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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

begünstigungsvertrag ist. Fünf Jahre nach der Ratifikation sollte eine Revision
statthaft sein, bis zum Abschluß eines neuen Vertrags soll jedoch der bestehende in
Kraft bleiben. Diese unsre vertragsmäßige Stellung in Marokko kann durch die
französisch-englische Abmachung nicht berührt werden, wenigstens nicht, solange Marokko
noch einen Schein von Souveränität behält. Im Falle einer Einverleibung, die
ohne blutige Kämpfe kaum denkbar ist, würde Frankreich mit Deutschland eine neue
Abmachung treffen müssen. Dies um so mehr als Deutschland auch an der zu
Madrid am 3. Juni 1880 zwischen einer Anzahl europäischer Mächte und Marokko
abgeschlossenen Konvention über die Ausübung des Schutzrechts beteiligt ist, deren
Artikel 17 allen Unterzeichnern das Meistbegünstigungsrecht verbürgt.

Nun hat der Altdeutsche Verband in einer Eingabe an den Reichskanzler ver¬
langt, daß bei den französisch-englischen Abmachungen auch Deutschland seinen Anteil
an Marokko erhalte; es wird nicht mehr und nicht weniger gefordert als "die
atlantische Küste von Marokko einschließlich des dazu gehörigen Hinterlandes," und
dieser Anspruch wird damit begründet, daß Häfen und Hinterland eine Ergänzung
unsrer bisherigen Schutzgebiete wären, denen die Möglichkeit einer europäischen
Masseneinwanderung sowie einer Massenproduktion von Baumwolle und andern
Rohprodukten fehle. Was die Baumwolle anlangt, so dürfte sich Deutsch-Ostafrika
doch Wohl bei rationellen Betrieb zu einer Massenproduktion recht gut eignen, um
so mehr, als dort Arbeitskräfte zu haben sind, die in Marokko vollständig versagen.
Was "die europäische Masseneinwanderung" in Marokko angeht, so würde einer
solchen die fanatische Bevölkerung so große Schwierigkeiten entgegensetzen, daß
davon auf absehbare Zeit keine Rede sein könnte; sie würde zu Kämpfen führen,
die noch größere Opfer verlangen dürften als die so bedauerlichen in Südwest¬
afrika. Zur Deckung einer deutschen "Masseneinwanderung" müßte ein ganzes
Heer im Lande gehalten werden. Damit ist die Eingabe wohl eigentlich erledigt,
wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß die Franzosen, schon um sooios wAlorum
zu haben, Deutschland einen Teil der südlichen Westküste einräumen würden,
falls England keinen Einspruch dagegen erhöbe; sie werden ja zweifellos in
Marokko noch manche Erfahrungen machen. Erleichtert wird ihnen ihre Aufgabe
jedenfalls dadurch nicht werden, daß England die Anlegung von Festungen und
befestigten Häfen auf der atlantischen Küste von Marokko bis zum rechten Sebuufer
untersagt hat. Es ist das eine prinzipielle britische Vorsichtsmaßregel. Auch als
England am 18. Mai 1864 auf der Londoner Konferenz wegen der Elbherzog-
tümer den liebenswürdigen Vorschlag machte, Schleswig mit der Schlei (!) als
Nordgrenze mit Holstein vereinigt an Deutschland abzutreten, verlangte es, daß
Deutschland auf diesem abgetretnen Gebiete weder Festungen erbaue oder beibehalte,
noch befestigte Häfen anlege. Obgleich also England augenscheinlich viel daran
liegt, Frankreich im gegenwärtigen Augenblicke bei guter Laune zu erhalten
und alle Reibnngsmöglichkeiten zu beseitigen oder wenigstens zu mindern, ist es
doch bei dieser Bedingung geblieben, weil ein französischer Kriegshafen am nörd¬
lichen Teil der Westküste von Marokko eine Bedrohung der englischen Etappenlinie
Portsmouth-Gibrnltar-Malta, namentlich eine unbequeme Flankierung von Gibraltar
sein würde. Wenn England schon Frankreich gegenüber diese Bedingung stellt, so
würde es Deutschland gegenüber eher noch weiter gegangen sein, weil ein deutscher
Kriegshafen an dieser Küste noch eine ganz andre Bedeutung haben müßte als ein
französischer. Deutschland ist mit seinen heimatlichen Kriegshafen vom Weltmeer
abgeschnitten oder ans den großen Umweg nördlich um England herum verwiesen,
sobald die britische Flotte der deutschen den Ärmelkanal sperrt, was ihr weniger
leicht gelingen würde, wenn Deutschland an der Atlanticküste von Marokko einen
großen Kriegshafen mit sechzehn oder mehr Linienschiffen unterhalten könnte, also
eine Atlanticflotte wenigstens von der Hälfte der Stärke der geplanten Heimatflotte.
Von all dem kann doch für die nächsten fünfundzwanzig Jahre keine Rede sein.
Auch würde England schwerlich so vollständig auf Marokko verzichten, wenn dieses
Land so gute Aussichten böte, wie der Altdeutsche Verband behauptet.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

