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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus einer französischen Zeitschrift
^ Politik

hrerzeit sind uns eine Anzahl Hefte, darunter die vollständigen
Jahrgänge 1L99 und 1900, der Zeitschrift I^'IIumanitö ^onvello,
rovno internationale, svienves, lettros et art" zugegangen. Wir
kommen erst jetzt dazu, sie durchzublättern, und finden, das; es
noch nicht zu spät ist, davon Notiz zu nehmen. In einer Zeit,
wo man einen Briefwechsel zwischen dentschen und französischen Gymnasiasten
in Gang gebracht und einen internationalen Kinderanstausch organisiert hat,
sollte den Gebildeten, die nicht in Großstädten wohnen und darum selten aus-
ländische Zeitschriften zu Gesicht bekommen, in ihren eignen Wochen- und Monats¬
schriften einiger Ersatz dafür geboten werden. Denn die Zeitschriften geben ein
richtigeres Bild von den Ansichten und Stimmungen einer Nation als die Zei¬
tungen, Die Pariser 5i!orrespondenten unsrer großen Blätter berichten doch ebenso
wie die von unsern Redaktionen benutzten französischen Zeitungen im politischen
Teil mir über die Kammerverhandlungen und über die Intrigue!? der Drahtzieher,
im Feuilleton über Theaterneuheiten, hauptstädtische Skandale und allenfalls
hie nud da über einen neuen Roman. Das alles zusammengenommen ist aber
noch lange nicht das französische Leben. Gerade die oben genannte Zeitschrift
nnn bedeutet eine dringende Aufforderung, uns in der französischen Journalistik
besser umzusehen, indem sie uns, die Nur deu Franzosen immer Unkenntnis des
Auslands vorwerfen, einigermaßen beschämt. Während auch die große und ein¬
flußreiche Rovvo clef cieux U,oncio8 in jeder ihrer rovnv" ütrkMAöros gewöhnlich
nur ein ausländisches Werk bespricht, und unsre deutschen Zeitschriften, soweit
sie überhaupt Ausländisches beachten, nicht viel anders verfahren, bringt die
Uunmnni'' Nonvollv in jedem Heft nicht allein Aufsätze von ausländischen Mit¬
arbeitern, sondern auch eine große Auzcchl von Besprechungen ausländischer
Werke, und zwar nicht bloß deutscher, englischer, italienischer, spanischer, belgischer,
holländischer, skandinavischer, sondern auch solcher von Staaten, Nationen und
Natiönchen, die zu Halbasien gehören. Außer den Russen werden besonders
die Tschechen und die Ungarn reichlich bedacht, was ja mitunter für die Leser
der Iluinnnitc; eine Information von recht zweifelhaftem Werte bedeutet, so
wenn sie über die innere Politik Österreichs von Herrn Kramarsch belehrt
werden. Über deutsche Angelegenheiten berichten einige Sozialisten und Herr
von Gerlach, der einmal beschreibt, wie in Preußen die Wahlen gemacht werden.
Am häufigsten begegnet man dem Namen des berühmten Geographen Elisee
Reclus. Auch die dentschen Zeitschriften werden fleißig gemustert; Artikel, die
der Redaktion aufgefallen sind, werden entweder kurz skizziert und beurteilt oder
uur durch Anführung der Überschrift der Beachtung der Leser empfohlen, so




