Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgeblich,:? und Uttmcißgeblichvs

eines Bruchs nicht auszuweichen, ja ihn unter Umständen sogar herbeizuführen,
wenn sie mit solcher Unverfrorenheit ihre Parteifehden auf dem Rücken Deutsch¬
lands auspauken. Eine solche Verleugnung und Verhöhnung des bestehenden Rechts¬
zustands und der völkerrechtlichen Abmachungen zwischen beiden Nationen, wie sich
die Nationalisten am 22. dieses Monats erlaubt haben, kann in Deutschland doch
nicht unbeachtet bleiben, und es dürfte nützlich sein, wenn im Reichstage Gelegen¬
heit genommen würde, anstatt mancher überflüssigen Strohdrescherei die Herren
Nachbarn auf ihre Neigung, Feuer anzulegen, etwas energisch hinzuweisen. Wir
wollen ganz davon absehen, daß die Pariser Presse das rednerische Paradestück fast
seit vierzehn Tagen entsprechend eingeläutet hat, und daß einzelne Blätter dabei
^me Sprache führten, die an die Tage von Ems erinnerte. Sogar der ministerielle
"Temps" erlaubte sich die Äußerung, daß man in Frankreich die Grenze von
Usaß-Lothringen nicht wie jede andre Grenze ansehen könne. Wenn das für
Frankreich gilt, gilt es natürlich anch für Deutschland. Derlei ministerielle Unklug-
heiten haben schon einmal das bekannte Bismarckische 5 vorsairs -- Om-san-o et Seni
wachgerufen und die Aufrichtung der Paßschranke zur Folge gehabt, die den Fran¬
zosen etwas nachdrücklicher zu Gemüte führen sollte, was "Grenze" bedeutet.

Die Berliner "National-Zeitung" kommentierte damals den Erlaß der Pa߬
verordnung dahin, daß ohne dieses Auskunftsmittel "der Verkehr zwischen beiden
Ländern wahrscheinlich durch die Vorposten gehn würde." Ist den Franzosen der
Kamm so sehr geschwollen, daß eine starke Minorität der Kammer kein Bedenken
trägt, die Politik der Herausforderungen wieder aufzunehmen? Es ist immer
dieselbe Spezies gewesen, die den Frieden gefährdet hat, 1870 wie 1888. Die
französische Teputiertenkammer trug an dem Kriege von 1870 die Hauptschuld,
demgegenüber ist es nicht ohne Bedeutung, wenn die Majorität gegen die Natio¬
nalisten am Freitag nur 52 Stimmen betrug. Was würde man in Paris sagen,
wenn eine ähnliche Minorität in der italienischen Kammer analoge Reden über
Nizza und Savoyen hielte? Und obendrein hat Frankreich Elsaß und Lothringen
in einem ungerechten Kriege verloren, während es sich seine Vundesgenossenschaft
von 1859 von der "romanischen Schwester" mit jenen Gebieten bezahlen ließ.
Herr Cassagnac ist außer sich, daß die Kaminer mit ihrer Abstimmung am Freitag
"den Frankfurter Frieden ratifiziert hat" -- er vergißt ganz, daß schon die
Nationalversammlung von Bordeaux das am 3. Februar 1871 getan hat, und zwar
in einer für die Elsässer tief verletzenden Form. Die Aufzeichnungen des elsässischen
Abgeordneten Schneegans haben es festgelegt für alle Zukunft, wie die National¬
versammlung, "die freiest gewählte, die Frankreich jemals gehabt hat," die abzu¬
tretenden Landesteile im wahrsten Sinne des Wortes als a.nimt>no neZliAeablo
behandelt hat. Als im Jahre 1896 Herr Möline als Ministerpräsident die
deutschen Sozialdemokraten Buch und Bebel ausgewiesen hatte, hat die Kammer
damals diese Maßregel mit 361 gegen 73 Stimmen gebilligt, obwohl Herr Buch
Elsässer ist, und Herr Bebel seinen Mangel an deutschem Nationalgefühl seit 1871
immer wieder durch Proteste gegen die Rücknahme des Elsaß an Deutschland zum
Ausdruck gebracht hatte. Dieses Znhlenverhältnis: 361 zu 73 gegen 295 zu
243 Stimmen könnte in dem starken Anwachsen der Minorität bedenklich erscheinen,
aber Herr Meline hatte doch die Kammer anders in der Hand als Herr Combes,
und damals war die Mehrheit zugleich eine antisozialistische, während diesesmal die
starke Minderheit zugleich eine antiradikale, klerikale ist. Der Vorgang enthält aber
trotz alledem. zumal in Anbetracht der ihn begleitenden Haltung der Presse, für
uns Deutsche vou neuem die Mahnung, jederzeit eingedenk zu bleiben, daß mindestens
eine starke Minderheit der Franzosen den Frankfurter Frieden nach wie vor nnr
als eine Episode betrachtet, und daß schneller, als wir es denken, eines Tages
wieder ein Kriegsgewitter an unserm westlichen Horizonte stehn kann. Wir wollen
bei diesem Schachspiel doch nie versäumen, rechtzeitig: Mnclk!-! zu sagen.




