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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das Glück war nicht von langer Dauer. Am 24. März des folgenden
Jahres starb plötzlich die kleine Prinzessin, ein blühendes Kind, das nur sechs
Stunden krank gewesen war. Wieder ist es Goethe, der die Herzogin zu trösten
sucht. Er bittet sich von Herder das Manuskript zu dessen "Ideen der Ge¬
schichte der Menschheit" ans, um Louisen daraus vorzulesen. "Es wird sie er¬
heben, aufrichten und wenigstens Augenblicke über das Gefühl von Vergänglich¬
keit hinübersehen."

Die junge Mutter, der jede Spur von Optimismus versagt war, trug
solche Prüfungen mit Bitterkeit. Immer tiefer versank sie in Melancholie. Die
Stille des Schlosses Wilhelmstal bei Eisenach, wo sie den Sommer 1784 ver¬
brachte, tat ihr wohl und zog sie für immer in ihren Bann. Körperliche
Leiden, die Folgen einer neuen Täuschung ihrer Muttcrhoffnnngen, machten im
nächsten Sommer eine Kur in Pyrmont notwendig, aber die Besserung ihres
körperlichen Befindens bellte ihr Gemüt nicht auf, und sogar die Geburt einer
Tochter, Louise Karoline, am 18. Juli 1786 übte keine heilsame Wirkung auf
ihren Zustand.

In diese Zeit fällt ein Besuch Lavaters in Weimar. Louisens einst so
schwärmerische Verehrung für den Züricher Propheten hatte längst einer kühlen
Achtung Platz gemacht. Dennoch bemühte sie sich, ihm ihre freundschaftliche
Teilnahme für seine Person zu beweisen und mit feinem Takt den Anwalt
ihres Gemahls und Goethes zu machen, die sich damals mehr und mehr von
Lavater abwandten. Sie selbst hat ihn, wie es einmal ihre Art war, nie
ganz fallen lassen und die Beziehungen zu ihm bis zu seinem Tode weiter-
gep^ge Schluß folgt) -




Wanderungen in der Niederlausitz
Otto Lduard Schmidt von

u beiden Seiten der vielgewnndnen, arm- und werderreichen mittlern
Spree, südwärts bis zum Mittellauf der Schwarzen Elster, nordwärts
bis zu der großen Seenplatte von Köpenick erstreckt sich die Nieder-
lnusitz. Von allen den westlich von der Oder liegenden Landschaften,
die erst durch Kolonisation deutsch geworden sind, ist die Nieder¬
lausitz durch die Fülle fließender und stehender Gewässer und zu¬
sammenhängender Wälder die unzugänglichste gewesen; so erklärt es sich, daß sich
hier die deutsche Kultur am spätesten und am langsamsten entwickelt hat; hier ist
das Slawentum länger als irgendwo lebendig geblieben, hier hat es zwischen Seen
und Sümpfen die letzten Inseln einer gewissen Selbständigkeit behauptet, hier hält
es sich, wenn auch nur als eine sorgfältig gehütete ethnographische Rarität, an
einigen Punkten noch heute. Es häugt damit zusammen, daß sich städtisches Wesen
erst spät und nur dürftig in der umfangreichen Landschaft entwickelt hat: Adel und
Kirche waren im Mittelalter hier die maßgebenden Gewalten, maßgebender sogar
als die Landesherrschaft, die, da die Niederlausitz zwischen Meißen-Sachsen, Böhmen-
Österreich und Brandenburg einig hiu und her geschoben wurde, oftmals wechselte


Das Glück war nicht von langer Dauer. Am 24. März des folgenden
Jahres starb plötzlich die kleine Prinzessin, ein blühendes Kind, das nur sechs
Stunden krank gewesen war. Wieder ist es Goethe, der die Herzogin zu trösten
sucht. Er bittet sich von Herder das Manuskript zu dessen „Ideen der Ge¬
schichte der Menschheit" ans, um Louisen daraus vorzulesen. „Es wird sie er¬
heben, aufrichten und wenigstens Augenblicke über das Gefühl von Vergänglich¬
keit hinübersehen."

Die junge Mutter, der jede Spur von Optimismus versagt war, trug
solche Prüfungen mit Bitterkeit. Immer tiefer versank sie in Melancholie. Die
Stille des Schlosses Wilhelmstal bei Eisenach, wo sie den Sommer 1784 ver¬
brachte, tat ihr wohl und zog sie für immer in ihren Bann. Körperliche
Leiden, die Folgen einer neuen Täuschung ihrer Muttcrhoffnnngen, machten im
nächsten Sommer eine Kur in Pyrmont notwendig, aber die Besserung ihres
körperlichen Befindens bellte ihr Gemüt nicht auf, und sogar die Geburt einer
Tochter, Louise Karoline, am 18. Juli 1786 übte keine heilsame Wirkung auf
ihren Zustand.

