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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Line Trojafahrt

als eine berechtigte Eigentümlichkeit türkischer Zollabfertigung zu betrachten und
rührten keinen Finger, nicht einmal den Mund. Dimnaudis aber und seine Leute
warfen sich, wohl aus Konkurrenzneid, den Eingedrungneu mit einer wahren Wut
entgegen, und es gelang ihren handgreiflichen Bemühungen, sie wieder hinauszuwerfen
und die Tür zu besetzen. Ein halbwüchsiger Bengel schrie währenddessen unaufhörlich
aus Leibeskräften, ein Faustschlag hatte ihm die Nase zerschlagen, sodaß das Blut
in Strömen Heransfloß. So konnten wir denn endlich den Zollschuppen verlassen
und uns durch die Menschenmasse bis zur Hauptstraße des Orts hindurchdrängen.
Unser leichtes Gepäck sollte auf besondre Packpferde geladen werden und blieb einst¬
weilen zurück.

Auf der Straße standen etwa vierzig bis fünfzig unruhig stampfende Rosse
samt ihren Führern, und um sie herum eine Menge, die uns teils neugierig, teils
höhnisch betrachtete; die Leute wußten schon von den frühern Jahren her, was für
Sonntagsreiter wir waren. Die Agojaten (Pferdeführer) aber priesen mit lauten
Stimmen die trefflichen Eigenschaften ihrer Tiere an. Denn da mehr Pferde zur
Stelle waren als Reisende, so suchte jeder möglichst rasch seines Verdienstes sicher
zu werden. Ich sah sogleich, daß bei dem wilden Gedränge an eine ruhige Auswahl
unter den dargebotnen Rossen doch nicht zu denken sei, und schwang mich auf das
erste beste, das nach Aussage seines Besitzers "talos" sein sollte, sich nachher aber
als einen alten, steifen Harttraber erwies, der jedoch leider -- zu meinem Schaden
sollte ich das bald erfahren -- dem andern Geschlechte noch keineswegs ganz ab¬
gestorben war. Da wir einen siebenstündigen Ritt vor uns hatten und vor Sonnen¬
untergang in Troja sein mußten, so durfte keine Zeit verloren werden. Mit wahrer
Todesverachtung stieg einer nach dem andern in den Sattel, nur für die Damen
und einen noch jungen, aber schon etwas ängstlichen Herrn wurden zwei Kaleschen
aufgetrieben, deren Insassen es freilich in der Mitte des Weges zum Teil vorzogen,
doch noch zu Roß zu steigen, weil ihnen die Wagenfahrt wegen des Zustandes
der Wege unerträglich wurde.

Unser Ritt begann mit einem so pferdemäßigen Techtelmechtel zweier Gäule,
daß die unglücklichen "Besitzer" dieses Liebespaares aus vollem Halse die Agojaten
um Hilfe riefen, die die Tiere dann auseinanderrissen. Die Pferde in der Troas
sind nämlich zum größern Teil Hengste, zum kleinern Stuten, Wallache gibt es
nicht. Leider waren die Hengste nicht frei von Eifersucht und Liebeszorn und machten
uus, die wir an die sanftern Maultiere gewohnt waren, recht viel zu schaffen. An
die Spitze unsrer Kavalkade setzte sich als Vertreter der uus leitenden und beschützenden
Staatsgewalt ein Gendarm. Roter Fes, blaue Husarenjacke, rote Hosen, weißes
Roß und Karabiner auf dem Sattel gaben ihm ein Prunkvolles, martialisches Air.
Durch die engen Gassen der Stadt ritten wir noch im Schritt und konnten so das
Straßenleben in einer asiatischen Mittelstadt in aller Ruhe beobachten. Die bei
weitem meisten Reisenden sehen ja vom Orient zuerst Konstantin opel oder Alexandrien
oder Smyrna, Großstädte, deren Zustände schon halb europäisiert und zivilisiert
sind; wir lernten in Tschanak-Kalessi den echten Orient und das unverfälschte asiatische
Turkmenen an der Quelle kennen.

Die Stadt trägt ihren Namen "Topfschloß" von den mit Blumen bemalten
Wasserkrügen, die hier verfertigt und bis tief nach Kleinasien hinein versandt werden.
Allenthalben standen diese Produkte der Dardauellenindnstrie in den Läden und
Werkstätten, ja man bot sie uns auf die Pferde hinauf zum Kauf an. Auch
Antiquitätenhändler schritten neben unserm Zuge her und hielten Münzen, Lampen.
Vasen und allerhand andern für antik ausgegebnen Plunder anpreisend zu uns
enipor. Mehr als diese Leute interessierte uns das Straßenbild. Das Charakteristische
daran waren die ungemein zahlreichen Holzbuden, die sich überall vor und zwischen
die Häuser drängten, und die dichten Holzvergatterungen der Haremsfenster, die
den Häusern etwas Unfreundliches, Ablehnendes gaben. In den zahlreichen nach
der Straße zu völlig offnen Cafes saßen ans hölzernen schrägen beturbante oder
befehle Männer mit untergeschlagnen Beinen; gravitätisch rauchten sie aus dem


