Haus¬
wirt bedacht, bei dem falsch gespielt wird; Premier ist der Hauptspieler,
Mangeur dessen Gehilfe, der die falschen Karten (Portöes) einschmuggelt,
Mciquillage heißt das Kennzeichnen der Karten zum Falschspiele, Filage'das
Abziehen der falschen Karten. Coupe das falsche Abheben, Transportieren
das plötzliche Verschwindenlassen von Karten usw.

Viel unbedeutender erscheint im ganzen auffälligerweise der Anteil, den die
fremden Sprachen der Völker germanischer Rasse an der Entwicklung unsers Rot¬
welsch gehabt haben. Jedoch sind manche holländische Wörter durch Vermittlung
der niederländischen Übersetzung des Inder VccZÄtoruin sowie später durch deu
Einfluß der großen holländischen und flandrischen Räuberbanden (Ende des acht¬
zehnten Jahrhunderts) auch in die Sprache der deutschen Gauner eingedrungen,
und auch Spuren des Englischen lassen sich hier und da erkennen. Schon in
Wortlisten des sechzehnten Jahrhunderts sind sie anzutreffen, wie die Vokabelin
Coxe (oder Kutse) für Henne (alte Form für cveta; vergl. eoxeomb, Hahnenkamm),
Trewael, Schuh (von travsl, Reise. Gang) und Deyster, Würfel (von alios,
Plural von als; vergl. w alios würfeln) beweisen, denen später noch andre zur Seite
traten, wie namentlich Black für Tinte, Cone, Kant oder Kautz (von de> ent,
schneiden) für Messer, Batteters für Kartoffeln (wohl direkt von pota-wos, während
die Nebenform Budnden oder Budoden mehr an das italienische Mals anklingt)
und das sonderbare „Fischueß" für Weste, eine Verstümmelung aus tasliicmist,,
der Modenarr, die zugleich als interessante Umkehrung eines x^is pro wto erscheint,
in der sich die scharfe Beobachtungsgabe der Gauner kundgibt, indem sie bei einem
richtigen „Gigerl" eine schöne bunte Weste gleichsam als die Hauptsache betrachtete».

Daß man schließlich auch auf die nordischen Sprachen einzelne rotwelsche Aus¬
drücke mit Sicherheit zurückführen kann, dafür sei hier wenigstens noch ein
Beispiel erwähnt. Fast in allen Wörterverzeichnissen enthalten ist das (freilich
dialektisch oft sehr entstellte) Zeitwort fe(h)mern oder febern für schreiben und
das davon wieder gebildete Substantiv Fe(h)mer, Feberer usw., der Schreiber,
das abzuleiten ist von Feen(e), Fehm(e), Föhn, die Hand. Dieses Wort aber
stammt nus dem Schwedischen, wo es zunächst die Zahl 5 bedeutet, was man dann
auf die fünf Finger der Hand übertragen hat.

Die Gauner haben sich aber nicht bloß damit begnügt, viele Wörter aus fremden
Sprachen in ihr Rotwelsch aufzunehmen, die sich dann im Laufe der Zeiten all¬
mählich ganz von selbst mehr oder weniger veränderten, sie haben sie häufig auch
grundsätzlich schon von vornherein nach ganz bestimmten Regeln umzugestalten und
noch unkenntlicher zu machen versucht. Da jedoch dieselbe Methode auch sür viele
rein deutsche Wörter, ja hier sogar noch weit häufiger angewandt worden ist, so
empfiehlt es sich, diese Gruppe rotwelscher Formen ohne Rücksicht auf ihren fremden
oder einheimischen Ursprung zusammenzufassen. Das Auffälligste an allen diesen Wort¬
entstellungen, die Ave-Lallemand einst unnötigerweise mit den kabbalistischen Formen
und dem Aberglauben der Gauner in Zusammenhang gebracht hat, ist wohl ihre


