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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Bernhardis erste Sendung nach Florenz in italienischer Beleuchtung

Als die beiden Bände von Bernhardis italienischen Tagebüchern er¬
schienen, war es von vornherein wahrscheinlich, daß die Unerbittlichkeit seiner
Kritik gegenüber den italienischen Staatsmännern und Heerführern ein un¬
freundliches Echo wecken würde. Es liegt jetzt vor uns in Luigi Chialas
Buche, das sich in nicht mißzuverstehendem Anschluß an La Marmoras be¬
rüchtigte Streitschrift ^noora, un xo' M all tuos betitelt,^) selbst mehr eine
Streitschrift als ein wissenschaftliches Werk. Es stellt die italienische Politik
des Jahres 1866 vom Anfang der Vertragsverhandlungen bis zum Friedens¬
schlüsse dar und bereichert unser Wissen durch die sehr dankenswerte Mit¬
teilung bisher ganz oder teilweise unbekannter Aktenstücke. Der Zweck der
Arbeit ist ausgesprochnermaßen eine Rettung La Marmoras. Am heftigsten
werden die Anklagen gegen diesen und am erbittertsten Chialas Verteidigungs¬
kampf von dem Punkte an, von wo die bisherige Darstellung von deutscher
Seite hauptsächlich auf Bernhardis Berichten beruht. Chiala geht darauf
aus, den Wert dieser so unschätzbaren Geschichtsquelle geradezu zu vernichten,
indem er den Freund Moltkes und Roons, den Geschichtschreiber Rußlands
und der Befreiungskriege, einen der feinsten Geister der deutschen Gelehrten¬
republik, als einen phantastischen Narren hinstellt, der, von Eitelkeit gebläht,
sich in Dinge mischt, die ihn nichts angehn, und durch haßerfüllte, irreführende
Darstellungen das Verhältnis zwischen Preußen und Italien vergiftet.

Die hohe und ungelenke Wertschätzung, die Bernhardi vor wie nach
seinem Tode in Deutschland in allen leitenden politischen, militärischen wie
wissenschaftlichen Kreisen genossen hat, beweist allein schon, daß der italienische
Angriff weit über das Ziel hinausschießt. Aber ebensowenig läßt sich ver¬
kennen, daß er doch ein Körnlein von Wahrheit enthält, daß Chiala mit dem
Scharfblicke des Hasses auch manche schwache Stelle in Bernhardis Wirken
herausgefunden hat, und daß die bisherige landläufige Ansicht über dessen
Sendung nach Florenz im Jahre 1866 in wesentlichen Stücken einer Revision
bedarf.

Zunächst muß man seine zweite Sendung dorthin im Jahre 1867 von
der ersten deutlich unterscheiden. Aus seinen Tagebüchern geht klar hervor
-- und auch Chiala gibt es zu --, daß er 1867 ganz formell unter Bei¬
legung eines militärischen Ranges zum Militürbevollmüchtigten ernannt wurde,
sodaß er eine "unabhängige und selbständige" Stellung neben der Gesandtschaft
einnahm (VII, 319, vergl. auch Busch II, 79). So einfach liegen die Ver¬
hältnisse im Jahre 1866 nicht. Die bisherigen Darstellungen sind über die
Sache ziemlich leicht hinweggegangen, indem sie sich den Ursprung und den
Charakter von Bernhardis Mission etwa so zurechtlegten.

Anfang März hatte Moltke selbst nach Florenz gehn sollen, um den
preußisch-italienischen Vertrag zustande zu bringen und allerlei militärische
Verabredungen zu treffen. Die Sendung General Govones und der Abschluß
des Bündnisses zu Berlin am 8. April hatten diesen Plan vereitelt. Nach La
Marmoras Versicherung war darauf mehrmals die Ankunft eines preußischen
Generals in Florenz angekündigt worden.



*) Florenz, Barbera,, 1!)02.
Bernhardis erste Sendung nach Florenz in italienischer Beleuchtung

Als die beiden Bände von Bernhardis italienischen Tagebüchern er¬
schienen, war es von vornherein wahrscheinlich, daß die Unerbittlichkeit seiner
Kritik gegenüber den italienischen Staatsmännern und Heerführern ein un¬
freundliches Echo wecken würde. Es liegt jetzt vor uns in Luigi Chialas
Buche, das sich in nicht mißzuverstehendem Anschluß an La Marmoras be¬
rüchtigte Streitschrift ^noora, un xo' M all tuos betitelt,^) selbst mehr eine
Streitschrift als ein wissenschaftliches Werk. Es stellt die italienische Politik
des Jahres 1866 vom Anfang der Vertragsverhandlungen bis zum Friedens¬
schlüsse dar und bereichert unser Wissen durch die sehr dankenswerte Mit¬
teilung bisher ganz oder teilweise unbekannter Aktenstücke. Der Zweck der
Arbeit ist ausgesprochnermaßen eine Rettung La Marmoras. Am heftigsten
werden die Anklagen gegen diesen und am erbittertsten Chialas Verteidigungs¬
kampf von dem Punkte an, von wo die bisherige Darstellung von deutscher
Seite hauptsächlich auf Bernhardis Berichten beruht. Chiala geht darauf
aus, den Wert dieser so unschätzbaren Geschichtsquelle geradezu zu vernichten,
indem er den Freund Moltkes und Roons, den Geschichtschreiber Rußlands
und der Befreiungskriege, einen der feinsten Geister der deutschen Gelehrten¬
republik, als einen phantastischen Narren hinstellt, der, von Eitelkeit gebläht,
sich in Dinge mischt, die ihn nichts angehn, und durch haßerfüllte, irreführende
Darstellungen das Verhältnis zwischen Preußen und Italien vergiftet.

