in Beziehung zu der schon lebenden Brut: sie fliegt nach vollendetem Lege¬ geschäft nicht fort, sondern bleibt zurück, bewacht die Zellenanlage, öffnet die verschlossenen Zellen und ergänzt den von den ausgekrochnen Maden schon zum Teil verzehrten Nahrungsvorrat. In die weitere Entwicklung greift die vielen Insektenarten eigne Gabe der Parthenogenesis ein; bekanntlich kriechen aus den unbefruchteten Eiern männliche, ans den befruchteten weibliche Individuen aus. Das Hummelweibchen, das auch schon Wachs bereitet, begründet mit Hilfe dieser Gabe einen Familienstaat, wo Arbeitteilung eingeführt ist. Aus den nach der Begründung der Kolonie zuerst gelegten und darum befruchteten Eiern kriechen Weibchen aus, Weibchen aber, die nicht wegschwärmen, um jede als Mutter neue Brutstätten anzulegen, sondern die bei der Mutter bleiben und ihr bei der Brutpflege helfen. Diese Pflegerinnen sind kleiner als die Muttertiere. Außer den Pflegerinnen kriechen auch Weibchen aus, die sich be- gatten lassen, und später dann die zu ihrer Begattung nötigen Männchen, me Drohnen. Während ursprünglich zuerst der Nahrungsvorrat aufgespeichert und dann das El gelegt wurde, werden jetzt zuerst die Zellen gebaut, dann die Eier gelegt, und zwar sowohl von der ursprünglichen Mutter wie von den unbe¬ fruchteten Arbeiterinnen (die natürlich nur Drohneneier legen können), und erst den ausgekrochnen Maden wird Nahrung zugetragen. So ist der Bienenstaat fertig, aber ein Staat, der nur einen Sommer lang besteht. Die Stamm¬ mutter, die Arbeiterinnen und die Drohnen sterben, nur die befruchteten Weibchen überwintern, jede einzeln, und begründen, ebenfalls jede einzeln, im nächsten Frühjahr neue Kolonien. Bei der stachettosen Trvpenbiene überwintert mit dem befruchteten Weibchen zusammen auch eine Generation von Arbeiterinnen, also ein ganzer, freilich verstümmelter Familienstaat. Die Mutterbiene ist da¬ durch von Anfang an aller Arbeit überhoben und das geworden, was unsre Bienenkönigin ist: ausschließlich Eierlegerin. Sie wird, den Gefahren und Mühen des Arbeiterlebens entrückt, langlebiger, bringt es zuletzt auf die Lebens- dauer von fünf Jahren, und es tritt der weitere Fortschritt ein, daß sich die Bienenvölker durch das Ausschwärmen der alten Königinnen in jedem Sommer vervielfältigen. Die Königin übernimmt jetzt auch die Produktion der Drohnen¬ eier allein, die Arbeiterinnen aber sind nun nicht mehr bloß Weibchen, die auf das Fortpflanzungsgeschäft verzichten, sondern zu diesem anatomisch unfähig. Die Männchen endlich, die auf den Übergangsstufen noch mit gearbeitet haben, sind jetzt ganz und gar das, was man unter Drohnen versteht, wenn man das Wort auf menschliche Verhältnisse überträgt.
