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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das Nackte in der Umist

schlvssensten Geldbeutel zu großen Opfern bereitwillig machen; der vereinzelte
Wehruf über die angedeutete moralische Verseuchung der Strafanstalten scheint
keins der eingeschlafnen Gewissen erwecken zu tonnen.

Auch in der strengsten Jsolierhaft ist es den Gefangnen noch möglich, bei
irgendwelchen Gelegenheiten, z, B. beim Spaziergang, beim Kirchgang, beim
Unterricht, beim Baden usw., mit ihren Nachbarn hin und wieder ein paar
Worte zu tauschen; daran können weder die strengsten Vorschriften noch
Masken, Stalls usw., die vollständig unnütze Spielereien und Quälereien sind,
etwas ändern. Dagegen ist es in der Jsolierhaft dem, der von den andern
nichts wissen will, wohl möglich, sich vollständig von ihnen abzuschließen, ohne
sich Rachegelüsten auszusetzen, und diese Möglichkeit sollte unter allen Um¬
ständen jedem Gefangnen geboten sein. Übrigens sind die wenigen Mit¬
teilungen, die die Gefangnen in der Jsolierhaft durch Plaudern, Klopfen,
Zettel usw. miteinander austauschen können, zu geringfügiger Natur, als daß sie
auf ihre innere Entwicklung von nennenswertem Einfluß sein oder den Charakter
der Jsolierhaft beeinträchtigen könnten, auf den wir noch mit einigen Worten
eingehn müssen ^aH .




Das Nackte in der Kunst
Betrachtungen eines Laien

er heutzutage Wert und Wirkung des Nackten in der Kunst einer
öffentlichen Besprechung unterzieht, darf sich nicht verhehlen, daß
er eine Frage behandelt, die den Kunstverständige" von Beruf
schon längst nicht mehr als Frage gilt. Dennoch gehört sie zu
I den Gegenständen, die den menschlichen Geist immer von neuem
beschäftigen werden. Wem es darum gelingt, den unmittelbaren Eindruck der
künstlerischen Darstellung des Nackten aufzufangen und festzuhalten, dem ist
auch der Versuch erlaubt, sich und andern von diesem Eindruck Rechenschaft
zu geben- Hält er sich nur getreu an seine wirklichen Empfindungen, so
braucht er den lauten Widerspruch vorgefaßter Meinungen nicht zu scheuen.
Gegen gelehrte und gegen ungelehrte Besserwisser getröstet er sich des Zuspruchs
unsers Goethe, dem sie auch nicht hold waren:

Bevor wir das Nackte in der Kunst anf seine Wirkungen untersuchen,
werden wir uns darüber verständigen müssen, welche Vorstellungen wir mit
dem Begriff des Nackten verbinden! Das Wort nackt bezeichnet einen mensch¬
lichen Zustand. Nackte Tiere oder nackte Dinge gibt es nicht, weil es keine
bekleideten Tiere oder Dinge gibt.


Das Nackte in der Umist

schlvssensten Geldbeutel zu großen Opfern bereitwillig machen; der vereinzelte
Wehruf über die angedeutete moralische Verseuchung der Strafanstalten scheint
keins der eingeschlafnen Gewissen erwecken zu tonnen.

Auch in der strengsten Jsolierhaft ist es den Gefangnen noch möglich, bei
irgendwelchen Gelegenheiten, z, B. beim Spaziergang, beim Kirchgang, beim
Unterricht, beim Baden usw., mit ihren Nachbarn hin und wieder ein paar
Worte zu tauschen; daran können weder die strengsten Vorschriften noch
Masken, Stalls usw., die vollständig unnütze Spielereien und Quälereien sind,
etwas ändern. Dagegen ist es in der Jsolierhaft dem, der von den andern
nichts wissen will, wohl möglich, sich vollständig von ihnen abzuschließen, ohne
sich Rachegelüsten auszusetzen, und diese Möglichkeit sollte unter allen Um¬
ständen jedem Gefangnen geboten sein. Übrigens sind die wenigen Mit¬
teilungen, die die Gefangnen in der Jsolierhaft durch Plaudern, Klopfen,
Zettel usw. miteinander austauschen können, zu geringfügiger Natur, als daß sie
auf ihre innere Entwicklung von nennenswertem Einfluß sein oder den Charakter
der Jsolierhaft beeinträchtigen könnten, auf den wir noch mit einigen Worten
eingehn müssen ^aH .




