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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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zu schwingen, wenn die grübern Wellen ihren Dienst einstellten. Und da doch auch
die Tiermenschen noch nicht wirkliche Tiere sind, so wird eine kirchlich-staatliche
Organisation, die ihnen ihr bescheidnes Teil angemessener Seelennahrung reicht,
kaum zu entbehren sein.

Rezensent stimmt mit dem Verfasser in vielem überein. Er verwirft wie
dieser das Hollen- und das Erbsündendogma. Er teilt mit ihm den Dualismus
wie den Monismus, indem er glaubt, daß Körperliches und Geistiges nicht aus¬
einander abgeleitet werden können, daß aber beide verschiedne Offenbarungen des¬
selben einen Weltgrundes sind; er gibt auch zu, daß die Kirchengründung einen
Abfall bedenket, in demselben Sinne, wie jede Verwirklichung einer Idee zugleich
Abfall von ihr ist. Aber wenn wir auch noch viel mehr zugeben und die
gnostischen Schwarmgeister für die Inhaber aller Wahrheit und Weisheit halten
Zollten, so würde damit gegen Kirche und Staat noch nicht das geringste bewiesen
sein. Denn nicht so sehr auf die wahren und erhabnen Gedanken kommt es an
im Gange der Weltgeschichte, als auf die lebendigen Kräfte, was die Gedanken für
sich allein noch nicht sind. Ohne die Kirche und ohne die politischen Gewaltmittel,
die ihr in den großen weltgeschichtlichen Krisen zur Verfügung standen, auch der
protestantischen -- was wäre Luther ohne seinen Kurfürsten. Kalvin ohne seine
Republik, der englische Protestantismus ohne Elisabeth und Cromwell gewesen! --,
ohne dieses Bündnis der Kirche mit dem Fürsten dieser Welt hätten wir weder
die biblischen Bücher, in denen Schmitt einen Quell lauterer Gnosis anerkennt,
noch die von den "dummen" Kirchenvätern aufbewahrten Reste gnostischer Schriften;
das alles wäre in der Völkerwanderung und bei den nachfolgenden Einbrüchen
asiatischer Horden von Barbaren vernichtet worden. Der gnostische Geist macht
keine Ausnahme von allen irdischen Geistern: es kann ihrer keiner ohne Leib leben,
und der Leib muß stark sei" in dieser gewalttätiger Welt, wenn er seinen Geist
schützen soll. Die gnostische Organisation hätte die Kirche schon darum nicht er¬
setzen können, weil sich ihre Vorsteher für Pneumatiker, für Inhaber einer auf dein
gewöhnlichen Wege eines ordentlichen Unterrichts nicht erwerbbaren Erkenntnis
hielten. Eine Körperschaft, die sich so etwas einbildet, wird ganz gewiß im Laufe
der Zeit eine Narrengesellschaft, wenn sie es nicht schon von Anfang an war.

Die Lehre, daß es Pflicht des echten Gnostikers sei, unter allen Umständen
auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, hat Schmitt rin Tolstoi gemein,
wenn er sie nicht von diesem empfangen hat, und da ans Nietzsche derselbe Haß
gegen die Kirche spricht wie aus Tolstoi, so bringt diese Gemeinsamkeit im Hasse
das Wunder fertig, daß Schmitt in beideu seine Gesinnungs- und Bundesgenossen
sieht, obwohl das deutlich erkennbare Lebensideal Tolstois, dessen Verwirklichung
ungefähr so aussehen würde wie die jüdischen Essenergemeinden, gerade das Gegen¬
teil ist von den mancherlei schwer faßbaren Idealen, die in Nietzsches Schriften
irrlichteln, und Nietzsches Haß sich nicht sowohl gegen die Kirche als gegen Jesus
richtet. Jedem der beiden großen Schwärmer hat Schmitt eine Monographie ge¬
widmet.

Wie unzählige andre von den Greueln der Weltgeschichte und den Übeln
unsrer Kultur erschreckt und abgestoßen, hat Schmitt die Überzeugung gewonnen,
daß die kirchlichen und die politischen Ketzer allemal recht, Kirche und Staat allemal
unrecht haben, und diese Überzeugung ist ihm nun bei seinen historischen und philo¬
sophischen Forschungen der irreführende Leitstern geworden. Bekanntlich ist lior
zweihundert Jahren Gottfried Arnold unter demselben PseudoPolarstern ins Meer
der historischen Urkunden hinausgesegclt und hat seine "Unparteiische Kirchen- und
Ketzerhistorie" heimgebracht; hat auch, wie Schmitt, besonders die Gnostiker ins
Herz geschlossen und in spätern Schriften gnostische Ideen vertreten. (Daß er sich
zuletzt doch noch dem kirchlichen Christentum zugewandt hat und ein brauchbarer
Geistlicher geworden ist, soll hier nicht weiter betont werden.) Die Ketzer haben
nun zwar nicht in allem, aber doch in vielem recht, vorzugsweise darin, daß sie sich
das Recht der Kritik wahren, ohne dessen beständige Ausübung Kirche und Staat


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zu schwingen, wenn die grübern Wellen ihren Dienst einstellten. Und da doch auch
die Tiermenschen noch nicht wirkliche Tiere sind, so wird eine kirchlich-staatliche
Organisation, die ihnen ihr bescheidnes Teil angemessener Seelennahrung reicht,
kaum zu entbehren sein.

