Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Rlabunkerstraße

Gang schritten, hatten an andres zu denken, als an die Zeit, die schon längst
zurücklag, die dem Kloster manche Veränderung und manche neue Dame gebracht
hatte. Nur wenn Fräulein von Werkentin am Arm ihrer Auguste am Kirchhof
vorbei wanderte, blieb sie wohl stehn und blinzelte zu dem weißen Kreuz hinüber.

Sie wartet auf mich, Auguste, sagte sie, und ihr altes Gesicht zitterte.

Auguste zog ihre Herrin weiter.

Laß sie man noch ein büschen warten, murrte sie. Denn sie fand das Leben
dieser Welt angenehmer als das jener, von der niemand Genaues weiß.

Fräulein von Werkentin ließ sich weiter ziehn.

Moppi ist auch tot! klagte sie vielleicht, und dann vergaß auch sie das Weiße
Kreuz, ebenso wie sie Moppi vergessen hatte, der einem Schlagfluß erlegen war,
und bei dessen Tode sie sich halb wahnsinnig gebärdet hatte. Aber wir Menschen
sind ein vergeßliches Geschlecht, und das, was wir einst liebten, vergessen wir fast
noch schneller als das, was wir haßten.

Fünf Jahre können aber auch eine kurze Spanne Zeit bedeuten. Wenigstens
kam es der Äbtissin, Frau von Wolffenradt, manchmal vor, als sei es erst gestern
gewesen, daß sie vom Dovenhof nach dem Kloster Wittekind fuhr, um wieder ihr
Leben im Stift zu beginnen. Damals, vor fünf Jahren, als Wolf von seiner
ersten Frau verlassen worden war, als sie und Melitta ihm beistehn mußten, diese
Beleidigung zu tragen.

Asta dachte nicht gern an diese Zeiten zurück. Sie waren vergangen, wie
alles vergeht; und alles war dann so gekommen, wie es kommen sollte. Wolf
Wolffenradt hatte sich von Elisabeth scheiden lassen und Melitta Hagenau ge¬
heiratet. Seit den vier Jahren ihrer Ehe lebte das Ehepaar viel auf Reisen
und kam selten auf den Dovenhof. Wolf hatte plötzlich Reisefieber bekommen, und
Melitta schien dieselbe Krankheit zu haben. Im Innern ihres Herzens war Asta
nicht unglücklich darüber. Seitdem sie Äbtissin geworden war, widmete sie sich
ihrem Beruf und ging darin auf. Die Familie war bei ihr in den Hintergrund
getreten. Mochte sie tun und lassen, was sie wollte; sie hatte das Kloster Witte¬
kind zu leiten und konnte nicht an viel andres denken. Asta Wolffenradt war eine
gute Äbtissin. Die Damen liebten sie, ihre Beamten und Klosterangehörigen ver¬
ehrten sie; sie war milde und gerecht, ehrerbietig gegen die ältern, gütig gegen die
jüngern Damen. Wer von ihr sprach, konnte nur Gutes berichten; und als eines
Tags Baronin Lolo Wolffenradt unerwartet mit ihrer Tochter bei ihr eintraf,
faßte die Schwägerin sie nach der ersten Begrüßung lächelnd um die Schulter.

Wahrhaftig, Asta, mir scheint, -du hast einen Heiligenschein bekommen!

Nennst du so meine weißen Haare? erkundigte sich die Äbtissin mit halbem Lächeln.

Lolo sah sie prüfend an. Allerdings, du bist schneeweiß geworden. Es steht
dir gut, und Moppi würde sagen: du bist wunderschön!

Moppi war ein kleiner Junge, der zur Überraschung der ganzen Familie vor
vier Jahren auf der Wolffenburg geboren war, und den die dortigen Wolffenradts
vergötterten. Er hieß Kurt; seine Mutter aber nannte ihn Moppi, weil sie be¬
hauptete, daß er dem Mops von Fräulein von Werkentin zum Verwechseln ähnlich
sähe, und dieser Name verblieb ihm natürlich.

