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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Politik, des Junkerhochmuts, woran sich jene unklare Übergangsperiode gegen¬
seitiger Verkennungen aufregte, färben stark ab in seiner römischen Geschichte, die
dadurch einen pikanten Beigeschmack erhielt. Cicero, der Typus der Gesinnungs¬
losigkeit, Pompejus, der Typus stilvoller Impotenz, und Cäsar, das Ideal eines
allumfassenden schöpferischen Heldengeistes. Und als sich dann Bismarcks Größe
enthüllte, da hätte man denken sollen, daß der Historiker Mommsen etwas von
seinem Cäsarideal in diesem großen Deutschen verwirklicht sehen müßte; aber nein!
Bismarck wurde ihm zum "Hausmeier," der die Dynastie der Hohenzollern ge¬
fährdete, Bismarck treibe "eine Politik des Schwindels."

Diese Erinnerungen wurden in mir wnchgerufeu, als ich jüngst eine Äußerung
von Friedrich Naumann las. Wie mit andächtigem Angenaufschlag berichtet er von
einem unvergeßlichen Abend, den er im privaten Kreise mit Mommsen verlebt hatte.
Da sprach Mommsen über die verarmte gegenwärtige Zeit, und zwar nach "historisch¬
persönlicher Prophetenart." "Er hielt deu Schaden der Bismarckischen Periode sür
unendlich viel größer als ihren Nutzen, denn die Gewinne an Macht sah er nur
für zweifelhafte vorübergehende Werte an. Die Knickung der Persönlichkeiten, des
deutschen Ich-Geistes aber hielt er für ein Verhängnis, das nicht wieder gut ge¬
macht werden könnte." Also sprach Mommsen. In seinem Munde nimmt sich
dieses Urteil absonderlich aus; denn eben den Vorwurf, Persönlichkeiten geknickt zu
haben, erhebt so mancher gerade wider ihn, den er zu Arbeiten benutzte, und dem
er dadurch Wege wies, die nicht zu dein erstrebten und gewünschten Ziele führten,
sondern zu einem Schiffbruch mindestens des innern Glücks. Mommsen sagte einmal:
"Die Wissenschaft ist grausam." Das Wort kennzeichnet ihn. Für die Wissenschaft
ist es ebensowenig charakteristisch, wie das Wesen der Kunst durch den Mythus
von Apollo, der als Sieger den Marsyas geschunden hat, ausreichend umschrieben
wird. Ich meine, echte Wissenschaft ist wahrheitsliebend und nennt das Richtige
richtig, das Hohle hohl und das Ente eitel. Grausam sind die Tyrannen, die
eifersüchtig sind auf ihre Macht. Man darf trotz aller Scheu vor ursachlichen
Verallgemeinern es als ein "Gesetz" der Menschenkunde bezeichnen, daß gerade die
eigenen Fehler uns bei andern am unerträglichsten sind. Wir hassen unsre Fehler
nicht sowohl ein uns selbst, sondern an andern, wenn wir nicht sehr scharfe Augen
für die Selbstprüfung haben.

Im übrigen gehört das Knicken der Persönlichkeiten auch zu der Gruppe schnell
nachgesprochner, aber schlecht begründeter Vorwürfe. Dieser wird stets erhoben, wo
einmal ein mächtiger Geist rücksichtslos nach großen Zielen trachtete. Cäsar, Luther,
Friedrich der Große -- haben sie nicht manche Persönlichkeit geknickt? Aber dazu
gehört nicht nur, daß einer da ist, der knickt, sondern auch einer, der sich knicken
laßt. Es gibt zu allen Zeiten Persönlichkeiten, die das Bedürfnis haben, sich knicken
,',u lassen, die in sich keinen Schwerpunkt haben und deshalb Schleppenträger und
Diener ohne Rückgrat werden. Darf man dem großen Manne, der die Menschen
braucht, um eiuen Neubau aufzuführen, zum Vorwurfe machen, wenn unter denen,
die für ihn arbeiten, auch Handlanger ohne Charakter sind? Ich möchte diesen
Borwurf ebensowenig gegen Mommsen wie gegen Bismarck richten. Jedes Licht
hat seinen Schatten, und vollkommne Menschen leben nicht in dieser Welt der Ein¬
seitigkeiten und des Kampfes. In der rechten Weise erfreuen wir uns erst der
großen Männer, deren Lebensleistung uns gefördert hat, wenn wir nicht ver¬
gessen, daß auch ihre Persönlichkeit ebenso ihre Schranke hat wie die Sonne ihre
H. Flecken.