Wir können nicht dafür stehen, ob es uns gelungen ist, in diesem kurzen Auszuge die geschilderten Vorgänge vollkommen genau und fehlerlos wieder¬ zugeben. Noch weniger haben wir ein Urteil darüber, ob sich die Entwicklung tatsächlich auf dem von Bölsche beschriebnen Wege vollzogen hat, ob z. B. die Hummel und die stachellose Biene als Ahnen unsrer Hausbiene angesehen werden dürfen und müssen. Im zweiten Falle wäre es sonderbar, daß das Tier auf einer gewissen Stufe den Stachel verloren und auf der nächsten ihn wiederbekommen hätte. Bölsche will übrigens nicht behaupten, "daß die Einzel- formen. die uns heute noch das große Stufenbild spiegeln, alle echte Ableger
Ein versuch danvinischer Geschichtsphilosophiv
in Beziehung zu der schon lebenden Brut: sie fliegt nach vollendetem Lege¬ geschäft nicht fort, sondern bleibt zurück, bewacht die Zellenanlage, öffnet die verschlossenen Zellen und ergänzt den von den ausgekrochnen Maden schon zum Teil verzehrten Nahrungsvorrat. In die weitere Entwicklung greift die vielen Insektenarten eigne Gabe der Parthenogenesis ein; bekanntlich kriechen aus den unbefruchteten Eiern männliche, ans den befruchteten weibliche Individuen aus. Das Hummelweibchen, das auch schon Wachs bereitet, begründet mit Hilfe dieser Gabe einen Familienstaat, wo Arbeitteilung eingeführt ist. Aus den nach der Begründung der Kolonie zuerst gelegten und darum befruchteten Eiern kriechen Weibchen aus, Weibchen aber, die nicht wegschwärmen, um jede als Mutter neue Brutstätten anzulegen, sondern die bei der Mutter bleiben und ihr bei der Brutpflege helfen. Diese Pflegerinnen sind kleiner als die Muttertiere. Außer den Pflegerinnen kriechen auch Weibchen aus, die sich be- gatten lassen, und später dann die zu ihrer Begattung nötigen Männchen, me Drohnen. Während ursprünglich zuerst der Nahrungsvorrat aufgespeichert und dann das El gelegt wurde, werden jetzt zuerst die Zellen gebaut, dann die Eier gelegt, und zwar sowohl von der ursprünglichen Mutter wie von den unbe¬ fruchteten Arbeiterinnen (die natürlich nur Drohneneier legen können), und erst den ausgekrochnen Maden wird Nahrung zugetragen. So ist der Bienenstaat fertig, aber ein Staat, der nur einen Sommer lang besteht. Die Stamm¬ mutter, die Arbeiterinnen und die Drohnen sterben, nur die befruchteten Weibchen überwintern, jede einzeln, und begründen, ebenfalls jede einzeln, im nächsten Frühjahr neue Kolonien. Bei der stachettosen Trvpenbiene überwintert mit dem befruchteten Weibchen zusammen auch eine Generation von Arbeiterinnen, also ein ganzer, freilich verstümmelter Familienstaat. Die Mutterbiene ist da¬ durch von Anfang an aller Arbeit überhoben und das geworden, was unsre Bienenkönigin ist: ausschließlich Eierlegerin. Sie wird, den Gefahren und Mühen des Arbeiterlebens entrückt, langlebiger, bringt es zuletzt auf die Lebens- dauer von fünf Jahren, und es tritt der weitere Fortschritt ein, daß sich die Bienenvölker durch das Ausschwärmen der alten Königinnen in jedem Sommer vervielfältigen. Die Königin übernimmt jetzt auch die Produktion der Drohnen¬ eier allein, die Arbeiterinnen aber sind nun nicht mehr bloß Weibchen, die auf das Fortpflanzungsgeschäft verzichten, sondern zu diesem anatomisch unfähig. Die Männchen endlich, die auf den Übergangsstufen noch mit gearbeitet haben, sind jetzt ganz und gar das, was man unter Drohnen versteht, wenn man das Wort auf menschliche Verhältnisse überträgt.
