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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen

Sehr erregt war Graf Stolberg über eine Rede, die der Kultusminister von
Puttkamer nach der heutigen "Nationalzeitung" in Essen gehalten haben soll. Danach
hätte er den Artikel der "Kölnischen Zeitung" über das Bündnis mit Österreich
förmlich für richtig erklärt, auch den Widerstand des Kaisers dagegen angedeutet,
während die Regierung vertragsmäßig Geheimhaltung versprochen hat. Stolberg
meinte, wenn die Rede von Puttkamer wirklich so gehalten sei, so sei er unmöglich.
Er hat an ihn geschrieben und sofortige Aufklärung verlangt. Was wird daraus
Werden?

27. Oktober. Heute früh fand bei dem Grafen Stolberg ein Ministerrat
statt ohne Zuziehung des Kultusministers von Puttkamer. Graf Stolberg erzählte
mir, Fürst Bismarck habe ihm telegraphiert, vom Standpunkte der Diplomatie sei
es ihm augenblicklich lieber, wen" der Minister von Puttkamer im Amte bliebe,
weil sein Abgang die Wahrheit der in der Essener Rede gemachten Enthüllungen
bestätigen würde. In der Tat hat Herr von Puttkamer sein Entlassungsgesuch
eingereicht, sich aber bereit erklärt, zu bleiben und sich desavouieren zu lassen,
falls der König das wolle. Dieser hat sich für das Bleiben des Kultusministers
ausgesprochen, und dessen Äußerungen sind heute in der "Post" und der "Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung" förmlich dementiert; das Entlassungsgesuch ist
kassiert. Graf Stolberg war aber der Meinung, daß das nur für kurze Zeit
helfen werde. Der König hat sich einverstanden erklärt, daß der Staatssekretär
Friedberg Justizminister wird. Vorläufig also ist alles wieder in der Reihe, und
wenn Herr von Puttkamer im Abgeordnetenhause geschickt operiert und gut ab¬
schneidet, kann es ihm doch noch gelingen, wieder festen Fuß zu fassen.

28. Oktober. Der Kaiser hat heute den Landtag selbst eröffnet. Die
Thronrede ist recht gut redigiert, wesentlich das Verdienst des Grafen Eulenburg.

9. Dezember. Soiree bei Graf Stolberg. Mit Barkhausen hingegangen.
Sehr voll, lauter Parlamentarier. Wir gingen nach einer Stunde wieder weg,
ohne etwas genossen zu haben, aßen und tranken dann bei Huth. Aber auch das
hat etwas mir uicht recht Zusagendes. Es ist eigentlich wie ein Unrecht, die an-
gebotne splendide Gastlichkeit nicht anzunehmen und sich so wegzustehlen. Unsre
ganze öffentliche Geselligkeit muß doch etwas schiefes haben. Denn besser als im
Hause des Grafen Stolberg kann so ein Abend gar nicht arrangiert sein, und
trotzdem klagt jeder über Langeweile, Hitze, Zwang und betrachtet seiue Anwesen¬
heit als ein großes Opfer. Und wenn der Hausherr ihm dieses Opfer uicht zu¬
mutet, d. h. thu uicht einladet, fühlt er sich verletzt und nimmt es übel. Wunder¬
liche Welt!

21. Dezember. Graf Stolberg war ziemlich bedrückt. Er teilte mir mit,
daß Fürst Bismarck plötzlich wieder mit dem Gedanken umgeht, die in Wien wegen
Beilegung des Kulturkampfs geführten Verhandlungen Knall und Fall abzubrechen,
weil die Haltung der Zentrumsfraktion im Abgeordnetenhaus" bei der Frage wegen
der Verstaatlichung der Eisenbahnen und bei dem nicht eben glücklichen EntWurfe
des Feld- und Forstpolizeigesetzes unfreundlich gegen die Regierung gewesen sei.
Namentlich die übermäßige Betonung des Privateigentumsbegriffs in den Verhand-
lungen über diesen Entwurf (Verbot des unbefugten Gehens in Forsten, des
Beeren- und Pilzesammelns und dergleichen) sei eine besondre Liebhaberei des
Fürsten Bismarck. Graf Stolberg beklagte mit Recht, daß Bismarck die Verhand¬
lungen rin Rom mehr als bloßes Adjuvans für seine sonstigen politischen Pläne
ansahe, während sie doch als sehr ernste Verhandlungen um ihrer selbst willen zu
betrachten seien, um den unglücklichen Kulturkampf, den Gegensatz von einem Drittel
aller Untertanen gegen die Regierung, ans anständige, das Recht und Ansehen
des Staats nicht verletzende Weise aus der Welt zu schaffen. Es würde jetzt, wo
alle Parteien, auch die liberalen, des Kulturkampfs herzlich müde seien, einen un¬
absehbar Übeln Eindruck machen, wenn man die Verhandlungen ohne sachlichen
Grund, gewissermaßen um einer politischen Laune willen, abbrechen wollte. Ich


Erinnerungen

Sehr erregt war Graf Stolberg über eine Rede, die der Kultusminister von
Puttkamer nach der heutigen „Nationalzeitung" in Essen gehalten haben soll. Danach
hätte er den Artikel der „Kölnischen Zeitung" über das Bündnis mit Österreich
förmlich für richtig erklärt, auch den Widerstand des Kaisers dagegen angedeutet,
während die Regierung vertragsmäßig Geheimhaltung versprochen hat. Stolberg
meinte, wenn die Rede von Puttkamer wirklich so gehalten sei, so sei er unmöglich.
Er hat an ihn geschrieben und sofortige Aufklärung verlangt. Was wird daraus
Werden?

