Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
!)on alten Lüchern

gleiche Würde erblickt" und "keine gelindem Mittel gegen die Hofgesessenen
als gegen die Flüchtlinge anwendet," gehört nicht zu den Paradoxien, worin
er sich zuweilen gefiel, ist nicht Ironie, sondern bitterer Ernst und der Aus¬
druck seiner innersten Überzeugung.

Diese erbarmungslose Härte in den Schriften des in Amt und Leben so
gerechten und wohlwollenden Mannes läßt sich nicht beschönigen noch recht¬
fertigen. Zu erklären ist sie aus seiner historischen Anschauung, aus der tief-
gewurzelten, leidenschaftlichen Borliebe für die Rechtszustände der altgerma¬
nischen Vergangenheit. Das historisch Gewordne, auf dem Boden der alten
sächsischen Verfassung organisch Erwachsne ist ihm auch das Nichtige. Die
"güldne Zeit" ist ihm die vorkarolingische, da noch ein jeder von seinein Acker¬
bau ruhig und genüglich lebte, der jüngere Sohn lieber auswanderte, als
daß er "niederträchtig genug" war, als Knecht zu dienen, und der Unange-
sessenc einem andern Recht unterworfen war als der Mann, der auf seinem
eignen Hofe saß. Für Möser kommt vor allem der Kern des deutschen Volks,
der hofgesessene Bauer, in Betracht, und gegen dessen Wohl und Gedeihen be¬
deutet es ihm nicht viel, ob von der Spreu der "Nebeuwohner und Heuerleute"
weniger oder mehr im Winde verweht. Ju seiner Schätzung des Bürgers und
des "bloßen Menschen" steht er der antiken Anschauung näher als dem Jahr¬
hundert der Aufklärung.

Es ist schwer einzusehen, warum einige Literarhistoriker diese Auffassung,
die alle Schriften Mösers durchdringt, mit schonender Behutsamkeit umgehn,
oder alles, was sich dein Rahmen der Verherrlichung nicht bequem einfügen
will, für Ironie erklären. Glaubte mau vielleicht, an einem Manne, den
Goethe so hoch gestellt hat, keinen Fehl noch Makel finden zu dürfen? Aber
in dem Bilde dieses wahrhaften und aufrechten Charakters sollten auch die
Schroffheiten nicht vertuscht sein. Er wollte das Beste seines Landes; aber
wenn dem Realpolitiker, der immer mit den bestehenden Verhältnissen rechnete,
die schwierigen Aufgaben der Volkswirtschaft uicht ohne Nest aufgingen, so
trug er kein Bedeuten, Bestandteile, die ihm von geringem Wert erschienen,
"in die Brüche fallen zu lassen."

Möser hatte die Eigenschaften eines Staatsmanns in großem Stil. Von
hohem Standpunkt aus hatte er den freien und kühnen Blick auf das Ganze
gerichtet und war bereit, "großen Endzwecken große Opfer zu bringen." Un¬
beirrt durch die wechselnden Strömungen der Tagesmeinnng verfolgte er seine
Ziele, und ihm war auch die Gabe nicht versagt, für das, was er durch¬
setzen wollte, in besonnenen Abwarten und in diplomatischer Zurückhaltung
die rechte Stunde und Gelegenheit herankommen zu lassen. Er wäre wohl
angetan gewesen, seinen Namen wie in die Literaturgeschichte so auch in
die Weltgeschichte einzuschreiben. Dem großen Staatsmann fehlte ein großer
Staat.




!)on alten Lüchern

gleiche Würde erblickt" und „keine gelindem Mittel gegen die Hofgesessenen
als gegen die Flüchtlinge anwendet," gehört nicht zu den Paradoxien, worin
er sich zuweilen gefiel, ist nicht Ironie, sondern bitterer Ernst und der Aus¬
druck seiner innersten Überzeugung.

Diese erbarmungslose Härte in den Schriften des in Amt und Leben so
gerechten und wohlwollenden Mannes läßt sich nicht beschönigen noch recht¬
fertigen. Zu erklären ist sie aus seiner historischen Anschauung, aus der tief-
gewurzelten, leidenschaftlichen Borliebe für die Rechtszustände der altgerma¬
nischen Vergangenheit. Das historisch Gewordne, auf dem Boden der alten
sächsischen Verfassung organisch Erwachsne ist ihm auch das Nichtige. Die
„güldne Zeit" ist ihm die vorkarolingische, da noch ein jeder von seinein Acker¬
bau ruhig und genüglich lebte, der jüngere Sohn lieber auswanderte, als
daß er „niederträchtig genug" war, als Knecht zu dienen, und der Unange-
sessenc einem andern Recht unterworfen war als der Mann, der auf seinem
eignen Hofe saß. Für Möser kommt vor allem der Kern des deutschen Volks,
der hofgesessene Bauer, in Betracht, und gegen dessen Wohl und Gedeihen be¬
deutet es ihm nicht viel, ob von der Spreu der „Nebeuwohner und Heuerleute"
weniger oder mehr im Winde verweht. Ju seiner Schätzung des Bürgers und
des „bloßen Menschen" steht er der antiken Anschauung näher als dem Jahr¬
hundert der Aufklärung.

