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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Romane und Novellen

Tote, "wie ein hoher Verfolgter, um in der Verborgenheit zu bleiben. Ver¬
stellung geübt und den Stern mif seiner Brust versteckt Hütte, und nun bei
seinem Tode das schwere Geheimnis offenbar würde." Und wie wundervoll
ist diese Fran dem Manne gegenübergestellt, sie. die keine Last des Gewehren
trägt, in veren Kerzen ..reingestimmte Frühlingsglocken läuten und unfehlbare
Sterne leuchtend auf- und uiedergehu." Ihr Lasko stirbt im Grunde nicht
durch die wahnsinnige Hand, die ihn mordet, sondern am Leben selbst; sie
wird selbst den Tod jubelnd grüßen als Eingang zu einem andern Leben,
denn wie sollte so ein quellendes Dasein enden?

Das Buch von Ricarda Huch ist nicht mir ein schönes Werk, eine rein
abgestimmte Dichtung schlechthin, sondern es ist mehr, nämlich das Buch einer
echten Frau. Was die Fran so sehr vor dem Manne auszeichnet, die
Genialität des Aufnehmens, ist darin und dann die recht weibliche Kunst,
vibrierende Stimmungen zu geben, zwischen den Dingen und deu Zeilen zu
lesen und lesen zu lassen. Das Ideal einer Dichterin kann ja nicht sein, so
schaffen, daß'ihr Werk wirkt wie das eines Mannes, sondern so. daß der
Genießende fühlt: das kommt von einer Frau, denn das kann kein Mann
so-' Wie selten dieser Eindruck wachgerufen wird, zeigen so recht zwei andre
Frauenbücher: Auf roter Erde" von Maw Schoepp (Berlin und Leipzig.
Schuster und Löffler) und "Narren" von Marie zur Megede (Berlin. F. Fontane
und Co.). Beide Bücher sind keineswegs schlecht, aber sie bieten schlechterdings
keine Handhabe für den. der etwas mehr von den darin auftretenden Leuten
"ut von den Verfasserinnen selbst erfahren mochte. Es sind glatt hingeschnebne
Romane, dem von Frau Schoepp läßt sich ein gewisser Humor, dem der Frau
von Megede ein mehr als oberflächliches Gefühl für die ostpreußische Natur
"achrühmen -- beiden leider auch ein wenig Langeweile.

Vielleicht darf ich nach so vielen Lebenden am Schlüsse noch eines Toten
gedenken. Theodor Fontane ist nun fast sechs Jahre nicht mehr unter uns.
Eine auch nur annähernd vollständige Sammlung seiner Werke steht immer
"och aus, ist nicht einmal angekündigt. Tüchtige Männer sind, wie ich weiß,
am Werke uns mit Montanes Briefen und Kritiken zu beschenken. Mögen
sie oder andre uns auf eine ante Gesamtansgabe des Dichters nicht mehr
allzu lange warten lassen. Es wird heute in Dentschland viel zu we.ng von
ihm gesprochen. Und wir sollten doch dafür sorgen, daß nicht Fontanes
resignierter Altersrttckblick Recht behält:


Von hundert geliebt, von tausend mißacht't,
So hab ich meine Tage verbracht,

sondern sein hoffnnngsfroher Spruch:


Und ob verwehn die welken Blätter,
Die frischen schlingen sich zum Kranz.

^,.^1? Sviero


Deutsche Romane und Novellen

Tote, „wie ein hoher Verfolgter, um in der Verborgenheit zu bleiben. Ver¬
stellung geübt und den Stern mif seiner Brust versteckt Hütte, und nun bei
seinem Tode das schwere Geheimnis offenbar würde." Und wie wundervoll
ist diese Fran dem Manne gegenübergestellt, sie. die keine Last des Gewehren
trägt, in veren Kerzen ..reingestimmte Frühlingsglocken läuten und unfehlbare
Sterne leuchtend auf- und uiedergehu." Ihr Lasko stirbt im Grunde nicht
durch die wahnsinnige Hand, die ihn mordet, sondern am Leben selbst; sie
wird selbst den Tod jubelnd grüßen als Eingang zu einem andern Leben,
denn wie sollte so ein quellendes Dasein enden?

Das Buch von Ricarda Huch ist nicht mir ein schönes Werk, eine rein
abgestimmte Dichtung schlechthin, sondern es ist mehr, nämlich das Buch einer
echten Frau. Was die Fran so sehr vor dem Manne auszeichnet, die
Genialität des Aufnehmens, ist darin und dann die recht weibliche Kunst,
vibrierende Stimmungen zu geben, zwischen den Dingen und deu Zeilen zu
lesen und lesen zu lassen. Das Ideal einer Dichterin kann ja nicht sein, so
schaffen, daß'ihr Werk wirkt wie das eines Mannes, sondern so. daß der
Genießende fühlt: das kommt von einer Frau, denn das kann kein Mann
so-' Wie selten dieser Eindruck wachgerufen wird, zeigen so recht zwei andre
Frauenbücher: Auf roter Erde" von Maw Schoepp (Berlin und Leipzig.
Schuster und Löffler) und „Narren" von Marie zur Megede (Berlin. F. Fontane
und Co.). Beide Bücher sind keineswegs schlecht, aber sie bieten schlechterdings
keine Handhabe für den. der etwas mehr von den darin auftretenden Leuten
"ut von den Verfasserinnen selbst erfahren mochte. Es sind glatt hingeschnebne
Romane, dem von Frau Schoepp läßt sich ein gewisser Humor, dem der Frau
von Megede ein mehr als oberflächliches Gefühl für die ostpreußische Natur
"achrühmen — beiden leider auch ein wenig Langeweile.