In diese Zeit fällt ein Besuch Lavaters in Weimar. Louisens einst so
schwärmerische Verehrung für den Züricher Propheten hatte längst einer kühlen
Achtung Platz gemacht. Dennoch bemühte sie sich, ihm ihre freundschaftliche
Teilnahme für seine Person zu beweisen und mit feinem Takt den Anwalt
ihres Gemahls und Goethes zu machen, die sich damals mehr und mehr von
Lavater abwandten. Sie selbst hat ihn, wie es einmal ihre Art war, nie
ganz fallen lassen und die Beziehungen zu ihm bis zu seinem Tode weiter-
gep^ge Schluß folgt) -




Wanderungen in der Niederlausitz
Otto Lduard Schmidt von

u beiden Seiten der vielgewnndnen, arm- und werderreichen mittlern
Spree, südwärts bis zum Mittellauf der Schwarzen Elster, nordwärts
bis zu der großen Seenplatte von Köpenick erstreckt sich die Nieder-
lnusitz. Von allen den westlich von der Oder liegenden Landschaften,
die erst durch Kolonisation deutsch geworden sind, ist die Nieder¬
lausitz durch die Fülle fließender und stehender Gewässer und zu¬
sammenhängender Wälder die unzugänglichste gewesen; so erklärt es sich, daß sich
hier die deutsche Kultur am spätesten und am langsamsten entwickelt hat; hier ist
das Slawentum länger als irgendwo lebendig geblieben, hier hat es zwischen Seen
und Sümpfen die letzten Inseln einer gewissen Selbständigkeit behauptet, hier hält
es sich, wenn auch nur als eine sorgfältig gehütete ethnographische Rarität, an
einigen Punkten noch heute. Es häugt damit zusammen, daß sich städtisches Wesen
erst spät und nur dürftig in der umfangreichen Landschaft entwickelt hat: Adel und
Kirche waren im Mittelalter hier die maßgebenden Gewalten, maßgebender sogar
als die Landesherrschaft, die, da die Niederlausitz zwischen Meißen-Sachsen, Böhmen-
Österreich und Brandenburg einig hiu und her geschoben wurde, oftmals wechselte


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[0446] Das Glück war nicht von langer Dauer. Am 24. März des folgenden Jahres starb plötzlich die kleine Prinzessin, ein blühendes Kind, das nur sechs Stunden krank gewesen war. Wieder ist es Goethe, der die Herzogin zu trösten sucht. Er bittet sich von Herder das Manuskript zu dessen „Ideen der Ge¬ schichte der Menschheit" ans, um Louisen daraus vorzulesen. „Es wird sie er¬ heben, aufrichten und wenigstens Augenblicke über das Gefühl von Vergänglich¬ keit hinübersehen." Die junge Mutter, der jede Spur von Optimismus versagt war, trug solche Prüfungen mit Bitterkeit. Immer tiefer versank sie in Melancholie. Die Stille des Schlosses Wilhelmstal bei Eisenach, wo sie den Sommer 1784 ver¬ brachte, tat ihr wohl und zog sie für immer in ihren Bann. Körperliche Leiden, die Folgen einer neuen Täuschung ihrer Muttcrhoffnnngen, machten im nächsten Sommer eine Kur in Pyrmont notwendig, aber die Besserung ihres körperlichen Befindens bellte ihr Gemüt nicht auf, und sogar die Geburt einer Tochter, Louise Karoline, am 18. Juli 1786 übte keine heilsame Wirkung auf ihren Zustand. In diese Zeit fällt ein Besuch Lavaters in Weimar. Louisens einst so schwärmerische Verehrung für den Züricher Propheten hatte längst einer kühlen Achtung Platz gemacht. Dennoch bemühte sie sich, ihm ihre freundschaftliche Teilnahme für seine Person zu beweisen und mit feinem Takt den Anwalt ihres Gemahls und Goethes zu machen, die sich damals mehr und mehr von Lavater abwandten. Sie selbst hat ihn, wie es einmal ihre Art war, nie ganz fallen lassen und die Beziehungen zu ihm bis zu seinem Tode weiter- gep^ge Schluß folgt) - Wanderungen in der Niederlausitz Otto Lduard Schmidt von u beiden Seiten der vielgewnndnen, arm- und werderreichen mittlern Spree, südwärts bis zum Mittellauf der Schwarzen Elster, nordwärts bis zu der großen Seenplatte von Köpenick erstreckt sich die Nieder- lnusitz. Von allen den westlich von der Oder liegenden Landschaften, die erst durch Kolonisation deutsch geworden sind, ist die Nieder¬ lausitz durch die Fülle fließender und stehender Gewässer und zu¬ sammenhängender Wälder die unzugänglichste gewesen; so erklärt es sich, daß sich hier die deutsche Kultur am spätesten und am langsamsten entwickelt hat; hier ist das Slawentum länger als irgendwo lebendig geblieben, hier hat es zwischen Seen und Sümpfen die letzten Inseln einer gewissen Selbständigkeit behauptet, hier hält es sich, wenn auch nur als eine sorgfältig gehütete ethnographische Rarität, an einigen Punkten noch heute. Es häugt damit zusammen, daß sich städtisches Wesen erst spät und nur dürftig in der umfangreichen Landschaft entwickelt hat: Adel und Kirche waren im Mittelalter hier die maßgebenden Gewalten, maßgebender sogar als die Landesherrschaft, die, da die Niederlausitz zwischen Meißen-Sachsen, Böhmen- Österreich und Brandenburg einig hiu und her geschoben wurde, oftmals wechselte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/446>, abgerufen am 22.07.2024.