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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von Weinfelder

bald an ihre Lage und zeigten wenig Neigung, an die Zukunft zu denken und
sich zu einem Entschlüsse aufzuraffen. Es war beinahe, als hätten sie die Hoffnung
noch nicht sinken lassen, die stille düstre Flut würde über kurz oder lang ihren
Raub wieder herausgeben.

Herr Gyllis sah ein, daß er diesem Zustand ein Ende machen müsse. Nach
reiflicher Überlegung versammelte er seine Weinfelder um sich, erklärte, daß er sie
aus dem Herrschaftsverbande entlasse, und gab ihnen den Rat, sich in Schalken¬
mehren anzusiedeln. Er überwies die Hälfte seines eignen Waldbesitzes der dortigen
Gemeinde zum freien Eigentum unter der Bedingung, daß die Torfsassen den
Heimatlosen in nächster Nähe ihrer Höfe kostenlos Land überlassen und ihnen
beim Bau der Häuser und Hütten nach Kräften Vorschub leisten sollten. Als
Ersatz für den ausgehöhlten Kirchenzehnten bestimmte er die andre Hälfte seines
Waldes zum Unterhalt eines Geistlichen, für den neben der Weinfelder Kirche ein
Pfarrhaus errichtet werden sollte. Denn er hielt es sür angezeigt, das versunkne
Dorf wenigstens als Pfarre weiterbestehn zu lassen und so das letzte Band, das
seine Bauern mit der alten Heimat verknüpfte, sür alle Zeiten zu erhalten. Mit
diesen Vorschlägen waren alle Beteiligten einverstanden, und die Weinfelder zogen
nach Schalkenmehren, wo sie mit offnen Armen empfangen und einstweilen in den
leeren Scheunen einquartiert wurden.

Herr Gyllis selbst blieb vorläufig als Wächter der Kirche zurück, wohnte in
der Sakristei und wartete auf den aus Trier verschriebuen Notarius, der über die
verschiednen Abmachungen Instrumente aufsetzen sollte. Wenn das geschehen sein
würde, wollte er nach Prüm zurückkehren und als Sühne für das durch seine
Flucht aus dem Kloster heraufbeschworne Unheil den Rest seines Grundbesitzes an
Ackern, Wiesen, Schiffel- und Wildlcmd der Abtei zubringen. Mit dem Luther¬
tum hatte er seit der Schreckensnacht gebrochen. Wenn er die Ereignisse der letzten
Tage an sich vorüberziehn ließ, so wurde ihm immer deutlicher, daß er seine
eigne Errettung und die seiner Bauern keinem andern als seinem Namenspatron
zu verdanken hatte. Jetzt verstand er, warum er am Morgen vor dem Unter¬
gang des Dorfes das weidwnnde Atelier gefunden hatte, jetzt verstand er auch die
Erscheinung in der Kirche und den bedeutsamen Hinweis des gemalten Sankt
Ägidius auf das kranke Tier zu seinen Füßen. Ja. er konnte und dürfte nicht
daran zweifeln: der Heilige hatte ihn, den Abtrünnigen, durch ein Wunder vor
dem sichern Tode bewahrt und ihn zu einem Werkzeug in der Hand der Vor¬
sehung gemacht. Wie hätte er also seiner Reue und seiner Dankbarkeit besser
Ausdruck geben können, als dadurch, daß er freiwillig in das Kloster zurück¬
kehrte und ohne Murren die Strafe auf sich nahm, die ihm nach den Satzungen
seines Ordens bevorstand? Aber er sollte nicht dazu kommen, diesen Vorsatz aus¬
zuführen.

Ehe noch der Notarius eingetroffen war, erschienen eines Abends sämtliche
männliche Mitglieder der ehemaligen Weinfelder Bauerschaft bei der Kirche. Wie
bei ähnlichen Anlässen früher machte auch jetzt wieder Theis Kuep den Sprecher.

Mit Verlaub, Herr, sagte er. nachdem Gyllis die Schar begrüßt und den
Wortführer nach ihrem Begehr gefragt hatte, mit Verlaub, Herr, Ihr habt be¬
stimmt, daß wir nach Weinfelder eingepfarrt bleiben sollen, und daran habt Ihr wohl¬
getan, denn zu Schalkenmehren haben sie eine Kapelle, die ist kleiner denn hier
die Sakristei und hat kaum Raum für die Schalkenmehrener selbst. Und dabei
machen sie ein Wesens mit ihrem heiligen Sankt Martin, als ob der ein Höherer
wäre als der unsre, und dabei sitzt er uicht einmal zu Pferd, und das weiß doch
jedes Kind, daß ein heiliger Ritter zu Pferde sitzen muß. Seht, deshalb ist es
schon gut, daß wir bei der Weinfelder Kirche bleiben sollen, denn mit einem
heiligen Sankt Martin, der nicht einmal ein Roß hat, mögen wir nichts zu
schaffen haben. Der ist uns zu erbärmlich, würde sich auch für uns ganz und
gar nicht schicken. Aber wir mögen mit den Heiligen überhaupt nichts mehr zu


Der Mönch von Weinfelder

bald an ihre Lage und zeigten wenig Neigung, an die Zukunft zu denken und
sich zu einem Entschlüsse aufzuraffen. Es war beinahe, als hätten sie die Hoffnung
noch nicht sinken lassen, die stille düstre Flut würde über kurz oder lang ihren
Raub wieder herausgeben.

