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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Spreewalde

der Bootsinsassen in den Kcihn werfen, wofür man mit einer kleinen Münze dankt.
Es kam auch eine Stelle, wo unser Boot, weil das Wasser abfiel, unweigerlich ini
Sande festsaß, aber da waren hilfreiche Jungens zur Hand, die es, bis zum Ober¬
schenkel im Wasser stehend, über die kritische Stelle hinwegschoben, bis das Fahr¬
wasser wieder tiefer wurde.

Ungefähr in der Mitte unsrer Fahrt lag das Forsthaus Eiche in der Nahe
einer Stelle, wo die drei Kreise Kalau, Kottbus und Lübben zusammenstoßen. Hier
kamen wir also aus altbrandeuburgischem Gebiet (Kreis Kottbns), zu dem z. B.
das Dorf Burg gehörte, wieder auf solches, das bis 1815 kursächsisch gewesen
War. Aus dem Forsthause ist im Laufe der Zeit ein wohlbewirteter Gasthof ge¬
worden. Ganz besonders schön ist der begleitende Erlenwald zwischen Eiche und
^anomühle, obwohl die Raupen auf einigen Strecken das Land abgefressen hatten.
Dafür gab es eine andre Plage nicht, ans die wir uus mit Ernst und Eifer ge¬
ästet hatten: die Mücken. Namentlich der Apotheker in Großenhain hatte unser
Gewissen in dieser Hinsicht geschärft: er hatte uns nicht nur eine Tinktur gegen
den Spreewalder Mückenstich gegeben, sondern auch eine prophylaktische Salbe, mit
der wir Hände, Stirn und Wangen bei der Annäherung des bösen Feindes ein-,
reiben sollten. Das Zeug stank mörderlich nach Nelken- und Lorbeeröl und tötete
alle bessern Geister unsers Rncksacks, aber keine Mücke ließ sich sehen, der kühle
Sommer hatte die ganze Brut vertilgt.

Bei der Kanomühle passiert das Boot eine Schleuse und nähert sich dann
durch große, waldumsäumte Wiesenflächen, auf denen die Heuschober getürmt wurden,
der Wotschvfska; so heißt eine alte erinnernngsreiche Eiche, in deren Schatten ein
anmutiges Wirtshaus oberbayrische" Stils mit großem Garten den Fremdling zur
Rast lockt. Hier erreicht das Betreibe der ankommenden und abfahrenden Boote
den Höhepunkt. Sie sind meist von Berlinern besetzt, die der sonntägliche Früh¬
zug nach Lübbenan gebracht Hot. Ihre wohlberechtigte Freude darüber, daß sie
dem dumpfen Häusermeer einmal entschlüpft sind, paart sich mit dem Bedürfnisse,
ihre spezifische Intelligenz vor den Nichtberlinern leuchten zu lassen, und so gleicht
denn die schmale Wasserstraße zur Wvtschofska einer großen Lästerallee, in der man
alle Spielarten des Berliner Witzes Von einer liebenswürdigen Anzapfung im
Vorbeifahren herab bis zur derbsten Schnoddrigkeit ebensogut studieren kann wie
in der Hasenheide.

