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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsciltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

verschiedensten Handfertigkeiten ebenso wie den Künsten und Wissenschaften, dein
Sport und dem Spiel: zwei Gebiete aber treten durch ihren Reichtum an
Worten, Bildern und Gleichnissen noch ganz besonders aus dem ältern Kultur¬
leben hervor: einmal das Kriegswesen und alles, was sich auf Streit, Kampf
und Waffenübung (Fechten, Turniere, Rittertum) bezieht, sodann das gesamte
Nechtswesen, die Rechtswissenschaft und die Rechtspflege.

In Bezug auf das Kriegswesen wird diese Tatsache wohl niemand wunder
nehmen, denn jeder weiß zur Genüge, daß wir Deutsche von jeher ein kriegerisches,
kampfesfrohes Volk waren, bei dem das Waffenhandwerk zu allen Zeiten in
besondrer Sichtung gestanden hat. Wären wir aber auch nicht aus der Geschichte
über die "Schlagfertigkeit" unsrer Vorfahren unterrichtet, schon aus unsrer
Sprache konnten wir darauf schließen. Welche geradezu erstaunliche Menge
von Wörtern und Redensarten in dieses Fach "einschlägt," das lehrt recht
deutlich u. a. die von Hermann Schrader in seinem vortrefflichen "Bilder¬
schmuck der deutschen Sprache" (6. Auflage, Berlin 1901, S. 14 ff.) zusammen¬
gestellte Blütenlese, vorausgesetzt daß man Ausdauer genug hat, sich durch diese
Fülle "schlagender Argumente" bis ans Ende "durchzuschlagen."

Befremdlicher mag es dagegen auf den ersten Blick erscheinen, daß auch
das deutsche Recht einen so weitgehenden Einfluß auf die Gestaltung unsers
Sprachschatzes ausgeübt hat. Denn im allgemeinen bringt der moderne Durch¬
schnittsdeutsche unserm Recht nicht nur ein ziemlich geringes Interesse entgegen,
man darf wohl noch weiter gehn und behaupte", daß heute bei uus kaum eine
Wissenschaft unpopulärer ist als das "trockne" ,ju", kaum ein Stand beim Volke
weniger beliebt erscheint als der des Juristen. "An den Pforten der Rechts¬
wissenschaft, sagt ein hervorragender neuerer Rechtslehrer, schleicht ein jeder gern
vorüber, der nicht genötigt ist, sich über ihren Inhalt den .Kopf zu zerbrechen,"
und das Studium des "Bürgerlichen Gesetzbuchs" vergleicht derselbe Gelehrte
gar mit einem "Spaziergang durch Dornenhecken," denn Dornenhecken seien es,
"die dem entgegeustarren, der das neue Gesetzbuch lesen will."") In dieser
herben Kritik, die keineswegs ganz vereinzelt dasteht, ist es wohl deutlich genug
ausgesprochen, daß auch das neue "bürgerliche Recht" -- trotz seiner ja unver¬
kennbaren Fortschritte, gerade auch in der Fassung des Textes -- der großen Masse
unsers Volks doch noch "ein Buch mit sieben Siegeln" ist und bleiben wird.

Nicht immer aber ist das Verhältnis des Volks zu seinem Rechte so un¬
erfreulich gewesen. Einst war sogar das deutsche Recht "in einem für uns kaum
noch vorstellbarer Grade volkstümlich" "Merke). Bis ins Mittelalter hinein
fehlte es nämlich in Deutschland ein einem Jnristenstcmd im heutigen Sinne;
vielmehr waren es anfangs die gesamten freien und wehrhaften Volksgenossen
und später die gleichfalls aus dem Volke hervorgcgangncn Schöffen, die in der
öffentlichen, unter Gottes freiem Himmel abgehaltnen Gerichtsversammlung das
Urteil "fanden," das der "Richter" nur verkündete oder "ausgab." Das Recht
war demnach ein Gemeingut des Volks, und seine Kenntnis pflanzte sich von
Geschlecht zu Geschlecht durch mündliche Überlieferung fort, lange bevor es zu
den erste" schriftlichen Aufzeichnungen kam. Kein Wunder also, daß in diesen
Zeiten das Recht auch in volkstümlichen Formen erschien. Das zeigt sich
zunächst in der gerade bei den Germanen so überaus stark ausgeprägten
Rechtssymbvlik, die v. Jhering einmal (Geist des römischen Rechts, II. 2,
S. 492) treffend "die Sprache des kindlichen Geistes" genannt hat, "eine
Hieroglyphenschrift, der er sich bedient, weil er die Buchstabenschrift der ab¬
strakten Darstellung noch nicht erfunden, für sie noch kein Verständnis hat."
Auch später uoch zeigen sich Erinnerungen daran in der lange vorwiegend
bildlich gebliebner Ausdrucksweise der deutschen Rechtssache, worin uns



") R. Leonhard, Die Hauptziele des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Breslau 1900, S, 1.
Deutsche Rechtsciltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

verschiedensten Handfertigkeiten ebenso wie den Künsten und Wissenschaften, dein
Sport und dem Spiel: zwei Gebiete aber treten durch ihren Reichtum an
Worten, Bildern und Gleichnissen noch ganz besonders aus dem ältern Kultur¬
leben hervor: einmal das Kriegswesen und alles, was sich auf Streit, Kampf
und Waffenübung (Fechten, Turniere, Rittertum) bezieht, sodann das gesamte
Nechtswesen, die Rechtswissenschaft und die Rechtspflege.

