und der Kirche, stehn deshalb auch den im ganzen kirchlich gesinnten Massen fern und betrachten den Staat nur als eine Veranstaltung zur Befriedigung materieller und persönlicher Interessen. Deshalb ist auch der Parlamentarismus, der vou außen hereingetragen worden ist und für Italien gar uicht paßt, in eine Cliquenwirtschaft entartet, und der Staat steht sozusagen außerhalb der soziale" Frage, während die Kirche ihrer Natur nach mitten inne steht. Ein "innerer Bankerott" (wnoarotw imo'RA) ist die Folge. Für die Losung der römische" Frage haben deshalb die regierenden Parteien gar nichts geleistet; sie haben dem Papst¬ tum gegenüber n"r "eine Politik der Nadelstiche" (una xolitiea " oolxi all sMo) verfolgt. Der tiefste Grund für diese Unfruchtbarkeit liegt darin, daß Italien seine Neuzeit "icht wie Deutschland, Frankreich und England mit einer großen reli¬ giösen Bewegung begonnen hat (sondern mit der ästhetischen und philosophischen, mwolkstümlicheu Renaissance). -Und doch zeigt die Wärme, mit der ungezählte Volksmassen aus allen Stunden am 4. August vergangnen Jahres dem neuge¬ wählten Papst ganz spontan, ohne jeden äußern Anstoß huldigten, daß die Überzeugung von der Macht der Kirche tief in den Herzen wurzelt. Diese Kirche aber muß mehr und mehr zentralisieren, je mehr ringsum die Auflösung dnrch den Liberalismus (d. h. hier deu Unglauben) um sich greift, und je mehr sich die liberale Anschauung, der freie Gedanke könne die Religion ersetzen, als eine ..wissenschaftliche Lüge" (wen?oA0Ä cU soisn--") erweist. Mit Italien aber ist das Papsttum aufs engste verwachsen; ja es hat, indem es die alte Bedeutung Roms erhielt, erst die Möglichkeit geschaffen, daß dieses die nationale Hauptstadt wurde. "Wir durften niemals und dürften niemals uns dem politischen Papsttum unter¬ werfen, niemals unmögliche Versöhnungsbedingungen vorschlagen oder annehmen. Wir mußten die hohe sittliche Macht des religiöse" Papsttunis begreife" und achten. Das gerade habe" wir "icht getan. Das fühlte die Menge, die sich am 4. Attgllst auf dem Petersplatz und im Innern der großen Kirche drängte. Der Rückblick auf diesen Moment... kann uns für die Zukunft orientieren." Wie dieser Gegensatz überwunden werden könne, das führt Barzellotti nicht näher ans, aber offenbar betrachtet er als die Grundlage dazu eine Wendung der herrschenden Stände zur Religion, eine Abkehr von dem leeren und impotenten Nationalismus und Atheismus. Auch I. Mayer ist viel zu zurückhaltend, als daß er positive Vorschläge machen möchte, aber was er über die ersten Ma߬ regeln Pius des Zehnten sagt, das eröffnet vielleicht eine Aussicht. Der Papst hat zunächst an dem von kxxscM, also an dem Verbot der Teilnahme am politischen Leben für die "treuen Söhne der Kirche" festgehalten, aber nicht nur "us prinzipiellen, sondern auch aus praktischen Gründen. Die italienischen "Katholiken" sind bis jetzt nicht organisiert, würden also auch nichts leisten können. Auf eine solche Organisation scheint Pius hinzuarbeiten, wie er sie schon als Patriarch in Venedig durchgesetzt hat. "Was er tun wird, sagt I- Mayer, wenn die italienischen Katholiken einmal auf der Höhe der Disziplin der deutschen Katholiken angekommen sein werden (d. h. ob er dann das mein npoM fallen lassen wird), entzieht sich natürlich jeder Beurteilung." Gesetzt den Fall, er oder ein Nachfolger erlaubte dann die Teilnahme an der Politik,
Das Königreich Italien und das Papsttum
