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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nach links gehende Richtung, wie wir sie heute haben, ist es, die die Massen
mit dem gefährlichen Größenwahn erfüllt, wie dieser Zustand jüngst treffend be¬
zeichnet wurde.

Jene Zeiten liegen nun freilich um vierzehn Jahre und mehr zurück. Wir
haben seitdem eine Entwicklung der Sozialdemokratie zu verzeichnen, die einstweilen
die Lage sehr zu ungunsten der Staatsgewalt verändert hat. Und zwar ist das
nicht zum wenigsten die Folge jener Sozialpolitik, die -- von der besten Absicht
geleitet, die Massen mit der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu ver¬
söhnen und ihnen darin eine wirtschaftlich gebesserte, politisch gleichberechtigte Stellung
einzuräumen -- bis jetzt doch nur dazu geführt hat, eine den Interessen des Staats
entgegengesetzte, ihnen feindlich gegenüberstehende Organisation der Massen mit allen
Mitteln zu fördern, zu festigen und zu beschleunigen. Die Frage, ob und was Bis-
marck heute gerade tun würde, ist selbstverständlich positiv ebenso wenig mit Sicher¬
heit zu beantworten, wie die Frage, was er heute in jedem einzelnen Falle auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik tun würde. Aus allen seinen Anschauungen und
seiner ganzen Denkweise, seinen Reden und seinen Aussprüchen heraus läßt sich die
Frage aber nur bejahen, wobei freilich immer mit der Unerschöpflichkeit seiner staats¬
männischen Hilfsmittel gerechnet werden muß. Auch Fürst Bismarck konnte vieles
wagen und unternehmen, was zu wagen und zu unternehmen sich seine Nachfolger
zweimal überlegen müssen.

Den konservativen Wünschen und Erwartungen entgegen ist er nach 1866
nicht an eine Revision der preußischen Verfassung gegangen, wozu der Eintritt von
vier neuen Provinzen in den preußischen Staat eine bequeme Handhabe geboten
hätte, sondern er hat um der Zukunft Preußens und Deutschlands willen unter
die Vergangenheit der Konsliktsjahre den versöhnenden Strich der Indemnität ge¬
zogen und hat der Verfassung des Norddeutschen Bundes, die seine eigenste Arbeit
ist, ihren liberalen Grundcharakter verliehen. Andrerseits hat er das preußische
Dreiklassenwahlsystem auf die allerschärfste Weise verurteilt, aber dennoch während
einer achtundzwanzigjährigen Amtszeit nichts getan, es abzuändern.

Dem Zusammenwirken einer weit ausgreifenden, theoretisierenden Sozialgesetz¬
gebung mit dem allgemeinen Stimmrecht weit mehr als diesem selbst haben wir
die heutige Lage zu verdanken. In den vom Pfluge des allgemeinen Stimmrechts
aufgewühlten Noten hat diese Sozialgesetzgebung neben manchem Weizenkorn unge¬
wollt viel Samen des Unkrauts ausgestreut, das deu Weizen überwuchert und den
Acker entstellt. Wir können, sollen und wollen Sozialpolitik im großen Stil treiben,
aber es ist nicht notwendig, daß nur der politische Radikalismus hierbei erntet.

Not lehrt beten und lehrt handeln. Wenn die Not des Vaterlandes kräftig
an die Türen klopfen wird, werden sich zum Handeln die Männer und die Wege
finden. Bis dahin nutzen weder akademische Erörterungen noch hat es einen
Zweck, den Maßstab der Vergangenheit an Dinge und Verhältnisse anzulegen, die
ihr entwachsen sind. Jede Zeit will mit ihrem eignen Maße gemessen sein. Bis¬
marck hat das seinige immer mehr der Zukunft als der Vergangenheit zu entnehme"
betrachtet. In den entscheidendsten Augenblicken seines Wirkens hat ihn immer
ein hoher und starker Glaube an die im deutschen Volke lebenden idealen, ethische"
Kräfte geleitet. Er sah in dem allgemeinen Stimmrecht ein Korrelat zur allge¬
meinen Wehrpflicht, den Händen der Tapfern, die unter seinen Augen in Heller
Begeisterung für ihren königlichen Feldherrn den Sieg erstritten hatten, glaubte
er auch die Zukunft Deutschlands anvertrauen zu können. Er kam damit auf den
urgermanischen Gedanken zurück, daß der wehrhafte Freie auch im Rate seines
Volkes sitzen solle, er vertraute mit voller Überzeugung dem viel zitierten Worte
Zieglers aus der schweren Krisis der Frühlingstage von 1866: "Das Herz des
preußischen Volkes ist da, wo die preußischen Fahnen wehen." Politisch ist das
heutige Neichswahlrecht, trotz allen anders lautenden Phrasen, schon von einem
großen Teil der Nation verurteilt worden. Noch liegt ein gewisser ethischer


Maßgebliches und Unmaßgebliches

nach links gehende Richtung, wie wir sie heute haben, ist es, die die Massen
mit dem gefährlichen Größenwahn erfüllt, wie dieser Zustand jüngst treffend be¬
zeichnet wurde.

