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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Überredungskunst bedurft, die Zustimmung des Herrn Deleasse zu erhalten. Dieser
wird zweifellos seine Vorbehalte für gewisse französische Interessen gemacht haben,
aber er hatte keinen Grund, sich im jetzigen Stadium dieser Frage von dem
russischen Verbündeten zu trennen. Doch die Türken sehen klar genug, wohin die
Reise geht, und es ist durchaus verständlich, wenn sie sich den russisch-österreichischen
Vorschlägen nicht widerspruchlos fügen und nach dem Grundsatz handeln: Kommt
Zeit, kommt Rat. In der Balkansache hat Graf Lamsdorff in Paris deu Erfolg
erreicht, daß sich Frankreich einstweilen nicht von dem ami et trennt. Da
der russische Staatsmann ans dem Wege uach Wiesbaden zum deutschen Kaiser war,
wäre es von Herrn Deleasse auch sehr gewagt gewesen, in diesem Augenblick seine
Zustimmung zu versagen. Wiesbaden war ein starker Trumpf in deu russischen
Karten, Graf Lamsdorff hat ihn zur rechten Zeit ausgespielt und seinen Stich
damit gemacht.

Dasselbe gilt von Ostasien und dem dortigen russisch-japanischen Gegensatz.
"Auf dem Wege nach Wiesbaden" hat Graf Lamsdorff dem Freund an der Seine
auf den Zahn gefühlt, ob dessen neues Einvernehmen mit England ein Engagement
in Ostnsien im Sinne des englisch-japanischen Vertrags bedeute, oder ob Rußlands
kecker Schachzug, mit dem es den Abschluß dieses Vertrags durch die Ankündigung
erwiderte, daß das rllssisch-französische Bündnis auch für Ostasien gelte, von Frank¬
reich noch als giltig angesehen werde. "Auf dem Wege nach Wiesbaden" --- da
konnte Herr Deleasse freilich nicht nein sagen, ohne an den Grundlagen des Zwei¬
bundes zu rütteln, der für die heutige französische Regierung weit mehr ein
Dekorationsstück ihrer innern Politik, dem eignen Lande gegenüber, als
der praktischen auswärtigen Politik ist. Eine französische Regierung, die dem
Lande die Illusion des russischen Bündnisses zerstörte, wäre keine vierundzwanzig
Stunden länger haltbar. Auch kam Graf Lamsdorff nicht mit leeren Händen: er
hatte -- trotz des Mittelineermächtegespenstes -- die Zustimmung Rußlands zu deu
marokkanischen Wünschen Frankreichs zu überbringen. Rußlands Rechnung geht
wohl dahin, daß die Ausdehnung Frankreichs im Mittelmeer das beste Mittel ist,
ein wirkliches Einvernehmen mit England zu verhindern. Die russische Politik
schlägt da zwei Fliegen mit einer Klappe: Frankreich wird sich nie ganz von Ru߬
land trennen können, und England wird in der Behandlung Rußlands um so vor¬
sichtiger sein müssen, je stärker Frankreich im Mittelmeer ist. Aber anch wenn der
Apfel für Herrn Deleasse noch viel saurer gewesen wäre, er hätte hineinbeißen
müssen am Vorabend der von Rußland mit einer starken politischen Färbung ver¬
sehenen Begegnung vou Wiesbaden; denn durch alle Liebenswürdigkeiten des Zaren
und seines Staatsmannes klang doch ein vernehmliches: Ich kann auch anders!
Herr Deleasse ist klug genug gewesen, einzusehen, daß "Wiesbaden" von russischer
Seite geschickt arrangiert war, sowohl Frankreich die russische Zügelfaust fühlen zu
lassen, als auch zugleich Deutschland bei guter Laune zu erhalten. Mit diesen zwei
Eisen im Feuer konnte Graf Lamsdorff die Fahrt nach Wiesbaden getrost antreten.

Was Deutschland anbelangt, so sind wir weder an den Balkanfragen noch an
den russisch-japanischen Gegensätzen direkt interessiert und haben namentlich keinen
Grund, Rußland dort Schwierigkeiten zu machen. Die Zustimmung Deutschlands
zu allen Balkanabmachungen, über die sich Nußland und Österreich verständigen,
ist altes Bismarckisches Prinzip. In Ostasien ist die Situation für uns neu, aber
unsre Beziehungen zu Japan sind so, daß wir einer russischen Politik, die nicht auf
einen Konflikt ausgeht, in Tokio mit Aussicht ans Erfolg unsre guten Dienste leihen
können, im Konfliktsfalle aber neutral bleiben, solange unsre unmittelbaren Interessen
nicht berührt werden. Auf alle Fälle wird die Schale, in die Dentschland sein
Votum legt, stark sinken. Deutschlands sicher zu sein, ist für die russische Politik
somit von großem Wert. Das weiß mau auch in Paris und fügt sich, wiewohl
die auswärtige Politik Frankreichs ausschließlich von dem einen Gedanken beherrscht
wird, eine politische Kombination zu schaffen, die einem Kriege gegen Deutschland


