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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Und nun das Liebesverhältnis! Das ist völlig roh hingepinselt, ohne eine
Spur von psychologischer Vertiefung und auch ohne einen Hauch echter Kunst; denn
anstatt sich die Charaktere entwickeln zu lassen, verrät Stilgebauer uns sofort, was
Kraffts Angebetete will; wir möchten sie sich unbewußt enträtseln sehen -- sie wird
aber ohne Not so klar charakterisiert, daß kein Rätsel mehr bleibt. Gewiß ganz
bequem, aber auch ohne jede Feinheit. Und so hinterläßt das dicke Buch am Ende
den Eindruck: hier hat jemand nicht ohne Talent versucht, den Roman einer Jugend
zu schreiben -- aber es hat jemand anders mit der Hetzpeitsche hinter ihm ge¬
standen, es hat ihm jemand das nasse Manuskript unter der Hand weggezogen,
und es hat jemand die Druckmaschinen doppelt befeuert, um recht schnell gleich
"das erste bis zehnte Tausend" auf den Markt zu bringen.

Wer dieser zweite Jemand war, den die Erfolge des "Jörn Abt" nicht haben
schlafen lassen, wird klar, wenn man nach dem Verleger des Werkes sieht, das in
allen Schaufenstern als "der Roman unsrer Zeit" angepriesen wird: es ist Herr
Richard Borg, der die geistvollen und für unser Kulturleben so unentbehrlichen
Zeitschriften Moderne Kunst und Zur guten Stunde herausgibt, Blätter, nach
deren Einsicht man sich schämt, jemals über die Woche gescholten zu haben. Herr
Borg hat es verstanden, mit einer Riesenreklame dem nnqunlifizierbaren Schund
der "Berliner Range" einen Riesenerfolg zu schaffen, in demselben Jahre etwa,
wo Rnabes größte Romane nach zwanzig Jahren die zweite oder die dritte Auf¬
lage erlebten. Herr Borg hat diesem lieblichen Kunstprodukt für geistig anspruchs¬
lose Eckensteher eine zweite Reihe Bändchen folgen lassen, in denen uns neckische
Streiche einer Provinzrange erzählt werden. Als "Alt-Heidelberg" über die
Bühnen ging, versuchte Herr Borg einen Teil des Paktolus in seine Kassen zu
lenken und gab unter neuer riesiger Reklame einen Cyklus von Studentenromanen
heraus. Und ich bezweifle nicht, daß der Erfolg von Gorkijs "Nachtasyl" ihm
die geniale Idee zu einem Dutzend Büchern aus deutschen Kaschemmen gegeben
hätte, wenn nicht der "Jörn Abt" dazwischen gekommen wäre. ("Jena oder
Sedan" konnte er. da er auch patriotische Werke führt und ein "nationaler" Ver¬
leger ist, leider nicht benutzen.) Und nun hieß es, jeden Rekord schlagen. Nicht
einen Roman, sondern gleich vier! Und nicht etwa die übliche, veraltete Reklame,
sondern noch nicht Dagewesenes, Unerhörtes mußte geboten werden.

Es ist Herrn Borg gelungen. Unerhört ist es in der Tat, wie dieser "Götz
Krafft" von Stilgebauer eingeführt wird. Man schickt das Werk einer Reihe be¬
rühmter oder doch bekannter Autoren. In besonders wichtigen Fällen bittet man
in dem beigelegten Schreiben um ein offnes Wort der Kritik. Und höflich, wie
gerade bedeutende Leute es meist sind, antworten auch die, die man nicht eigens
gebeten hat. Und welches Erstaunen dann, wenn die Worte, die diese Dichter und
Schriftsteller Herrn Stilgebauer durchaus privatim geschrieben hatten, einige Tage
darauf in einer Riesenreklame durch alle Zeitungen gehn. Natürlich nicht alle
Worte. So -- dumm ist man nicht! Da wird ein Sätzchen herausgeschnitten,
das nichts als Lob enthält. Der Tadel, den der Schluß etwa birgt, wird nicht
abgedruckt. Man braucht nicht erst den starken Ausdruck der Empörung über einen
solchen Mißbrauch und Vertrauensbruch von einem unsrer ersten Dichter gehört
zu haben, daß man das beliebte Verfahren recht würdigt. Ich würde glauben,
die Amerikaner zu beleidigen, wenn ich solche Reklame "amerikanisch" nennte.