Grenzboten III 1904 22
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[0169] Das „Rotwelsch" des deutschen Gauners deutung in der neuern Terminologie der gewerbsmäßigen Falschspieler („Frei- schupper") anzutreffen ist. Wie in Lessings „Minna von Bnrnhelm" der Franzose Riccault de la Marliniere die glatte Phrase eorriAvr tortnus dem derben deutschen „betrügen" vorzieht, so haben auch unsre Gauner in dieser Spezialität zur Beschönigung ihres unlauter» Treibens die gefälligem Formen unsrer gallischen Nachbarn verwandt. Da begegnen wir zunächst einem Kommer- zianten (Professionsspieler), so genannt nach seiner Tätigkeit, dem „Commerce machen." Beschränkt er diese auf dumme Tölpel aus dein gewöhnlichen Volke, so heißt er Tripoteur, Bauernfänger, plündert er dagegen in feinerer Weise auch Personen aus den bessern Ständen aus, so wird er als Grec bezeichnet, nach dem ver¬ meintlichen Nativnallaster des Griechenvolkes, das ja schon den Römern als falsch galt (vergl. sacs Frasos., Treulosigkeit). Eine ganze Verbündete Falschspielergruppe heißt Cagnotte; mit einem militärischen Titel — Colonel — wird der Haus¬ wirt bedacht, bei dem falsch gespielt wird; Premier ist der Hauptspieler, Mangeur dessen Gehilfe, der die falschen Karten (Portöes) einschmuggelt, Mciquillage heißt das Kennzeichnen der Karten zum Falschspiele, Filage'das Abziehen der falschen Karten. Coupe das falsche Abheben, Transportieren das plötzliche Verschwindenlassen von Karten usw. Viel unbedeutender erscheint im ganzen auffälligerweise der Anteil, den die fremden Sprachen der Völker germanischer Rasse an der Entwicklung unsers Rot¬ welsch gehabt haben. Jedoch sind manche holländische Wörter durch Vermittlung der niederländischen Übersetzung des Inder VccZÄtoruin sowie später durch deu Einfluß der großen holländischen und flandrischen Räuberbanden (Ende des acht¬ zehnten Jahrhunderts) auch in die Sprache der deutschen Gauner eingedrungen, und auch Spuren des Englischen lassen sich hier und da erkennen. Schon in Wortlisten des sechzehnten Jahrhunderts sind sie anzutreffen, wie die Vokabelin Coxe (oder Kutse) für Henne (alte Form für cveta; vergl. eoxeomb, Hahnenkamm), Trewael, Schuh (von travsl, Reise. Gang) und Deyster, Würfel (von alios, Plural von als; vergl. w alios würfeln) beweisen, denen später noch andre zur Seite traten, wie namentlich Black für Tinte, Cone, Kant oder Kautz (von de> ent, schneiden) für Messer, Batteters für Kartoffeln (wohl direkt von pota-wos, während die Nebenform Budnden oder Budoden mehr an das italienische Mals anklingt) und das sonderbare „Fischueß" für Weste, eine Verstümmelung aus tasliicmist,, der Modenarr, die zugleich als interessante Umkehrung eines x^is pro wto erscheint, in der sich die scharfe Beobachtungsgabe der Gauner kundgibt, indem sie bei einem richtigen „Gigerl" eine schöne bunte Weste gleichsam als die Hauptsache betrachtete». Daß man schließlich auch auf die nordischen Sprachen einzelne rotwelsche Aus¬ drücke mit Sicherheit zurückführen kann, dafür sei hier wenigstens noch ein Beispiel erwähnt. Fast in allen Wörterverzeichnissen enthalten ist das (freilich dialektisch oft sehr entstellte) Zeitwort fe(h)mern oder febern für schreiben und das davon wieder gebildete Substantiv Fe(h)mer, Feberer usw., der Schreiber, das abzuleiten ist von Feen(e), Fehm(e), Föhn, die Hand. Dieses Wort aber stammt nus dem Schwedischen, wo es zunächst die Zahl 5 bedeutet, was man dann auf die fünf Finger der Hand übertragen hat. Die Gauner haben sich aber nicht bloß damit begnügt, viele Wörter aus fremden Sprachen in ihr Rotwelsch aufzunehmen, die sich dann im Laufe der Zeiten all¬ mählich ganz von selbst mehr oder weniger veränderten, sie haben sie häufig auch grundsätzlich schon von vornherein nach ganz bestimmten Regeln umzugestalten und noch unkenntlicher zu machen versucht. Da jedoch dieselbe Methode auch sür viele rein deutsche Wörter, ja hier sogar noch weit häufiger angewandt worden ist, so empfiehlt es sich, diese Gruppe rotwelscher Formen ohne Rücksicht auf ihren fremden oder einheimischen Ursprung zusammenzufassen. Das Auffälligste an allen diesen Wort¬ entstellungen, die Ave-Lallemand einst unnötigerweise mit den kabbalistischen Formen und dem Aberglauben der Gauner in Zusammenhang gebracht hat, ist wohl ihre Grenzboten III 1904 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/169>, abgerufen am 23.07.2024.