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Überredungskunst bedurft, die Zustimmung des Herrn Deleasse zu erhalten. Dieser
wird zweifellos seine Vorbehalte für gewisse französische Interessen gemacht haben,
aber er hatte keinen Grund, sich im jetzigen Stadium dieser Frage von dem
russischen Verbündeten zu trennen. Doch die Türken sehen klar genug, wohin die
Reise geht, und es ist durchaus verständlich, wenn sie sich den russisch-österreichischen
Vorschlägen nicht widerspruchlos fügen und nach dem Grundsatz handeln: Kommt
Zeit, kommt Rat. In der Balkansache hat Graf Lamsdorff in Paris deu Erfolg
erreicht, daß sich Frankreich einstweilen nicht von dem ami et trennt. Da
der russische Staatsmann ans dem Wege uach Wiesbaden zum deutschen Kaiser war,
wäre es von Herrn Deleasse auch sehr gewagt gewesen, in diesem Augenblick seine
Zustimmung zu versagen. Wiesbaden war ein starker Trumpf in deu russischen
Karten, Graf Lamsdorff hat ihn zur rechten Zeit ausgespielt und seinen Stich
damit gemacht.

Dasselbe gilt von Ostasien und dem dortigen russisch-japanischen Gegensatz.
„Auf dem Wege nach Wiesbaden" hat Graf Lamsdorff dem Freund an der Seine
auf den Zahn gefühlt, ob dessen neues Einvernehmen mit England ein Engagement
in Ostnsien im Sinne des englisch-japanischen Vertrags bedeute, oder ob Rußlands
kecker Schachzug, mit dem es den Abschluß dieses Vertrags durch die Ankündigung
erwiderte, daß das rllssisch-französische Bündnis auch für Ostasien gelte, von Frank¬
reich noch als giltig angesehen werde. „Auf dem Wege nach Wiesbaden" —- da
konnte Herr Deleasse freilich nicht nein sagen, ohne an den Grundlagen des Zwei¬
bundes zu rütteln, der für die heutige französische Regierung weit mehr ein
Dekorationsstück ihrer innern Politik, dem eignen Lande gegenüber, als
der praktischen auswärtigen Politik ist. Eine französische Regierung, die dem
Lande die Illusion des russischen Bündnisses zerstörte, wäre keine vierundzwanzig
Stunden länger haltbar. Auch kam Graf Lamsdorff nicht mit leeren Händen: er
hatte — trotz des Mittelineermächtegespenstes — die Zustimmung Rußlands zu deu
marokkanischen Wünschen Frankreichs zu überbringen. Rußlands Rechnung geht
wohl dahin, daß die Ausdehnung Frankreichs im Mittelmeer das beste Mittel ist,
ein wirkliches Einvernehmen mit England zu verhindern. Die russische Politik
schlägt da zwei Fliegen mit einer Klappe: Frankreich wird sich nie ganz von Ru߬
land trennen können, und England wird in der Behandlung Rußlands um so vor¬
sichtiger sein müssen, je stärker Frankreich im Mittelmeer ist. Aber anch wenn der
Apfel für Herrn Deleasse noch viel saurer gewesen wäre, er hätte hineinbeißen
müssen am Vorabend der von Rußland mit einer starken politischen Färbung ver¬
sehenen Begegnung vou Wiesbaden; denn durch alle Liebenswürdigkeiten des Zaren
und seines Staatsmannes klang doch ein vernehmliches: Ich kann auch anders!
Herr Deleasse ist klug genug gewesen, einzusehen, daß „Wiesbaden" von russischer
Seite geschickt arrangiert war, sowohl Frankreich die russische Zügelfaust fühlen zu
lassen, als auch zugleich Deutschland bei guter Laune zu erhalten. Mit diesen zwei
Eisen im Feuer konnte Graf Lamsdorff die Fahrt nach Wiesbaden getrost antreten.

Was Deutschland anbelangt, so sind wir weder an den Balkanfragen noch an
den russisch-japanischen Gegensätzen direkt interessiert und haben namentlich keinen
Grund, Rußland dort Schwierigkeiten zu machen. Die Zustimmung Deutschlands
zu allen Balkanabmachungen, über die sich Nußland und Österreich verständigen,
ist altes Bismarckisches Prinzip. In Ostasien ist die Situation für uns neu, aber
unsre Beziehungen zu Japan sind so, daß wir einer russischen Politik, die nicht auf
einen Konflikt ausgeht, in Tokio mit Aussicht ans Erfolg unsre guten Dienste leihen
können, im Konfliktsfalle aber neutral bleiben, solange unsre unmittelbaren Interessen
nicht berührt werden. Auf alle Fälle wird die Schale, in die Dentschland sein
Votum legt, stark sinken. Deutschlands sicher zu sein, ist für die russische Politik
somit von großem Wert. Das weiß mau auch in Paris und fügt sich, wiewohl
die auswärtige Politik Frankreichs ausschließlich von dem einen Gedanken beherrscht
wird, eine politische Kombination zu schaffen, die einem Kriege gegen Deutschland