begünstigungsvertrag ist. Fünf Jahre nach der Ratifikation sollte eine Revision
statthaft sein, bis zum Abschluß eines neuen Vertrags soll jedoch der bestehende in
Kraft bleiben. Diese unsre vertragsmäßige Stellung in Marokko kann durch die
französisch-englische Abmachung nicht berührt werden, wenigstens nicht, solange Marokko
noch einen Schein von Souveränität behält. Im Falle einer Einverleibung, die
ohne blutige Kämpfe kaum denkbar ist, würde Frankreich mit Deutschland eine neue
Abmachung treffen müssen. Dies um so mehr als Deutschland auch an der zu
Madrid am 3. Juni 1880 zwischen einer Anzahl europäischer Mächte und Marokko
abgeschlossenen Konvention über die Ausübung des Schutzrechts beteiligt ist, deren
Artikel 17 allen Unterzeichnern das Meistbegünstigungsrecht verbürgt.

Nun hat der Altdeutsche Verband in einer Eingabe an den Reichskanzler ver¬
langt, daß bei den französisch-englischen Abmachungen auch Deutschland seinen Anteil
an Marokko erhalte; es wird nicht mehr und nicht weniger gefordert als „die
atlantische Küste von Marokko einschließlich des dazu gehörigen Hinterlandes," und
dieser Anspruch wird damit begründet, daß Häfen und Hinterland eine Ergänzung
unsrer bisherigen Schutzgebiete wären, denen die Möglichkeit einer europäischen
Masseneinwanderung sowie einer Massenproduktion von Baumwolle und andern
Rohprodukten fehle. Was die Baumwolle anlangt, so dürfte sich Deutsch-Ostafrika
doch Wohl bei rationellen Betrieb zu einer Massenproduktion recht gut eignen, um
so mehr, als dort Arbeitskräfte zu haben sind, die in Marokko vollständig versagen.
Was „die europäische Masseneinwanderung" in Marokko angeht, so würde einer
solchen die fanatische Bevölkerung so große Schwierigkeiten entgegensetzen, daß
davon auf absehbare Zeit keine Rede sein könnte; sie würde zu Kämpfen führen,
die noch größere Opfer verlangen dürften als die so bedauerlichen in Südwest¬
afrika. Zur Deckung einer deutschen „Masseneinwanderung" müßte ein ganzes
Heer im Lande gehalten werden. Damit ist die Eingabe wohl eigentlich erledigt,
wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß die Franzosen, schon um sooios wAlorum
zu haben, Deutschland einen Teil der südlichen Westküste einräumen würden,
falls England keinen Einspruch dagegen erhöbe; sie werden ja zweifellos in
Marokko noch manche Erfahrungen machen. Erleichtert wird ihnen ihre Aufgabe
jedenfalls dadurch nicht werden, daß England die Anlegung von Festungen und
befestigten Häfen auf der atlantischen Küste von Marokko bis zum rechten Sebuufer
untersagt hat. Es ist das eine prinzipielle britische Vorsichtsmaßregel. Auch als
England am 18. Mai 1864 auf der Londoner Konferenz wegen der Elbherzog-
tümer den liebenswürdigen Vorschlag machte, Schleswig mit der Schlei (!) als
Nordgrenze mit Holstein vereinigt an Deutschland abzutreten, verlangte es, daß
Deutschland auf diesem abgetretnen Gebiete weder Festungen erbaue oder beibehalte,
noch befestigte Häfen anlege. Obgleich also England augenscheinlich viel daran
liegt, Frankreich im gegenwärtigen Augenblicke bei guter Laune zu erhalten
und alle Reibnngsmöglichkeiten zu beseitigen oder wenigstens zu mindern, ist es
doch bei dieser Bedingung geblieben, weil ein französischer Kriegshafen am nörd¬
lichen Teil der Westküste von Marokko eine Bedrohung der englischen Etappenlinie
Portsmouth-Gibrnltar-Malta, namentlich eine unbequeme Flankierung von Gibraltar
sein würde. Wenn England schon Frankreich gegenüber diese Bedingung stellt, so
würde es Deutschland gegenüber eher noch weiter gegangen sein, weil ein deutscher
Kriegshafen an dieser Küste noch eine ganz andre Bedeutung haben müßte als ein
französischer. Deutschland ist mit seinen heimatlichen Kriegshafen vom Weltmeer
abgeschnitten oder ans den großen Umweg nördlich um England herum verwiesen,
sobald die britische Flotte der deutschen den Ärmelkanal sperrt, was ihr weniger
leicht gelingen würde, wenn Deutschland an der Atlanticküste von Marokko einen
großen Kriegshafen mit sechzehn oder mehr Linienschiffen unterhalten könnte, also
eine Atlanticflotte wenigstens von der Hälfte der Stärke der geplanten Heimatflotte.
Von all dem kann doch für die nächsten fünfundzwanzig Jahre keine Rede sein.
Auch würde England schwerlich so vollständig auf Marokko verzichten, wenn dieses
Land so gute Aussichten böte, wie der Altdeutsche Verband behauptet.