Es ist schwer einzusehen, warum einige Literarhistoriker diese Auffassung,
die alle Schriften Mösers durchdringt, mit schonender Behutsamkeit umgehn,
oder alles, was sich dein Rahmen der Verherrlichung nicht bequem einfügen
will, für Ironie erklären. Glaubte mau vielleicht, an einem Manne, den
Goethe so hoch gestellt hat, keinen Fehl noch Makel finden zu dürfen? Aber
in dem Bilde dieses wahrhaften und aufrechten Charakters sollten auch die
Schroffheiten nicht vertuscht sein. Er wollte das Beste seines Landes; aber
wenn dem Realpolitiker, der immer mit den bestehenden Verhältnissen rechnete,
die schwierigen Aufgaben der Volkswirtschaft uicht ohne Nest aufgingen, so
trug er kein Bedeuten, Bestandteile, die ihm von geringem Wert erschienen,
„in die Brüche fallen zu lassen."

Möser hatte die Eigenschaften eines Staatsmanns in großem Stil. Von
hohem Standpunkt aus hatte er den freien und kühnen Blick auf das Ganze
gerichtet und war bereit, „großen Endzwecken große Opfer zu bringen." Un¬
beirrt durch die wechselnden Strömungen der Tagesmeinnng verfolgte er seine
Ziele, und ihm war auch die Gabe nicht versagt, für das, was er durch¬
setzen wollte, in besonnenen Abwarten und in diplomatischer Zurückhaltung
die rechte Stunde und Gelegenheit herankommen zu lassen. Er wäre wohl
angetan gewesen, seinen Namen wie in die Literaturgeschichte so auch in
die Weltgeschichte einzuschreiben. Dem großen Staatsmann fehlte ein großer
Staat.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242318"/>
          <fw type="header" place="top"> !)on alten Lüchern</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_822" prev="#ID_821"> gleiche Würde erblickt" und &#x201E;keine gelindem Mittel gegen die Hofgesessenen<lb/>
als gegen die Flüchtlinge anwendet," gehört nicht zu den Paradoxien, worin<lb/>
er sich zuweilen gefiel, ist nicht Ironie, sondern bitterer Ernst und der Aus¬<lb/>
druck seiner innersten Überzeugung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Diese erbarmungslose Härte in den Schriften des in Amt und Leben so<lb/>
gerechten und wohlwollenden Mannes läßt sich nicht beschönigen noch recht¬<lb/>
fertigen. Zu erklären ist sie aus seiner historischen Anschauung, aus der tief-<lb/>
gewurzelten, leidenschaftlichen Borliebe für die Rechtszustände der altgerma¬<lb/>
nischen Vergangenheit. Das historisch Gewordne, auf dem Boden der alten<lb/>
sächsischen Verfassung organisch Erwachsne ist ihm auch das Nichtige. Die<lb/>
&#x201E;güldne Zeit" ist ihm die vorkarolingische, da noch ein jeder von seinein Acker¬<lb/>
bau ruhig und genüglich lebte, der jüngere Sohn lieber auswanderte, als<lb/>
daß er &#x201E;niederträchtig genug" war, als Knecht zu dienen, und der Unange-<lb/>
sessenc einem andern Recht unterworfen war als der Mann, der auf seinem<lb/>
eignen Hofe saß. Für Möser kommt vor allem der Kern des deutschen Volks,<lb/>
der hofgesessene Bauer, in Betracht, und gegen dessen Wohl und Gedeihen be¬<lb/>
deutet es ihm nicht viel, ob von der Spreu der &#x201E;Nebeuwohner und Heuerleute"<lb/>
weniger oder mehr im Winde verweht. Ju seiner Schätzung des Bürgers und<lb/>
des &#x201E;bloßen Menschen" steht er der antiken Anschauung näher als dem Jahr¬<lb/>
hundert der Aufklärung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824"> Es ist schwer einzusehen, warum einige Literarhistoriker diese Auffassung,<lb/>
die alle Schriften Mösers durchdringt, mit schonender Behutsamkeit umgehn,<lb/>
oder alles, was sich dein Rahmen der Verherrlichung nicht bequem einfügen<lb/>
will, für Ironie erklären. Glaubte mau vielleicht, an einem Manne, den<lb/>
Goethe so hoch gestellt hat, keinen Fehl noch Makel finden zu dürfen? Aber<lb/>
in dem Bilde dieses wahrhaften und aufrechten Charakters sollten auch die<lb/>
Schroffheiten nicht vertuscht sein. Er wollte das Beste seines Landes; aber<lb/>
wenn dem Realpolitiker, der immer mit den bestehenden Verhältnissen rechnete,<lb/>
