Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Jugendzeit

sie aber schwerlich gekommen. Eine solche Kühnheit hätten wir nicht gewagt. Auf
dem Tanzstnndenball tanzte man mit ihr den Kotillon. Das war der einzige Lohn
der treuen Tanzstnndenminne. Aber gleichviel, während der Tanzstundenzeit lebten
wir in einer poetischen Atmosphäre. Sie tat übrigens unserm Fleiße in der Schule
keinen Abbruch.

Dieses Tanzstundenidyll neigte sich im März 1848 schon seinem Ende zu,
als uns Plötzlich am 19. und 20. März die ersten Nachrichten von den Ereig¬
nisse" in Berlin erreichten. Ganz Quedlinburg war elektrisiert. Es wurde sofort
ein politischer Bürgerverein gebildet. Dort wurden die unglaublichsten Reden ge¬
halten, es wurde abgestimmt und unter parlamentarischen Formen diskutiert, haupt¬
sächlich aber Bravo geschrien. Ferner wurde sofort die Bürgerwehr organisiert.
Zu deren Bewaffnung erhielt der Magistrat auf sein Ansuchen von der Militär¬
behörde eine Anzahl ausrangierter Gewehre und Säbel, die dann an die Burger-
wehrmiinner verteilt wurden. Viele traten aber auch mit eignem Gewehr und
Säbel oder Degen an. So genau ucihm man es damit nicht. Immerhin wurde
der Bürgerwehrdienst dahin organisiert, daß an jedem Abend eine Kompagnie auf
Wache zog und Patrouillen durch die Straßen und in die nächsten Umgebungen
der Stadt entsandte. Am Abend des 20. März, ehe die Bürgerwehr organisiert
war, hatten sich auf den Straßen zahlreiche Menschen angesammelt und waren
unter Johle" und Schreien vor das Haus eines ehemaligen Fleischermeisters. jetzt
Landwirth Reidemeister, gezogen. Den Leuten hatte man erzählt, Reidemeister, der
für sehr wohlhabend galt, habe während der teuern Zeit sein Getreide nicht ver¬
kaufen wollen, weil ihm die Preise noch immer nicht hoch genug gewesen seien. Er
habe vielmehr geäußert, erst müßten die armen Leute Piepen wie die hungrigen
Mäuse; früher verkaufe er sein Getreide nicht. Daß das in dieser Form von
Reidemeister nicht gesagt worden war, konnte ein Kind durchschauen. Es half aber
nichts. Im Reidemeisterschen Hanse wurden ein jenem Abend sämtliche Fenster ein¬
geworfen, Reidemeister und seine Frau mußten heinilich durch eine Hintertür flüchten,
das Vorderhaus wurde vom Pöbel gestürmt, und nur mit äußerster Mühe konnte
die Polizei die Demolierung des ganzen Hauses verhindern. Demnächst wurde noch
einem von auswärts zugezognen, unbeliebten Rechtsanwalt eine Katzenmusik gebracht.
Damit war die aktive Revolution in Quedlinburg wenigstens für diesesmal zu Ende.
Erst im Mai, als in Berlin das Zeughaus gestürmt wurde, fanden auch in Quedlin¬
burg Zusammenrottungen statt, die einen bedrohlichen Charakter annahmen. Die
Bürgerwehr erwies sich dabei als völlig machtlos. Eine Schwadron Kürassiere
'"ußte vielmehr den Pöbel auseinander treiben, was ihr natürlich leicht gelang.
Immerhin war bet dieser Gelegenheit aus einem Hause auf die Kürassiere ein
Schuß gefallen. Ein Mensch war zum Glück nicht getroffen worden; wohl aber
hatte ein armes Knrassierpferd den Rehpostenschuß in die Nase bekommen. Es gab
damals in Quedlinburg, namentlich auf dem Münzenberge einige verwegne Kerle,die beim Stehlen und Wilddieben zur Not auch allenfalls ihr Leben auf das Spiel
Atzten und für Geld wohl zu allem zu haben waren. Allein aus sich selbst heraus
^cvolutiou zu spielen, hatte diese verrufne Sippschaft nicht den mindesten Anlaß.