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[0182] Maßgebliches und Unmaßgebliches begünstigungsvertrag ist. Fünf Jahre nach der Ratifikation sollte eine Revision statthaft sein, bis zum Abschluß eines neuen Vertrags soll jedoch der bestehende in Kraft bleiben. Diese unsre vertragsmäßige Stellung in Marokko kann durch die französisch-englische Abmachung nicht berührt werden, wenigstens nicht, solange Marokko noch einen Schein von Souveränität behält. Im Falle einer Einverleibung, die ohne blutige Kämpfe kaum denkbar ist, würde Frankreich mit Deutschland eine neue Abmachung treffen müssen. Dies um so mehr als Deutschland auch an der zu Madrid am 3. Juni 1880 zwischen einer Anzahl europäischer Mächte und Marokko abgeschlossenen Konvention über die Ausübung des Schutzrechts beteiligt ist, deren Artikel 17 allen Unterzeichnern das Meistbegünstigungsrecht verbürgt. Nun hat der Altdeutsche Verband in einer Eingabe an den Reichskanzler ver¬ langt, daß bei den französisch-englischen Abmachungen auch Deutschland seinen Anteil an Marokko erhalte; es wird nicht mehr und nicht weniger gefordert als „die atlantische Küste von Marokko einschließlich des dazu gehörigen Hinterlandes," und dieser Anspruch wird damit begründet, daß Häfen und Hinterland eine Ergänzung unsrer bisherigen Schutzgebiete wären, denen die Möglichkeit einer europäischen Masseneinwanderung sowie einer Massenproduktion von Baumwolle und andern Rohprodukten fehle. Was die Baumwolle anlangt, so dürfte sich Deutsch-Ostafrika doch Wohl bei rationellen Betrieb zu einer Massenproduktion recht gut eignen, um so mehr, als dort Arbeitskräfte zu haben sind, die in Marokko vollständig versagen. Was „die europäische Masseneinwanderung" in Marokko angeht, so würde einer solchen die fanatische Bevölkerung so große Schwierigkeiten entgegensetzen, daß davon auf absehbare Zeit keine Rede sein könnte; sie würde zu Kämpfen führen, die noch größere Opfer verlangen dürften als die so bedauerlichen in Südwest¬ afrika. Zur Deckung einer deutschen „Masseneinwanderung" müßte ein ganzes Heer im Lande gehalten werden. Damit ist die Eingabe wohl eigentlich erledigt, wenn es auch nicht ausgeschlossen ist, daß die Franzosen, schon um sooios wAlorum zu haben, Deutschland einen Teil der südlichen Westküste einräumen würden, falls England keinen Einspruch dagegen erhöbe; sie werden ja zweifellos in Marokko noch manche Erfahrungen machen. Erleichtert wird ihnen ihre Aufgabe jedenfalls dadurch nicht werden, daß England die Anlegung von Festungen und befestigten Häfen auf der atlantischen Küste von Marokko bis zum rechten Sebuufer untersagt hat. Es ist das eine prinzipielle britische Vorsichtsmaßregel. Auch als England am 18. Mai 1864 auf der Londoner Konferenz wegen der Elbherzog- tümer den liebenswürdigen Vorschlag machte, Schleswig mit der Schlei (!) als Nordgrenze mit Holstein vereinigt an Deutschland abzutreten, verlangte es, daß Deutschland auf diesem abgetretnen Gebiete weder Festungen erbaue oder beibehalte, noch befestigte Häfen anlege. Obgleich also England augenscheinlich viel daran liegt, Frankreich im gegenwärtigen Augenblicke bei guter Laune zu erhalten und alle Reibnngsmöglichkeiten zu beseitigen oder wenigstens zu mindern, ist es doch bei dieser Bedingung geblieben, weil ein französischer Kriegshafen am nörd¬ lichen Teil der Westküste von Marokko eine Bedrohung der englischen Etappenlinie Portsmouth-Gibrnltar-Malta, namentlich eine unbequeme Flankierung von Gibraltar sein würde. Wenn England schon Frankreich gegenüber diese Bedingung stellt, so würde es Deutschland gegenüber eher noch weiter gegangen sein, weil ein deutscher Kriegshafen an dieser Küste noch eine ganz andre Bedeutung haben müßte als ein französischer. Deutschland ist mit seinen heimatlichen Kriegshafen vom Weltmeer abgeschnitten oder ans den großen Umweg nördlich um England herum verwiesen, sobald die britische Flotte der deutschen den Ärmelkanal sperrt, was ihr weniger leicht gelingen würde, wenn Deutschland an der Atlanticküste von Marokko einen großen Kriegshafen mit sechzehn oder mehr Linienschiffen unterhalten könnte, also eine Atlanticflotte wenigstens von der Hälfte der Stärke der geplanten Heimatflotte. Von all dem kann doch für die nächsten fünfundzwanzig Jahre keine Rede sein. Auch würde England schwerlich so vollständig auf Marokko verzichten, wenn dieses Land so gute Aussichten böte, wie der Altdeutsche Verband behauptet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/182>, abgerufen am 25.07.2024.