Nach der Wotschvfska ist der Glanzpunkt der Fahrt das Dorf Lehde. ein Klein-
Venedig ins Urwaldliche übersetzt, wo jedes Hans auf einer Insel liegt, und sogar
der Schulweg im Kahn zurückgelegt wird. Hier sahen wir auch die echten land¬
wirtschaftlichen Erzeugnisse des Spreewaldes: ganze Kähne voll Meerrettich. Mohr¬
rüben und Gurken. Manch liebliches Bild zog an uns vorüber -- ein kleiner
Blondkopf heulte am Ufer, weil ihm der Kahn fortgeschwommen war, in dem er
die Großmutter besuchen wollte; zwischen zwei riesigen Linden vorm Hause saß
eine Wendin in der hellen Nachmittagssonne und besserte Fischnetze aus. Wunder¬
voll sind die wechselnden, kulissenartigeu Prospekte der wassererfüllten Dorfstraße.
Endlich gleitet das Boot am Parke des Grafen Lynar vorüber in den reich be¬
lebten Gondclhafen des Städtchens Lübbenan. Es bietet wenig Merkwürdiges; aber
am Nordende des Ortes steht noch die kursächsische Postsäule mit der Inschrift:
Nach Dippoldiswalde 28, nach Töplitz 34 Stunden. Wie lauge ist es doch her,
daß diese Verbindung für Lübbenau von Wichtigkeit war! Sonst habe ich nnr
wenig Spuren der sächsischen Vergangenheit in Lübbenau wahrgenommen: die kur¬
sächsische Zeit ist hier wie im ganzen Spreewalde fast vergessen.

Dafür ist die Gestalt des Alten Fritz um so lebendiger. Das kommt wohl
daher, daß gerade in diesen Gegenden schon im achtzehnten Jahrhundert die
kolonisierende Tätigkeit der preußischen Könige das Wenige, was von Sachsen aus
damals in dieser Richtung geschah, bei weitem überstrahlte. In Schulenburgs
Sagenbuche kommt der sächsische Kurfürst uur zweimal vor, einmal als "der Starke


Aus dem Spreewalde

der Bootsinsassen in den Kcihn werfen, wofür man mit einer kleinen Münze dankt.
Es kam auch eine Stelle, wo unser Boot, weil das Wasser abfiel, unweigerlich ini
Sande festsaß, aber da waren hilfreiche Jungens zur Hand, die es, bis zum Ober¬
schenkel im Wasser stehend, über die kritische Stelle hinwegschoben, bis das Fahr¬
wasser wieder tiefer wurde.

Ungefähr in der Mitte unsrer Fahrt lag das Forsthaus Eiche in der Nahe
einer Stelle, wo die drei Kreise Kalau, Kottbus und Lübben zusammenstoßen. Hier
kamen wir also aus altbrandeuburgischem Gebiet (Kreis Kottbns), zu dem z. B.
das Dorf Burg gehörte, wieder auf solches, das bis 1815 kursächsisch gewesen
War. Aus dem Forsthause ist im Laufe der Zeit ein wohlbewirteter Gasthof ge¬
worden. Ganz besonders schön ist der begleitende Erlenwald zwischen Eiche und
^anomühle, obwohl die Raupen auf einigen Strecken das Land abgefressen hatten.
Dafür gab es eine andre Plage nicht, ans die wir uus mit Ernst und Eifer ge¬
ästet hatten: die Mücken. Namentlich der Apotheker in Großenhain hatte unser
Gewissen in dieser Hinsicht geschärft: er hatte uns nicht nur eine Tinktur gegen
den Spreewalder Mückenstich gegeben, sondern auch eine prophylaktische Salbe, mit
der wir Hände, Stirn und Wangen bei der Annäherung des bösen Feindes ein-,
reiben sollten. Das Zeug stank mörderlich nach Nelken- und Lorbeeröl und tötete
alle bessern Geister unsers Rncksacks, aber keine Mücke ließ sich sehen, der kühle
Sommer hatte die ganze Brut vertilgt.

Bei der Kanomühle passiert das Boot eine Schleuse und nähert sich dann
durch große, waldumsäumte Wiesenflächen, auf denen die Heuschober getürmt wurden,
der Wotschvfska; so heißt eine alte erinnernngsreiche Eiche, in deren Schatten ein
anmutiges Wirtshaus oberbayrische» Stils mit großem Garten den Fremdling zur
Rast lockt. Hier erreicht das Betreibe der ankommenden und abfahrenden Boote
den Höhepunkt. Sie sind meist von Berlinern besetzt, die der sonntägliche Früh¬
zug nach Lübbenan gebracht Hot. Ihre wohlberechtigte Freude darüber, daß sie
dem dumpfen Häusermeer einmal entschlüpft sind, paart sich mit dem Bedürfnisse,
ihre spezifische Intelligenz vor den Nichtberlinern leuchten zu lassen, und so gleicht
denn die schmale Wasserstraße zur Wvtschofska einer großen Lästerallee, in der man
alle Spielarten des Berliner Witzes Von einer liebenswürdigen Anzapfung im
Vorbeifahren herab bis zur derbsten Schnoddrigkeit ebensogut studieren kann wie
in der Hasenheide.