Grenzboten 1 1904KL
Maßgeblich,:? und Uttmcißgeblichvs

eines Bruchs nicht auszuweichen, ja ihn unter Umständen sogar herbeizuführen,
wenn sie mit solcher Unverfrorenheit ihre Parteifehden auf dem Rücken Deutsch¬
lands auspauken. Eine solche Verleugnung und Verhöhnung des bestehenden Rechts¬
zustands und der völkerrechtlichen Abmachungen zwischen beiden Nationen, wie sich
die Nationalisten am 22. dieses Monats erlaubt haben, kann in Deutschland doch
nicht unbeachtet bleiben, und es dürfte nützlich sein, wenn im Reichstage Gelegen¬
heit genommen würde, anstatt mancher überflüssigen Strohdrescherei die Herren
Nachbarn auf ihre Neigung, Feuer anzulegen, etwas energisch hinzuweisen. Wir
wollen ganz davon absehen, daß die Pariser Presse das rednerische Paradestück fast
seit vierzehn Tagen entsprechend eingeläutet hat, und daß einzelne Blätter dabei
^me Sprache führten, die an die Tage von Ems erinnerte. Sogar der ministerielle
"Temps" erlaubte sich die Äußerung, daß man in Frankreich die Grenze von
Usaß-Lothringen nicht wie jede andre Grenze ansehen könne. Wenn das für
Frankreich gilt, gilt es natürlich anch für Deutschland. Derlei ministerielle Unklug-
heiten haben schon einmal das bekannte Bismarckische 5 vorsairs — Om-san-o et Seni
wachgerufen und die Aufrichtung der Paßschranke zur Folge gehabt, die den Fran¬
zosen etwas nachdrücklicher zu Gemüte führen sollte, was „Grenze" bedeutet.

Die Berliner „National-Zeitung" kommentierte damals den Erlaß der Pa߬
verordnung dahin, daß ohne dieses Auskunftsmittel „der Verkehr zwischen beiden
Ländern wahrscheinlich durch die Vorposten gehn würde." Ist den Franzosen der
Kamm so sehr geschwollen, daß eine starke Minorität der Kammer kein Bedenken
trägt, die Politik der Herausforderungen wieder aufzunehmen? Es ist immer
dieselbe Spezies gewesen, die den Frieden gefährdet hat, 1870 wie 1888. Die
französische Teputiertenkammer trug an dem Kriege von 1870 die Hauptschuld,
demgegenüber ist es nicht ohne Bedeutung, wenn die Majorität gegen die Natio¬
nalisten am Freitag nur 52 Stimmen betrug. Was würde man in Paris sagen,
wenn eine ähnliche Minorität in der italienischen Kammer analoge Reden über
Nizza und Savoyen hielte? Und obendrein hat Frankreich Elsaß und Lothringen
in einem ungerechten Kriege verloren, während es sich seine Vundesgenossenschaft
von 1859 von der „romanischen Schwester" mit jenen Gebieten bezahlen ließ.