27. Oktober. Heute früh fand bei dem Grafen Stolberg ein Ministerrat
statt ohne Zuziehung des Kultusministers von Puttkamer. Graf Stolberg erzählte
mir, Fürst Bismarck habe ihm telegraphiert, vom Standpunkte der Diplomatie sei
es ihm augenblicklich lieber, wen» der Minister von Puttkamer im Amte bliebe,
weil sein Abgang die Wahrheit der in der Essener Rede gemachten Enthüllungen
bestätigen würde. In der Tat hat Herr von Puttkamer sein Entlassungsgesuch
eingereicht, sich aber bereit erklärt, zu bleiben und sich desavouieren zu lassen,
falls der König das wolle. Dieser hat sich für das Bleiben des Kultusministers
ausgesprochen, und dessen Äußerungen sind heute in der „Post" und der „Nord¬
deutschen Allgemeinen Zeitung" förmlich dementiert; das Entlassungsgesuch ist
kassiert. Graf Stolberg war aber der Meinung, daß das nur für kurze Zeit
helfen werde. Der König hat sich einverstanden erklärt, daß der Staatssekretär
Friedberg Justizminister wird. Vorläufig also ist alles wieder in der Reihe, und
wenn Herr von Puttkamer im Abgeordnetenhause geschickt operiert und gut ab¬
schneidet, kann es ihm doch noch gelingen, wieder festen Fuß zu fassen.

28. Oktober. Der Kaiser hat heute den Landtag selbst eröffnet. Die
Thronrede ist recht gut redigiert, wesentlich das Verdienst des Grafen Eulenburg.

9. Dezember. Soiree bei Graf Stolberg. Mit Barkhausen hingegangen.
Sehr voll, lauter Parlamentarier. Wir gingen nach einer Stunde wieder weg,
ohne etwas genossen zu haben, aßen und tranken dann bei Huth. Aber auch das
hat etwas mir uicht recht Zusagendes. Es ist eigentlich wie ein Unrecht, die an-
gebotne splendide Gastlichkeit nicht anzunehmen und sich so wegzustehlen. Unsre
ganze öffentliche Geselligkeit muß doch etwas schiefes haben. Denn besser als im
Hause des Grafen Stolberg kann so ein Abend gar nicht arrangiert sein, und
trotzdem klagt jeder über Langeweile, Hitze, Zwang und betrachtet seiue Anwesen¬
heit als ein großes Opfer. Und wenn der Hausherr ihm dieses Opfer uicht zu¬
mutet, d. h. thu uicht einladet, fühlt er sich verletzt und nimmt es übel. Wunder¬
liche Welt!

21. Dezember. Graf Stolberg war ziemlich bedrückt. Er teilte mir mit,
daß Fürst Bismarck plötzlich wieder mit dem Gedanken umgeht, die in Wien wegen
Beilegung des Kulturkampfs geführten Verhandlungen Knall und Fall abzubrechen,
weil die Haltung der Zentrumsfraktion im Abgeordnetenhaus« bei der Frage wegen
der Verstaatlichung der Eisenbahnen und bei dem nicht eben glücklichen EntWurfe
des Feld- und Forstpolizeigesetzes unfreundlich gegen die Regierung gewesen sei.
Namentlich die übermäßige Betonung des Privateigentumsbegriffs in den Verhand-
lungen über diesen Entwurf (Verbot des unbefugten Gehens in Forsten, des
Beeren- und Pilzesammelns und dergleichen) sei eine besondre Liebhaberei des
Fürsten Bismarck. Graf Stolberg beklagte mit Recht, daß Bismarck die Verhand¬
lungen rin Rom mehr als bloßes Adjuvans für seine sonstigen politischen Pläne
ansahe, während sie doch als sehr ernste Verhandlungen um ihrer selbst willen zu
betrachten seien, um den unglücklichen Kulturkampf, den Gegensatz von einem Drittel
aller Untertanen gegen die Regierung, ans anständige, das Recht und Ansehen
des Staats nicht verletzende Weise aus der Welt zu schaffen. Es würde jetzt, wo
alle Parteien, auch die liberalen, des Kulturkampfs herzlich müde seien, einen un¬
absehbar Übeln Eindruck machen, wenn man die Verhandlungen ohne sachlichen
Grund, gewissermaßen um einer politischen Laune willen, abbrechen wollte. Ich


