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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Japan

die seine Basis früh gesichert und ausgebaut haben. Wenn auch augenblicklich
das Gefühl vorhanden ist, daß der russische Staatsmagen nicht mehr Länder
verdauen kann, so ist doch das jetzige Fortschreiten eine unumgängliche Natur¬
notwendigkeit, wenn seine großen Ländereien einen breiten Weg zum eisfreien
Meere, zum freien Weltverkehr erhalten sollen. Das weitgestcckte Endziel:
die Hegemonie in Asien und die Herrschaft über den Teil des asiatischen
Kontinents, der von niedern, organisationslosen Nassen bewohnt wird, ist vom
Volke instinktiv durch die Jahrhunderte angestrebt worden.

Die Kaufleute, die Kosakenführer, die Generale haben diese Länder besetzt.
Männer wie Jermack, Newelski und Murawiew waren die glücklichen Leiter.
Aber der Staat, der diesen Führern teilweise widerwillig folgte, hat jetzt die
Pflicht, diese Gebiete seinem Volke nutzbar zu machen.

Um die Segnung dieser gewaltigen Schöpfung zu ernten, braucht Rußland
einen langen Frieden. Falls sich aber bei diesem Ausbau des Reiches andre
emporstrebende Mächte entgegenstellen, deren eigne Ziele mit diesen russischen
Erweiterungsplänen zusammenstoßen, so muß es diese niederwerfen. So muß
es, gegen seine friedlichen Absichten, trotz des augenblicklichen Nächtens, im Inter¬
esse seiner großen Sache zum Schwert greifen.

Eine solche emporstrebende Macht ist ihm in Japan entstanden. An¬
dauernde Arbeit und Kriegsrüstungen haben dieses Land zu einer ausschlag¬
gebenden Macht im fernen Osten erhoben. Nassenverwandtschaft und ehrgeizige
Pläne haben im Volke das Gefühl erweckt, daß es als Führer der mon¬
golischen Rasse berufen sei, "Asien den Asiaten" zu sichern. Zum erstenmal
in Rußlands asiatischer Politik tritt hier der Augenblick ein, wo es nicht lange
warten kann. Japan hat sich in sehr kurzer Zeit zur Großmacht entwickelt.
Aber nicht nur die militärische Kraft dieses Landes, die schon ein bedeutendes
Gewicht in die Wagschale wirft, sondern seine Rassenverwandtschaft und sein
Verständnis für China geben hier den Ausschlag.

Eine erstaunliche Änderung hat seit dem japanisch-chinesische" Kriege unter
den Völkern des Osten stattgefunden. Die beiden alten Erbfeinde Japan und
China haben sich von Jahr zu Jahr mehr verstehn lernen und sind sich
näher gerückt.

Das japanische Volk, das vor dem Kriege den Chinesen verachtete, hat
sehr schnell begriffen und ist durchdrungen von dem Gefühl, daß das einzig
gesunde Bündnis im Osten ein Schutz- und Trutzbündnis mit China ist, und
dazu sucht es mit allen Mitteln China bündnisfähig und bündniswert zu
machen. Der Frieden von Shimonoseki und die darauffolgenden Jahre haben
ihm nur zu genau die Absichten und die Richtung der Politik der europäischen
Großmächte gezeigt. Sein Haß wandte sich hauptsächlich gegen den Anstifter
des Friedens und den gefährlichsten Gegner -- Rußland. Der politische Kampf
um die Vorherrschaft in Korea nahm nach der Besetzung der Mandschurei durch
Rußland immer schärfere Formen an. Aber nicht nur der Kampf um Korea
wird hier ausgefochten werden, sondern der Kampf um die Hegemonie im
mongolischen Asien steht bevor, denn auch in China hat sich durch das fort¬
währende Drängen der europäischen Großmächte nach Konzessionen, Kolonien usw.


Rußland und Japan

die seine Basis früh gesichert und ausgebaut haben. Wenn auch augenblicklich
das Gefühl vorhanden ist, daß der russische Staatsmagen nicht mehr Länder
verdauen kann, so ist doch das jetzige Fortschreiten eine unumgängliche Natur¬
notwendigkeit, wenn seine großen Ländereien einen breiten Weg zum eisfreien
Meere, zum freien Weltverkehr erhalten sollen. Das weitgestcckte Endziel:
die Hegemonie in Asien und die Herrschaft über den Teil des asiatischen
Kontinents, der von niedern, organisationslosen Nassen bewohnt wird, ist vom
Volke instinktiv durch die Jahrhunderte angestrebt worden.

Die Kaufleute, die Kosakenführer, die Generale haben diese Länder besetzt.
Männer wie Jermack, Newelski und Murawiew waren die glücklichen Leiter.
Aber der Staat, der diesen Führern teilweise widerwillig folgte, hat jetzt die
Pflicht, diese Gebiete seinem Volke nutzbar zu machen.

Um die Segnung dieser gewaltigen Schöpfung zu ernten, braucht Rußland
einen langen Frieden. Falls sich aber bei diesem Ausbau des Reiches andre
emporstrebende Mächte entgegenstellen, deren eigne Ziele mit diesen russischen
Erweiterungsplänen zusammenstoßen, so muß es diese niederwerfen. So muß
es, gegen seine friedlichen Absichten, trotz des augenblicklichen Nächtens, im Inter¬
esse seiner großen Sache zum Schwert greifen.