Eigentlich hätte ich dir den Jungen mitbringen wollen, fuhr Lolo fort,
während sie sich in dem schönen Gartensaal des Äbtissinnenhauses umsah. Dann
aber fürchtete ich, du würdest ihn nicht leiden mögen, und das hätte ich nicht er¬
tragen können. Nun habe ich dir lieber Elsie gebracht und wollte dich bitten,
sie einige Zeit zu behalten!

Freundlich sah die Äbtissin in Elsies klare Augen.

Gewiß, Kindchen, bleibe bei mir, so lange du magst! Hoffentlich ist es dir
hier nicht zu still!

Elsie war ein junges, schlankes Mädchen geworden, mit sorglos lachenden
Augen und dichtem blondem Haar. Nicht besonders hübsch, und doch sehr lieblich.

Darf sie wirklich bleiben? Die Mutter war erfreut. Das ist sehr gut von


Die Rlabunkerstraße

Gang schritten, hatten an andres zu denken, als an die Zeit, die schon längst
zurücklag, die dem Kloster manche Veränderung und manche neue Dame gebracht
hatte. Nur wenn Fräulein von Werkentin am Arm ihrer Auguste am Kirchhof
vorbei wanderte, blieb sie wohl stehn und blinzelte zu dem weißen Kreuz hinüber.

Sie wartet auf mich, Auguste, sagte sie, und ihr altes Gesicht zitterte.

Auguste zog ihre Herrin weiter.

Laß sie man noch ein büschen warten, murrte sie. Denn sie fand das Leben
dieser Welt angenehmer als das jener, von der niemand Genaues weiß.

Fräulein von Werkentin ließ sich weiter ziehn.

Moppi ist auch tot! klagte sie vielleicht, und dann vergaß auch sie das Weiße
Kreuz, ebenso wie sie Moppi vergessen hatte, der einem Schlagfluß erlegen war,
und bei dessen Tode sie sich halb wahnsinnig gebärdet hatte. Aber wir Menschen
sind ein vergeßliches Geschlecht, und das, was wir einst liebten, vergessen wir fast
noch schneller als das, was wir haßten.

Fünf Jahre können aber auch eine kurze Spanne Zeit bedeuten. Wenigstens
kam es der Äbtissin, Frau von Wolffenradt, manchmal vor, als sei es erst gestern
gewesen, daß sie vom Dovenhof nach dem Kloster Wittekind fuhr, um wieder ihr
Leben im Stift zu beginnen. Damals, vor fünf Jahren, als Wolf von seiner
ersten Frau verlassen worden war, als sie und Melitta ihm beistehn mußten, diese
Beleidigung zu tragen.

Asta dachte nicht gern an diese Zeiten zurück. Sie waren vergangen, wie
alles vergeht; und alles war dann so gekommen, wie es kommen sollte. Wolf
Wolffenradt hatte sich von Elisabeth scheiden lassen und Melitta Hagenau ge¬
heiratet. Seit den vier Jahren ihrer Ehe lebte das Ehepaar viel auf Reisen
und kam selten auf den Dovenhof. Wolf hatte plötzlich Reisefieber bekommen, und
Melitta schien dieselbe Krankheit zu haben. Im Innern ihres Herzens war Asta
nicht unglücklich darüber. Seitdem sie Äbtissin geworden war, widmete sie sich
ihrem Beruf und ging darin auf. Die Familie war bei ihr in den Hintergrund
getreten. Mochte sie tun und lassen, was sie wollte; sie hatte das Kloster Witte¬
kind zu leiten und konnte nicht an viel andres denken. Asta Wolffenradt war eine
gute Äbtissin. Die Damen liebten sie, ihre Beamten und Klosterangehörigen ver¬
ehrten sie; sie war milde und gerecht, ehrerbietig gegen die ältern, gütig gegen die
jüngern Damen. Wer von ihr sprach, konnte nur Gutes berichten; und als eines
Tags Baronin Lolo Wolffenradt unerwartet mit ihrer Tochter bei ihr eintraf,
faßte die Schwägerin sie nach der ersten Begrüßung lächelnd um die Schulter.