die schwierigen Aufgaben der Volkswirtschaft uicht ohne Nest aufgingen, so<lb/>
trug er kein Bedeuten, Bestandteile, die ihm von geringem Wert erschienen,<lb/>
&#x201E;in die Brüche fallen zu lassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_825"> Möser hatte die Eigenschaften eines Staatsmanns in großem Stil. Von<lb/>
hohem Standpunkt aus hatte er den freien und kühnen Blick auf das Ganze<lb/>
gerichtet und war bereit, &#x201E;großen Endzwecken große Opfer zu bringen." Un¬<lb/>
beirrt durch die wechselnden Strömungen der Tagesmeinnng verfolgte er seine<lb/>
Ziele, und ihm war auch die Gabe nicht versagt, für das, was er durch¬<lb/>
setzen wollte, in besonnenen Abwarten und in diplomatischer Zurückhaltung<lb/>
die rechte Stunde und Gelegenheit herankommen zu lassen. Er wäre wohl<lb/>
angetan gewesen, seinen Namen wie in die Literaturgeschichte so auch in<lb/>
die Weltgeschichte einzuschreiben. Dem großen Staatsmann fehlte ein großer<lb/>
Staat.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] !)on alten Lüchern gleiche Würde erblickt" und „keine gelindem Mittel gegen die Hofgesessenen als gegen die Flüchtlinge anwendet," gehört nicht zu den Paradoxien, worin er sich zuweilen gefiel, ist nicht Ironie, sondern bitterer Ernst und der Aus¬ druck seiner innersten Überzeugung. Diese erbarmungslose Härte in den Schriften des in Amt und Leben so gerechten und wohlwollenden Mannes läßt sich nicht beschönigen noch recht¬ fertigen. Zu erklären ist sie aus seiner historischen Anschauung, aus der tief- gewurzelten, leidenschaftlichen Borliebe für die Rechtszustände der altgerma¬ nischen Vergangenheit. Das historisch Gewordne, auf dem Boden der alten sächsischen Verfassung organisch Erwachsne ist ihm auch das Nichtige. Die „güldne Zeit" ist ihm die vorkarolingische, da noch ein jeder von seinein Acker¬ bau ruhig und genüglich lebte, der jüngere Sohn lieber auswanderte, als daß er „niederträchtig genug" war, als Knecht zu dienen, und der Unange- sessenc einem andern Recht unterworfen war als der Mann, der auf seinem eignen Hofe saß. Für Möser kommt vor allem der Kern des deutschen Volks, der hofgesessene Bauer, in Betracht, und gegen dessen Wohl und Gedeihen be¬ deutet es ihm nicht viel, ob von der Spreu der „Nebeuwohner und Heuerleute" weniger oder mehr im Winde verweht. Ju seiner Schätzung des Bürgers und des „bloßen Menschen" steht er der antiken Anschauung näher als dem Jahr¬ hundert der Aufklärung. Es ist schwer einzusehen, warum einige Literarhistoriker diese Auffassung, die alle Schriften Mösers durchdringt, mit schonender Behutsamkeit umgehn, oder alles, was sich dein Rahmen der Verherrlichung nicht bequem einfügen will, für Ironie erklären. Glaubte mau vielleicht, an einem Manne, den Goethe so hoch gestellt hat, keinen Fehl noch Makel finden zu dürfen? Aber in dem Bilde dieses wahrhaften und aufrechten Charakters sollten auch die Schroffheiten nicht vertuscht sein. Er wollte das Beste seines Landes; aber wenn dem Realpolitiker, der immer mit den bestehenden Verhältnissen rechnete, die schwierigen Aufgaben der Volkswirtschaft uicht ohne Nest aufgingen, so trug er kein Bedeuten, Bestandteile, die ihm von geringem Wert erschienen, „in die Brüche fallen zu lassen." Möser hatte die Eigenschaften eines Staatsmanns in großem Stil. Von hohem Standpunkt aus hatte er den freien und kühnen Blick auf das Ganze gerichtet und war bereit, „großen Endzwecken große Opfer zu bringen." Un¬ beirrt durch die wechselnden Strömungen der Tagesmeinnng verfolgte er seine Ziele, und ihm war auch die Gabe nicht versagt, für das, was er durch¬ setzen wollte, in besonnenen Abwarten und in diplomatischer Zurückhaltung die rechte Stunde und Gelegenheit herankommen zu lassen. Er wäre wohl angetan gewesen, seinen Namen wie in die Literaturgeschichte so auch in die Weltgeschichte einzuschreiben. Dem großen Staatsmann fehlte ein großer Staat.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/250>, abgerufen am 22.07.2024.