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[0404] Maßgebliches und Unmaßgebliches Überredungskunst bedurft, die Zustimmung des Herrn Deleasse zu erhalten. Dieser wird zweifellos seine Vorbehalte für gewisse französische Interessen gemacht haben, aber er hatte keinen Grund, sich im jetzigen Stadium dieser Frage von dem russischen Verbündeten zu trennen. Doch die Türken sehen klar genug, wohin die Reise geht, und es ist durchaus verständlich, wenn sie sich den russisch-österreichischen Vorschlägen nicht widerspruchlos fügen und nach dem Grundsatz handeln: Kommt Zeit, kommt Rat. In der Balkansache hat Graf Lamsdorff in Paris deu Erfolg erreicht, daß sich Frankreich einstweilen nicht von dem ami et trennt. Da der russische Staatsmann ans dem Wege uach Wiesbaden zum deutschen Kaiser war, wäre es von Herrn Deleasse auch sehr gewagt gewesen, in diesem Augenblick seine Zustimmung zu versagen. Wiesbaden war ein starker Trumpf in deu russischen Karten, Graf Lamsdorff hat ihn zur rechten Zeit ausgespielt und seinen Stich damit gemacht. Dasselbe gilt von Ostasien und dem dortigen russisch-japanischen Gegensatz. „Auf dem Wege nach Wiesbaden" hat Graf Lamsdorff dem Freund an der Seine auf den Zahn gefühlt, ob dessen neues Einvernehmen mit England ein Engagement in Ostnsien im Sinne des englisch-japanischen Vertrags bedeute, oder ob Rußlands kecker Schachzug, mit dem es den Abschluß dieses Vertrags durch die Ankündigung erwiderte, daß das rllssisch-französische Bündnis auch für Ostasien gelte, von Frank¬ reich noch als giltig angesehen werde. „Auf dem Wege nach Wiesbaden" —- da konnte Herr Deleasse freilich nicht nein sagen, ohne an den Grundlagen des Zwei¬ bundes zu rütteln, der für die heutige französische Regierung weit mehr ein Dekorationsstück ihrer innern Politik, dem eignen Lande gegenüber, als der praktischen auswärtigen Politik ist. Eine französische Regierung, die dem Lande die Illusion des russischen Bündnisses zerstörte, wäre keine vierundzwanzig Stunden länger haltbar. Auch kam Graf Lamsdorff nicht mit leeren Händen: er hatte — trotz des Mittelineermächtegespenstes — die Zustimmung Rußlands zu deu marokkanischen Wünschen Frankreichs zu überbringen. Rußlands Rechnung geht wohl dahin, daß die Ausdehnung Frankreichs im Mittelmeer das beste Mittel ist, ein wirkliches Einvernehmen mit England zu verhindern. Die russische Politik schlägt da zwei Fliegen mit einer Klappe: Frankreich wird sich nie ganz von Ru߬ land trennen können, und England wird in der Behandlung Rußlands um so vor¬ sichtiger sein müssen, je stärker Frankreich im Mittelmeer ist. Aber anch wenn der Apfel für Herrn Deleasse noch viel saurer gewesen wäre, er hätte hineinbeißen müssen am Vorabend der von Rußland mit einer starken politischen Färbung ver¬ sehenen Begegnung vou Wiesbaden; denn durch alle Liebenswürdigkeiten des Zaren und seines Staatsmannes klang doch ein vernehmliches: Ich kann auch anders! Herr Deleasse ist klug genug gewesen, einzusehen, daß „Wiesbaden" von russischer Seite geschickt arrangiert war, sowohl Frankreich die russische Zügelfaust fühlen zu lassen, als auch zugleich Deutschland bei guter Laune zu erhalten. Mit diesen zwei Eisen im Feuer konnte Graf Lamsdorff die Fahrt nach Wiesbaden getrost antreten. Was Deutschland anbelangt, so sind wir weder an den Balkanfragen noch an den russisch-japanischen Gegensätzen direkt interessiert und haben namentlich keinen Grund, Rußland dort Schwierigkeiten zu machen. Die Zustimmung Deutschlands zu allen Balkanabmachungen, über die sich Nußland und Österreich verständigen, ist altes Bismarckisches Prinzip. In Ostasien ist die Situation für uns neu, aber unsre Beziehungen zu Japan sind so, daß wir einer russischen Politik, die nicht auf einen Konflikt ausgeht, in Tokio mit Aussicht ans Erfolg unsre guten Dienste leihen können, im Konfliktsfalle aber neutral bleiben, solange unsre unmittelbaren Interessen nicht berührt werden. Auf alle Fälle wird die Schale, in die Dentschland sein Votum legt, stark sinken. Deutschlands sicher zu sein, ist für die russische Politik somit von großem Wert. Das weiß mau auch in Paris und fügt sich, wiewohl die auswärtige Politik Frankreichs ausschließlich von dem einen Gedanken beherrscht wird, eine politische Kombination zu schaffen, die einem Kriege gegen Deutschland

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/404>, abgerufen am 01.07.2024.