Line Trojafahrt

als eine berechtigte Eigentümlichkeit türkischer Zollabfertigung zu betrachten und
rührten keinen Finger, nicht einmal den Mund. Dimnaudis aber und seine Leute
warfen sich, wohl aus Konkurrenzneid, den Eingedrungneu mit einer wahren Wut
entgegen, und es gelang ihren handgreiflichen Bemühungen, sie wieder hinauszuwerfen
und die Tür zu besetzen. Ein halbwüchsiger Bengel schrie währenddessen unaufhörlich
aus Leibeskräften, ein Faustschlag hatte ihm die Nase zerschlagen, sodaß das Blut
in Strömen Heransfloß. So konnten wir denn endlich den Zollschuppen verlassen
und uns durch die Menschenmasse bis zur Hauptstraße des Orts hindurchdrängen.
Unser leichtes Gepäck sollte auf besondre Packpferde geladen werden und blieb einst¬
weilen zurück.

Auf der Straße standen etwa vierzig bis fünfzig unruhig stampfende Rosse
samt ihren Führern, und um sie herum eine Menge, die uns teils neugierig, teils
höhnisch betrachtete; die Leute wußten schon von den frühern Jahren her, was für
Sonntagsreiter wir waren. Die Agojaten (Pferdeführer) aber priesen mit lauten
Stimmen die trefflichen Eigenschaften ihrer Tiere an. Denn da mehr Pferde zur
Stelle waren als Reisende, so suchte jeder möglichst rasch seines Verdienstes sicher
zu werden. Ich sah sogleich, daß bei dem wilden Gedränge an eine ruhige Auswahl
unter den dargebotnen Rossen doch nicht zu denken sei, und schwang mich auf das
erste beste, das nach Aussage seines Besitzers „talos" sein sollte, sich nachher aber
als einen alten, steifen Harttraber erwies, der jedoch leider — zu meinem Schaden
sollte ich das bald erfahren — dem andern Geschlechte noch keineswegs ganz ab¬
gestorben war. Da wir einen siebenstündigen Ritt vor uns hatten und vor Sonnen¬
untergang in Troja sein mußten, so durfte keine Zeit verloren werden. Mit wahrer
Todesverachtung stieg einer nach dem andern in den Sattel, nur für die Damen
und einen noch jungen, aber schon etwas ängstlichen Herrn wurden zwei Kaleschen
aufgetrieben, deren Insassen es freilich in der Mitte des Weges zum Teil vorzogen,
doch noch zu Roß zu steigen, weil ihnen die Wagenfahrt wegen des Zustandes
der Wege unerträglich wurde.

Unser Ritt begann mit einem so pferdemäßigen Techtelmechtel zweier Gäule,
daß die unglücklichen „Besitzer" dieses Liebespaares aus vollem Halse die Agojaten
um Hilfe riefen, die die Tiere dann auseinanderrissen. Die Pferde in der Troas
sind nämlich zum größern Teil Hengste, zum kleinern Stuten, Wallache gibt es
nicht. Leider waren die Hengste nicht frei von Eifersucht und Liebeszorn und machten
uus, die wir an die sanftern Maultiere gewohnt waren, recht viel zu schaffen. An
die Spitze unsrer Kavalkade setzte sich als Vertreter der uus leitenden und beschützenden
Staatsgewalt ein Gendarm. Roter Fes, blaue Husarenjacke, rote Hosen, weißes
Roß und Karabiner auf dem Sattel gaben ihm ein Prunkvolles, martialisches Air.
Durch die engen Gassen der Stadt ritten wir noch im Schritt und konnten so das
Straßenleben in einer asiatischen Mittelstadt in aller Ruhe beobachten. Die bei
weitem meisten Reisenden sehen ja vom Orient zuerst Konstantin opel oder Alexandrien
oder Smyrna, Großstädte, deren Zustände schon halb europäisiert und zivilisiert
sind; wir lernten in Tschanak-Kalessi den echten Orient und das unverfälschte asiatische
Turkmenen an der Quelle kennen.

Die Stadt trägt ihren Namen „Topfschloß" von den mit Blumen bemalten
Wasserkrügen, die hier verfertigt und bis tief nach Kleinasien hinein versandt werden.
Allenthalben standen diese Produkte der Dardauellenindnstrie in den Läden und
Werkstätten, ja man bot sie uns auf die Pferde hinauf zum Kauf an. Auch
Antiquitätenhändler schritten neben unserm Zuge her und hielten Münzen, Lampen.
Vasen und allerhand andern für antik ausgegebnen Plunder anpreisend zu uns
enipor. Mehr als diese Leute interessierte uns das Straßenbild. Das Charakteristische
daran waren die ungemein zahlreichen Holzbuden, die sich überall vor und zwischen
die Häuser drängten, und die dichten Holzvergatterungen der Haremsfenster, die
den Häusern etwas Unfreundliches, Ablehnendes gaben. In den zahlreichen nach
der Straße zu völlig offnen Cafes saßen ans hölzernen schrägen beturbante oder
befehle Männer mit untergeschlagnen Beinen; gravitätisch rauchten sie aus dem