Herr Cassagnac ist außer sich, daß die Kaminer mit ihrer Abstimmung am Freitag
»den Frankfurter Frieden ratifiziert hat" — er vergißt ganz, daß schon die
Nationalversammlung von Bordeaux das am 3. Februar 1871 getan hat, und zwar
in einer für die Elsässer tief verletzenden Form. Die Aufzeichnungen des elsässischen
Abgeordneten Schneegans haben es festgelegt für alle Zukunft, wie die National¬
versammlung, „die freiest gewählte, die Frankreich jemals gehabt hat," die abzu¬
tretenden Landesteile im wahrsten Sinne des Wortes als a.nimt>no neZliAeablo
behandelt hat. Als im Jahre 1896 Herr Möline als Ministerpräsident die
deutschen Sozialdemokraten Buch und Bebel ausgewiesen hatte, hat die Kammer
damals diese Maßregel mit 361 gegen 73 Stimmen gebilligt, obwohl Herr Buch
Elsässer ist, und Herr Bebel seinen Mangel an deutschem Nationalgefühl seit 1871
immer wieder durch Proteste gegen die Rücknahme des Elsaß an Deutschland zum
Ausdruck gebracht hatte. Dieses Znhlenverhältnis: 361 zu 73 gegen 295 zu
243 Stimmen könnte in dem starken Anwachsen der Minorität bedenklich erscheinen,
aber Herr Meline hatte doch die Kammer anders in der Hand als Herr Combes,
und damals war die Mehrheit zugleich eine antisozialistische, während diesesmal die
starke Minderheit zugleich eine antiradikale, klerikale ist. Der Vorgang enthält aber
trotz alledem. zumal in Anbetracht der ihn begleitenden Haltung der Presse, für
uns Deutsche vou neuem die Mahnung, jederzeit eingedenk zu bleiben, daß mindestens
eine starke Minderheit der Franzosen den Frankfurter Frieden nach wie vor nnr
als eine Episode betrachtet, und daß schneller, als wir es denken, eines Tages
wieder ein Kriegsgewitter an unserm westlichen Horizonte stehn kann. Wir wollen
bei diesem Schachspiel doch nie versäumen, rechtzeitig: Mnclk!-! zu sagen.




Grenzboten 1 1904KL
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293052"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgeblich,:? und Uttmcißgeblichvs</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1314" prev="#ID_1313"> eines Bruchs nicht auszuweichen, ja ihn unter Umständen sogar herbeizuführen,<lb/>
wenn sie mit solcher Unverfrorenheit ihre Parteifehden auf dem Rücken Deutsch¬<lb/>
lands auspauken. Eine solche Verleugnung und Verhöhnung des bestehenden Rechts¬<lb/>
zustands und der völkerrechtlichen Abmachungen zwischen beiden Nationen, wie sich<lb/>
die Nationalisten am 22. dieses Monats erlaubt haben, kann in Deutschland doch<lb/>
nicht unbeachtet bleiben, und es dürfte nützlich sein, wenn im Reichstage Gelegen¬<lb/>
heit genommen würde, anstatt mancher überflüssigen Strohdrescherei die Herren<lb/>
Nachbarn auf ihre Neigung, Feuer anzulegen, etwas energisch hinzuweisen. Wir<lb/>
wollen ganz davon absehen, daß die Pariser Presse das rednerische Paradestück fast<lb/>
seit vierzehn Tagen entsprechend eingeläutet hat, und daß einzelne Blätter dabei<lb/>
^me Sprache führten, die an die Tage von Ems erinnerte. Sogar der ministerielle<lb/>
"Temps" erlaubte sich die Äußerung, daß man in Frankreich die Grenze von<lb/>
Usaß-Lothringen nicht wie jede andre Grenze ansehen könne. Wenn das für<lb/>
Frankreich gilt, gilt es natürlich anch für Deutschland. Derlei ministerielle Unklug-<lb/>
heiten haben schon einmal das bekannte Bismarckische 5 vorsairs &#x2014; Om-san-o et Seni<lb/>
wachgerufen und die Aufrichtung der Paßschranke zur Folge gehabt, die den Fran¬<lb/>
zosen etwas nachdrücklicher zu Gemüte führen sollte, was &#x201E;Grenze" bedeutet.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1315"> Die Berliner &#x201E;National-Zeitung" kommentierte damals den Erlaß der Pa߬<lb/>