Rezensent stimmt mit dem Verfasser in vielem überein. Er verwirft wie
dieser das Hollen- und das Erbsündendogma. Er teilt mit ihm den Dualismus
wie den Monismus, indem er glaubt, daß Körperliches und Geistiges nicht aus¬
einander abgeleitet werden können, daß aber beide verschiedne Offenbarungen des¬
selben einen Weltgrundes sind; er gibt auch zu, daß die Kirchengründung einen
Abfall bedenket, in demselben Sinne, wie jede Verwirklichung einer Idee zugleich
Abfall von ihr ist. Aber wenn wir auch noch viel mehr zugeben und die
gnostischen Schwarmgeister für die Inhaber aller Wahrheit und Weisheit halten
Zollten, so würde damit gegen Kirche und Staat noch nicht das geringste bewiesen
sein. Denn nicht so sehr auf die wahren und erhabnen Gedanken kommt es an
im Gange der Weltgeschichte, als auf die lebendigen Kräfte, was die Gedanken für
sich allein noch nicht sind. Ohne die Kirche und ohne die politischen Gewaltmittel,
die ihr in den großen weltgeschichtlichen Krisen zur Verfügung standen, auch der
protestantischen — was wäre Luther ohne seinen Kurfürsten. Kalvin ohne seine
Republik, der englische Protestantismus ohne Elisabeth und Cromwell gewesen! —,
ohne dieses Bündnis der Kirche mit dem Fürsten dieser Welt hätten wir weder
die biblischen Bücher, in denen Schmitt einen Quell lauterer Gnosis anerkennt,
noch die von den „dummen" Kirchenvätern aufbewahrten Reste gnostischer Schriften;
das alles wäre in der Völkerwanderung und bei den nachfolgenden Einbrüchen
asiatischer Horden von Barbaren vernichtet worden. Der gnostische Geist macht
keine Ausnahme von allen irdischen Geistern: es kann ihrer keiner ohne Leib leben,
und der Leib muß stark sei» in dieser gewalttätiger Welt, wenn er seinen Geist
schützen soll. Die gnostische Organisation hätte die Kirche schon darum nicht er¬
setzen können, weil sich ihre Vorsteher für Pneumatiker, für Inhaber einer auf dein
gewöhnlichen Wege eines ordentlichen Unterrichts nicht erwerbbaren Erkenntnis
hielten. Eine Körperschaft, die sich so etwas einbildet, wird ganz gewiß im Laufe
der Zeit eine Narrengesellschaft, wenn sie es nicht schon von Anfang an war.

Die Lehre, daß es Pflicht des echten Gnostikers sei, unter allen Umständen
auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, hat Schmitt rin Tolstoi gemein,
wenn er sie nicht von diesem empfangen hat, und da ans Nietzsche derselbe Haß
gegen die Kirche spricht wie aus Tolstoi, so bringt diese Gemeinsamkeit im Hasse
das Wunder fertig, daß Schmitt in beideu seine Gesinnungs- und Bundesgenossen
sieht, obwohl das deutlich erkennbare Lebensideal Tolstois, dessen Verwirklichung
ungefähr so aussehen würde wie die jüdischen Essenergemeinden, gerade das Gegen¬
teil ist von den mancherlei schwer faßbaren Idealen, die in Nietzsches Schriften
irrlichteln, und Nietzsches Haß sich nicht sowohl gegen die Kirche als gegen Jesus
richtet. Jedem der beiden großen Schwärmer hat Schmitt eine Monographie ge¬
widmet.

Wie unzählige andre von den Greueln der Weltgeschichte und den Übeln
unsrer Kultur erschreckt und abgestoßen, hat Schmitt die Überzeugung gewonnen,
daß die kirchlichen und die politischen Ketzer allemal recht, Kirche und Staat allemal
unrecht haben, und diese Überzeugung ist ihm nun bei seinen historischen und philo¬
sophischen Forschungen der irreführende Leitstern geworden. Bekanntlich ist lior
zweihundert Jahren Gottfried Arnold unter demselben PseudoPolarstern ins Meer
der historischen Urkunden hinausgesegclt und hat seine „Unparteiische Kirchen- und
Ketzerhistorie" heimgebracht; hat auch, wie Schmitt, besonders die Gnostiker ins
Herz geschlossen und in spätern Schriften gnostische Ideen vertreten. (Daß er sich
zuletzt doch noch dem kirchlichen Christentum zugewandt hat und ein brauchbarer
Geistlicher geworden ist, soll hier nicht weiter betont werden.) Die Ketzer haben
nun zwar nicht in allem, aber doch in vielem recht, vorzugsweise darin, daß sie sich
das Recht der Kritik wahren, ohne dessen beständige Ausübung Kirche und Staat


