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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Stellung zu England und gewissen deutschfeindlichen Treibereien

wo wir mit England gemeinsame Sache gegen Rußland machen wollten. Wenn
wir den Engländern den Besitz Indiens und die Integrität Chinas, Afghanistans,
Persiens verbürgen wollten, könnten wir leicht ein Bündnis mit ihnen haben,
das die Franzosen von einem Versuch, Elsaß-Lothringen'wieder zu erobern,
zurückhielte. Aber ein solches Bündnis brauchen wir nicht, denn wir halten
Frankreich allein in seinen Schranken. Wir können es auch uicht eingehn,
denn wir hätten dabei die Last zu tragen, und England striche dabei den
Vorteil ein, England, dessen Verträge durch eine Parlamentsneuwahl und
einen entsprechenden Ministerwechscl illusorisch gemacht werden könnten. Wir
wollen uns auch nicht mit Rußland überwerfen, dieser großen Macht, mit
deren Interessen die unsrigen nicht kollidieren, und mit der Deutschland, wenig
Jahre des siebenjährigen Krieges abgerechnet, noch immer in Frieden gelebt
hat. Die zweite Sorte der britischen Deutschenfeinde könnte nur "zu äöpit
über Deutschlands Weigerung und Deutschlands Verhalten den Russen in die
Arme getrieben werden. Sie könnten sagen: wenn nicht mit Deutschland
gegen Nußland, dann mit Nußland gegen Deutschland, um dieses wirtschaftlich
zu Boden zu schlagen.

Noch denkt die Masse des englischen Volkes nicht so. Noch sind die
Besonnenen eine große Macht. Der Vertrag mit Frankreich hat ihnen zwar
gezeigt, wie man alte Differenzen mit Gewalt niederschlagen kann, zugleich
aber auch, welche Opfer das mit sich bringt. Ein leiser Katzenjammer über
den Marokkovcrtrag ist trotz aller zur Schau getragnen Befriedigung doch
vorhanden. Was man aber von dem besonnenen Sinn des deutschen Volkes
verlangen muß, das ist Abwendung von dem Glauben, das Herumtrampeln
auf englischen Hühneraugen sei ein patriotisches Verfahren. Nach der Art und
Weise, wie wir soeben die Rational ki-solfo und ihre Helfershelfer gekenn¬
zeichnet haben, kommen wir wohl nicht in den Verdacht einer blinden Briten¬
liebe oder eines fanatischen Rnssenhasses. Wir verfechten eine Politik, die
mit beiden Großmächten auf normalem, freundschaftlichem Fuße stehn will,
mit keiner ein Bündnis, mit keiner einen Nationalhaß. Das Abweichen
hiervon hat uns auch keinen Schimmer von Vorteil gebracht, nicht einmal
den Buren, zu deren Gunsten der Britenhaß einst lichterloh angeblasen wurde.
Wohl aber haben wir damit den Franzosen genützt, denn ohne die englische
Verstimmung über uns Hütten sie schwerlich Marokko eingeheimst. Heutzutage
machen nicht die Regierungen allein die große Politik, auch die Völker
arbeiten daran mit, vor allem die Wortführer in der Presse!




Deutschlands Stellung zu England und gewissen deutschfeindlichen Treibereien

wo wir mit England gemeinsame Sache gegen Rußland machen wollten. Wenn
wir den Engländern den Besitz Indiens und die Integrität Chinas, Afghanistans,
Persiens verbürgen wollten, könnten wir leicht ein Bündnis mit ihnen haben,
das die Franzosen von einem Versuch, Elsaß-Lothringen'wieder zu erobern,
zurückhielte. Aber ein solches Bündnis brauchen wir nicht, denn wir halten
Frankreich allein in seinen Schranken. Wir können es auch uicht eingehn,
denn wir hätten dabei die Last zu tragen, und England striche dabei den
Vorteil ein, England, dessen Verträge durch eine Parlamentsneuwahl und
einen entsprechenden Ministerwechscl illusorisch gemacht werden könnten. Wir
wollen uns auch nicht mit Rußland überwerfen, dieser großen Macht, mit
deren Interessen die unsrigen nicht kollidieren, und mit der Deutschland, wenig
Jahre des siebenjährigen Krieges abgerechnet, noch immer in Frieden gelebt
hat. Die zweite Sorte der britischen Deutschenfeinde könnte nur «zu äöpit
über Deutschlands Weigerung und Deutschlands Verhalten den Russen in die
Arme getrieben werden. Sie könnten sagen: wenn nicht mit Deutschland
gegen Nußland, dann mit Nußland gegen Deutschland, um dieses wirtschaftlich
zu Boden zu schlagen.

Noch denkt die Masse des englischen Volkes nicht so. Noch sind die
Besonnenen eine große Macht. Der Vertrag mit Frankreich hat ihnen zwar
gezeigt, wie man alte Differenzen mit Gewalt niederschlagen kann, zugleich
aber auch, welche Opfer das mit sich bringt. Ein leiser Katzenjammer über
den Marokkovcrtrag ist trotz aller zur Schau getragnen Befriedigung doch
vorhanden. Was man aber von dem besonnenen Sinn des deutschen Volkes
verlangen muß, das ist Abwendung von dem Glauben, das Herumtrampeln
auf englischen Hühneraugen sei ein patriotisches Verfahren. Nach der Art und
Weise, wie wir soeben die Rational ki-solfo und ihre Helfershelfer gekenn¬
zeichnet haben, kommen wir wohl nicht in den Verdacht einer blinden Briten¬
liebe oder eines fanatischen Rnssenhasses. Wir verfechten eine Politik, die
mit beiden Großmächten auf normalem, freundschaftlichem Fuße stehn will,
mit keiner ein Bündnis, mit keiner einen Nationalhaß. Das Abweichen
hiervon hat uns auch keinen Schimmer von Vorteil gebracht, nicht einmal
den Buren, zu deren Gunsten der Britenhaß einst lichterloh angeblasen wurde.
Wohl aber haben wir damit den Franzosen genützt, denn ohne die englische
Verstimmung über uns Hütten sie schwerlich Marokko eingeheimst. Heutzutage
machen nicht die Regierungen allein die große Politik, auch die Völker
arbeiten daran mit, vor allem die Wortführer in der Presse!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/678>, abgerufen am 25.07.2024.