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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Das Königreich Italien und das Papsttum

In Italien hat die neue Regierung von diesen ihr zur Verfügung stehenden
kolossalen Giltermassen leider keinen vernünftigen sozialen Gebrauch zu machen
verstanden, sondern damit mir vorübergehenden finanziellen Verlegenheiten ab¬
geholfen, und sie ist dabei oft zu gewalttätig und ohne die gebotne Schonung
vorgegangen. Deshalb erscheint die ganze Maßregel noch heute den Anhängern
der Kirche in einem gehässigen Lichte, aber so oder so wäre sie doch unver¬
meidlich gewesen. Was für den Grundbesitz der Kirche gilt, das gilt in noch
höherm Grade von ihrer politischen Herrschaft. Zu einer solchen ist die römische
Kirche im Mittelalter nur deshalb gelangt, weil sie sich ohne weltlichen Besitz
und staatliche Rechte in diesem Zeitalter der Auflösung und Unsicherheit gar
nicht hätte behaupten können. Natürlich unterlagen diese Kirchenstaaten dem
allgemeinen Schicksal aller Staatengebilde. Die italienischen Kirchenstaaten
haben sich im Norden des Landes schon während des zwölften Jahrhunderts
in Stadtrepubliken verwandelt; übrig blieben nur das päpstliche Gebiet und
einige kleine Klosterherrschaften wie Monte Cassino. In Deutschland verloren
die geistlichen Fürstentümer ihre Selbständigkeit zum Teil schon in der Re¬
formationszeit, 1648 wurden eben diese mit weltlichen Staaten vereinigt, 1803
geschah dasselbe mit den noch übrigen, und keine Hand hat sich damals für
ihre Wiederherstellung erhoben, denn sie hatten ihre Aufgabe erfüllt; der
moderne Staat gewährte der Kirche den Schutz, den sie sich im Mittelalter
selbst hatte schaffen müssen.

Von diesen längst verschwundncn Kirchenstaaten war der päpstliche nur
der Größe, nicht dem Wesen nach verschieden, und wie mangelhaft der Schutz
gewesen ist, den er dein Papsttum, sogar in seiner größten Ausdehnung, im
sechzehnten Jahrhundert gewährt hat, das ist bekannt; es war also ganz
natürlich, daß er endlich dasselbe Schicksal hatte, wie alle andern Kirchen¬
staaten schon lange vorher. Was ihm den Untergang gebracht hat, das war
auch keineswegs der böse Wille der piemontesischen oder der italienischen Ne¬
gierung, das war der unwiderstehliche und berechtigte Drang der gebildeten
Italiener nach nationaler Einheit auf der einen, die Unfähigkeit des universalen
Papsttums auf der andern Seite, eine nationalitalienische Politik zu treiben.
Wenn sich die Hoffnungen, die man 1848 auf Pius den Neunten setzte, erfüllt
Hütten, so bestünde der Kirchenstaat wahrscheinlich heute noch; ja noch Viktor
Emanuel der Zweite wäre bereit gewesen, noch 1870, sich über ein weltliches
Vikariat mit Rom zu verständigen, und wenn er endlich Rom nahm, so geschah
das nur, weil das sonst die republikanische Aktionspartei getan hätte, und er
das unter keinen Umständen erlauben durfte. schlechthin von Recht oder Un¬
recht der einen oder der andern Partei kann in diesem Konflikte gar keine
Rede sein; beide Teile taten, was ihrem Wesen entsprach, und nicht so darf
die Frage gestellt werden: War das, was da geschah, im juristischen Sinne
ein Raub, also ein Unrecht, sondern nur so: Hat das Papsttum die für seine
kirchliche Selbständigkeit unentbehrliche, seiner universalen Würde entsprechende
Unabhängigkeit auch unter den neuen Verhältnissen bewahrt oder nicht? Die
vierunddreißig Jahre, die seit dem Einzuge der Italiener durch die Porla