In Bezug auf das Kriegswesen wird diese Tatsache wohl niemand wunder
nehmen, denn jeder weiß zur Genüge, daß wir Deutsche von jeher ein kriegerisches,
kampfesfrohes Volk waren, bei dem das Waffenhandwerk zu allen Zeiten in
besondrer Sichtung gestanden hat. Wären wir aber auch nicht aus der Geschichte
über die „Schlagfertigkeit" unsrer Vorfahren unterrichtet, schon aus unsrer
Sprache konnten wir darauf schließen. Welche geradezu erstaunliche Menge
von Wörtern und Redensarten in dieses Fach „einschlägt," das lehrt recht
deutlich u. a. die von Hermann Schrader in seinem vortrefflichen „Bilder¬
schmuck der deutschen Sprache" (6. Auflage, Berlin 1901, S. 14 ff.) zusammen¬
gestellte Blütenlese, vorausgesetzt daß man Ausdauer genug hat, sich durch diese
Fülle „schlagender Argumente" bis ans Ende „durchzuschlagen."

Befremdlicher mag es dagegen auf den ersten Blick erscheinen, daß auch
das deutsche Recht einen so weitgehenden Einfluß auf die Gestaltung unsers
Sprachschatzes ausgeübt hat. Denn im allgemeinen bringt der moderne Durch¬
schnittsdeutsche unserm Recht nicht nur ein ziemlich geringes Interesse entgegen,
man darf wohl noch weiter gehn und behaupte», daß heute bei uus kaum eine
Wissenschaft unpopulärer ist als das „trockne" ,ju«, kaum ein Stand beim Volke
weniger beliebt erscheint als der des Juristen. „An den Pforten der Rechts¬
wissenschaft, sagt ein hervorragender neuerer Rechtslehrer, schleicht ein jeder gern
vorüber, der nicht genötigt ist, sich über ihren Inhalt den .Kopf zu zerbrechen,"
und das Studium des „Bürgerlichen Gesetzbuchs" vergleicht derselbe Gelehrte
gar mit einem „Spaziergang durch Dornenhecken," denn Dornenhecken seien es,
„die dem entgegeustarren, der das neue Gesetzbuch lesen will."") In dieser
herben Kritik, die keineswegs ganz vereinzelt dasteht, ist es wohl deutlich genug
ausgesprochen, daß auch das neue „bürgerliche Recht" — trotz seiner ja unver¬
kennbaren Fortschritte, gerade auch in der Fassung des Textes — der großen Masse
unsers Volks doch noch „ein Buch mit sieben Siegeln" ist und bleiben wird.

Nicht immer aber ist das Verhältnis des Volks zu seinem Rechte so un¬
erfreulich gewesen. Einst war sogar das deutsche Recht „in einem für uns kaum
noch vorstellbarer Grade volkstümlich" «Merke). Bis ins Mittelalter hinein
fehlte es nämlich in Deutschland ein einem Jnristenstcmd im heutigen Sinne;
vielmehr waren es anfangs die gesamten freien und wehrhaften Volksgenossen
und später die gleichfalls aus dem Volke hervorgcgangncn Schöffen, die in der
öffentlichen, unter Gottes freiem Himmel abgehaltnen Gerichtsversammlung das
Urteil „fanden," das der „Richter" nur verkündete oder „ausgab." Das Recht
war demnach ein Gemeingut des Volks, und seine Kenntnis pflanzte sich von
Geschlecht zu Geschlecht durch mündliche Überlieferung fort, lange bevor es zu
den erste» schriftlichen Aufzeichnungen kam. Kein Wunder also, daß in diesen
Zeiten das Recht auch in volkstümlichen Formen erschien. Das zeigt sich
zunächst in der gerade bei den Germanen so überaus stark ausgeprägten
Rechtssymbvlik, die v. Jhering einmal (Geist des römischen Rechts, II. 2,
S. 492) treffend „die Sprache des kindlichen Geistes" genannt hat, „eine
Hieroglyphenschrift, der er sich bedient, weil er die Buchstabenschrift der ab¬
strakten Darstellung noch nicht erfunden, für sie noch kein Verständnis hat."
Auch später uoch zeigen sich Erinnerungen daran in der lange vorwiegend
bildlich gebliebner Ausdrucksweise der deutschen Rechtssache, worin uns