Herr Gyllis sah ein, daß er diesem Zustand ein Ende machen müsse. Nach
reiflicher Überlegung versammelte er seine Weinfelder um sich, erklärte, daß er sie
aus dem Herrschaftsverbande entlasse, und gab ihnen den Rat, sich in Schalken¬
mehren anzusiedeln. Er überwies die Hälfte seines eignen Waldbesitzes der dortigen
Gemeinde zum freien Eigentum unter der Bedingung, daß die Torfsassen den
Heimatlosen in nächster Nähe ihrer Höfe kostenlos Land überlassen und ihnen
beim Bau der Häuser und Hütten nach Kräften Vorschub leisten sollten. Als
Ersatz für den ausgehöhlten Kirchenzehnten bestimmte er die andre Hälfte seines
Waldes zum Unterhalt eines Geistlichen, für den neben der Weinfelder Kirche ein
Pfarrhaus errichtet werden sollte. Denn er hielt es sür angezeigt, das versunkne
Dorf wenigstens als Pfarre weiterbestehn zu lassen und so das letzte Band, das
seine Bauern mit der alten Heimat verknüpfte, sür alle Zeiten zu erhalten. Mit
diesen Vorschlägen waren alle Beteiligten einverstanden, und die Weinfelder zogen
nach Schalkenmehren, wo sie mit offnen Armen empfangen und einstweilen in den
leeren Scheunen einquartiert wurden.

Herr Gyllis selbst blieb vorläufig als Wächter der Kirche zurück, wohnte in
der Sakristei und wartete auf den aus Trier verschriebuen Notarius, der über die
verschiednen Abmachungen Instrumente aufsetzen sollte. Wenn das geschehen sein
würde, wollte er nach Prüm zurückkehren und als Sühne für das durch seine
Flucht aus dem Kloster heraufbeschworne Unheil den Rest seines Grundbesitzes an
Ackern, Wiesen, Schiffel- und Wildlcmd der Abtei zubringen. Mit dem Luther¬
tum hatte er seit der Schreckensnacht gebrochen. Wenn er die Ereignisse der letzten
Tage an sich vorüberziehn ließ, so wurde ihm immer deutlicher, daß er seine
eigne Errettung und die seiner Bauern keinem andern als seinem Namenspatron
zu verdanken hatte. Jetzt verstand er, warum er am Morgen vor dem Unter¬
gang des Dorfes das weidwnnde Atelier gefunden hatte, jetzt verstand er auch die
Erscheinung in der Kirche und den bedeutsamen Hinweis des gemalten Sankt
Ägidius auf das kranke Tier zu seinen Füßen. Ja. er konnte und dürfte nicht
daran zweifeln: der Heilige hatte ihn, den Abtrünnigen, durch ein Wunder vor
dem sichern Tode bewahrt und ihn zu einem Werkzeug in der Hand der Vor¬
sehung gemacht. Wie hätte er also seiner Reue und seiner Dankbarkeit besser
Ausdruck geben können, als dadurch, daß er freiwillig in das Kloster zurück¬
kehrte und ohne Murren die Strafe auf sich nahm, die ihm nach den Satzungen
seines Ordens bevorstand? Aber er sollte nicht dazu kommen, diesen Vorsatz aus¬
zuführen.

Ehe noch der Notarius eingetroffen war, erschienen eines Abends sämtliche
männliche Mitglieder der ehemaligen Weinfelder Bauerschaft bei der Kirche. Wie
bei ähnlichen Anlässen früher machte auch jetzt wieder Theis Kuep den Sprecher.

Mit Verlaub, Herr, sagte er. nachdem Gyllis die Schar begrüßt und den
Wortführer nach ihrem Begehr gefragt hatte, mit Verlaub, Herr, Ihr habt be¬
stimmt, daß wir nach Weinfelder eingepfarrt bleiben sollen, und daran habt Ihr wohl¬
getan, denn zu Schalkenmehren haben sie eine Kapelle, die ist kleiner denn hier
die Sakristei und hat kaum Raum für die Schalkenmehrener selbst. Und dabei
machen sie ein Wesens mit ihrem heiligen Sankt Martin, als ob der ein Höherer
wäre als der unsre, und dabei sitzt er uicht einmal zu Pferd, und das weiß doch
jedes Kind, daß ein heiliger Ritter zu Pferde sitzen muß. Seht, deshalb ist es
schon gut, daß wir bei der Weinfelder Kirche bleiben sollen, denn mit einem
heiligen Sankt Martin, der nicht einmal ein Roß hat, mögen wir nichts zu
schaffen haben. Der ist uns zu erbärmlich, würde sich auch für uns ganz und
gar nicht schicken. Aber wir mögen mit den Heiligen überhaupt nichts mehr zu