Das Königreich Italien und das Papsttum

In Italien hat die neue Regierung von diesen ihr zur Verfügung stehenden
kolossalen Giltermassen leider keinen vernünftigen sozialen Gebrauch zu machen
verstanden, sondern damit mir vorübergehenden finanziellen Verlegenheiten ab¬
geholfen, und sie ist dabei oft zu gewalttätig und ohne die gebotne Schonung
vorgegangen. Deshalb erscheint die ganze Maßregel noch heute den Anhängern
der Kirche in einem gehässigen Lichte, aber so oder so wäre sie doch unver¬
meidlich gewesen. Was für den Grundbesitz der Kirche gilt, das gilt in noch
höherm Grade von ihrer politischen Herrschaft. Zu einer solchen ist die römische
Kirche im Mittelalter nur deshalb gelangt, weil sie sich ohne weltlichen Besitz
und staatliche Rechte in diesem Zeitalter der Auflösung und Unsicherheit gar
nicht hätte behaupten können. Natürlich unterlagen diese Kirchenstaaten dem
allgemeinen Schicksal aller Staatengebilde. Die italienischen Kirchenstaaten
haben sich im Norden des Landes schon während des zwölften Jahrhunderts
in Stadtrepubliken verwandelt; übrig blieben nur das päpstliche Gebiet und
einige kleine Klosterherrschaften wie Monte Cassino. In Deutschland verloren
die geistlichen Fürstentümer ihre Selbständigkeit zum Teil schon in der Re¬
formationszeit, 1648 wurden eben diese mit weltlichen Staaten vereinigt, 1803
geschah dasselbe mit den noch übrigen, und keine Hand hat sich damals für
ihre Wiederherstellung erhoben, denn sie hatten ihre Aufgabe erfüllt; der
moderne Staat gewährte der Kirche den Schutz, den sie sich im Mittelalter
selbst hatte schaffen müssen.

Von diesen längst verschwundncn Kirchenstaaten war der päpstliche nur
der Größe, nicht dem Wesen nach verschieden, und wie mangelhaft der Schutz
gewesen ist, den er dein Papsttum, sogar in seiner größten Ausdehnung, im
sechzehnten Jahrhundert gewährt hat, das ist bekannt; es war also ganz
natürlich, daß er endlich dasselbe Schicksal hatte, wie alle andern Kirchen¬
staaten schon lange vorher. Was ihm den Untergang gebracht hat, das war
auch keineswegs der böse Wille der piemontesischen oder der italienischen Ne¬
gierung, das war der unwiderstehliche und berechtigte Drang der gebildeten
Italiener nach nationaler Einheit auf der einen, die Unfähigkeit des universalen
Papsttums auf der andern Seite, eine nationalitalienische Politik zu treiben.
Wenn sich die Hoffnungen, die man 1848 auf Pius den Neunten setzte, erfüllt
Hütten, so bestünde der Kirchenstaat wahrscheinlich heute noch; ja noch Viktor
Emanuel der Zweite wäre bereit gewesen, noch 1870, sich über ein weltliches
Vikariat mit Rom zu verständigen, und wenn er endlich Rom nahm, so geschah
das nur, weil das sonst die republikanische Aktionspartei getan hätte, und er
das unter keinen Umständen erlauben durfte. schlechthin von Recht oder Un¬
recht der einen oder der andern Partei kann in diesem Konflikte gar keine
Rede sein; beide Teile taten, was ihrem Wesen entsprach, und nicht so darf
die Frage gestellt werden: War das, was da geschah, im juristischen Sinne
ein Raub, also ein Unrecht, sondern nur so: Hat das Papsttum die für seine
kirchliche Selbständigkeit unentbehrliche, seiner universalen Würde entsprechende
Unabhängigkeit auch unter den neuen Verhältnissen bewahrt oder nicht? Die
vierunddreißig Jahre, die seit dem Einzuge der Italiener durch die Porla


