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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bekam man endlich ein Ding, das wirklich so etwas wie Finger hatte und ganz
aussah wie eine Hand. Solche Kämme haben die Bewohner Neuguineas, die Papua,
die sie ebenfalls beständig bei sich tragen.

Noch weiter ging es aber auf diesem Wege nicht. Mehrzinkige Gabeln konnten
überhaupt nur künstlich erzeugt werden, und mehr als füufzinkige ließen sich nicht
machen, weil das Stäbchen als Halter kaum mehr zu gebrauchen war. Man mußte
sich also entschließen, ein mehr oder weniger breites Kammschild herzustellen, in das
die Zähne entweder eingesetzt oder eingeschnitten wurden; das erstere der beideu
Verfahren war früher in China, zeitweise auch in Europa üblich. Dazu brauchte
man flache Platten, die man aus Horn gewann; mau zerschnitt das Horn mit
Hilfe der Schrotsäge in mehrere sogenannte Schrote und bog diese dann aus¬
einander. Ähnlich wurde auch das Elfenbein, seit alten Zeiten ein sehr beliebtes
und geschätztes Material, namentlich zu fcinzähnigen Kämmen, und das Schildpatt,
eine Spezialität Neapels, hergerichtet; es kommt schon in dünnen, schwachgebogncu
Blättern im Handel vor. So entstand der Kamm, der allmählich breiter und breiter
und einer einfachen, dichten oder lockern Zahnreihe täuschend ähnlich wurde. Wenn sich
die Platte, wie bei unsern Staubkämmen, auf beiden Seiten zähmte, so kam eine
doppelte Zahnreihe heraus. Nur daß hier die Zcihue uicht wie im menschlichen
Munde einander zugekehrt wnreu, sondern mit ihren Wurzeln aneinander stießen.

Nach dem Gebrauch wurde der Kamm auf den Kopf gesteckt, wo er teils zur
Befestigung der geordneten Haare, teils zum Schmucke diente; unmeutlich von den
Frauen. So entwickelte sich aus dem primitiven einzinkigen Kamm die lange
goldne Nadel, der oft die Form eines Pfeils oder eines Degens gegeben wird, und
die man in den Zöpfen der Italienerinnen und der Rheinländerinnen sieht. Aus
der Gabel entstand die unscheinbare Haarnadel, und aus dem gewöhnlichen Kamme
der gebogne Einsteckkamm, der der Rundung des Hinterkopfes folgt. Die Chignon-
kämme sind gar keine Kämme mehr, sie dienen nicht nichr zum Kämmen, man hat
ihre ursprüngliche Bestimmung ganz vergessen.

Von Rom aus wurden die Kämme in der ganzen Welt verbreitet, und die
Barbaren wurden damit beschenkt. Namentlich liebten es die Päpste, fremden
Königinnen und Kaiserinnen dieses Präsent zu machen, das heutzutage anzüglich
erscheinen würde, im Mittelnlter aber großen Effekt gemacht haben mag. Im
siebenten Jahrhundert bekam die Königin der Langobarden Theodelinde von Gregor
dem Großen einen goldnen Kamm geschenkt, der im Dom zu Monza aufbewahrt
wird -- um dieselbe Zeit bekam die Prinzessin Ethelburga, die Tochter des ersten
christlichen Königs von England, die Braut Edwins, von Bonifatius dem Fünften
einen elfenbeinernen Kamm geschenkt -- und im elften Jahrhundert bekam die
deutsche Kaiserin, die heilige Kunigunde, vom Papst Benedikt dem Achten einen
Kamm geschenkt, der im Domschatz zu Bamberg zu scheu ist. Im Dome zu Osna¬
brück wird der Kamm Karls des Großen, im Schatze zu Quedlinburg der Bart-
kämm Heinrichs des Ersten aufbewahrt. Seitdem vervielfältigten sich die Kämme
auch bei uns, obgleich sich ihre Form uicht mehr verändert hat; nur ein neues
Material ist zu den bisher benutzten hinzugetreten, das Hartgummi, das die Eigen¬
schaften des Horns hat. In Schwaben geht die Sage, daß die heilige Jungfrau
Radegundis, die im dreizehnten Jahrhundert auf dem Schlosse Wellenburg, eine
Stunde von Augsburg, als Magd diente, den Armen und Kranken der Nachbar¬
schaft heimlich Speise zugetragen, und daß sich, als ihr Herr sie einmal dabei er¬
tappte, das Brot in ihrer Schürze in Kämme verwandelt habe, ein Wunder, das
an die Rosen der heiligen Elisabeth erinnert. Sie wird sie wahrscheinlich bei der
Krankenpflege gebraucht und bei sich getragen haben, wie sie jetzt in ihrem Reliquien¬
schrein eingeschlossen sind. So ist dem armen Volke die Hand selbst dnrch die
Kultur in Kämme verwandelt worden, durch die es gesuudete, und deren es als¬
bald die Hülle und die Fülle hatte. Und seitdem ging es nicht mehr an, alle
Rudolf Rleinxaul über einen Kamm zu scheren.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