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[0652] Erinnerungen Sehr erregt war Graf Stolberg über eine Rede, die der Kultusminister von Puttkamer nach der heutigen „Nationalzeitung" in Essen gehalten haben soll. Danach hätte er den Artikel der „Kölnischen Zeitung" über das Bündnis mit Österreich förmlich für richtig erklärt, auch den Widerstand des Kaisers dagegen angedeutet, während die Regierung vertragsmäßig Geheimhaltung versprochen hat. Stolberg meinte, wenn die Rede von Puttkamer wirklich so gehalten sei, so sei er unmöglich. Er hat an ihn geschrieben und sofortige Aufklärung verlangt. Was wird daraus Werden? 27. Oktober. Heute früh fand bei dem Grafen Stolberg ein Ministerrat statt ohne Zuziehung des Kultusministers von Puttkamer. Graf Stolberg erzählte mir, Fürst Bismarck habe ihm telegraphiert, vom Standpunkte der Diplomatie sei es ihm augenblicklich lieber, wen» der Minister von Puttkamer im Amte bliebe, weil sein Abgang die Wahrheit der in der Essener Rede gemachten Enthüllungen bestätigen würde. In der Tat hat Herr von Puttkamer sein Entlassungsgesuch eingereicht, sich aber bereit erklärt, zu bleiben und sich desavouieren zu lassen, falls der König das wolle. Dieser hat sich für das Bleiben des Kultusministers ausgesprochen, und dessen Äußerungen sind heute in der „Post" und der „Nord¬ deutschen Allgemeinen Zeitung" förmlich dementiert; das Entlassungsgesuch ist kassiert. Graf Stolberg war aber der Meinung, daß das nur für kurze Zeit helfen werde. Der König hat sich einverstanden erklärt, daß der Staatssekretär Friedberg Justizminister wird. Vorläufig also ist alles wieder in der Reihe, und wenn Herr von Puttkamer im Abgeordnetenhause geschickt operiert und gut ab¬ schneidet, kann es ihm doch noch gelingen, wieder festen Fuß zu fassen. 28. Oktober. Der Kaiser hat heute den Landtag selbst eröffnet. Die Thronrede ist recht gut redigiert, wesentlich das Verdienst des Grafen Eulenburg. 9. Dezember. Soiree bei Graf Stolberg. Mit Barkhausen hingegangen. Sehr voll, lauter Parlamentarier. Wir gingen nach einer Stunde wieder weg, ohne etwas genossen zu haben, aßen und tranken dann bei Huth. Aber auch das hat etwas mir uicht recht Zusagendes. Es ist eigentlich wie ein Unrecht, die an- gebotne splendide Gastlichkeit nicht anzunehmen und sich so wegzustehlen. Unsre ganze öffentliche Geselligkeit muß doch etwas schiefes haben. Denn besser als im Hause des Grafen Stolberg kann so ein Abend gar nicht arrangiert sein, und trotzdem klagt jeder über Langeweile, Hitze, Zwang und betrachtet seiue Anwesen¬ heit als ein großes Opfer. Und wenn der Hausherr ihm dieses Opfer uicht zu¬ mutet, d. h. thu uicht einladet, fühlt er sich verletzt und nimmt es übel. Wunder¬ liche Welt! 21. Dezember. Graf Stolberg war ziemlich bedrückt. Er teilte mir mit, daß Fürst Bismarck plötzlich wieder mit dem Gedanken umgeht, die in Wien wegen Beilegung des Kulturkampfs geführten Verhandlungen Knall und Fall abzubrechen, weil die Haltung der Zentrumsfraktion im Abgeordnetenhaus« bei der Frage wegen der Verstaatlichung der Eisenbahnen und bei dem nicht eben glücklichen EntWurfe des Feld- und Forstpolizeigesetzes unfreundlich gegen die Regierung gewesen sei. Namentlich die übermäßige Betonung des Privateigentumsbegriffs in den Verhand- lungen über diesen Entwurf (Verbot des unbefugten Gehens in Forsten, des Beeren- und Pilzesammelns und dergleichen) sei eine besondre Liebhaberei des Fürsten Bismarck. Graf Stolberg beklagte mit Recht, daß Bismarck die Verhand¬ lungen rin Rom mehr als bloßes Adjuvans für seine sonstigen politischen Pläne ansahe, während sie doch als sehr ernste Verhandlungen um ihrer selbst willen zu betrachten seien, um den unglücklichen Kulturkampf, den Gegensatz von einem Drittel aller Untertanen gegen die Regierung, ans anständige, das Recht und Ansehen des Staats nicht verletzende Weise aus der Welt zu schaffen. Es würde jetzt, wo alle Parteien, auch die liberalen, des Kulturkampfs herzlich müde seien, einen un¬ absehbar Übeln Eindruck machen, wenn man die Verhandlungen ohne sachlichen Grund, gewissermaßen um einer politischen Laune willen, abbrechen wollte. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/652>, abgerufen am 30.06.2024.