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[0259] 251 zu schwingen, wenn die grübern Wellen ihren Dienst einstellten. Und da doch auch die Tiermenschen noch nicht wirkliche Tiere sind, so wird eine kirchlich-staatliche Organisation, die ihnen ihr bescheidnes Teil angemessener Seelennahrung reicht, kaum zu entbehren sein. Rezensent stimmt mit dem Verfasser in vielem überein. Er verwirft wie dieser das Hollen- und das Erbsündendogma. Er teilt mit ihm den Dualismus wie den Monismus, indem er glaubt, daß Körperliches und Geistiges nicht aus¬ einander abgeleitet werden können, daß aber beide verschiedne Offenbarungen des¬ selben einen Weltgrundes sind; er gibt auch zu, daß die Kirchengründung einen Abfall bedenket, in demselben Sinne, wie jede Verwirklichung einer Idee zugleich Abfall von ihr ist. Aber wenn wir auch noch viel mehr zugeben und die gnostischen Schwarmgeister für die Inhaber aller Wahrheit und Weisheit halten Zollten, so würde damit gegen Kirche und Staat noch nicht das geringste bewiesen sein. Denn nicht so sehr auf die wahren und erhabnen Gedanken kommt es an im Gange der Weltgeschichte, als auf die lebendigen Kräfte, was die Gedanken für sich allein noch nicht sind. Ohne die Kirche und ohne die politischen Gewaltmittel, die ihr in den großen weltgeschichtlichen Krisen zur Verfügung standen, auch der protestantischen — was wäre Luther ohne seinen Kurfürsten. Kalvin ohne seine Republik, der englische Protestantismus ohne Elisabeth und Cromwell gewesen! —, ohne dieses Bündnis der Kirche mit dem Fürsten dieser Welt hätten wir weder die biblischen Bücher, in denen Schmitt einen Quell lauterer Gnosis anerkennt, noch die von den „dummen" Kirchenvätern aufbewahrten Reste gnostischer Schriften; das alles wäre in der Völkerwanderung und bei den nachfolgenden Einbrüchen asiatischer Horden von Barbaren vernichtet worden. Der gnostische Geist macht keine Ausnahme von allen irdischen Geistern: es kann ihrer keiner ohne Leib leben, und der Leib muß stark sei» in dieser gewalttätiger Welt, wenn er seinen Geist schützen soll. Die gnostische Organisation hätte die Kirche schon darum nicht er¬ setzen können, weil sich ihre Vorsteher für Pneumatiker, für Inhaber einer auf dein gewöhnlichen Wege eines ordentlichen Unterrichts nicht erwerbbaren Erkenntnis hielten. Eine Körperschaft, die sich so etwas einbildet, wird ganz gewiß im Laufe der Zeit eine Narrengesellschaft, wenn sie es nicht schon von Anfang an war. Die Lehre, daß es Pflicht des echten Gnostikers sei, unter allen Umständen auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten, hat Schmitt rin Tolstoi gemein, wenn er sie nicht von diesem empfangen hat, und da ans Nietzsche derselbe Haß gegen die Kirche spricht wie aus Tolstoi, so bringt diese Gemeinsamkeit im Hasse das Wunder fertig, daß Schmitt in beideu seine Gesinnungs- und Bundesgenossen sieht, obwohl das deutlich erkennbare Lebensideal Tolstois, dessen Verwirklichung ungefähr so aussehen würde wie die jüdischen Essenergemeinden, gerade das Gegen¬ teil ist von den mancherlei schwer faßbaren Idealen, die in Nietzsches Schriften irrlichteln, und Nietzsches Haß sich nicht sowohl gegen die Kirche als gegen Jesus richtet. Jedem der beiden großen Schwärmer hat Schmitt eine Monographie ge¬ widmet. Wie unzählige andre von den Greueln der Weltgeschichte und den Übeln unsrer Kultur erschreckt und abgestoßen, hat Schmitt die Überzeugung gewonnen, daß die kirchlichen und die politischen Ketzer allemal recht, Kirche und Staat allemal unrecht haben, und diese Überzeugung ist ihm nun bei seinen historischen und philo¬ sophischen Forschungen der irreführende Leitstern geworden. Bekanntlich ist lior zweihundert Jahren Gottfried Arnold unter demselben PseudoPolarstern ins Meer der historischen Urkunden hinausgesegclt und hat seine „Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie" heimgebracht; hat auch, wie Schmitt, besonders die Gnostiker ins Herz geschlossen und in spätern Schriften gnostische Ideen vertreten. (Daß er sich zuletzt doch noch dem kirchlichen Christentum zugewandt hat und ein brauchbarer Geistlicher geworden ist, soll hier nicht weiter betont werden.) Die Ketzer haben nun zwar nicht in allem, aber doch in vielem recht, vorzugsweise darin, daß sie sich das Recht der Kritik wahren, ohne dessen beständige Ausübung Kirche und Staat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/259>, abgerufen am 01.07.2024.