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[0115] Line Trojafahrt als eine berechtigte Eigentümlichkeit türkischer Zollabfertigung zu betrachten und rührten keinen Finger, nicht einmal den Mund. Dimnaudis aber und seine Leute warfen sich, wohl aus Konkurrenzneid, den Eingedrungneu mit einer wahren Wut entgegen, und es gelang ihren handgreiflichen Bemühungen, sie wieder hinauszuwerfen und die Tür zu besetzen. Ein halbwüchsiger Bengel schrie währenddessen unaufhörlich aus Leibeskräften, ein Faustschlag hatte ihm die Nase zerschlagen, sodaß das Blut in Strömen Heransfloß. So konnten wir denn endlich den Zollschuppen verlassen und uns durch die Menschenmasse bis zur Hauptstraße des Orts hindurchdrängen. Unser leichtes Gepäck sollte auf besondre Packpferde geladen werden und blieb einst¬ weilen zurück. Auf der Straße standen etwa vierzig bis fünfzig unruhig stampfende Rosse samt ihren Führern, und um sie herum eine Menge, die uns teils neugierig, teils höhnisch betrachtete; die Leute wußten schon von den frühern Jahren her, was für Sonntagsreiter wir waren. Die Agojaten (Pferdeführer) aber priesen mit lauten Stimmen die trefflichen Eigenschaften ihrer Tiere an. Denn da mehr Pferde zur Stelle waren als Reisende, so suchte jeder möglichst rasch seines Verdienstes sicher zu werden. Ich sah sogleich, daß bei dem wilden Gedränge an eine ruhige Auswahl unter den dargebotnen Rossen doch nicht zu denken sei, und schwang mich auf das erste beste, das nach Aussage seines Besitzers „talos" sein sollte, sich nachher aber als einen alten, steifen Harttraber erwies, der jedoch leider — zu meinem Schaden sollte ich das bald erfahren — dem andern Geschlechte noch keineswegs ganz ab¬ gestorben war. Da wir einen siebenstündigen Ritt vor uns hatten und vor Sonnen¬ untergang in Troja sein mußten, so durfte keine Zeit verloren werden. Mit wahrer Todesverachtung stieg einer nach dem andern in den Sattel, nur für die Damen und einen noch jungen, aber schon etwas ängstlichen Herrn wurden zwei Kaleschen aufgetrieben, deren Insassen es freilich in der Mitte des Weges zum Teil vorzogen, doch noch zu Roß zu steigen, weil ihnen die Wagenfahrt wegen des Zustandes der Wege unerträglich wurde. Unser Ritt begann mit einem so pferdemäßigen Techtelmechtel zweier Gäule, daß die unglücklichen „Besitzer" dieses Liebespaares aus vollem Halse die Agojaten um Hilfe riefen, die die Tiere dann auseinanderrissen. Die Pferde in der Troas sind nämlich zum größern Teil Hengste, zum kleinern Stuten, Wallache gibt es nicht. Leider waren die Hengste nicht frei von Eifersucht und Liebeszorn und machten uus, die wir an die sanftern Maultiere gewohnt waren, recht viel zu schaffen. An die Spitze unsrer Kavalkade setzte sich als Vertreter der uus leitenden und beschützenden Staatsgewalt ein Gendarm. Roter Fes, blaue Husarenjacke, rote Hosen, weißes Roß und Karabiner auf dem Sattel gaben ihm ein Prunkvolles, martialisches Air. Durch die engen Gassen der Stadt ritten wir noch im Schritt und konnten so das Straßenleben in einer asiatischen Mittelstadt in aller Ruhe beobachten. Die bei weitem meisten Reisenden sehen ja vom Orient zuerst Konstantin opel oder Alexandrien oder Smyrna, Großstädte, deren Zustände schon halb europäisiert und zivilisiert sind; wir lernten in Tschanak-Kalessi den echten Orient und das unverfälschte asiatische Turkmenen an der Quelle kennen. Die Stadt trägt ihren Namen „Topfschloß" von den mit Blumen bemalten Wasserkrügen, die hier verfertigt und bis tief nach Kleinasien hinein versandt werden. Allenthalben standen diese Produkte der Dardauellenindnstrie in den Läden und Werkstätten, ja man bot sie uns auf die Pferde hinauf zum Kauf an. Auch Antiquitätenhändler schritten neben unserm Zuge her und hielten Münzen, Lampen. Vasen und allerhand andern für antik ausgegebnen Plunder anpreisend zu uns enipor. Mehr als diese Leute interessierte uns das Straßenbild. Das Charakteristische daran waren die ungemein zahlreichen Holzbuden, die sich überall vor und zwischen die Häuser drängten, und die dichten Holzvergatterungen der Haremsfenster, die den Häusern etwas Unfreundliches, Ablehnendes gaben. In den zahlreichen nach der Straße zu völlig offnen Cafes saßen ans hölzernen schrägen beturbante oder befehle Männer mit untergeschlagnen Beinen; gravitätisch rauchten sie aus dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/115>, abgerufen am 26.07.2024.