Vielleicht darf ich nach so vielen Lebenden am Schlüsse noch eines Toten
gedenken. Theodor Fontane ist nun fast sechs Jahre nicht mehr unter uns.
Eine auch nur annähernd vollständige Sammlung seiner Werke steht immer
«och aus, ist nicht einmal angekündigt. Tüchtige Männer sind, wie ich weiß,
am Werke uns mit Montanes Briefen und Kritiken zu beschenken. Mögen
sie oder andre uns auf eine ante Gesamtansgabe des Dichters nicht mehr
allzu lange warten lassen. Es wird heute in Dentschland viel zu we.ng von
ihm gesprochen. Und wir sollten doch dafür sorgen, daß nicht Fontanes
resignierter Altersrttckblick Recht behält:


Von hundert geliebt, von tausend mißacht't,
So hab ich meine Tage verbracht,

sondern sein hoffnnngsfroher Spruch:


Und ob verwehn die welken Blätter,
Die frischen schlingen sich zum Kranz.

^,.^1? Sviero


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[0727] Deutsche Romane und Novellen Tote, „wie ein hoher Verfolgter, um in der Verborgenheit zu bleiben. Ver¬ stellung geübt und den Stern mif seiner Brust versteckt Hütte, und nun bei seinem Tode das schwere Geheimnis offenbar würde." Und wie wundervoll ist diese Fran dem Manne gegenübergestellt, sie. die keine Last des Gewehren trägt, in veren Kerzen ..reingestimmte Frühlingsglocken läuten und unfehlbare Sterne leuchtend auf- und uiedergehu." Ihr Lasko stirbt im Grunde nicht durch die wahnsinnige Hand, die ihn mordet, sondern am Leben selbst; sie wird selbst den Tod jubelnd grüßen als Eingang zu einem andern Leben, denn wie sollte so ein quellendes Dasein enden? Das Buch von Ricarda Huch ist nicht mir ein schönes Werk, eine rein abgestimmte Dichtung schlechthin, sondern es ist mehr, nämlich das Buch einer echten Frau. Was die Fran so sehr vor dem Manne auszeichnet, die Genialität des Aufnehmens, ist darin und dann die recht weibliche Kunst, vibrierende Stimmungen zu geben, zwischen den Dingen und deu Zeilen zu lesen und lesen zu lassen. Das Ideal einer Dichterin kann ja nicht sein, so schaffen, daß'ihr Werk wirkt wie das eines Mannes, sondern so. daß der Genießende fühlt: das kommt von einer Frau, denn das kann kein Mann so-' Wie selten dieser Eindruck wachgerufen wird, zeigen so recht zwei andre Frauenbücher: Auf roter Erde" von Maw Schoepp (Berlin und Leipzig. Schuster und Löffler) und „Narren" von Marie zur Megede (Berlin. F. Fontane und Co.). Beide Bücher sind keineswegs schlecht, aber sie bieten schlechterdings keine Handhabe für den. der etwas mehr von den darin auftretenden Leuten "ut von den Verfasserinnen selbst erfahren mochte. Es sind glatt hingeschnebne Romane, dem von Frau Schoepp läßt sich ein gewisser Humor, dem der Frau von Megede ein mehr als oberflächliches Gefühl für die ostpreußische Natur "achrühmen — beiden leider auch ein wenig Langeweile. Vielleicht darf ich nach so vielen Lebenden am Schlüsse noch eines Toten gedenken. Theodor Fontane ist nun fast sechs Jahre nicht mehr unter uns. Eine auch nur annähernd vollständige Sammlung seiner Werke steht immer «och aus, ist nicht einmal angekündigt. Tüchtige Männer sind, wie ich weiß, am Werke uns mit Montanes Briefen und Kritiken zu beschenken. Mögen sie oder andre uns auf eine ante Gesamtansgabe des Dichters nicht mehr allzu lange warten lassen. Es wird heute in Dentschland viel zu we.ng von ihm gesprochen. Und wir sollten doch dafür sorgen, daß nicht Fontanes resignierter Altersrttckblick Recht behält: Von hundert geliebt, von tausend mißacht't, So hab ich meine Tage verbracht, sondern sein hoffnnngsfroher Spruch: Und ob verwehn die welken Blätter, Die frischen schlingen sich zum Kranz. ^,.^1? Sviero

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/727>, abgerufen am 24.08.2024.