gab vielmehr einige Leute hinter den Kulisse", die mit auswärtigen revolu-
twnnren und staatsfeindlichen Elementen in Verbindung standen und von diesen
d"zu benutzt wurden, auch in der Provinz eine gewisse Panik zu verbreiten, wäre
^ auch nur gewesen, um bei den sicher bevorstehenden Wahlen den radikalen Ten¬
denzen die Wege zu ebnen. Namentlich galt das von einem Gastwirt namens
'"nennet, deu man deu "Marut" vou Quedlinburg nannte. Er war ein kleiner,
verwachsener Mann mit einem konfiszierten Gesicht, und sein Bild hätte leben
Augenblick als das des von Charlotte Corday ermordeten demagogischen Revo¬
lutionärs gelten können. Er wohnte unmittelbar neben dem Reidemeisterschen Hause,und ihm traute man zu, daß er die erlognen Gerüchte gegen Reidemeister unter
den Pöbel gebracht habe, schon um die Volksansammlung dorthin zu lenken und


Aus der Jugendzeit

sie aber schwerlich gekommen. Eine solche Kühnheit hätten wir nicht gewagt. Auf
dem Tanzstnndenball tanzte man mit ihr den Kotillon. Das war der einzige Lohn
der treuen Tanzstnndenminne. Aber gleichviel, während der Tanzstundenzeit lebten
wir in einer poetischen Atmosphäre. Sie tat übrigens unserm Fleiße in der Schule
keinen Abbruch.

Dieses Tanzstundenidyll neigte sich im März 1848 schon seinem Ende zu,
als uns Plötzlich am 19. und 20. März die ersten Nachrichten von den Ereig¬
nisse» in Berlin erreichten. Ganz Quedlinburg war elektrisiert. Es wurde sofort
ein politischer Bürgerverein gebildet. Dort wurden die unglaublichsten Reden ge¬
halten, es wurde abgestimmt und unter parlamentarischen Formen diskutiert, haupt¬
sächlich aber Bravo geschrien. Ferner wurde sofort die Bürgerwehr organisiert.
Zu deren Bewaffnung erhielt der Magistrat auf sein Ansuchen von der Militär¬
behörde eine Anzahl ausrangierter Gewehre und Säbel, die dann an die Burger-
wehrmiinner verteilt wurden. Viele traten aber auch mit eignem Gewehr und
Säbel oder Degen an. So genau ucihm man es damit nicht. Immerhin wurde
der Bürgerwehrdienst dahin organisiert, daß an jedem Abend eine Kompagnie auf
Wache zog und Patrouillen durch die Straßen und in die nächsten Umgebungen
der Stadt entsandte. Am Abend des 20. März, ehe die Bürgerwehr organisiert
war, hatten sich auf den Straßen zahlreiche Menschen angesammelt und waren
unter Johle» und Schreien vor das Haus eines ehemaligen Fleischermeisters. jetzt
Landwirth Reidemeister, gezogen. Den Leuten hatte man erzählt, Reidemeister, der
für sehr wohlhabend galt, habe während der teuern Zeit sein Getreide nicht ver¬
kaufen wollen, weil ihm die Preise noch immer nicht hoch genug gewesen seien. Er
habe vielmehr geäußert, erst müßten die armen Leute Piepen wie die hungrigen
Mäuse; früher verkaufe er sein Getreide nicht. Daß das in dieser Form von
Reidemeister nicht gesagt worden war, konnte ein Kind durchschauen. Es half aber
nichts. Im Reidemeisterschen Hanse wurden ein jenem Abend sämtliche Fenster ein¬
geworfen, Reidemeister und seine Frau mußten heinilich durch eine Hintertür flüchten,
das Vorderhaus wurde vom Pöbel gestürmt, und nur mit äußerster Mühe konnte
die Polizei die Demolierung des ganzen Hauses verhindern. Demnächst wurde noch
einem von auswärts zugezognen, unbeliebten Rechtsanwalt eine Katzenmusik gebracht.
Damit war die aktive Revolution in Quedlinburg wenigstens für diesesmal zu Ende.
Erst im Mai, als in Berlin das Zeughaus gestürmt wurde, fanden auch in Quedlin¬
burg Zusammenrottungen statt, die einen bedrohlichen Charakter annahmen. Die
Bürgerwehr erwies sich dabei als völlig machtlos. Eine Schwadron Kürassiere
'"ußte vielmehr den Pöbel auseinander treiben, was ihr natürlich leicht gelang.