und der Kirche, stehn deshalb auch den im ganzen kirchlich gesinnten Massen fern und betrachten den Staat nur als eine Veranstaltung zur Befriedigung materieller und persönlicher Interessen. Deshalb ist auch der Parlamentarismus, der vou außen hereingetragen worden ist und für Italien gar uicht paßt, in eine Cliquenwirtschaft entartet, und der Staat steht sozusagen außerhalb der soziale» Frage, während die Kirche ihrer Natur nach mitten inne steht. Ein „innerer Bankerott" (wnoarotw imo'RA) ist die Folge. Für die Losung der römische» Frage haben deshalb die regierenden Parteien gar nichts geleistet; sie haben dem Papst¬ tum gegenüber n»r „eine Politik der Nadelstiche" (una xolitiea » oolxi all sMo) verfolgt. Der tiefste Grund für diese Unfruchtbarkeit liegt darin, daß Italien seine Neuzeit »icht wie Deutschland, Frankreich und England mit einer großen reli¬ giösen Bewegung begonnen hat (sondern mit der ästhetischen und philosophischen, mwolkstümlicheu Renaissance). -Und doch zeigt die Wärme, mit der ungezählte Volksmassen aus allen Stunden am 4. August vergangnen Jahres dem neuge¬ wählten Papst ganz spontan, ohne jeden äußern Anstoß huldigten, daß die Überzeugung von der Macht der Kirche tief in den Herzen wurzelt. Diese Kirche aber muß mehr und mehr zentralisieren, je mehr ringsum die Auflösung dnrch den Liberalismus (d. h. hier deu Unglauben) um sich greift, und je mehr sich die liberale Anschauung, der freie Gedanke könne die Religion ersetzen, als eine ..wissenschaftliche Lüge" (wen?oA0Ä cU soisn--») erweist. Mit Italien aber ist das Papsttum aufs engste verwachsen; ja es hat, indem es die alte Bedeutung Roms erhielt, erst die Möglichkeit geschaffen, daß dieses die nationale Hauptstadt wurde. "Wir durften niemals und dürften niemals uns dem politischen Papsttum unter¬ werfen, niemals unmögliche Versöhnungsbedingungen vorschlagen oder annehmen. Wir mußten die hohe sittliche Macht des religiöse» Papsttunis begreife» und achten. Das gerade habe» wir »icht getan. Das fühlte die Menge, die sich am 4. Attgllst auf dem Petersplatz und im Innern der großen Kirche drängte. Der Rückblick auf diesen Moment... kann uns für die Zukunft orientieren." Wie dieser Gegensatz überwunden werden könne, das führt Barzellotti nicht näher ans, aber offenbar betrachtet er als die Grundlage dazu eine Wendung der herrschenden Stände zur Religion, eine Abkehr von dem leeren und impotenten Nationalismus und Atheismus. Auch I. Mayer ist viel zu zurückhaltend, als daß er positive Vorschläge machen möchte, aber was er über die ersten Ma߬ regeln Pius des Zehnten sagt, das eröffnet vielleicht eine Aussicht. Der Papst hat zunächst an dem von kxxscM, also an dem Verbot der Teilnahme am politischen Leben für die „treuen Söhne der Kirche" festgehalten, aber nicht nur "us prinzipiellen, sondern auch aus praktischen Gründen. Die italienischen "Katholiken" sind bis jetzt nicht organisiert, würden also auch nichts leisten können. Auf eine solche Organisation scheint Pius hinzuarbeiten, wie er sie schon als Patriarch in Venedig durchgesetzt hat. „Was er tun wird, sagt I- Mayer, wenn die italienischen Katholiken einmal auf der Höhe der Disziplin der deutschen Katholiken angekommen sein werden (d. h. ob er dann das mein npoM fallen lassen wird), entzieht sich natürlich jeder Beurteilung." Gesetzt den Fall, er oder ein Nachfolger erlaubte dann die Teilnahme an der Politik,
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[0763]
Das Königreich Italien und das Papsttum
und der Kirche, stehn deshalb auch den im ganzen kirchlich gesinnten Massen