bekam man endlich ein Ding, das wirklich so etwas wie Finger hatte und ganz
aussah wie eine Hand. Solche Kämme haben die Bewohner Neuguineas, die Papua,
die sie ebenfalls beständig bei sich tragen.

Noch weiter ging es aber auf diesem Wege nicht. Mehrzinkige Gabeln konnten
überhaupt nur künstlich erzeugt werden, und mehr als füufzinkige ließen sich nicht
machen, weil das Stäbchen als Halter kaum mehr zu gebrauchen war. Man mußte
sich also entschließen, ein mehr oder weniger breites Kammschild herzustellen, in das
die Zähne entweder eingesetzt oder eingeschnitten wurden; das erstere der beideu
Verfahren war früher in China, zeitweise auch in Europa üblich. Dazu brauchte
man flache Platten, die man aus Horn gewann; mau zerschnitt das Horn mit
Hilfe der Schrotsäge in mehrere sogenannte Schrote und bog diese dann aus¬
einander. Ähnlich wurde auch das Elfenbein, seit alten Zeiten ein sehr beliebtes
und geschätztes Material, namentlich zu fcinzähnigen Kämmen, und das Schildpatt,
eine Spezialität Neapels, hergerichtet; es kommt schon in dünnen, schwachgebogncu
Blättern im Handel vor. So entstand der Kamm, der allmählich breiter und breiter
und einer einfachen, dichten oder lockern Zahnreihe täuschend ähnlich wurde. Wenn sich
die Platte, wie bei unsern Staubkämmen, auf beiden Seiten zähmte, so kam eine
doppelte Zahnreihe heraus. Nur daß hier die Zcihue uicht wie im menschlichen
Munde einander zugekehrt wnreu, sondern mit ihren Wurzeln aneinander stießen.

Nach dem Gebrauch wurde der Kamm auf den Kopf gesteckt, wo er teils zur
Befestigung der geordneten Haare, teils zum Schmucke diente; unmeutlich von den
Frauen. So entwickelte sich aus dem primitiven einzinkigen Kamm die lange
goldne Nadel, der oft die Form eines Pfeils oder eines Degens gegeben wird, und
die man in den Zöpfen der Italienerinnen und der Rheinländerinnen sieht. Aus
der Gabel entstand die unscheinbare Haarnadel, und aus dem gewöhnlichen Kamme
der gebogne Einsteckkamm, der der Rundung des Hinterkopfes folgt. Die Chignon-
kämme sind gar keine Kämme mehr, sie dienen nicht nichr zum Kämmen, man hat
ihre ursprüngliche Bestimmung ganz vergessen.

