Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Reinhold Rosers "Friedrich der Große" König auf diesem Gebiete nicht sehr bewandert; denn sonst hätte er nicht Noch ein Wort über das Verhältnis des Volkes zu seinem König. Bei Grenzboten II 1904 52
Reinhold Rosers „Friedrich der Große" König auf diesem Gebiete nicht sehr bewandert; denn sonst hätte er nicht Noch ein Wort über das Verhältnis des Volkes zu seinem König. Bei Grenzboten II 1904 52
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Reinhold Rosers „Friedrich der Große"
König auf diesem Gebiete nicht sehr bewandert; denn sonst hätte er nicht
Klopstock, Lessing und Wieland ganz unerwähnt lassen können. Das erste
Drama des jungen Goethe, den „Götz von Berlichingen," schilt er eine abscheu¬
liche Nachahmung der schlechten englischen Stücke Shakespeares. Vor der For¬
derung der starren französischen Theorie vom Bau des Dramas konnte das
Werk allerdings nicht bestehn. Man kann diese schroffen Urteile übrigens nicht
ausschließlich auf Friedrichs Unkenntnis zurückführen; sehr richtig bemerkt Koser,
daß des Königs Urteil nicht milder gelautet haben würde, wenn er auch Lessings
Werke genauer gekannt Hütte. Den Amel-Goeze mit seiner verletzenden Schärfe
hätte er wohl als Pfaffengezänk angesehen, und die Hamburger Dramaturgie
hätte er als Bekämpfung seiner geliebten französischen Klassiker vollends ver¬
worfen. Die deutsche Poesie ging eben, wie Schiller sagt, von Friedrichs
Throne „ungcehrt." Und doch muß man den edeln Patriotismus anerkennen,
mit dem Friedrich am Schlüsse jener Schrift fast prophetisch von den großen
Tagen unsrer Dichtkunst spricht: „Wir werden unsre klassischen Autoren haben;
jeder wird sie lesen wollen, um von ihnen zu gewinnen. Diese schönen Tage
unsrer Literatur . . . nähern sich. Ich kunde sie Euch an." — Der König hat
sie nicht nur angekündigt, sondern sie auch, wie Goethe in „Dichtung und
Wahrheit" unumwunden anerkennt, durch seine Taten im siebenjährigen Kriege
indirekt mit heraufgeführt; das erste klassische deutsche Lustspiel, Lessings „Minna
von Barnhelm," ist ja nach Goethes Zeugnis „die wahrste Ausgeburt" dieses
Krieges.
Noch ein Wort über das Verhältnis des Volkes zu seinem König. Bei
dem Beamtentum überwog jedenfalls die Furcht beträchtlich die Liebe. Lob
gab es selten, Ordensverleihungen erfolgten sehr spärlich; dagegen hielt der
König in seinen eigenhändigen Postskriptis und Margincilnvten mit scharfem
Tadel nicht zurück; gar oft verletzte er auch die Beamten aufs schärfste durch
sein Mißtrauen gegen ihre Rechtlichkeit. So hörte denn Goethe, als er 1778
in Berlin war, „über den großen Menschen seine eignen Lumpenhunde rüso-
nieren." Aber das waren doch nur bestimmte Kreise; in andern Schichten der
Bevölkerung war es ganz anders. Des Königs Soldaten, die armen Kriegs-
knechte, sie liebten ihn fast bis zur Abgötterei. „Die Anrede Fritze oder Vater,
worauf die Leute ein Gewohnheitsrecht erworben hatten, das treuherzige Du,
das ihr Fritz ihnen gestattete, andre kleine Vertraulichkeiten, auch wohl derbe
Erwiderungen, die ihnen nicht übel genommen wurden, alles das wog ihnen
der Unbilden und Leiden viele ans." Überhaupt war bei dem gesamten niedern
Volke des Königs Popularität unbegrenzt. Daß jedermann vor dem Potsdamer
Stadtschlosse Bittschriften abgeben konnte, daß man auch leicht zu dem Monarchen
selbst gelangte — denn in Sanssouci war der König tagsüber ohne jede Be¬
deckung und duldete nicht einmal, daß die Türen verschlossen wurden —, das
alles gab dem gemeinen Mann ein unbegrenztes Vertrauen zu der Gerechtig¬
keitsliebe des Königs. Kam Friedrich nach Berlin, so strömten Tausende zu¬
sammen und jubelten ihm in ungeheuchelter Begeisterung zu. Und doch kehrte
nur — so erzählt ein solcher Zuschauer — „ein dreiundsiebzigjühriger alter
Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt von seinem mühsamen Tagewerke zurück;
Grenzboten II 1904 52
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