fern und betrachten den Staat nur als eine Veranstaltung zur Befriedigung
materieller und persönlicher Interessen. Deshalb ist auch der Parlamentarismus,
der vou außen hereingetragen worden ist und für Italien gar uicht paßt, in
eine Cliquenwirtschaft entartet, und der Staat steht sozusagen außerhalb der soziale»
Frage, während die Kirche ihrer Natur nach mitten inne steht. Ein „innerer
Bankerott" (wnoarotw imo'RA) ist die Folge. Für die Losung der römische» Frage
haben deshalb die regierenden Parteien gar nichts geleistet; sie haben dem Papst¬
tum gegenüber n»r „eine Politik der Nadelstiche" (una xolitiea » oolxi all sMo)
verfolgt. Der tiefste Grund für diese Unfruchtbarkeit liegt darin, daß Italien
seine Neuzeit »icht wie Deutschland, Frankreich und England mit einer großen reli¬
giösen Bewegung begonnen hat (sondern mit der ästhetischen und philosophischen,
mwolkstümlicheu Renaissance). -Und doch zeigt die Wärme, mit der ungezählte
Volksmassen aus allen Stunden am 4. August vergangnen Jahres dem neuge¬
wählten Papst ganz spontan, ohne jeden äußern Anstoß huldigten, daß die
Überzeugung von der Macht der Kirche tief in den Herzen wurzelt. Diese Kirche
aber muß mehr und mehr zentralisieren, je mehr ringsum die Auflösung dnrch
den Liberalismus (d. h. hier deu Unglauben) um sich greift, und je mehr sich
die liberale Anschauung, der freie Gedanke könne die Religion ersetzen, als eine
..wissenschaftliche Lüge" (wen?oA0Ä cU soisn--») erweist. Mit Italien aber ist das
Papsttum aufs engste verwachsen; ja es hat, indem es die alte Bedeutung Roms
erhielt, erst die Möglichkeit geschaffen, daß dieses die nationale Hauptstadt wurde.
"Wir durften niemals und dürften niemals uns dem politischen Papsttum unter¬
werfen, niemals unmögliche Versöhnungsbedingungen vorschlagen oder annehmen.
Wir mußten die hohe sittliche Macht des religiöse» Papsttunis begreife» und
achten. Das gerade habe» wir »icht getan. Das fühlte die Menge, die sich
am 4. Attgllst auf dem Petersplatz und im Innern der großen Kirche drängte.
Der Rückblick auf diesen Moment... kann uns für die Zukunft orientieren."
Wie dieser Gegensatz überwunden werden könne, das führt Barzellotti nicht näher
ans, aber offenbar betrachtet er als die Grundlage dazu eine Wendung der
herrschenden Stände zur Religion, eine Abkehr von dem leeren und impotenten
Nationalismus und Atheismus. Auch I. Mayer ist viel zu zurückhaltend, als
daß er positive Vorschläge machen möchte, aber was er über die ersten Ma߬
regeln Pius des Zehnten sagt, das eröffnet vielleicht eine Aussicht. Der Papst
hat zunächst an dem von kxxscM, also an dem Verbot der Teilnahme am
politischen Leben für die „treuen Söhne der Kirche" festgehalten, aber nicht nur
"us prinzipiellen, sondern auch aus praktischen Gründen. Die italienischen
"Katholiken" sind bis jetzt nicht organisiert, würden also auch nichts leisten
können. Auf eine solche Organisation scheint Pius hinzuarbeiten, wie er sie
schon als Patriarch in Venedig durchgesetzt hat. „Was er tun wird, sagt
I- Mayer, wenn die italienischen Katholiken einmal auf der Höhe der Disziplin
der deutschen Katholiken angekommen sein werden (d. h. ob er dann das mein
npoM fallen lassen wird), entzieht sich natürlich jeder Beurteilung." Gesetzt
den Fall, er oder ein Nachfolger erlaubte dann die Teilnahme an der Politik,
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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/763>, abgerufen am 22.07.2024.
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