Wahrhaftig, Asta, mir scheint, -du hast einen Heiligenschein bekommen!

Nennst du so meine weißen Haare? erkundigte sich die Äbtissin mit halbem Lächeln.

Lolo sah sie prüfend an. Allerdings, du bist schneeweiß geworden. Es steht
dir gut, und Moppi würde sagen: du bist wunderschön!

Moppi war ein kleiner Junge, der zur Überraschung der ganzen Familie vor
vier Jahren auf der Wolffenburg geboren war, und den die dortigen Wolffenradts
vergötterten. Er hieß Kurt; seine Mutter aber nannte ihn Moppi, weil sie be¬
hauptete, daß er dem Mops von Fräulein von Werkentin zum Verwechseln ähnlich
sähe, und dieser Name verblieb ihm natürlich.

Eigentlich hätte ich dir den Jungen mitbringen wollen, fuhr Lolo fort,
während sie sich in dem schönen Gartensaal des Äbtissinnenhauses umsah. Dann
aber fürchtete ich, du würdest ihn nicht leiden mögen, und das hätte ich nicht er¬
tragen können. Nun habe ich dir lieber Elsie gebracht und wollte dich bitten,
sie einige Zeit zu behalten!

Freundlich sah die Äbtissin in Elsies klare Augen.

Gewiß, Kindchen, bleibe bei mir, so lange du magst! Hoffentlich ist es dir
hier nicht zu still!

Elsie war ein junges, schlankes Mädchen geworden, mit sorglos lachenden
Augen und dichtem blondem Haar. Nicht besonders hübsch, und doch sehr lieblich.