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[0599] Der Mönch von Weinfelder bald an ihre Lage und zeigten wenig Neigung, an die Zukunft zu denken und sich zu einem Entschlüsse aufzuraffen. Es war beinahe, als hätten sie die Hoffnung noch nicht sinken lassen, die stille düstre Flut würde über kurz oder lang ihren Raub wieder herausgeben. Herr Gyllis sah ein, daß er diesem Zustand ein Ende machen müsse. Nach reiflicher Überlegung versammelte er seine Weinfelder um sich, erklärte, daß er sie aus dem Herrschaftsverbande entlasse, und gab ihnen den Rat, sich in Schalken¬ mehren anzusiedeln. Er überwies die Hälfte seines eignen Waldbesitzes der dortigen Gemeinde zum freien Eigentum unter der Bedingung, daß die Torfsassen den Heimatlosen in nächster Nähe ihrer Höfe kostenlos Land überlassen und ihnen beim Bau der Häuser und Hütten nach Kräften Vorschub leisten sollten. Als Ersatz für den ausgehöhlten Kirchenzehnten bestimmte er die andre Hälfte seines Waldes zum Unterhalt eines Geistlichen, für den neben der Weinfelder Kirche ein Pfarrhaus errichtet werden sollte. Denn er hielt es sür angezeigt, das versunkne Dorf wenigstens als Pfarre weiterbestehn zu lassen und so das letzte Band, das seine Bauern mit der alten Heimat verknüpfte, sür alle Zeiten zu erhalten. Mit diesen Vorschlägen waren alle Beteiligten einverstanden, und die Weinfelder zogen nach Schalkenmehren, wo sie mit offnen Armen empfangen und einstweilen in den leeren Scheunen einquartiert wurden. Herr Gyllis selbst blieb vorläufig als Wächter der Kirche zurück, wohnte in der Sakristei und wartete auf den aus Trier verschriebuen Notarius, der über die verschiednen Abmachungen Instrumente aufsetzen sollte. Wenn das geschehen sein würde, wollte er nach Prüm zurückkehren und als Sühne für das durch seine Flucht aus dem Kloster heraufbeschworne Unheil den Rest seines Grundbesitzes an Ackern, Wiesen, Schiffel- und Wildlcmd der Abtei zubringen. Mit dem Luther¬ tum hatte er seit der Schreckensnacht gebrochen. Wenn er die Ereignisse der letzten Tage an sich vorüberziehn ließ, so wurde ihm immer deutlicher, daß er seine eigne Errettung und die seiner Bauern keinem andern als seinem Namenspatron zu verdanken hatte. Jetzt verstand er, warum er am Morgen vor dem Unter¬ gang des Dorfes das weidwnnde Atelier gefunden hatte, jetzt verstand er auch die Erscheinung in der Kirche und den bedeutsamen Hinweis des gemalten Sankt Ägidius auf das kranke Tier zu seinen Füßen. Ja. er konnte und dürfte nicht daran zweifeln: der Heilige hatte ihn, den Abtrünnigen, durch ein Wunder vor dem sichern Tode bewahrt und ihn zu einem Werkzeug in der Hand der Vor¬ sehung gemacht. Wie hätte er also seiner Reue und seiner Dankbarkeit besser Ausdruck geben können, als dadurch, daß er freiwillig in das Kloster zurück¬ kehrte und ohne Murren die Strafe auf sich nahm, die ihm nach den Satzungen seines Ordens bevorstand? Aber er sollte nicht dazu kommen, diesen Vorsatz aus¬ zuführen. Ehe noch der Notarius eingetroffen war, erschienen eines Abends sämtliche männliche Mitglieder der ehemaligen Weinfelder Bauerschaft bei der Kirche. Wie bei ähnlichen Anlässen früher machte auch jetzt wieder Theis Kuep den Sprecher. Mit Verlaub, Herr, sagte er. nachdem Gyllis die Schar begrüßt und den Wortführer nach ihrem Begehr gefragt hatte, mit Verlaub, Herr, Ihr habt be¬ stimmt, daß wir nach Weinfelder eingepfarrt bleiben sollen, und daran habt Ihr wohl¬ getan, denn zu Schalkenmehren haben sie eine Kapelle, die ist kleiner denn hier die Sakristei und hat kaum Raum für die Schalkenmehrener selbst. Und dabei machen sie ein Wesens mit ihrem heiligen Sankt Martin, als ob der ein Höherer wäre als der unsre, und dabei sitzt er uicht einmal zu Pferd, und das weiß doch jedes Kind, daß ein heiliger Ritter zu Pferde sitzen muß. Seht, deshalb ist es schon gut, daß wir bei der Weinfelder Kirche bleiben sollen, denn mit einem heiligen Sankt Martin, der nicht einmal ein Roß hat, mögen wir nichts zu schaffen haben. Der ist uns zu erbärmlich, würde sich auch für uns ganz und gar nicht schicken. Aber wir mögen mit den Heiligen überhaupt nichts mehr zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/599>, abgerufen am 27.07.2024.