Nach der Wotschvfska ist der Glanzpunkt der Fahrt das Dorf Lehde. ein Klein-
Venedig ins Urwaldliche übersetzt, wo jedes Hans auf einer Insel liegt, und sogar
der Schulweg im Kahn zurückgelegt wird. Hier sahen wir auch die echten land¬
wirtschaftlichen Erzeugnisse des Spreewaldes: ganze Kähne voll Meerrettich. Mohr¬
rüben und Gurken. Manch liebliches Bild zog an uns vorüber — ein kleiner
Blondkopf heulte am Ufer, weil ihm der Kahn fortgeschwommen war, in dem er
die Großmutter besuchen wollte; zwischen zwei riesigen Linden vorm Hause saß
eine Wendin in der hellen Nachmittagssonne und besserte Fischnetze aus. Wunder¬
voll sind die wechselnden, kulissenartigeu Prospekte der wassererfüllten Dorfstraße.
Endlich gleitet das Boot am Parke des Grafen Lynar vorüber in den reich be¬
lebten Gondclhafen des Städtchens Lübbenan. Es bietet wenig Merkwürdiges; aber
am Nordende des Ortes steht noch die kursächsische Postsäule mit der Inschrift:
Nach Dippoldiswalde 28, nach Töplitz 34 Stunden. Wie lauge ist es doch her,
daß diese Verbindung für Lübbenau von Wichtigkeit war! Sonst habe ich nnr
wenig Spuren der sächsischen Vergangenheit in Lübbenau wahrgenommen: die kur¬
sächsische Zeit ist hier wie im ganzen Spreewalde fast vergessen.

Dafür ist die Gestalt des Alten Fritz um so lebendiger. Das kommt wohl
daher, daß gerade in diesen Gegenden schon im achtzehnten Jahrhundert die
kolonisierende Tätigkeit der preußischen Könige das Wenige, was von Sachsen aus
damals in dieser Richtung geschah, bei weitem überstrahlte. In Schulenburgs
Sagenbuche kommt der sächsische Kurfürst uur zweimal vor, einmal als „der Starke