Aus einer französischen Zeitschrift
^ Politik

hrerzeit sind uns eine Anzahl Hefte, darunter die vollständigen
Jahrgänge 1L99 und 1900, der Zeitschrift I^'IIumanitö ^onvello,
rovno internationale, svienves, lettros et art« zugegangen. Wir
kommen erst jetzt dazu, sie durchzublättern, und finden, das; es
noch nicht zu spät ist, davon Notiz zu nehmen. In einer Zeit,
wo man einen Briefwechsel zwischen dentschen und französischen Gymnasiasten
in Gang gebracht und einen internationalen Kinderanstausch organisiert hat,
sollte den Gebildeten, die nicht in Großstädten wohnen und darum selten aus-
ländische Zeitschriften zu Gesicht bekommen, in ihren eignen Wochen- und Monats¬
schriften einiger Ersatz dafür geboten werden. Denn die Zeitschriften geben ein
richtigeres Bild von den Ansichten und Stimmungen einer Nation als die Zei¬
tungen, Die Pariser 5i!orrespondenten unsrer großen Blätter berichten doch ebenso
wie die von unsern Redaktionen benutzten französischen Zeitungen im politischen
Teil mir über die Kammerverhandlungen und über die Intrigue!? der Drahtzieher,
im Feuilleton über Theaterneuheiten, hauptstädtische Skandale und allenfalls
hie nud da über einen neuen Roman. Das alles zusammengenommen ist aber
noch lange nicht das französische Leben. Gerade die oben genannte Zeitschrift
nnn bedeutet eine dringende Aufforderung, uns in der französischen Journalistik
besser umzusehen, indem sie uns, die Nur deu Franzosen immer Unkenntnis des
Auslands vorwerfen, einigermaßen beschämt. Während auch die große und ein¬
flußreiche Rovvo clef cieux U,oncio8 in jeder ihrer rovnv» ütrkMAöros gewöhnlich
nur ein ausländisches Werk bespricht, und unsre deutschen Zeitschriften, soweit
sie überhaupt Ausländisches beachten, nicht viel anders verfahren, bringt die
Uunmnni'' Nonvollv in jedem Heft nicht allein Aufsätze von ausländischen Mit¬
arbeitern, sondern auch eine große Auzcchl von Besprechungen ausländischer
Werke, und zwar nicht bloß deutscher, englischer, italienischer, spanischer, belgischer,
holländischer, skandinavischer, sondern auch solcher von Staaten, Nationen und
Natiönchen, die zu Halbasien gehören. Außer den Russen werden besonders
die Tschechen und die Ungarn reichlich bedacht, was ja mitunter für die Leser
der Iluinnnitc; eine Information von recht zweifelhaftem Werte bedeutet, so
wenn sie über die innere Politik Österreichs von Herrn Kramarsch belehrt
werden. Über deutsche Angelegenheiten berichten einige Sozialisten und Herr
von Gerlach, der einmal beschreibt, wie in Preußen die Wahlen gemacht werden.
Am häufigsten begegnet man dem Namen des berühmten Geographen Elisee
Reclus. Auch die dentschen Zeitschriften werden fleißig gemustert; Artikel, die
der Redaktion aufgefallen sind, werden entweder kurz skizziert und beurteilt oder
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[0033] [Abbildung] Aus einer französischen Zeitschrift ^ Politik hrerzeit sind uns eine Anzahl Hefte, darunter die vollständigen Jahrgänge 1L99 und 1900, der Zeitschrift I^'IIumanitö ^onvello, rovno internationale, svienves, lettros et art« zugegangen. Wir kommen erst jetzt dazu, sie durchzublättern, und finden, das; es noch nicht zu spät ist, davon Notiz zu nehmen. In einer Zeit, wo man einen Briefwechsel zwischen dentschen und französischen Gymnasiasten in Gang gebracht und einen internationalen Kinderanstausch organisiert hat, sollte den Gebildeten, die nicht in Großstädten wohnen und darum selten aus- ländische Zeitschriften zu Gesicht bekommen, in ihren eignen Wochen- und Monats¬ schriften einiger Ersatz dafür geboten werden. Denn die Zeitschriften geben ein richtigeres Bild von den Ansichten und Stimmungen einer Nation als die Zei¬ tungen, Die Pariser 5i!orrespondenten unsrer großen Blätter berichten doch ebenso wie die von unsern Redaktionen benutzten französischen Zeitungen im politischen Teil mir über die Kammerverhandlungen und über die Intrigue!? der Drahtzieher, im Feuilleton über Theaterneuheiten, hauptstädtische Skandale und allenfalls hie nud da über einen neuen Roman. Das alles zusammengenommen ist aber noch lange nicht das französische Leben. Gerade die oben genannte Zeitschrift nnn bedeutet eine dringende Aufforderung, uns in der französischen Journalistik besser umzusehen, indem sie uns, die Nur deu Franzosen immer Unkenntnis des Auslands vorwerfen, einigermaßen beschämt. Während auch die große und ein¬ flußreiche Rovvo clef cieux U,oncio8 in jeder ihrer rovnv» ütrkMAöros gewöhnlich nur ein ausländisches Werk bespricht, und unsre deutschen Zeitschriften, soweit sie überhaupt Ausländisches beachten, nicht viel anders verfahren, bringt die Uunmnni'' Nonvollv in jedem Heft nicht allein Aufsätze von ausländischen Mit¬ arbeitern, sondern auch eine große Auzcchl von Besprechungen ausländischer Werke, und zwar nicht bloß deutscher, englischer, italienischer, spanischer, belgischer, holländischer, skandinavischer, sondern auch solcher von Staaten, Nationen und Natiönchen, die zu Halbasien gehören. Außer den Russen werden besonders die Tschechen und die Ungarn reichlich bedacht, was ja mitunter für die Leser der Iluinnnitc; eine Information von recht zweifelhaftem Werte bedeutet, so wenn sie über die innere Politik Österreichs von Herrn Kramarsch belehrt werden. Über deutsche Angelegenheiten berichten einige Sozialisten und Herr von Gerlach, der einmal beschreibt, wie in Preußen die Wahlen gemacht werden. Am häufigsten begegnet man dem Namen des berühmten Geographen Elisee Reclus. Auch die dentschen Zeitschriften werden fleißig gemustert; Artikel, die der Redaktion aufgefallen sind, werden entweder kurz skizziert und beurteilt oder uur durch Anführung der Überschrift der Beachtung der Leser empfohlen, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/33>, abgerufen am 22.07.2024.