Gnosis. Eugen Heinrich Schmitt,

ein Edelanarchist, wie er selbst sich
nach einer Mitteilung seines Verlegers Eugen Diederichs in Leipzig nennt, ist eine
interessante Persönlichkeit. Als Gerichtsschreiber in einem ungarischen Neste hat er,
36 Jahre alt, sich an eine von der Berliner philosophischen Gesellschaft 1887 ge¬
stellte Preisaufgabe gemacht und eine Arbeit über Hegels Dialektik geliefert, die


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Politik, des Junkerhochmuts, woran sich jene unklare Übergangsperiode gegen¬
seitiger Verkennungen aufregte, färben stark ab in seiner römischen Geschichte, die
dadurch einen pikanten Beigeschmack erhielt. Cicero, der Typus der Gesinnungs¬
losigkeit, Pompejus, der Typus stilvoller Impotenz, und Cäsar, das Ideal eines
allumfassenden schöpferischen Heldengeistes. Und als sich dann Bismarcks Größe
enthüllte, da hätte man denken sollen, daß der Historiker Mommsen etwas von
seinem Cäsarideal in diesem großen Deutschen verwirklicht sehen müßte; aber nein!
Bismarck wurde ihm zum „Hausmeier," der die Dynastie der Hohenzollern ge¬
fährdete, Bismarck treibe „eine Politik des Schwindels."

Diese Erinnerungen wurden in mir wnchgerufeu, als ich jüngst eine Äußerung
von Friedrich Naumann las. Wie mit andächtigem Angenaufschlag berichtet er von
einem unvergeßlichen Abend, den er im privaten Kreise mit Mommsen verlebt hatte.
Da sprach Mommsen über die verarmte gegenwärtige Zeit, und zwar nach „historisch¬
persönlicher Prophetenart." „Er hielt deu Schaden der Bismarckischen Periode sür
unendlich viel größer als ihren Nutzen, denn die Gewinne an Macht sah er nur
für zweifelhafte vorübergehende Werte an. Die Knickung der Persönlichkeiten, des
deutschen Ich-Geistes aber hielt er für ein Verhängnis, das nicht wieder gut ge¬
macht werden könnte." Also sprach Mommsen. In seinem Munde nimmt sich
dieses Urteil absonderlich aus; denn eben den Vorwurf, Persönlichkeiten geknickt zu
haben, erhebt so mancher gerade wider ihn, den er zu Arbeiten benutzte, und dem
er dadurch Wege wies, die nicht zu dein erstrebten und gewünschten Ziele führten,
sondern zu einem Schiffbruch mindestens des innern Glücks. Mommsen sagte einmal:
»Die Wissenschaft ist grausam." Das Wort kennzeichnet ihn. Für die Wissenschaft
ist es ebensowenig charakteristisch, wie das Wesen der Kunst durch den Mythus
von Apollo, der als Sieger den Marsyas geschunden hat, ausreichend umschrieben
wird. Ich meine, echte Wissenschaft ist wahrheitsliebend und nennt das Richtige
richtig, das Hohle hohl und das Ente eitel. Grausam sind die Tyrannen, die
eifersüchtig sind auf ihre Macht. Man darf trotz aller Scheu vor ursachlichen
Verallgemeinern es als ein „Gesetz" der Menschenkunde bezeichnen, daß gerade die
eigenen Fehler uns bei andern am unerträglichsten sind. Wir hassen unsre Fehler
nicht sowohl ein uns selbst, sondern an andern, wenn wir nicht sehr scharfe Augen
für die Selbstprüfung haben.

Im übrigen gehört das Knicken der Persönlichkeiten auch zu der Gruppe schnell
nachgesprochner, aber schlecht begründeter Vorwürfe. Dieser wird stets erhoben, wo
einmal ein mächtiger Geist rücksichtslos nach großen Zielen trachtete. Cäsar, Luther,
Friedrich der Große — haben sie nicht manche Persönlichkeit geknickt? Aber dazu
gehört nicht nur, daß einer da ist, der knickt, sondern auch einer, der sich knicken
laßt. Es gibt zu allen Zeiten Persönlichkeiten, die das Bedürfnis haben, sich knicken
,',u lassen, die in sich keinen Schwerpunkt haben und deshalb Schleppenträger und
Diener ohne Rückgrat werden. Darf man dem großen Manne, der die Menschen
braucht, um eiuen Neubau aufzuführen, zum Vorwurfe machen, wenn unter denen,
die für ihn arbeiten, auch Handlanger ohne Charakter sind? Ich möchte diesen
Borwurf ebensowenig gegen Mommsen wie gegen Bismarck richten. Jedes Licht
hat seinen Schatten, und vollkommne Menschen leben nicht in dieser Welt der Ein¬
seitigkeiten und des Kampfes. In der rechten Weise erfreuen wir uns erst der
großen Männer, deren Lebensleistung uns gefördert hat, wenn wir nicht ver¬
gessen, daß auch ihre Persönlichkeit ebenso ihre Schranke hat wie die Sonne ihre
H. Flecken.