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[0241] Aus dem Spreewalde der Bootsinsassen in den Kcihn werfen, wofür man mit einer kleinen Münze dankt. Es kam auch eine Stelle, wo unser Boot, weil das Wasser abfiel, unweigerlich ini Sande festsaß, aber da waren hilfreiche Jungens zur Hand, die es, bis zum Ober¬ schenkel im Wasser stehend, über die kritische Stelle hinwegschoben, bis das Fahr¬ wasser wieder tiefer wurde. Ungefähr in der Mitte unsrer Fahrt lag das Forsthaus Eiche in der Nahe einer Stelle, wo die drei Kreise Kalau, Kottbus und Lübben zusammenstoßen. Hier kamen wir also aus altbrandeuburgischem Gebiet (Kreis Kottbns), zu dem z. B. das Dorf Burg gehörte, wieder auf solches, das bis 1815 kursächsisch gewesen War. Aus dem Forsthause ist im Laufe der Zeit ein wohlbewirteter Gasthof ge¬ worden. Ganz besonders schön ist der begleitende Erlenwald zwischen Eiche und ^anomühle, obwohl die Raupen auf einigen Strecken das Land abgefressen hatten. Dafür gab es eine andre Plage nicht, ans die wir uus mit Ernst und Eifer ge¬ ästet hatten: die Mücken. Namentlich der Apotheker in Großenhain hatte unser Gewissen in dieser Hinsicht geschärft: er hatte uns nicht nur eine Tinktur gegen den Spreewalder Mückenstich gegeben, sondern auch eine prophylaktische Salbe, mit der wir Hände, Stirn und Wangen bei der Annäherung des bösen Feindes ein-, reiben sollten. Das Zeug stank mörderlich nach Nelken- und Lorbeeröl und tötete alle bessern Geister unsers Rncksacks, aber keine Mücke ließ sich sehen, der kühle Sommer hatte die ganze Brut vertilgt. Bei der Kanomühle passiert das Boot eine Schleuse und nähert sich dann durch große, waldumsäumte Wiesenflächen, auf denen die Heuschober getürmt wurden, der Wotschvfska; so heißt eine alte erinnernngsreiche Eiche, in deren Schatten ein anmutiges Wirtshaus oberbayrische» Stils mit großem Garten den Fremdling zur Rast lockt. Hier erreicht das Betreibe der ankommenden und abfahrenden Boote den Höhepunkt. Sie sind meist von Berlinern besetzt, die der sonntägliche Früh¬ zug nach Lübbenan gebracht Hot. Ihre wohlberechtigte Freude darüber, daß sie dem dumpfen Häusermeer einmal entschlüpft sind, paart sich mit dem Bedürfnisse, ihre spezifische Intelligenz vor den Nichtberlinern leuchten zu lassen, und so gleicht denn die schmale Wasserstraße zur Wvtschofska einer großen Lästerallee, in der man alle Spielarten des Berliner Witzes Von einer liebenswürdigen Anzapfung im Vorbeifahren herab bis zur derbsten Schnoddrigkeit ebensogut studieren kann wie in der Hasenheide. Nach der Wotschvfska ist der Glanzpunkt der Fahrt das Dorf Lehde. ein Klein- Venedig ins Urwaldliche übersetzt, wo jedes Hans auf einer Insel liegt, und sogar der Schulweg im Kahn zurückgelegt wird. Hier sahen wir auch die echten land¬ wirtschaftlichen Erzeugnisse des Spreewaldes: ganze Kähne voll Meerrettich. Mohr¬ rüben und Gurken. Manch liebliches Bild zog an uns vorüber — ein kleiner Blondkopf heulte am Ufer, weil ihm der Kahn fortgeschwommen war, in dem er die Großmutter besuchen wollte; zwischen zwei riesigen Linden vorm Hause saß eine Wendin in der hellen Nachmittagssonne und besserte Fischnetze aus. Wunder¬ voll sind die wechselnden, kulissenartigeu Prospekte der wassererfüllten Dorfstraße. Endlich gleitet das Boot am Parke des Grafen Lynar vorüber in den reich be¬ lebten Gondclhafen des Städtchens Lübbenan. Es bietet wenig Merkwürdiges; aber am Nordende des Ortes steht noch die kursächsische Postsäule mit der Inschrift: Nach Dippoldiswalde 28, nach Töplitz 34 Stunden. Wie lauge ist es doch her, daß diese Verbindung für Lübbenau von Wichtigkeit war! Sonst habe ich nnr wenig Spuren der sächsischen Vergangenheit in Lübbenau wahrgenommen: die kur¬ sächsische Zeit ist hier wie im ganzen Spreewalde fast vergessen. Dafür ist die Gestalt des Alten Fritz um so lebendiger. Das kommt wohl daher, daß gerade in diesen Gegenden schon im achtzehnten Jahrhundert die kolonisierende Tätigkeit der preußischen Könige das Wenige, was von Sachsen aus damals in dieser Richtung geschah, bei weitem überstrahlte. In Schulenburgs Sagenbuche kommt der sächsische Kurfürst uur zweimal vor, einmal als „der Starke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/241>, abgerufen am 22.07.2024.