Eine solche emporstrebende Macht ist ihm in Japan entstanden. An¬
dauernde Arbeit und Kriegsrüstungen haben dieses Land zu einer ausschlag¬
gebenden Macht im fernen Osten erhoben. Nassenverwandtschaft und ehrgeizige
Pläne haben im Volke das Gefühl erweckt, daß es als Führer der mon¬
golischen Rasse berufen sei, „Asien den Asiaten" zu sichern. Zum erstenmal
in Rußlands asiatischer Politik tritt hier der Augenblick ein, wo es nicht lange
warten kann. Japan hat sich in sehr kurzer Zeit zur Großmacht entwickelt.
Aber nicht nur die militärische Kraft dieses Landes, die schon ein bedeutendes
Gewicht in die Wagschale wirft, sondern seine Rassenverwandtschaft und sein
Verständnis für China geben hier den Ausschlag.

Eine erstaunliche Änderung hat seit dem japanisch-chinesische» Kriege unter
den Völkern des Osten stattgefunden. Die beiden alten Erbfeinde Japan und
China haben sich von Jahr zu Jahr mehr verstehn lernen und sind sich
näher gerückt.

Das japanische Volk, das vor dem Kriege den Chinesen verachtete, hat
sehr schnell begriffen und ist durchdrungen von dem Gefühl, daß das einzig
gesunde Bündnis im Osten ein Schutz- und Trutzbündnis mit China ist, und
dazu sucht es mit allen Mitteln China bündnisfähig und bündniswert zu
machen. Der Frieden von Shimonoseki und die darauffolgenden Jahre haben
ihm nur zu genau die Absichten und die Richtung der Politik der europäischen
Großmächte gezeigt. Sein Haß wandte sich hauptsächlich gegen den Anstifter
des Friedens und den gefährlichsten Gegner — Rußland. Der politische Kampf
um die Vorherrschaft in Korea nahm nach der Besetzung der Mandschurei durch
Rußland immer schärfere Formen an. Aber nicht nur der Kampf um Korea
wird hier ausgefochten werden, sondern der Kampf um die Hegemonie im
mongolischen Asien steht bevor, denn auch in China hat sich durch das fort¬
währende Drängen der europäischen Großmächte nach Konzessionen, Kolonien usw.


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[0322] Rußland und Japan die seine Basis früh gesichert und ausgebaut haben. Wenn auch augenblicklich das Gefühl vorhanden ist, daß der russische Staatsmagen nicht mehr Länder verdauen kann, so ist doch das jetzige Fortschreiten eine unumgängliche Natur¬ notwendigkeit, wenn seine großen Ländereien einen breiten Weg zum eisfreien Meere, zum freien Weltverkehr erhalten sollen. Das weitgestcckte Endziel: die Hegemonie in Asien und die Herrschaft über den Teil des asiatischen Kontinents, der von niedern, organisationslosen Nassen bewohnt wird, ist vom Volke instinktiv durch die Jahrhunderte angestrebt worden. Die Kaufleute, die Kosakenführer, die Generale haben diese Länder besetzt. Männer wie Jermack, Newelski und Murawiew waren die glücklichen Leiter. Aber der Staat, der diesen Führern teilweise widerwillig folgte, hat jetzt die Pflicht, diese Gebiete seinem Volke nutzbar zu machen. Um die Segnung dieser gewaltigen Schöpfung zu ernten, braucht Rußland einen langen Frieden. Falls sich aber bei diesem Ausbau des Reiches andre emporstrebende Mächte entgegenstellen, deren eigne Ziele mit diesen russischen Erweiterungsplänen zusammenstoßen, so muß es diese niederwerfen. So muß es, gegen seine friedlichen Absichten, trotz des augenblicklichen Nächtens, im Inter¬ esse seiner großen Sache zum Schwert greifen. Eine solche emporstrebende Macht ist ihm in Japan entstanden. An¬ dauernde Arbeit und Kriegsrüstungen haben dieses Land zu einer ausschlag¬ gebenden Macht im fernen Osten erhoben. Nassenverwandtschaft und ehrgeizige Pläne haben im Volke das Gefühl erweckt, daß es als Führer der mon¬ golischen Rasse berufen sei, „Asien den Asiaten" zu sichern. Zum erstenmal in Rußlands asiatischer Politik tritt hier der Augenblick ein, wo es nicht lange warten kann. Japan hat sich in sehr kurzer Zeit zur Großmacht entwickelt. Aber nicht nur die militärische Kraft dieses Landes, die schon ein bedeutendes Gewicht in die Wagschale wirft, sondern seine Rassenverwandtschaft und sein Verständnis für China geben hier den Ausschlag. Eine erstaunliche Änderung hat seit dem japanisch-chinesische» Kriege unter den Völkern des Osten stattgefunden. Die beiden alten Erbfeinde Japan und China haben sich von Jahr zu Jahr mehr verstehn lernen und sind sich näher gerückt. Das japanische Volk, das vor dem Kriege den Chinesen verachtete, hat sehr schnell begriffen und ist durchdrungen von dem Gefühl, daß das einzig gesunde Bündnis im Osten ein Schutz- und Trutzbündnis mit China ist, und dazu sucht es mit allen Mitteln China bündnisfähig und bündniswert zu machen. Der Frieden von Shimonoseki und die darauffolgenden Jahre haben ihm nur zu genau die Absichten und die Richtung der Politik der europäischen Großmächte gezeigt. Sein Haß wandte sich hauptsächlich gegen den Anstifter des Friedens und den gefährlichsten Gegner — Rußland. Der politische Kampf um die Vorherrschaft in Korea nahm nach der Besetzung der Mandschurei durch Rußland immer schärfere Formen an. Aber nicht nur der Kampf um Korea wird hier ausgefochten werden, sondern der Kampf um die Hegemonie im mongolischen Asien steht bevor, denn auch in China hat sich durch das fort¬ währende Drängen der europäischen Großmächte nach Konzessionen, Kolonien usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/322>, abgerufen am 24.08.2024.