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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Reinhold Rosers "Friedrich der Große"

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IA Is szoir oonvivs divin.

Die begeisterte Freundschaft erhielt aber schon vor Ablauf des Jahres 1750
eine große Abkühlung, Voltaires Aufführung mußte des Königs Mißfallen
erregen. Er wurde in einen Prozeß mit einem Juden verwickelt, beide warfen
einander Betrug und Fälschung vor. Der Rechtsstreit endete, recht bedenklich
für Voltaire, mit einem Vergleich und gab Lessing die Veranlassung zu dem
Epigramm: ^ ^ ^ ^ den Grund zu fassen,
Warum die List
Dem Juden nicht gelungen ist,
So fällt die Antwort ungefähr:
Herr V*" war ein größrer Schelm als er.

Der König schrieb seinem Schützling unangenehme Wahrheiten über sein
Betragen. Allmählich stellten sich bei dein Philosophen immer mehr Schatten¬
seiten heraus. Er, der Vorkämpfer für Duldung und Humanität, zeigte sich
als ein unduldsamer, rachgieriger Verfolger, sobald seine Eigenliebe und sein
schriftstellerischer Ruhm irgendwie in Frage kamen. Mit allem Haß suchte er
seinen Landsmann Maupertuis zu stürzen; die Achtung, die der König diesem
zollte, genügte, Voltaires Neid zu erregen. Dadurch kam es schließlich im
Frühling des Jahres 1753 zum vollständigen Bruch. Voltaire verließ den
Hof; er hat mit dem König zwar später noch Briefe gewechselt, aber gesehen
haben sich die beiden nicht wieder; seinen königlichen Wohltäter aber überhäufte
der Dichter in seinen autobiographischen Aufzeichnungen mit den niederträchtigsten
Verdächtigungen.

Von den verschiednen Zweigen der Staatsverwaltung hat in diesen Friedens¬
jahren das Gerichtswesen die größten Änderungen erfahren. Humanität und
Gerechtigkeit überall zur Durchführung zu bringen war dabei des Königs Grund¬
satz. Die Folter, deren Anwendung der König schon 1740 sehr eingeschränkt
hatte, wurde 1755 gänzlich aufgehoben. Das französische Gesetz, das den Dieb
mit dem Tode bedroht, schien dem König für die Reichen gemacht; er billigt
die mildern Strafen, die dafür in Preußen bestanden. Das grausame Säcken
für die Kindesmörderinnen schaffte er ab. In den Verlauf der Prozesse griff
der König, von ganz wenig Ausnahmen abgesehen, prinzipiell nicht ein. Er
duldete auch nicht, daß das Recht irgendwie zugunsten der Staatseinkünfte ge¬
beugt wurde. Wiederholt untersagte er den Behörden, veraltete Ansprüche des
Fiskus gegen die Untertanen zu erheben und bei den Gerichten zu verfolgen.
Vor allem wurde aber der entsetzlichen Verschleppung der Prozesse ein Ende
gemacht. Zur Durchführung dieser Reform fand Friedrich in dem Justizminister
Samuel von Cocccji den rechten Mann. Im Jahre 1747 erledigte dieser in
Stettin 2101, in Kostin 927 und in Berlin 1364 Prozesse, von denen einer
seit zweihundert Jahren ununterbrochen geführt worden war; mit Recht hat
man diese Leistungen mit der Reinigung des Augiasstalles durch Herkules ver¬
glichen.


Grenzboten II 1904 Sr
Reinhold Rosers „Friedrich der Große"

II sse g'raiiä i'ol tout 1s uiÄtin,
^xrs« ü5nsr g'i'Alet sorivain;
?out Is jsur rchiloMpIio duiriaiv
IA Is szoir oonvivs divin.

Die begeisterte Freundschaft erhielt aber schon vor Ablauf des Jahres 1750
eine große Abkühlung, Voltaires Aufführung mußte des Königs Mißfallen
erregen. Er wurde in einen Prozeß mit einem Juden verwickelt, beide warfen
einander Betrug und Fälschung vor. Der Rechtsstreit endete, recht bedenklich
für Voltaire, mit einem Vergleich und gab Lessing die Veranlassung zu dem
Epigramm: ^ ^ ^ ^ den Grund zu fassen,
Warum die List
Dem Juden nicht gelungen ist,
So fällt die Antwort ungefähr:
Herr V*" war ein größrer Schelm als er.

Der König schrieb seinem Schützling unangenehme Wahrheiten über sein
Betragen. Allmählich stellten sich bei dein Philosophen immer mehr Schatten¬
seiten heraus. Er, der Vorkämpfer für Duldung und Humanität, zeigte sich
als ein unduldsamer, rachgieriger Verfolger, sobald seine Eigenliebe und sein
schriftstellerischer Ruhm irgendwie in Frage kamen. Mit allem Haß suchte er
seinen Landsmann Maupertuis zu stürzen; die Achtung, die der König diesem
zollte, genügte, Voltaires Neid zu erregen. Dadurch kam es schließlich im
Frühling des Jahres 1753 zum vollständigen Bruch. Voltaire verließ den
Hof; er hat mit dem König zwar später noch Briefe gewechselt, aber gesehen
haben sich die beiden nicht wieder; seinen königlichen Wohltäter aber überhäufte
der Dichter in seinen autobiographischen Aufzeichnungen mit den niederträchtigsten
Verdächtigungen.

Von den verschiednen Zweigen der Staatsverwaltung hat in diesen Friedens¬
jahren das Gerichtswesen die größten Änderungen erfahren. Humanität und
Gerechtigkeit überall zur Durchführung zu bringen war dabei des Königs Grund¬
satz. Die Folter, deren Anwendung der König schon 1740 sehr eingeschränkt
hatte, wurde 1755 gänzlich aufgehoben. Das französische Gesetz, das den Dieb
mit dem Tode bedroht, schien dem König für die Reichen gemacht; er billigt
die mildern Strafen, die dafür in Preußen bestanden. Das grausame Säcken
für die Kindesmörderinnen schaffte er ab. In den Verlauf der Prozesse griff
der König, von ganz wenig Ausnahmen abgesehen, prinzipiell nicht ein. Er
duldete auch nicht, daß das Recht irgendwie zugunsten der Staatseinkünfte ge¬
beugt wurde. Wiederholt untersagte er den Behörden, veraltete Ansprüche des
Fiskus gegen die Untertanen zu erheben und bei den Gerichten zu verfolgen.
Vor allem wurde aber der entsetzlichen Verschleppung der Prozesse ein Ende
gemacht. Zur Durchführung dieser Reform fand Friedrich in dem Justizminister
Samuel von Cocccji den rechten Mann. Im Jahre 1747 erledigte dieser in
Stettin 2101, in Kostin 927 und in Berlin 1364 Prozesse, von denen einer
seit zweihundert Jahren ununterbrochen geführt worden war; mit Recht hat
man diese Leistungen mit der Reinigung des Augiasstalles durch Herkules ver¬
glichen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/389>, abgerufen am 30.06.2024.