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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Majestät des Schreckens, eine iuoai'naiÄ Narrheit, ein von Stickstoff der Volks¬
gunst aufgeblasner Papiersack." Das Verbrüderungsfest auf dem Marsfelde als
Gegenbild des christlichen Abendmahls, der Millenuiumstraum, die Göttin Zivili¬
sation, an deren Tempeln, den Museen, man liest: Vor Taschendieben wird gewarnt;
viele andre Utopistereien werden sehr hübsch verspottet, aber der Verfasser scheint
selbst ein wenig Utopist zu sein, da er erwartet, die Menschheit werde für die
wahre Freiheit dereinst einmal schon auf Erden reif werden. Wiederholt erinnert
er daran, wie die Politik im Bunde mit der Vereinsmeierei und dem Wirtshaus
das Familienleben und die zur Selbstbesinnung und Orientierung nötige wahre
Sonntagsfeier untergrabe; schade nur, daß er uns nicht sagt, wie die Menschheit
bestehn könnte ohne Politik, und wie diese im Gange bleiben könnte, wenn alle
Staatsbürger so unpolitisch lebten wie -- der Rezensent, der sich von der Er¬
füllung der vorzugsweise sogenannten Bürgerpflichten dispensiert, weil er glaubt,
daß ihn der Eifer seiner Mitbürger in ihrer Erfüllung überflüssig macht.






Herausgi'gebrn "an Johannes Grunow in Leipzig
Verlag ont Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Drnil von Karl Marquart in Leipzig




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Majestät des Schreckens, eine iuoai'naiÄ Narrheit, ein von Stickstoff der Volks¬
gunst aufgeblasner Papiersack." Das Verbrüderungsfest auf dem Marsfelde als
Gegenbild des christlichen Abendmahls, der Millenuiumstraum, die Göttin Zivili¬
sation, an deren Tempeln, den Museen, man liest: Vor Taschendieben wird gewarnt;
viele andre Utopistereien werden sehr hübsch verspottet, aber der Verfasser scheint
selbst ein wenig Utopist zu sein, da er erwartet, die Menschheit werde für die
wahre Freiheit dereinst einmal schon auf Erden reif werden. Wiederholt erinnert
er daran, wie die Politik im Bunde mit der Vereinsmeierei und dem Wirtshaus
das Familienleben und die zur Selbstbesinnung und Orientierung nötige wahre
Sonntagsfeier untergrabe; schade nur, daß er uns nicht sagt, wie die Menschheit
bestehn könnte ohne Politik, und wie diese im Gange bleiben könnte, wenn alle
Staatsbürger so unpolitisch lebten wie — der Rezensent, der sich von der Er¬
füllung der vorzugsweise sogenannten Bürgerpflichten dispensiert, weil er glaubt,
daß ihn der Eifer seiner Mitbürger in ihrer Erfüllung überflüssig macht.






Herausgi'gebrn »an Johannes Grunow in Leipzig
Verlag ont Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Drnil von Karl Marquart in Leipzig




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[0792] Maßgebliches und Unmaßgebliches Majestät des Schreckens, eine iuoai'naiÄ Narrheit, ein von Stickstoff der Volks¬ gunst aufgeblasner Papiersack." Das Verbrüderungsfest auf dem Marsfelde als Gegenbild des christlichen Abendmahls, der Millenuiumstraum, die Göttin Zivili¬ sation, an deren Tempeln, den Museen, man liest: Vor Taschendieben wird gewarnt; viele andre Utopistereien werden sehr hübsch verspottet, aber der Verfasser scheint selbst ein wenig Utopist zu sein, da er erwartet, die Menschheit werde für die wahre Freiheit dereinst einmal schon auf Erden reif werden. Wiederholt erinnert er daran, wie die Politik im Bunde mit der Vereinsmeierei und dem Wirtshaus das Familienleben und die zur Selbstbesinnung und Orientierung nötige wahre Sonntagsfeier untergrabe; schade nur, daß er uns nicht sagt, wie die Menschheit bestehn könnte ohne Politik, und wie diese im Gange bleiben könnte, wenn alle Staatsbürger so unpolitisch lebten wie — der Rezensent, der sich von der Er¬ füllung der vorzugsweise sogenannten Bürgerpflichten dispensiert, weil er glaubt, daß ihn der Eifer seiner Mitbürger in ihrer Erfüllung überflüssig macht. Herausgi'gebrn »an Johannes Grunow in Leipzig Verlag ont Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Drnil von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/792>, abgerufen am 30.06.2024.