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[0760] Das Königreich Italien und das Papsttum In Italien hat die neue Regierung von diesen ihr zur Verfügung stehenden kolossalen Giltermassen leider keinen vernünftigen sozialen Gebrauch zu machen verstanden, sondern damit mir vorübergehenden finanziellen Verlegenheiten ab¬ geholfen, und sie ist dabei oft zu gewalttätig und ohne die gebotne Schonung vorgegangen. Deshalb erscheint die ganze Maßregel noch heute den Anhängern der Kirche in einem gehässigen Lichte, aber so oder so wäre sie doch unver¬ meidlich gewesen. Was für den Grundbesitz der Kirche gilt, das gilt in noch höherm Grade von ihrer politischen Herrschaft. Zu einer solchen ist die römische Kirche im Mittelalter nur deshalb gelangt, weil sie sich ohne weltlichen Besitz und staatliche Rechte in diesem Zeitalter der Auflösung und Unsicherheit gar nicht hätte behaupten können. Natürlich unterlagen diese Kirchenstaaten dem allgemeinen Schicksal aller Staatengebilde. Die italienischen Kirchenstaaten haben sich im Norden des Landes schon während des zwölften Jahrhunderts in Stadtrepubliken verwandelt; übrig blieben nur das päpstliche Gebiet und einige kleine Klosterherrschaften wie Monte Cassino. In Deutschland verloren die geistlichen Fürstentümer ihre Selbständigkeit zum Teil schon in der Re¬ formationszeit, 1648 wurden eben diese mit weltlichen Staaten vereinigt, 1803 geschah dasselbe mit den noch übrigen, und keine Hand hat sich damals für ihre Wiederherstellung erhoben, denn sie hatten ihre Aufgabe erfüllt; der moderne Staat gewährte der Kirche den Schutz, den sie sich im Mittelalter selbst hatte schaffen müssen. Von diesen längst verschwundncn Kirchenstaaten war der päpstliche nur der Größe, nicht dem Wesen nach verschieden, und wie mangelhaft der Schutz gewesen ist, den er dein Papsttum, sogar in seiner größten Ausdehnung, im sechzehnten Jahrhundert gewährt hat, das ist bekannt; es war also ganz natürlich, daß er endlich dasselbe Schicksal hatte, wie alle andern Kirchen¬ staaten schon lange vorher. Was ihm den Untergang gebracht hat, das war auch keineswegs der böse Wille der piemontesischen oder der italienischen Ne¬ gierung, das war der unwiderstehliche und berechtigte Drang der gebildeten Italiener nach nationaler Einheit auf der einen, die Unfähigkeit des universalen Papsttums auf der andern Seite, eine nationalitalienische Politik zu treiben. Wenn sich die Hoffnungen, die man 1848 auf Pius den Neunten setzte, erfüllt Hütten, so bestünde der Kirchenstaat wahrscheinlich heute noch; ja noch Viktor Emanuel der Zweite wäre bereit gewesen, noch 1870, sich über ein weltliches Vikariat mit Rom zu verständigen, und wenn er endlich Rom nahm, so geschah das nur, weil das sonst die republikanische Aktionspartei getan hätte, und er das unter keinen Umständen erlauben durfte. schlechthin von Recht oder Un¬ recht der einen oder der andern Partei kann in diesem Konflikte gar keine Rede sein; beide Teile taten, was ihrem Wesen entsprach, und nicht so darf die Frage gestellt werden: War das, was da geschah, im juristischen Sinne ein Raub, also ein Unrecht, sondern nur so: Hat das Papsttum die für seine kirchliche Selbständigkeit unentbehrliche, seiner universalen Würde entsprechende Unabhängigkeit auch unter den neuen Verhältnissen bewahrt oder nicht? Die vierunddreißig Jahre, die seit dem Einzuge der Italiener durch die Porla

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/760>, abgerufen am 22.07.2024.