Aber nicht der Verleger allein trägt die Schuld. Publikum und Presse sind
im Bunde. Das Publikum sollte ihm nicht seit Jahren jeden Schund abkaufen,
und ein Teil der Presse sollte sich hüten, seine Waschzettel immer wieder abzu¬
drucken. Neben allen aber, denen die Kunst Lebensinhalt oder Herzenssache ist,
wäre hier der Dürerbund berufen, sich zu regen. Bisher hat ers nicht getan.
Und da von den Goethebuudvereinen nichts zu erwarten ist, muß wenigstens jeder
auf eigne Faust zusehen, daß sich das von Herrn Borg beliebte Verfahren in voller
Heinrich Sxiero Schönheit für jeden, der Augen hat, öffentlich darstelle.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Und nun das Liebesverhältnis! Das ist völlig roh hingepinselt, ohne eine
Spur von psychologischer Vertiefung und auch ohne einen Hauch echter Kunst; denn
anstatt sich die Charaktere entwickeln zu lassen, verrät Stilgebauer uns sofort, was
Kraffts Angebetete will; wir möchten sie sich unbewußt enträtseln sehen — sie wird
aber ohne Not so klar charakterisiert, daß kein Rätsel mehr bleibt. Gewiß ganz
bequem, aber auch ohne jede Feinheit. Und so hinterläßt das dicke Buch am Ende
den Eindruck: hier hat jemand nicht ohne Talent versucht, den Roman einer Jugend
zu schreiben — aber es hat jemand anders mit der Hetzpeitsche hinter ihm ge¬
standen, es hat ihm jemand das nasse Manuskript unter der Hand weggezogen,
und es hat jemand die Druckmaschinen doppelt befeuert, um recht schnell gleich
„das erste bis zehnte Tausend" auf den Markt zu bringen.

Wer dieser zweite Jemand war, den die Erfolge des „Jörn Abt" nicht haben
schlafen lassen, wird klar, wenn man nach dem Verleger des Werkes sieht, das in
allen Schaufenstern als „der Roman unsrer Zeit" angepriesen wird: es ist Herr
Richard Borg, der die geistvollen und für unser Kulturleben so unentbehrlichen
Zeitschriften Moderne Kunst und Zur guten Stunde herausgibt, Blätter, nach
deren Einsicht man sich schämt, jemals über die Woche gescholten zu haben. Herr
Borg hat es verstanden, mit einer Riesenreklame dem nnqunlifizierbaren Schund
der „Berliner Range" einen Riesenerfolg zu schaffen, in demselben Jahre etwa,
wo Rnabes größte Romane nach zwanzig Jahren die zweite oder die dritte Auf¬
lage erlebten. Herr Borg hat diesem lieblichen Kunstprodukt für geistig anspruchs¬
lose Eckensteher eine zweite Reihe Bändchen folgen lassen, in denen uns neckische
Streiche einer Provinzrange erzählt werden. Als „Alt-Heidelberg" über die
Bühnen ging, versuchte Herr Borg einen Teil des Paktolus in seine Kassen zu
lenken und gab unter neuer riesiger Reklame einen Cyklus von Studentenromanen
heraus. Und ich bezweifle nicht, daß der Erfolg von Gorkijs „Nachtasyl" ihm
die geniale Idee zu einem Dutzend Büchern aus deutschen Kaschemmen gegeben
hätte, wenn nicht der „Jörn Abt" dazwischen gekommen wäre. („Jena oder
Sedan" konnte er. da er auch patriotische Werke führt und ein „nationaler" Ver¬
leger ist, leider nicht benutzen.) Und nun hieß es, jeden Rekord schlagen. Nicht
einen Roman, sondern gleich vier! Und nicht etwa die übliche, veraltete Reklame,
sondern noch nicht Dagewesenes, Unerhörtes mußte geboten werden.

Es ist Herrn Borg gelungen. Unerhört ist es in der Tat, wie dieser „Götz
Krafft" von Stilgebauer eingeführt wird. Man schickt das Werk einer Reihe be¬
rühmter oder doch bekannter Autoren. In besonders wichtigen Fällen bittet man
in dem beigelegten Schreiben um ein offnes Wort der Kritik. Und höflich, wie
gerade bedeutende Leute es meist sind, antworten auch die, die man nicht eigens
gebeten hat. Und welches Erstaunen dann, wenn die Worte, die diese Dichter und
Schriftsteller Herrn Stilgebauer durchaus privatim geschrieben hatten, einige Tage
darauf in einer Riesenreklame durch alle Zeitungen gehn. Natürlich nicht alle
Worte. So — dumm ist man nicht! Da wird ein Sätzchen herausgeschnitten,
das nichts als Lob enthält. Der Tadel, den der Schluß etwa birgt, wird nicht
abgedruckt. Man braucht nicht erst den starken Ausdruck der Empörung über einen
solchen Mißbrauch und Vertrauensbruch von einem unsrer ersten Dichter gehört
zu haben, daß man das beliebte Verfahren recht würdigt. Ich würde glauben,
die Amerikaner zu beleidigen, wenn ich solche Reklame „amerikanisch" nennte.

Aber nicht der Verleger allein trägt die Schuld. Publikum und Presse sind
im Bunde. Das Publikum sollte ihm nicht seit Jahren jeden Schund abkaufen,
und ein Teil der Presse sollte sich hüten, seine Waschzettel immer wieder abzu¬
drucken. Neben allen aber, denen die Kunst Lebensinhalt oder Herzenssache ist,
wäre hier der Dürerbund berufen, sich zu regen. Bisher hat ers nicht getan.
Und da von den Goethebuudvereinen nichts zu erwarten ist, muß wenigstens jeder
auf eigne Faust zusehen, daß sich das von Herrn Borg beliebte Verfahren in voller
Heinrich Sxiero Schönheit für jeden, der Augen hat, öffentlich darstelle.