Jene Zeiten liegen nun freilich um vierzehn Jahre und mehr zurück. Wir
haben seitdem eine Entwicklung der Sozialdemokratie zu verzeichnen, die einstweilen
die Lage sehr zu ungunsten der Staatsgewalt verändert hat. Und zwar ist das
nicht zum wenigsten die Folge jener Sozialpolitik, die — von der besten Absicht
geleitet, die Massen mit der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu ver¬
söhnen und ihnen darin eine wirtschaftlich gebesserte, politisch gleichberechtigte Stellung
einzuräumen — bis jetzt doch nur dazu geführt hat, eine den Interessen des Staats
entgegengesetzte, ihnen feindlich gegenüberstehende Organisation der Massen mit allen
Mitteln zu fördern, zu festigen und zu beschleunigen. Die Frage, ob und was Bis-
marck heute gerade tun würde, ist selbstverständlich positiv ebenso wenig mit Sicher¬
heit zu beantworten, wie die Frage, was er heute in jedem einzelnen Falle auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik tun würde. Aus allen seinen Anschauungen und
seiner ganzen Denkweise, seinen Reden und seinen Aussprüchen heraus läßt sich die
Frage aber nur bejahen, wobei freilich immer mit der Unerschöpflichkeit seiner staats¬
männischen Hilfsmittel gerechnet werden muß. Auch Fürst Bismarck konnte vieles
wagen und unternehmen, was zu wagen und zu unternehmen sich seine Nachfolger
zweimal überlegen müssen.

Den konservativen Wünschen und Erwartungen entgegen ist er nach 1866
nicht an eine Revision der preußischen Verfassung gegangen, wozu der Eintritt von
vier neuen Provinzen in den preußischen Staat eine bequeme Handhabe geboten
hätte, sondern er hat um der Zukunft Preußens und Deutschlands willen unter
die Vergangenheit der Konsliktsjahre den versöhnenden Strich der Indemnität ge¬
zogen und hat der Verfassung des Norddeutschen Bundes, die seine eigenste Arbeit
ist, ihren liberalen Grundcharakter verliehen. Andrerseits hat er das preußische
Dreiklassenwahlsystem auf die allerschärfste Weise verurteilt, aber dennoch während
einer achtundzwanzigjährigen Amtszeit nichts getan, es abzuändern.

Dem Zusammenwirken einer weit ausgreifenden, theoretisierenden Sozialgesetz¬
gebung mit dem allgemeinen Stimmrecht weit mehr als diesem selbst haben wir
die heutige Lage zu verdanken. In den vom Pfluge des allgemeinen Stimmrechts
aufgewühlten Noten hat diese Sozialgesetzgebung neben manchem Weizenkorn unge¬
wollt viel Samen des Unkrauts ausgestreut, das deu Weizen überwuchert und den
Acker entstellt. Wir können, sollen und wollen Sozialpolitik im großen Stil treiben,
aber es ist nicht notwendig, daß nur der politische Radikalismus hierbei erntet.

Not lehrt beten und lehrt handeln. Wenn die Not des Vaterlandes kräftig
an die Türen klopfen wird, werden sich zum Handeln die Männer und die Wege
finden. Bis dahin nutzen weder akademische Erörterungen noch hat es einen
Zweck, den Maßstab der Vergangenheit an Dinge und Verhältnisse anzulegen, die
ihr entwachsen sind. Jede Zeit will mit ihrem eignen Maße gemessen sein. Bis¬
marck hat das seinige immer mehr der Zukunft als der Vergangenheit zu entnehme»
betrachtet. In den entscheidendsten Augenblicken seines Wirkens hat ihn immer
ein hoher und starker Glaube an die im deutschen Volke lebenden idealen, ethische»
Kräfte geleitet. Er sah in dem allgemeinen Stimmrecht ein Korrelat zur allge¬
meinen Wehrpflicht, den Händen der Tapfern, die unter seinen Augen in Heller
Begeisterung für ihren königlichen Feldherrn den Sieg erstritten hatten, glaubte
er auch die Zukunft Deutschlands anvertrauen zu können. Er kam damit auf den
urgermanischen Gedanken zurück, daß der wehrhafte Freie auch im Rate seines
Volkes sitzen solle, er vertraute mit voller Überzeugung dem viel zitierten Worte
Zieglers aus der schweren Krisis der Frühlingstage von 1866: „Das Herz des
preußischen Volkes ist da, wo die preußischen Fahnen wehen." Politisch ist das
heutige Neichswahlrecht, trotz allen anders lautenden Phrasen, schon von einem
großen Teil der Nation verurteilt worden. Noch liegt ein gewisser ethischer