Die hohe und ungelenke Wertschätzung, die Bernhardi vor wie nach
seinem Tode in Deutschland in allen leitenden politischen, militärischen wie
wissenschaftlichen Kreisen genossen hat, beweist allein schon, daß der italienische
Angriff weit über das Ziel hinausschießt. Aber ebensowenig läßt sich ver¬
kennen, daß er doch ein Körnlein von Wahrheit enthält, daß Chiala mit dem
Scharfblicke des Hasses auch manche schwache Stelle in Bernhardis Wirken
herausgefunden hat, und daß die bisherige landläufige Ansicht über dessen
Sendung nach Florenz im Jahre 1866 in wesentlichen Stücken einer Revision
bedarf.

Zunächst muß man seine zweite Sendung dorthin im Jahre 1867 von
der ersten deutlich unterscheiden. Aus seinen Tagebüchern geht klar hervor
— und auch Chiala gibt es zu —, daß er 1867 ganz formell unter Bei¬
legung eines militärischen Ranges zum Militürbevollmüchtigten ernannt wurde,
sodaß er eine „unabhängige und selbständige" Stellung neben der Gesandtschaft
einnahm (VII, 319, vergl. auch Busch II, 79). So einfach liegen die Ver¬
hältnisse im Jahre 1866 nicht. Die bisherigen Darstellungen sind über die
Sache ziemlich leicht hinweggegangen, indem sie sich den Ursprung und den
Charakter von Bernhardis Mission etwa so zurechtlegten.

Anfang März hatte Moltke selbst nach Florenz gehn sollen, um den
preußisch-italienischen Vertrag zustande zu bringen und allerlei militärische
Verabredungen zu treffen. Die Sendung General Govones und der Abschluß
des Bündnisses zu Berlin am 8. April hatten diesen Plan vereitelt. Nach La
Marmoras Versicherung war darauf mehrmals die Ankunft eines preußischen
Generals in Florenz angekündigt worden.



*) Florenz, Barbera,, 1!)02.
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[0219] Bernhardis erste Sendung nach Florenz in italienischer Beleuchtung Als die beiden Bände von Bernhardis italienischen Tagebüchern er¬ schienen, war es von vornherein wahrscheinlich, daß die Unerbittlichkeit seiner Kritik gegenüber den italienischen Staatsmännern und Heerführern ein un¬ freundliches Echo wecken würde. Es liegt jetzt vor uns in Luigi Chialas Buche, das sich in nicht mißzuverstehendem Anschluß an La Marmoras be¬ rüchtigte Streitschrift ^noora, un xo' M all tuos betitelt,^) selbst mehr eine Streitschrift als ein wissenschaftliches Werk. Es stellt die italienische Politik des Jahres 1866 vom Anfang der Vertragsverhandlungen bis zum Friedens¬ schlüsse dar und bereichert unser Wissen durch die sehr dankenswerte Mit¬ teilung bisher ganz oder teilweise unbekannter Aktenstücke. Der Zweck der Arbeit ist ausgesprochnermaßen eine Rettung La Marmoras. Am heftigsten werden die Anklagen gegen diesen und am erbittertsten Chialas Verteidigungs¬ kampf von dem Punkte an, von wo die bisherige Darstellung von deutscher Seite hauptsächlich auf Bernhardis Berichten beruht. Chiala geht darauf aus, den Wert dieser so unschätzbaren Geschichtsquelle geradezu zu vernichten, indem er den Freund Moltkes und Roons, den Geschichtschreiber Rußlands und der Befreiungskriege, einen der feinsten Geister der deutschen Gelehrten¬ republik, als einen phantastischen Narren hinstellt, der, von Eitelkeit gebläht, sich in Dinge mischt, die ihn nichts angehn, und durch haßerfüllte, irreführende Darstellungen das Verhältnis zwischen Preußen und Italien vergiftet. Die hohe und ungelenke Wertschätzung, die Bernhardi vor wie nach seinem Tode in Deutschland in allen leitenden politischen, militärischen wie wissenschaftlichen Kreisen genossen hat, beweist allein schon, daß der italienische Angriff weit über das Ziel hinausschießt. Aber ebensowenig läßt sich ver¬ kennen, daß er doch ein Körnlein von Wahrheit enthält, daß Chiala mit dem Scharfblicke des Hasses auch manche schwache Stelle in Bernhardis Wirken herausgefunden hat, und daß die bisherige landläufige Ansicht über dessen Sendung nach Florenz im Jahre 1866 in wesentlichen Stücken einer Revision bedarf. Zunächst muß man seine zweite Sendung dorthin im Jahre 1867 von der ersten deutlich unterscheiden. Aus seinen Tagebüchern geht klar hervor — und auch Chiala gibt es zu —, daß er 1867 ganz formell unter Bei¬ legung eines militärischen Ranges zum Militürbevollmüchtigten ernannt wurde, sodaß er eine „unabhängige und selbständige" Stellung neben der Gesandtschaft einnahm (VII, 319, vergl. auch Busch II, 79). So einfach liegen die Ver¬ hältnisse im Jahre 1866 nicht. Die bisherigen Darstellungen sind über die Sache ziemlich leicht hinweggegangen, indem sie sich den Ursprung und den Charakter von Bernhardis Mission etwa so zurechtlegten. Anfang März hatte Moltke selbst nach Florenz gehn sollen, um den preußisch-italienischen Vertrag zustande zu bringen und allerlei militärische Verabredungen zu treffen. Die Sendung General Govones und der Abschluß des Bündnisses zu Berlin am 8. April hatten diesen Plan vereitelt. Nach La Marmoras Versicherung war darauf mehrmals die Ankunft eines preußischen Generals in Florenz angekündigt worden. *) Florenz, Barbera,, 1!)02.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/219>, abgerufen am 24.08.2024.