Wir können nicht dafür stehen, ob es uns gelungen ist, in diesem kurzen Auszuge die geschilderten Vorgänge vollkommen genau und fehlerlos wieder¬ zugeben. Noch weniger haben wir ein Urteil darüber, ob sich die Entwicklung tatsächlich auf dem von Bölsche beschriebnen Wege vollzogen hat, ob z. B. die Hummel und die stachellose Biene als Ahnen unsrer Hausbiene angesehen werden dürfen und müssen. Im zweiten Falle wäre es sonderbar, daß das Tier auf einer gewissen Stufe den Stachel verloren und auf der nächsten ihn wiederbekommen hätte. Bölsche will übrigens nicht behaupten, „daß die Einzel- formen. die uns heute noch das große Stufenbild spiegeln, alle echte Ableger
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Ein versuch danvinischer Geschichtsphilosophiv
in Beziehung zu der schon lebenden Brut: sie fliegt nach vollendetem Lege¬
geschäft nicht fort, sondern bleibt zurück, bewacht die Zellenanlage, öffnet die
verschlossenen Zellen und ergänzt den von den ausgekrochnen Maden schon
zum Teil verzehrten Nahrungsvorrat. In die weitere Entwicklung greift die
vielen Insektenarten eigne Gabe der Parthenogenesis ein; bekanntlich kriechen aus
den unbefruchteten Eiern männliche, ans den befruchteten weibliche Individuen
aus. Das Hummelweibchen, das auch schon Wachs bereitet, begründet mit
Hilfe dieser Gabe einen Familienstaat, wo Arbeitteilung eingeführt ist. Aus
den nach der Begründung der Kolonie zuerst gelegten und darum befruchteten
Eiern kriechen Weibchen aus, Weibchen aber, die nicht wegschwärmen, um jede
als Mutter neue Brutstätten anzulegen, sondern die bei der Mutter bleiben
und ihr bei der Brutpflege helfen. Diese Pflegerinnen sind kleiner als die
Muttertiere. Außer den Pflegerinnen kriechen auch Weibchen aus, die sich be-
gatten lassen, und später dann die zu ihrer Begattung nötigen Männchen, me
Drohnen. Während ursprünglich zuerst der Nahrungsvorrat aufgespeichert und
dann das El gelegt wurde, werden jetzt zuerst die Zellen gebaut, dann die Eier
gelegt, und zwar sowohl von der ursprünglichen Mutter wie von den unbe¬
fruchteten Arbeiterinnen (die natürlich nur Drohneneier legen können), und erst
den ausgekrochnen Maden wird Nahrung zugetragen. So ist der Bienenstaat
fertig, aber ein Staat, der nur einen Sommer lang besteht. Die Stamm¬
mutter, die Arbeiterinnen und die Drohnen sterben, nur die befruchteten
Weibchen überwintern, jede einzeln, und begründen, ebenfalls jede einzeln, im
nächsten Frühjahr neue Kolonien. Bei der stachettosen Trvpenbiene überwintert
mit dem befruchteten Weibchen zusammen auch eine Generation von Arbeiterinnen,
also ein ganzer, freilich verstümmelter Familienstaat. Die Mutterbiene ist da¬
durch von Anfang an aller Arbeit überhoben und das geworden, was unsre
Bienenkönigin ist: ausschließlich Eierlegerin. Sie wird, den Gefahren und
Mühen des Arbeiterlebens entrückt, langlebiger, bringt es zuletzt auf die Lebens-
dauer von fünf Jahren, und es tritt der weitere Fortschritt ein, daß sich die
Bienenvölker durch das Ausschwärmen der alten Königinnen in jedem Sommer
vervielfältigen. Die Königin übernimmt jetzt auch die Produktion der Drohnen¬
eier allein, die Arbeiterinnen aber sind nun nicht mehr bloß Weibchen, die auf
das Fortpflanzungsgeschäft verzichten, sondern zu diesem anatomisch unfähig.
Die Männchen endlich, die auf den Übergangsstufen noch mit gearbeitet haben,
sind jetzt ganz und gar das, was man unter Drohnen versteht, wenn man das
Wort auf menschliche Verhältnisse überträgt.
Wir können nicht dafür stehen, ob es uns gelungen ist, in diesem kurzen
Auszuge die geschilderten Vorgänge vollkommen genau und fehlerlos wieder¬
zugeben. Noch weniger haben wir ein Urteil darüber, ob sich die Entwicklung
tatsächlich auf dem von Bölsche beschriebnen Wege vollzogen hat, ob z. B. die
Hummel und die stachellose Biene als Ahnen unsrer Hausbiene angesehen
werden dürfen und müssen. Im zweiten Falle wäre es sonderbar, daß das
Tier auf einer gewissen Stufe den Stachel verloren und auf der nächsten ihn
wiederbekommen hätte. Bölsche will übrigens nicht behaupten, „daß die Einzel-
formen. die uns heute noch das große Stufenbild spiegeln, alle echte Ableger
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/631>, abgerufen am 22.07.2024.
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