verordnung dahin, daß ohne dieses Auskunftsmittel &#x201E;der Verkehr zwischen beiden<lb/>
Ländern wahrscheinlich durch die Vorposten gehn würde." Ist den Franzosen der<lb/>
Kamm so sehr geschwollen, daß eine starke Minorität der Kammer kein Bedenken<lb/>
trägt, die Politik der Herausforderungen wieder aufzunehmen? Es ist immer<lb/>
dieselbe Spezies gewesen, die den Frieden gefährdet hat, 1870 wie 1888. Die<lb/>
französische Teputiertenkammer trug an dem Kriege von 1870 die Hauptschuld,<lb/>
demgegenüber ist es nicht ohne Bedeutung, wenn die Majorität gegen die Natio¬<lb/>
nalisten am Freitag nur 52 Stimmen betrug. Was würde man in Paris sagen,<lb/>
wenn eine ähnliche Minorität in der italienischen Kammer analoge Reden über<lb/>
Nizza und Savoyen hielte? Und obendrein hat Frankreich Elsaß und Lothringen<lb/>
in einem ungerechten Kriege verloren, während es sich seine Vundesgenossenschaft<lb/>
von 1859 von der &#x201E;romanischen Schwester" mit jenen Gebieten bezahlen ließ.<lb/>
Herr Cassagnac ist außer sich, daß die Kaminer mit ihrer Abstimmung am Freitag<lb/>
»den Frankfurter Frieden ratifiziert hat" &#x2014; er vergißt ganz, daß schon die<lb/>
Nationalversammlung von Bordeaux das am 3. Februar 1871 getan hat, und zwar<lb/>
in einer für die Elsässer tief verletzenden Form. Die Aufzeichnungen des elsässischen<lb/>
Abgeordneten Schneegans haben es festgelegt für alle Zukunft, wie die National¬<lb/>
versammlung, &#x201E;die freiest gewählte, die Frankreich jemals gehabt hat," die abzu¬<lb/>
tretenden Landesteile im wahrsten Sinne des Wortes als a.nimt&gt;no neZliAeablo<lb/>
behandelt hat. Als im Jahre 1896 Herr Möline als Ministerpräsident die<lb/>
deutschen Sozialdemokraten Buch und Bebel ausgewiesen hatte, hat die Kammer<lb/>
damals diese Maßregel mit 361 gegen 73 Stimmen gebilligt, obwohl Herr Buch<lb/>
Elsässer ist, und Herr Bebel seinen Mangel an deutschem Nationalgefühl seit 1871<lb/>
immer wieder durch Proteste gegen die Rücknahme des Elsaß an Deutschland zum<lb/>
Ausdruck gebracht hatte. Dieses Znhlenverhältnis: 361 zu 73 gegen 295 zu<lb/>
243 Stimmen könnte in dem starken Anwachsen der Minorität bedenklich erscheinen,<lb/>
aber Herr Meline hatte doch die Kammer anders in der Hand als Herr Combes,<lb/>
und damals war die Mehrheit zugleich eine antisozialistische, während diesesmal die<lb/>
starke Minderheit zugleich eine antiradikale, klerikale ist. Der Vorgang enthält aber<lb/>
trotz alledem. zumal in Anbetracht der ihn begleitenden Haltung der Presse, für<lb/>
uns Deutsche vou neuem die Mahnung, jederzeit eingedenk zu bleiben, daß mindestens<lb/>
eine starke Minderheit der Franzosen den Frankfurter Frieden nach wie vor nnr<lb/>
als eine Episode betrachtet, und daß schneller, als wir es denken, eines Tages<lb/>
wieder ein Kriegsgewitter an unserm westlichen Horizonte stehn kann. Wir wollen<lb/>
bei diesem Schachspiel doch nie versäumen, rechtzeitig: Mnclk!-! zu sagen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 1904KL</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0255] Maßgeblich,:? und Uttmcißgeblichvs eines Bruchs nicht auszuweichen, ja ihn unter Umständen sogar herbeizuführen, wenn sie mit solcher Unverfrorenheit ihre Parteifehden auf dem Rücken Deutsch¬ lands auspauken. Eine solche Verleugnung und Verhöhnung des bestehenden Rechts¬ zustands und der völkerrechtlichen Abmachungen zwischen beiden Nationen, wie sich die Nationalisten am 22. dieses Monats erlaubt haben, kann in Deutschland doch nicht unbeachtet bleiben, und es dürfte nützlich sein, wenn im Reichstage Gelegen¬ heit genommen würde, anstatt mancher überflüssigen Strohdrescherei die Herren Nachbarn auf ihre Neigung, Feuer anzulegen, etwas energisch hinzuweisen. Wir