Das Nackte in der Kunst
Betrachtungen eines Laien

er heutzutage Wert und Wirkung des Nackten in der Kunst einer
öffentlichen Besprechung unterzieht, darf sich nicht verhehlen, daß
er eine Frage behandelt, die den Kunstverständige» von Beruf
schon längst nicht mehr als Frage gilt. Dennoch gehört sie zu
I den Gegenständen, die den menschlichen Geist immer von neuem
beschäftigen werden. Wem es darum gelingt, den unmittelbaren Eindruck der
künstlerischen Darstellung des Nackten aufzufangen und festzuhalten, dem ist
auch der Versuch erlaubt, sich und andern von diesem Eindruck Rechenschaft
zu geben- Hält er sich nur getreu an seine wirklichen Empfindungen, so
braucht er den lauten Widerspruch vorgefaßter Meinungen nicht zu scheuen.
Gegen gelehrte und gegen ungelehrte Besserwisser getröstet er sich des Zuspruchs
unsers Goethe, dem sie auch nicht hold waren:

Bevor wir das Nackte in der Kunst anf seine Wirkungen untersuchen,
werden wir uns darüber verständigen müssen, welche Vorstellungen wir mit
dem Begriff des Nackten verbinden! Das Wort nackt bezeichnet einen mensch¬
lichen Zustand. Nackte Tiere oder nackte Dinge gibt es nicht, weil es keine
bekleideten Tiere oder Dinge gibt.


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[0315] Das Nackte in der Umist schlvssensten Geldbeutel zu großen Opfern bereitwillig machen; der vereinzelte Wehruf über die angedeutete moralische Verseuchung der Strafanstalten scheint keins der eingeschlafnen Gewissen erwecken zu tonnen. Auch in der strengsten Jsolierhaft ist es den Gefangnen noch möglich, bei irgendwelchen Gelegenheiten, z, B. beim Spaziergang, beim Kirchgang, beim Unterricht, beim Baden usw., mit ihren Nachbarn hin und wieder ein paar Worte zu tauschen; daran können weder die strengsten Vorschriften noch Masken, Stalls usw., die vollständig unnütze Spielereien und Quälereien sind, etwas ändern. Dagegen ist es in der Jsolierhaft dem, der von den andern nichts wissen will, wohl möglich, sich vollständig von ihnen abzuschließen, ohne sich Rachegelüsten auszusetzen, und diese Möglichkeit sollte unter allen Um¬ ständen jedem Gefangnen geboten sein. Übrigens sind die wenigen Mit¬ teilungen, die die Gefangnen in der Jsolierhaft durch Plaudern, Klopfen, Zettel usw. miteinander austauschen können, zu geringfügiger Natur, als daß sie auf ihre innere Entwicklung von nennenswertem Einfluß sein oder den Charakter der Jsolierhaft beeinträchtigen könnten, auf den wir noch mit einigen Worten eingehn müssen ^aH . Das Nackte in der Kunst Betrachtungen eines Laien er heutzutage Wert und Wirkung des Nackten in der Kunst einer öffentlichen Besprechung unterzieht, darf sich nicht verhehlen, daß er eine Frage behandelt, die den Kunstverständige» von Beruf schon längst nicht mehr als Frage gilt. Dennoch gehört sie zu I den Gegenständen, die den menschlichen Geist immer von neuem beschäftigen werden. Wem es darum gelingt, den unmittelbaren Eindruck der künstlerischen Darstellung des Nackten aufzufangen und festzuhalten, dem ist auch der Versuch erlaubt, sich und andern von diesem Eindruck Rechenschaft zu geben- Hält er sich nur getreu an seine wirklichen Empfindungen, so braucht er den lauten Widerspruch vorgefaßter Meinungen nicht zu scheuen. Gegen gelehrte und gegen ungelehrte Besserwisser getröstet er sich des Zuspruchs unsers Goethe, dem sie auch nicht hold waren: Bevor wir das Nackte in der Kunst anf seine Wirkungen untersuchen, werden wir uns darüber verständigen müssen, welche Vorstellungen wir mit dem Begriff des Nackten verbinden! Das Wort nackt bezeichnet einen mensch¬ lichen Zustand. Nackte Tiere oder nackte Dinge gibt es nicht, weil es keine bekleideten Tiere oder Dinge gibt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/315>, abgerufen am 01.07.2024.