Gnosis. Eugen Heinrich Schmitt,

ein Edelanarchist, wie er selbst sich
nach einer Mitteilung seines Verlegers Eugen Diederichs in Leipzig nennt, ist eine
interessante Persönlichkeit. Als Gerichtsschreiber in einem ungarischen Neste hat er,
36 Jahre alt, sich an eine von der Berliner philosophischen Gesellschaft 1887 ge¬
stellte Preisaufgabe gemacht und eine Arbeit über Hegels Dialektik geliefert, die


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[0257] Maßgebliches und Unmaßgebliches Politik, des Junkerhochmuts, woran sich jene unklare Übergangsperiode gegen¬ seitiger Verkennungen aufregte, färben stark ab in seiner römischen Geschichte, die dadurch einen pikanten Beigeschmack erhielt. Cicero, der Typus der Gesinnungs¬ losigkeit, Pompejus, der Typus stilvoller Impotenz, und Cäsar, das Ideal eines allumfassenden schöpferischen Heldengeistes. Und als sich dann Bismarcks Größe enthüllte, da hätte man denken sollen, daß der Historiker Mommsen etwas von seinem Cäsarideal in diesem großen Deutschen verwirklicht sehen müßte; aber nein! Bismarck wurde ihm zum „Hausmeier," der die Dynastie der Hohenzollern ge¬ fährdete, Bismarck treibe „eine Politik des Schwindels." Diese Erinnerungen wurden in mir wnchgerufeu, als ich jüngst eine Äußerung von Friedrich Naumann las. Wie mit andächtigem Angenaufschlag berichtet er von einem unvergeßlichen Abend, den er im privaten Kreise mit Mommsen verlebt hatte. Da sprach Mommsen über die verarmte gegenwärtige Zeit, und zwar nach „historisch¬ persönlicher Prophetenart." „Er hielt deu Schaden der Bismarckischen Periode sür unendlich viel größer als ihren Nutzen, denn die Gewinne an Macht sah er nur für zweifelhafte vorübergehende Werte an. Die Knickung der Persönlichkeiten, des deutschen Ich-Geistes aber hielt er für ein Verhängnis, das nicht wieder gut ge¬ macht werden könnte." Also sprach Mommsen. In seinem Munde nimmt sich dieses Urteil absonderlich aus; denn eben den Vorwurf, Persönlichkeiten geknickt zu haben, erhebt so mancher gerade wider ihn, den er zu Arbeiten benutzte, und dem er dadurch Wege wies, die nicht zu dein erstrebten und gewünschten Ziele führten, sondern zu einem Schiffbruch mindestens des innern Glücks. Mommsen sagte einmal: »Die Wissenschaft ist grausam." Das Wort kennzeichnet ihn. Für die Wissenschaft ist es ebensowenig charakteristisch, wie das Wesen der Kunst durch den Mythus von Apollo, der als Sieger den Marsyas geschunden hat, ausreichend umschrieben wird. Ich meine, echte Wissenschaft ist wahrheitsliebend und nennt das Richtige richtig, das Hohle hohl und das Ente eitel. Grausam sind die Tyrannen, die eifersüchtig sind auf ihre Macht. Man darf trotz aller Scheu vor ursachlichen Verallgemeinern es als ein „Gesetz" der Menschenkunde bezeichnen, daß gerade die eigenen Fehler uns bei andern am unerträglichsten sind. Wir hassen unsre Fehler nicht sowohl ein uns selbst, sondern an andern, wenn wir nicht sehr scharfe Augen für die Selbstprüfung haben. Im übrigen gehört das Knicken der Persönlichkeiten auch zu der Gruppe schnell nachgesprochner, aber schlecht begründeter Vorwürfe. Dieser wird stets erhoben, wo einmal ein mächtiger Geist rücksichtslos nach großen Zielen trachtete. Cäsar, Luther, Friedrich der Große — haben sie nicht manche Persönlichkeit geknickt? Aber dazu gehört nicht nur, daß einer da ist, der knickt, sondern auch einer, der sich knicken laßt. Es gibt zu allen Zeiten Persönlichkeiten, die das Bedürfnis haben, sich knicken ,',u lassen, die in sich keinen Schwerpunkt haben und deshalb Schleppenträger und Diener ohne Rückgrat werden. Darf man dem großen Manne, der die Menschen braucht, um eiuen Neubau aufzuführen, zum Vorwurfe machen, wenn unter denen, die für ihn arbeiten, auch Handlanger ohne Charakter sind? Ich möchte diesen Borwurf ebensowenig gegen Mommsen wie gegen Bismarck richten. Jedes Licht hat seinen Schatten, und vollkommne Menschen leben nicht in dieser Welt der Ein¬ seitigkeiten und des Kampfes. In der rechten Weise erfreuen wir uns erst der großen Männer, deren Lebensleistung uns gefördert hat, wenn wir nicht ver¬ gessen, daß auch ihre Persönlichkeit ebenso ihre Schranke hat wie die Sonne ihre H. Flecken. Gnosis. Eugen Heinrich Schmitt, ein Edelanarchist, wie er selbst sich nach einer Mitteilung seines Verlegers Eugen Diederichs in Leipzig nennt, ist eine interessante Persönlichkeit. Als Gerichtsschreiber in einem ungarischen Neste hat er, 36 Jahre alt, sich an eine von der Berliner philosophischen Gesellschaft 1887 ge¬ stellte Preisaufgabe gemacht und eine Arbeit über Hegels Dialektik geliefert, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/257>, abgerufen am 22.07.2024.