wollen ganz davon absehen, daß die Pariser Presse das rednerische Paradestück fast seit vierzehn Tagen entsprechend eingeläutet hat, und daß einzelne Blätter dabei ^me Sprache führten, die an die Tage von Ems erinnerte. Sogar der ministerielle "Temps" erlaubte sich die Äußerung, daß man in Frankreich die Grenze von Usaß-Lothringen nicht wie jede andre Grenze ansehen könne. Wenn das für Frankreich gilt, gilt es natürlich anch für Deutschland. Derlei ministerielle Unklug- heiten haben schon einmal das bekannte Bismarckische 5 vorsairs — Om-san-o et Seni wachgerufen und die Aufrichtung der Paßschranke zur Folge gehabt, die den Fran¬ zosen etwas nachdrücklicher zu Gemüte führen sollte, was „Grenze" bedeutet. Die Berliner „National-Zeitung" kommentierte damals den Erlaß der Pa߬ verordnung dahin, daß ohne dieses Auskunftsmittel „der Verkehr zwischen beiden Ländern wahrscheinlich durch die Vorposten gehn würde." Ist den Franzosen der Kamm so sehr geschwollen, daß eine starke Minorität der Kammer kein Bedenken trägt, die Politik der Herausforderungen wieder aufzunehmen? Es ist immer dieselbe Spezies gewesen, die den Frieden gefährdet hat, 1870 wie 1888. Die französische Teputiertenkammer trug an dem Kriege von 1870 die Hauptschuld, demgegenüber ist es nicht ohne Bedeutung, wenn die Majorität gegen die Natio¬ nalisten am Freitag nur 52 Stimmen betrug. Was würde man in Paris sagen, wenn eine ähnliche Minorität in der italienischen Kammer analoge Reden über Nizza und Savoyen hielte? Und obendrein hat Frankreich Elsaß und Lothringen in einem ungerechten Kriege verloren, während es sich seine Vundesgenossenschaft von 1859 von der „romanischen Schwester" mit jenen Gebieten bezahlen ließ. Herr Cassagnac ist außer sich, daß die Kaminer mit ihrer Abstimmung am Freitag »den Frankfurter Frieden ratifiziert hat" — er vergißt ganz, daß schon die Nationalversammlung von Bordeaux das am 3. Februar 1871 getan hat, und zwar in einer für die Elsässer tief verletzenden Form. Die Aufzeichnungen des elsässischen Abgeordneten Schneegans haben es festgelegt für alle Zukunft, wie die National¬ versammlung, „die freiest gewählte, die Frankreich jemals gehabt hat," die abzu¬ tretenden Landesteile im wahrsten Sinne des Wortes als a.nimt>no neZliAeablo behandelt hat. Als im Jahre 1896 Herr Möline als Ministerpräsident die deutschen Sozialdemokraten Buch und Bebel ausgewiesen hatte, hat die Kammer damals diese Maßregel mit 361 gegen 73 Stimmen gebilligt, obwohl Herr Buch Elsässer ist, und Herr Bebel seinen Mangel an deutschem Nationalgefühl seit 1871 immer wieder durch Proteste gegen die Rücknahme des Elsaß an Deutschland zum Ausdruck gebracht hatte. Dieses Znhlenverhältnis: 361 zu 73 gegen 295 zu 243 Stimmen könnte in dem starken Anwachsen der Minorität bedenklich erscheinen, aber Herr Meline hatte doch die Kammer anders in der Hand als Herr Combes, und damals war die Mehrheit zugleich eine antisozialistische, während diesesmal die starke Minderheit zugleich eine antiradikale, klerikale ist. Der Vorgang enthält aber trotz alledem. zumal in Anbetracht der ihn begleitenden Haltung der Presse, für uns Deutsche vou neuem die Mahnung, jederzeit eingedenk zu bleiben, daß mindestens eine starke Minderheit der Franzosen den Frankfurter Frieden nach wie vor nnr als eine Episode betrachtet, und daß schneller, als wir es denken, eines Tages wieder ein Kriegsgewitter an unserm westlichen Horizonte stehn kann. Wir wollen bei diesem Schachspiel doch nie versäumen, rechtzeitig: Mnclk!-! zu sagen. Grenzboten 1 1904KL

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/255
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/255>, abgerufen am 24.08.2024.