") R. Leonhard, Die Hauptziele des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Breslau 1900, S, 1.
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[0098] Deutsche Rechtsciltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache verschiedensten Handfertigkeiten ebenso wie den Künsten und Wissenschaften, dein Sport und dem Spiel: zwei Gebiete aber treten durch ihren Reichtum an Worten, Bildern und Gleichnissen noch ganz besonders aus dem ältern Kultur¬ leben hervor: einmal das Kriegswesen und alles, was sich auf Streit, Kampf und Waffenübung (Fechten, Turniere, Rittertum) bezieht, sodann das gesamte Nechtswesen, die Rechtswissenschaft und die Rechtspflege. In Bezug auf das Kriegswesen wird diese Tatsache wohl niemand wunder nehmen, denn jeder weiß zur Genüge, daß wir Deutsche von jeher ein kriegerisches, kampfesfrohes Volk waren, bei dem das Waffenhandwerk zu allen Zeiten in besondrer Sichtung gestanden hat. Wären wir aber auch nicht aus der Geschichte über die „Schlagfertigkeit" unsrer Vorfahren unterrichtet, schon aus unsrer Sprache konnten wir darauf schließen. Welche geradezu erstaunliche Menge von Wörtern und Redensarten in dieses Fach „einschlägt," das lehrt recht deutlich u. a. die von Hermann Schrader in seinem vortrefflichen „Bilder¬ schmuck der deutschen Sprache" (6. Auflage, Berlin 1901, S. 14 ff.) zusammen¬ gestellte Blütenlese, vorausgesetzt daß man Ausdauer genug hat, sich durch diese Fülle „schlagender Argumente" bis ans Ende „durchzuschlagen." Befremdlicher mag es dagegen auf den ersten Blick erscheinen, daß auch das deutsche Recht einen so weitgehenden Einfluß auf die Gestaltung unsers Sprachschatzes ausgeübt hat. Denn im allgemeinen bringt der moderne Durch¬ schnittsdeutsche unserm Recht nicht nur ein ziemlich geringes Interesse entgegen, man darf wohl noch weiter gehn und behaupte», daß heute bei uus kaum eine Wissenschaft unpopulärer ist als das „trockne" ,ju«, kaum ein Stand beim Volke weniger beliebt erscheint als der des Juristen. „An den Pforten der Rechts¬ wissenschaft, sagt ein hervorragender neuerer Rechtslehrer, schleicht ein jeder gern vorüber, der nicht genötigt ist, sich über ihren Inhalt den .Kopf zu zerbrechen," und das Studium des „Bürgerlichen Gesetzbuchs" vergleicht derselbe Gelehrte gar mit einem „Spaziergang durch Dornenhecken," denn Dornenhecken seien es, „die dem entgegeustarren, der das neue Gesetzbuch lesen will."") In dieser herben Kritik, die keineswegs ganz vereinzelt dasteht, ist es wohl deutlich genug ausgesprochen, daß auch das neue „bürgerliche Recht" — trotz seiner ja unver¬ kennbaren Fortschritte, gerade auch in der Fassung des Textes — der großen Masse unsers Volks doch noch „ein Buch mit sieben Siegeln" ist und bleiben wird. Nicht immer aber ist das Verhältnis des Volks zu seinem Rechte so un¬ erfreulich gewesen. Einst war sogar das deutsche Recht „in einem für uns kaum noch vorstellbarer Grade volkstümlich" «Merke). Bis ins Mittelalter hinein fehlte es nämlich in Deutschland ein einem Jnristenstcmd im heutigen Sinne; vielmehr waren es anfangs die gesamten freien und wehrhaften Volksgenossen und später die gleichfalls aus dem Volke hervorgcgangncn Schöffen, die in der öffentlichen, unter Gottes freiem Himmel abgehaltnen Gerichtsversammlung das Urteil „fanden," das der „Richter" nur verkündete oder „ausgab." Das Recht war demnach ein Gemeingut des Volks, und seine Kenntnis pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht durch mündliche Überlieferung fort, lange bevor es zu den erste» schriftlichen Aufzeichnungen kam. Kein Wunder also, daß in diesen Zeiten das Recht auch in volkstümlichen Formen erschien. Das zeigt sich zunächst in der gerade bei den Germanen so überaus stark ausgeprägten Rechtssymbvlik, die v. Jhering einmal (Geist des römischen Rechts, II. 2, S. 492) treffend „die Sprache des kindlichen Geistes" genannt hat, „eine Hieroglyphenschrift, der er sich bedient, weil er die Buchstabenschrift der ab¬ strakten Darstellung noch nicht erfunden, für sie noch kein Verständnis hat." Auch später uoch zeigen sich Erinnerungen daran in der lange vorwiegend bildlich gebliebner Ausdrucksweise der deutschen Rechtssache, worin uns ") R. Leonhard, Die Hauptziele des neuen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Breslau 1900, S, 1.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/98>, abgerufen am 24.11.2024.