Darf sie wirklich bleiben? Die Mutter war erfreut. Das ist sehr gut von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293351"/>
            <fw type="header" place="top"> Die Rlabunkerstraße</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_3112" prev="#ID_3111"> Gang schritten, hatten an andres zu denken, als an die Zeit, die schon längst<lb/>
zurücklag, die dem Kloster manche Veränderung und manche neue Dame gebracht<lb/>
hatte. Nur wenn Fräulein von Werkentin am Arm ihrer Auguste am Kirchhof<lb/>
vorbei wanderte, blieb sie wohl stehn und blinzelte zu dem weißen Kreuz hinüber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3113"> Sie wartet auf mich, Auguste, sagte sie, und ihr altes Gesicht zitterte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3114"> Auguste zog ihre Herrin weiter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3115"> Laß sie man noch ein büschen warten, murrte sie. Denn sie fand das Leben<lb/>
dieser Welt angenehmer als das jener, von der niemand Genaues weiß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3116"> Fräulein von Werkentin ließ sich weiter ziehn.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3117"> Moppi ist auch tot! klagte sie vielleicht, und dann vergaß auch sie das Weiße<lb/>
Kreuz, ebenso wie sie Moppi vergessen hatte, der einem Schlagfluß erlegen war,<lb/>
und bei dessen Tode sie sich halb wahnsinnig gebärdet hatte. Aber wir Menschen<lb/>
sind ein vergeßliches Geschlecht, und das, was wir einst liebten, vergessen wir fast<lb/>
noch schneller als das, was wir haßten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3118"> Fünf Jahre können aber auch eine kurze Spanne Zeit bedeuten. Wenigstens<lb/>
kam es der Äbtissin, Frau von Wolffenradt, manchmal vor, als sei es erst gestern<lb/>
gewesen, daß sie vom Dovenhof nach dem Kloster Wittekind fuhr, um wieder ihr<lb/>
Leben im Stift zu beginnen. Damals, vor fünf Jahren, als Wolf von seiner<lb/>
ersten Frau verlassen worden war, als sie und Melitta ihm beistehn mußten, diese<lb/>
Beleidigung zu tragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3119"> Asta dachte nicht gern an diese Zeiten zurück. Sie waren vergangen, wie<lb/>
alles vergeht; und alles war dann so gekommen, wie es kommen sollte. Wolf<lb/>
Wolffenradt hatte sich von Elisabeth scheiden lassen und Melitta Hagenau ge¬<lb/>
heiratet. Seit den vier Jahren ihrer Ehe lebte das Ehepaar viel auf Reisen<lb/>
und kam selten auf den Dovenhof. Wolf hatte plötzlich Reisefieber bekommen, und<lb/>
Melitta schien dieselbe Krankheit zu haben. Im Innern ihres Herzens war Asta<lb/>
nicht unglücklich darüber. Seitdem sie Äbtissin geworden war, widmete sie sich<lb/>
ihrem Beruf und ging darin auf. Die Familie war bei ihr in den Hintergrund<lb/>
getreten. Mochte sie tun und lassen, was sie wollte; sie hatte das Kloster Witte¬<lb/>
kind zu leiten und konnte nicht an viel andres denken. Asta Wolffenradt war eine<lb/>
gute Äbtissin. Die Damen liebten sie, ihre Beamten und Klosterangehörigen ver¬<lb/>
ehrten sie; sie war milde und gerecht, ehrerbietig gegen die ältern, gütig gegen die<lb/>
jüngern Damen. Wer von ihr sprach, konnte nur Gutes berichten; und als eines<lb/>
Tags Baronin Lolo Wolffenradt unerwartet mit ihrer Tochter bei ihr eintraf,<lb/>
faßte die Schwägerin sie nach der ersten Begrüßung lächelnd um die Schulter.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3120"> Wahrhaftig, Asta, mir scheint, -du hast einen Heiligenschein bekommen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3121"> Nennst du so meine weißen Haare? erkundigte sich die Äbtissin mit halbem Lächeln.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3122"> Lolo sah sie prüfend an. Allerdings, du bist schneeweiß geworden. Es steht<lb/>
dir gut, und Moppi würde sagen: du bist wunderschön!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3123"> Moppi war ein kleiner Junge, der zur Überraschung der ganzen Familie vor<lb/>
vier Jahren auf der Wolffenburg geboren war, und den die dortigen Wolffenradts<lb/>
vergötterten. Er hieß Kurt; seine Mutter aber nannte ihn Moppi, weil sie be¬<lb/>
hauptete, daß er dem Mops von Fräulein von Werkentin zum Verwechseln ähnlich<lb/>
sähe, und dieser Name verblieb ihm natürlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3124"> Eigentlich hätte ich dir den Jungen mitbringen wollen, fuhr Lolo fort,<lb/>
während sie sich in dem schönen Gartensaal des Äbtissinnenhauses umsah. Dann<lb/>
aber fürchtete ich, du würdest ihn nicht leiden mögen, und das hätte ich nicht er¬<lb/>
tragen können. Nun habe ich dir lieber Elsie gebracht und wollte dich bitten,<lb/>