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[0548] Maßgebliches und Unmaßgebliches nach links gehende Richtung, wie wir sie heute haben, ist es, die die Massen mit dem gefährlichen Größenwahn erfüllt, wie dieser Zustand jüngst treffend be¬ zeichnet wurde. Jene Zeiten liegen nun freilich um vierzehn Jahre und mehr zurück. Wir haben seitdem eine Entwicklung der Sozialdemokratie zu verzeichnen, die einstweilen die Lage sehr zu ungunsten der Staatsgewalt verändert hat. Und zwar ist das nicht zum wenigsten die Folge jener Sozialpolitik, die — von der besten Absicht geleitet, die Massen mit der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu ver¬ söhnen und ihnen darin eine wirtschaftlich gebesserte, politisch gleichberechtigte Stellung einzuräumen — bis jetzt doch nur dazu geführt hat, eine den Interessen des Staats entgegengesetzte, ihnen feindlich gegenüberstehende Organisation der Massen mit allen Mitteln zu fördern, zu festigen und zu beschleunigen. Die Frage, ob und was Bis- marck heute gerade tun würde, ist selbstverständlich positiv ebenso wenig mit Sicher¬ heit zu beantworten, wie die Frage, was er heute in jedem einzelnen Falle auf dem Gebiete der auswärtigen Politik tun würde. Aus allen seinen Anschauungen und seiner ganzen Denkweise, seinen Reden und seinen Aussprüchen heraus läßt sich die Frage aber nur bejahen, wobei freilich immer mit der Unerschöpflichkeit seiner staats¬ männischen Hilfsmittel gerechnet werden muß. Auch Fürst Bismarck konnte vieles wagen und unternehmen, was zu wagen und zu unternehmen sich seine Nachfolger zweimal überlegen müssen. Den konservativen Wünschen und Erwartungen entgegen ist er nach 1866 nicht an eine Revision der preußischen Verfassung gegangen, wozu der Eintritt von vier neuen Provinzen in den preußischen Staat eine bequeme Handhabe geboten hätte, sondern er hat um der Zukunft Preußens und Deutschlands willen unter die Vergangenheit der Konsliktsjahre den versöhnenden Strich der Indemnität ge¬ zogen und hat der Verfassung des Norddeutschen Bundes, die seine eigenste Arbeit ist, ihren liberalen Grundcharakter verliehen. Andrerseits hat er das preußische Dreiklassenwahlsystem auf die allerschärfste Weise verurteilt, aber dennoch während einer achtundzwanzigjährigen Amtszeit nichts getan, es abzuändern. Dem Zusammenwirken einer weit ausgreifenden, theoretisierenden Sozialgesetz¬ gebung mit dem allgemeinen Stimmrecht weit mehr als diesem selbst haben wir die heutige Lage zu verdanken. In den vom Pfluge des allgemeinen Stimmrechts aufgewühlten Noten hat diese Sozialgesetzgebung neben manchem Weizenkorn unge¬ wollt viel Samen des Unkrauts ausgestreut, das deu Weizen überwuchert und den Acker entstellt. Wir können, sollen und wollen Sozialpolitik im großen Stil treiben, aber es ist nicht notwendig, daß nur der politische Radikalismus hierbei erntet. Not lehrt beten und lehrt handeln. Wenn die Not des Vaterlandes kräftig an die Türen klopfen wird, werden sich zum Handeln die Männer und die Wege finden. Bis dahin nutzen weder akademische Erörterungen noch hat es einen Zweck, den Maßstab der Vergangenheit an Dinge und Verhältnisse anzulegen, die ihr entwachsen sind. Jede Zeit will mit ihrem eignen Maße gemessen sein. Bis¬ marck hat das seinige immer mehr der Zukunft als der Vergangenheit zu entnehme» betrachtet. In den entscheidendsten Augenblicken seines Wirkens hat ihn immer ein hoher und starker Glaube an die im deutschen Volke lebenden idealen, ethische» Kräfte geleitet. Er sah in dem allgemeinen Stimmrecht ein Korrelat zur allge¬ meinen Wehrpflicht, den Händen der Tapfern, die unter seinen Augen in Heller Begeisterung für ihren königlichen Feldherrn den Sieg erstritten hatten, glaubte er auch die Zukunft Deutschlands anvertrauen zu können. Er kam damit auf den urgermanischen Gedanken zurück, daß der wehrhafte Freie auch im Rate seines Volkes sitzen solle, er vertraute mit voller Überzeugung dem viel zitierten Worte Zieglers aus der schweren Krisis der Frühlingstage von 1866: „Das Herz des preußischen Volkes ist da, wo die preußischen Fahnen wehen." Politisch ist das heutige Neichswahlrecht, trotz allen anders lautenden Phrasen, schon von einem großen Teil der Nation verurteilt worden. Noch liegt ein gewisser ethischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/548>, abgerufen am 25.07.2024.