Immerhin war bet dieser Gelegenheit aus einem Hause auf die Kürassiere ein
Schuß gefallen. Ein Mensch war zum Glück nicht getroffen worden; wohl aber
hatte ein armes Knrassierpferd den Rehpostenschuß in die Nase bekommen. Es gab
damals in Quedlinburg, namentlich auf dem Münzenberge einige verwegne Kerle,die beim Stehlen und Wilddieben zur Not auch allenfalls ihr Leben auf das Spiel
Atzten und für Geld wohl zu allem zu haben waren. Allein aus sich selbst heraus
^cvolutiou zu spielen, hatte diese verrufne Sippschaft nicht den mindesten Anlaß.
gab vielmehr einige Leute hinter den Kulisse», die mit auswärtigen revolu-
twnnren und staatsfeindlichen Elementen in Verbindung standen und von diesen
d"zu benutzt wurden, auch in der Provinz eine gewisse Panik zu verbreiten, wäre
^ auch nur gewesen, um bei den sicher bevorstehenden Wahlen den radikalen Ten¬
denzen die Wege zu ebnen. Namentlich galt das von einem Gastwirt namens
'"nennet, deu man deu „Marut" vou Quedlinburg nannte. Er war ein kleiner,
verwachsener Mann mit einem konfiszierten Gesicht, und sein Bild hätte leben
Augenblick als das des von Charlotte Corday ermordeten demagogischen Revo¬
lutionärs gelten können. Er wohnte unmittelbar neben dem Reidemeisterschen Hause,und ihm traute man zu, daß er die erlognen Gerüchte gegen Reidemeister unter
den Pöbel gebracht habe, schon um die Volksansammlung dorthin zu lenken und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0723" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242793"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus der Jugendzeit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2655" prev="#ID_2654"> sie aber schwerlich gekommen. Eine solche Kühnheit hätten wir nicht gewagt. Auf<lb/>
dem Tanzstnndenball tanzte man mit ihr den Kotillon. Das war der einzige Lohn<lb/>
der treuen Tanzstnndenminne. Aber gleichviel, während der Tanzstundenzeit lebten<lb/>
wir in einer poetischen Atmosphäre. Sie tat übrigens unserm Fleiße in der Schule<lb/>
keinen Abbruch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2656" next="#ID_2657"> Dieses Tanzstundenidyll neigte sich im März 1848 schon seinem Ende zu,<lb/>
als uns Plötzlich am 19. und 20. März die ersten Nachrichten von den Ereig¬<lb/>
nisse» in Berlin erreichten. Ganz Quedlinburg war elektrisiert. Es wurde sofort<lb/>
ein politischer Bürgerverein gebildet. Dort wurden die unglaublichsten Reden ge¬<lb/>
halten, es wurde abgestimmt und unter parlamentarischen Formen diskutiert, haupt¬<lb/>
sächlich aber Bravo geschrien. Ferner wurde sofort die Bürgerwehr organisiert.<lb/>
Zu deren Bewaffnung erhielt der Magistrat auf sein Ansuchen von der Militär¬<lb/>
behörde eine Anzahl ausrangierter Gewehre und Säbel, die dann an die Burger-<lb/>
wehrmiinner verteilt wurden. Viele traten aber auch mit eignem Gewehr und<lb/>
Säbel oder Degen an. So genau ucihm man es damit nicht. Immerhin wurde<lb/>
der Bürgerwehrdienst dahin organisiert, daß an jedem Abend eine Kompagnie auf<lb/>
Wache zog und Patrouillen durch die Straßen und in die nächsten Umgebungen<lb/>
der Stadt entsandte. Am Abend des 20. März, ehe die Bürgerwehr organisiert<lb/>
war, hatten sich auf den Straßen zahlreiche Menschen angesammelt und waren<lb/>
unter Johle» und Schreien vor das Haus eines ehemaligen Fleischermeisters. jetzt<lb/>
Landwirth Reidemeister, gezogen. Den Leuten hatte man erzählt, Reidemeister, der<lb/>
für sehr wohlhabend galt, habe während der teuern Zeit sein Getreide nicht ver¬<lb/>