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[0671] Maßgebliches und Unmaßgebliches Und nun das Liebesverhältnis! Das ist völlig roh hingepinselt, ohne eine Spur von psychologischer Vertiefung und auch ohne einen Hauch echter Kunst; denn anstatt sich die Charaktere entwickeln zu lassen, verrät Stilgebauer uns sofort, was Kraffts Angebetete will; wir möchten sie sich unbewußt enträtseln sehen — sie wird aber ohne Not so klar charakterisiert, daß kein Rätsel mehr bleibt. Gewiß ganz bequem, aber auch ohne jede Feinheit. Und so hinterläßt das dicke Buch am Ende den Eindruck: hier hat jemand nicht ohne Talent versucht, den Roman einer Jugend zu schreiben — aber es hat jemand anders mit der Hetzpeitsche hinter ihm ge¬ standen, es hat ihm jemand das nasse Manuskript unter der Hand weggezogen, und es hat jemand die Druckmaschinen doppelt befeuert, um recht schnell gleich „das erste bis zehnte Tausend" auf den Markt zu bringen. Wer dieser zweite Jemand war, den die Erfolge des „Jörn Abt" nicht haben schlafen lassen, wird klar, wenn man nach dem Verleger des Werkes sieht, das in allen Schaufenstern als „der Roman unsrer Zeit" angepriesen wird: es ist Herr Richard Borg, der die geistvollen und für unser Kulturleben so unentbehrlichen Zeitschriften Moderne Kunst und Zur guten Stunde herausgibt, Blätter, nach deren Einsicht man sich schämt, jemals über die Woche gescholten zu haben. Herr Borg hat es verstanden, mit einer Riesenreklame dem nnqunlifizierbaren Schund der „Berliner Range" einen Riesenerfolg zu schaffen, in demselben Jahre etwa, wo Rnabes größte Romane nach zwanzig Jahren die zweite oder die dritte Auf¬ lage erlebten. Herr Borg hat diesem lieblichen Kunstprodukt für geistig anspruchs¬ lose Eckensteher eine zweite Reihe Bändchen folgen lassen, in denen uns neckische Streiche einer Provinzrange erzählt werden. Als „Alt-Heidelberg" über die Bühnen ging, versuchte Herr Borg einen Teil des Paktolus in seine Kassen zu lenken und gab unter neuer riesiger Reklame einen Cyklus von Studentenromanen heraus. Und ich bezweifle nicht, daß der Erfolg von Gorkijs „Nachtasyl" ihm die geniale Idee zu einem Dutzend Büchern aus deutschen Kaschemmen gegeben hätte, wenn nicht der „Jörn Abt" dazwischen gekommen wäre. („Jena oder Sedan" konnte er. da er auch patriotische Werke führt und ein „nationaler" Ver¬ leger ist, leider nicht benutzen.) Und nun hieß es, jeden Rekord schlagen. Nicht einen Roman, sondern gleich vier! Und nicht etwa die übliche, veraltete Reklame, sondern noch nicht Dagewesenes, Unerhörtes mußte geboten werden. Es ist Herrn Borg gelungen. Unerhört ist es in der Tat, wie dieser „Götz Krafft" von Stilgebauer eingeführt wird. Man schickt das Werk einer Reihe be¬ rühmter oder doch bekannter Autoren. In besonders wichtigen Fällen bittet man in dem beigelegten Schreiben um ein offnes Wort der Kritik. Und höflich, wie gerade bedeutende Leute es meist sind, antworten auch die, die man nicht eigens gebeten hat. Und welches Erstaunen dann, wenn die Worte, die diese Dichter und Schriftsteller Herrn Stilgebauer durchaus privatim geschrieben hatten, einige Tage darauf in einer Riesenreklame durch alle Zeitungen gehn. Natürlich nicht alle Worte. So — dumm ist man nicht! Da wird ein Sätzchen herausgeschnitten, das nichts als Lob enthält. Der Tadel, den der Schluß etwa birgt, wird nicht abgedruckt. Man braucht nicht erst den starken Ausdruck der Empörung über einen solchen Mißbrauch und Vertrauensbruch von einem unsrer ersten Dichter gehört zu haben, daß man das beliebte Verfahren recht würdigt. Ich würde glauben, die Amerikaner zu beleidigen, wenn ich solche Reklame „amerikanisch" nennte. Aber nicht der Verleger allein trägt die Schuld. Publikum und Presse sind im Bunde. Das Publikum sollte ihm nicht seit Jahren jeden Schund abkaufen, und ein Teil der Presse sollte sich hüten, seine Waschzettel immer wieder abzu¬ drucken. Neben allen aber, denen die Kunst Lebensinhalt oder Herzenssache ist, wäre hier der Dürerbund berufen, sich zu regen. Bisher hat ers nicht getan. Und da von den Goethebuudvereinen nichts zu erwarten ist, muß wenigstens jeder auf eigne Faust zusehen, daß sich das von Herrn Borg beliebte Verfahren in voller Heinrich Sxiero Schönheit für jeden, der Augen hat, öffentlich darstelle.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/671>, abgerufen am 25.07.2024.