sie einige Zeit zu behalten!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3125"> Freundlich sah die Äbtissin in Elsies klare Augen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3126"> Gewiß, Kindchen, bleibe bei mir, so lange du magst! Hoffentlich ist es dir<lb/>
hier nicht zu still!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3127"> Elsie war ein junges, schlankes Mädchen geworden, mit sorglos lachenden<lb/>
Augen und dichtem blondem Haar. Nicht besonders hübsch, und doch sehr lieblich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_3128" next="#ID_3129"> Darf sie wirklich bleiben?  Die Mutter war erfreut.  Das ist sehr gut von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0554] Die Rlabunkerstraße Gang schritten, hatten an andres zu denken, als an die Zeit, die schon längst zurücklag, die dem Kloster manche Veränderung und manche neue Dame gebracht hatte. Nur wenn Fräulein von Werkentin am Arm ihrer Auguste am Kirchhof vorbei wanderte, blieb sie wohl stehn und blinzelte zu dem weißen Kreuz hinüber. Sie wartet auf mich, Auguste, sagte sie, und ihr altes Gesicht zitterte. Auguste zog ihre Herrin weiter. Laß sie man noch ein büschen warten, murrte sie. Denn sie fand das Leben dieser Welt angenehmer als das jener, von der niemand Genaues weiß. Fräulein von Werkentin ließ sich weiter ziehn. Moppi ist auch tot! klagte sie vielleicht, und dann vergaß auch sie das Weiße Kreuz, ebenso wie sie Moppi vergessen hatte, der einem Schlagfluß erlegen war, und bei dessen Tode sie sich halb wahnsinnig gebärdet hatte. Aber wir Menschen sind ein vergeßliches Geschlecht, und das, was wir einst liebten, vergessen wir fast noch schneller als das, was wir haßten. Fünf Jahre können aber auch eine kurze Spanne Zeit bedeuten. Wenigstens kam es der Äbtissin, Frau von Wolffenradt, manchmal vor, als sei es erst gestern gewesen, daß sie vom Dovenhof nach dem Kloster Wittekind fuhr, um wieder ihr Leben im Stift zu beginnen. Damals, vor fünf Jahren, als Wolf von seiner ersten Frau verlassen worden war, als sie und Melitta ihm beistehn mußten, diese Beleidigung zu tragen. Asta dachte nicht gern an diese Zeiten zurück. Sie waren vergangen, wie alles vergeht; und alles war dann so gekommen, wie es kommen sollte. Wolf Wolffenradt hatte sich von Elisabeth scheiden lassen und Melitta Hagenau ge¬ heiratet. Seit den vier Jahren ihrer Ehe lebte das Ehepaar viel auf Reisen und kam selten auf den Dovenhof. Wolf hatte plötzlich Reisefieber bekommen, und Melitta schien dieselbe Krankheit zu haben. Im Innern ihres Herzens war Asta nicht unglücklich darüber. Seitdem sie Äbtissin geworden war, widmete sie sich ihrem Beruf und ging darin auf. Die Familie war bei ihr in den Hintergrund getreten. Mochte sie tun und lassen, was sie wollte; sie hatte das Kloster Witte¬ kind zu leiten und konnte nicht an viel andres denken. Asta Wolffenradt war eine gute Äbtissin. Die Damen liebten sie, ihre Beamten und Klosterangehörigen ver¬ ehrten sie; sie war milde und gerecht, ehrerbietig gegen die ältern, gütig gegen die jüngern Damen. Wer von ihr sprach, konnte nur Gutes berichten; und als eines Tags Baronin Lolo Wolffenradt unerwartet mit ihrer Tochter bei ihr eintraf, faßte die Schwägerin sie nach der ersten Begrüßung lächelnd um die Schulter. Wahrhaftig, Asta, mir scheint, -du hast einen Heiligenschein bekommen! Nennst du so meine weißen Haare? erkundigte sich die Äbtissin mit halbem Lächeln. Lolo sah sie prüfend an. Allerdings, du bist schneeweiß geworden. Es steht dir gut, und Moppi würde sagen: du bist wunderschön! Moppi war ein kleiner Junge, der zur Überraschung der ganzen Familie vor vier Jahren auf der Wolffenburg geboren war, und den die dortigen Wolffenradts vergötterten. Er hieß Kurt; seine Mutter aber nannte ihn Moppi, weil sie be¬ hauptete, daß er dem Mops von Fräulein von Werkentin zum Verwechseln ähnlich sähe, und dieser Name verblieb ihm natürlich. Eigentlich hätte ich dir den Jungen mitbringen wollen, fuhr Lolo fort, während sie sich in dem schönen Gartensaal des Äbtissinnenhauses umsah. Dann aber fürchtete ich, du würdest ihn nicht leiden mögen, und das hätte ich nicht er¬ tragen können. Nun habe ich dir lieber Elsie gebracht und wollte dich bitten, sie einige Zeit zu behalten! Freundlich sah die Äbtissin in Elsies klare Augen. Gewiß, Kindchen, bleibe bei mir, so lange du magst! Hoffentlich ist es dir hier nicht zu still! Elsie war ein junges, schlankes Mädchen geworden, mit sorglos lachenden Augen und dichtem blondem Haar. Nicht besonders hübsch, und doch sehr lieblich. Darf sie wirklich bleiben? Die Mutter war erfreut. Das ist sehr gut von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/554
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/554>, abgerufen am 23.07.2024.