kaufen wollen, weil ihm die Preise noch immer nicht hoch genug gewesen seien. Er<lb/>
habe vielmehr geäußert, erst müßten die armen Leute Piepen wie die hungrigen<lb/>
Mäuse; früher verkaufe er sein Getreide nicht. Daß das in dieser Form von<lb/>
Reidemeister nicht gesagt worden war, konnte ein Kind durchschauen. Es half aber<lb/>
nichts. Im Reidemeisterschen Hanse wurden ein jenem Abend sämtliche Fenster ein¬<lb/>
geworfen, Reidemeister und seine Frau mußten heinilich durch eine Hintertür flüchten,<lb/>
das Vorderhaus wurde vom Pöbel gestürmt, und nur mit äußerster Mühe konnte<lb/>
die Polizei die Demolierung des ganzen Hauses verhindern. Demnächst wurde noch<lb/>
einem von auswärts zugezognen, unbeliebten Rechtsanwalt eine Katzenmusik gebracht.<lb/>
Damit war die aktive Revolution in Quedlinburg wenigstens für diesesmal zu Ende.<lb/>
Erst im Mai, als in Berlin das Zeughaus gestürmt wurde, fanden auch in Quedlin¬<lb/>
burg Zusammenrottungen statt, die einen bedrohlichen Charakter annahmen. Die<lb/>
Bürgerwehr erwies sich dabei als völlig machtlos. Eine Schwadron Kürassiere<lb/>
'"ußte vielmehr den Pöbel auseinander treiben, was ihr natürlich leicht gelang.<lb/>
Immerhin war bet dieser Gelegenheit aus einem Hause auf die Kürassiere ein<lb/>
Schuß gefallen. Ein Mensch war zum Glück nicht getroffen worden; wohl aber<lb/>
hatte ein armes Knrassierpferd den Rehpostenschuß in die Nase bekommen. Es gab<lb/>
damals in Quedlinburg, namentlich auf dem Münzenberge einige verwegne Kerle,die beim Stehlen und Wilddieben zur Not auch allenfalls ihr Leben auf das Spiel<lb/>
Atzten und für Geld wohl zu allem zu haben waren. Allein aus sich selbst heraus<lb/>
^cvolutiou zu spielen, hatte diese verrufne Sippschaft nicht den mindesten Anlaß.<lb/>
gab vielmehr einige Leute hinter den Kulisse», die mit auswärtigen revolu-<lb/>
twnnren und staatsfeindlichen Elementen in Verbindung standen und von diesen<lb/>
d"zu benutzt wurden, auch in der Provinz eine gewisse Panik zu verbreiten, wäre<lb/>
^ auch nur gewesen, um bei den sicher bevorstehenden Wahlen den radikalen Ten¬<lb/>
denzen die Wege zu ebnen. Namentlich galt das von einem Gastwirt namens<lb/>
'"nennet, deu man deu &#x201E;Marut" vou Quedlinburg nannte. Er war ein kleiner,<lb/>
verwachsener Mann mit einem konfiszierten Gesicht, und sein Bild hätte leben<lb/>
Augenblick als das des von Charlotte Corday ermordeten demagogischen Revo¬<lb/>
lutionärs gelten können. Er wohnte unmittelbar neben dem Reidemeisterschen Hause,und ihm traute man zu, daß er die erlognen Gerüchte gegen Reidemeister unter<lb/>
den Pöbel gebracht habe, schon um die Volksansammlung dorthin zu lenken und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0723] Aus der Jugendzeit sie aber schwerlich gekommen. Eine solche Kühnheit hätten wir nicht gewagt. Auf dem Tanzstnndenball tanzte man mit ihr den Kotillon. Das war der einzige Lohn der treuen Tanzstnndenminne. Aber gleichviel, während der Tanzstundenzeit lebten wir in einer poetischen Atmosphäre. Sie tat übrigens unserm Fleiße in der Schule keinen Abbruch. Dieses Tanzstundenidyll neigte sich im März 1848 schon seinem Ende zu, als uns Plötzlich am 19. und 20. März die ersten Nachrichten von den Ereig¬ nisse» in Berlin erreichten. Ganz Quedlinburg war elektrisiert. Es wurde sofort ein politischer Bürgerverein gebildet. Dort wurden die unglaublichsten Reden ge¬ halten, es wurde abgestimmt und unter parlamentarischen Formen diskutiert, haupt¬ sächlich aber Bravo geschrien. Ferner wurde sofort die Bürgerwehr organisiert. Zu deren Bewaffnung erhielt der Magistrat auf sein Ansuchen von der Militär¬ behörde eine Anzahl ausrangierter Gewehre und Säbel, die dann an die Burger- wehrmiinner verteilt wurden. Viele traten aber auch mit eignem Gewehr und Säbel oder Degen an. So genau ucihm man es damit nicht. Immerhin wurde der Bürgerwehrdienst dahin organisiert, daß an jedem Abend eine Kompagnie auf Wache zog und Patrouillen durch die Straßen und in die nächsten Umgebungen der Stadt entsandte. Am Abend des 20. März, ehe die Bürgerwehr organisiert war, hatten sich auf den Straßen zahlreiche Menschen angesammelt und waren unter Johle» und Schreien vor das Haus eines ehemaligen Fleischermeisters. jetzt Landwirth Reidemeister, gezogen. Den Leuten hatte man erzählt, Reidemeister, der für sehr wohlhabend galt, habe während der teuern Zeit sein Getreide nicht ver¬ kaufen wollen, weil ihm die Preise noch immer nicht hoch genug gewesen seien. Er habe vielmehr geäußert, erst müßten die armen Leute Piepen wie die hungrigen Mäuse; früher verkaufe er sein Getreide nicht. Daß das in dieser Form von Reidemeister nicht gesagt worden war, konnte ein Kind durchschauen. Es half aber nichts. Im Reidemeisterschen Hanse wurden ein jenem Abend sämtliche Fenster ein¬ geworfen, Reidemeister und seine Frau mußten heinilich durch eine Hintertür flüchten, das Vorderhaus wurde vom Pöbel gestürmt, und nur mit äußerster Mühe konnte die Polizei die Demolierung des ganzen Hauses verhindern. Demnächst wurde noch einem von auswärts zugezognen, unbeliebten Rechtsanwalt eine Katzenmusik gebracht. Damit war die aktive Revolution in Quedlinburg wenigstens für diesesmal zu Ende. Erst im Mai, als in Berlin das Zeughaus gestürmt wurde, fanden auch in Quedlin¬ burg Zusammenrottungen statt, die einen bedrohlichen Charakter annahmen. Die Bürgerwehr erwies sich dabei als völlig machtlos. Eine Schwadron Kürassiere '"ußte vielmehr den Pöbel auseinander treiben, was ihr natürlich leicht gelang. Immerhin war bet dieser Gelegenheit aus einem Hause auf die Kürassiere ein Schuß gefallen. Ein Mensch war zum Glück nicht getroffen worden; wohl aber hatte ein armes Knrassierpferd den Rehpostenschuß in die Nase bekommen. Es gab damals in Quedlinburg, namentlich auf dem Münzenberge einige verwegne Kerle,die beim Stehlen und Wilddieben zur Not auch allenfalls ihr Leben auf das Spiel Atzten und für Geld wohl zu allem zu haben waren. Allein aus sich selbst heraus ^cvolutiou zu spielen, hatte diese verrufne Sippschaft nicht den mindesten Anlaß. gab vielmehr einige Leute hinter den Kulisse», die mit auswärtigen revolu- twnnren und staatsfeindlichen Elementen in Verbindung standen und von diesen d"zu benutzt wurden, auch in der Provinz eine gewisse Panik zu verbreiten, wäre ^ auch nur gewesen, um bei den sicher bevorstehenden Wahlen den radikalen Ten¬ denzen die Wege zu ebnen. Namentlich galt das von einem Gastwirt namens '"nennet, deu man deu „Marut" vou Quedlinburg nannte. Er war ein kleiner, verwachsener Mann mit einem konfiszierten Gesicht, und sein Bild hätte leben Augenblick als das des von Charlotte Corday ermordeten demagogischen Revo¬ lutionärs gelten können. Er wohnte unmittelbar neben dem Reidemeisterschen Hause,und ihm traute man zu, daß er die erlognen Gerüchte gegen Reidemeister unter den Pöbel gebracht habe, schon um die Volksansammlung dorthin zu lenken und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/723
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/723>, abgerufen am 24.08.2024.