Von Rom aus wurden die Kämme in der ganzen Welt verbreitet, und die
Barbaren wurden damit beschenkt. Namentlich liebten es die Päpste, fremden
Königinnen und Kaiserinnen dieses Präsent zu machen, das heutzutage anzüglich
erscheinen würde, im Mittelnlter aber großen Effekt gemacht haben mag. Im
siebenten Jahrhundert bekam die Königin der Langobarden Theodelinde von Gregor
dem Großen einen goldnen Kamm geschenkt, der im Dom zu Monza aufbewahrt
wird — um dieselbe Zeit bekam die Prinzessin Ethelburga, die Tochter des ersten
christlichen Königs von England, die Braut Edwins, von Bonifatius dem Fünften
einen elfenbeinernen Kamm geschenkt — und im elften Jahrhundert bekam die
deutsche Kaiserin, die heilige Kunigunde, vom Papst Benedikt dem Achten einen
Kamm geschenkt, der im Domschatz zu Bamberg zu scheu ist. Im Dome zu Osna¬
brück wird der Kamm Karls des Großen, im Schatze zu Quedlinburg der Bart-
kämm Heinrichs des Ersten aufbewahrt. Seitdem vervielfältigten sich die Kämme
auch bei uns, obgleich sich ihre Form uicht mehr verändert hat; nur ein neues
Material ist zu den bisher benutzten hinzugetreten, das Hartgummi, das die Eigen¬
schaften des Horns hat. In Schwaben geht die Sage, daß die heilige Jungfrau
Radegundis, die im dreizehnten Jahrhundert auf dem Schlosse Wellenburg, eine
Stunde von Augsburg, als Magd diente, den Armen und Kranken der Nachbar¬
schaft heimlich Speise zugetragen, und daß sich, als ihr Herr sie einmal dabei er¬
tappte, das Brot in ihrer Schürze in Kämme verwandelt habe, ein Wunder, das
an die Rosen der heiligen Elisabeth erinnert. Sie wird sie wahrscheinlich bei der
Krankenpflege gebraucht und bei sich getragen haben, wie sie jetzt in ihrem Reliquien¬
schrein eingeschlossen sind. So ist dem armen Volke die Hand selbst dnrch die
Kultur in Kämme verwandelt worden, durch die es gesuudete, und deren es als¬
bald die Hülle und die Fülle hatte. Und seitdem ging es nicht mehr an, alle
Rudolf Rleinxaul über einen Kamm zu scheren.




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[0770] Maßgebliches und Unmaßgebliches bekam man endlich ein Ding, das wirklich so etwas wie Finger hatte und ganz aussah wie eine Hand. Solche Kämme haben die Bewohner Neuguineas, die Papua, die sie ebenfalls beständig bei sich tragen. Noch weiter ging es aber auf diesem Wege nicht. Mehrzinkige Gabeln konnten überhaupt nur künstlich erzeugt werden, und mehr als füufzinkige ließen sich nicht machen, weil das Stäbchen als Halter kaum mehr zu gebrauchen war. Man mußte sich also entschließen, ein mehr oder weniger breites Kammschild herzustellen, in das die Zähne entweder eingesetzt oder eingeschnitten wurden; das erstere der beideu Verfahren war früher in China, zeitweise auch in Europa üblich. Dazu brauchte man flache Platten, die man aus Horn gewann; mau zerschnitt das Horn mit Hilfe der Schrotsäge in mehrere sogenannte Schrote und bog diese dann aus¬ einander. Ähnlich wurde auch das Elfenbein, seit alten Zeiten ein sehr beliebtes und geschätztes Material, namentlich zu fcinzähnigen Kämmen, und das Schildpatt, eine Spezialität Neapels, hergerichtet; es kommt schon in dünnen, schwachgebogncu Blättern im Handel vor. So entstand der Kamm, der allmählich breiter und breiter und einer einfachen, dichten oder lockern Zahnreihe täuschend ähnlich wurde. Wenn sich die Platte, wie bei unsern Staubkämmen, auf beiden Seiten zähmte, so kam eine doppelte Zahnreihe heraus. Nur daß hier die Zcihue uicht wie im menschlichen Munde einander zugekehrt wnreu, sondern mit ihren Wurzeln aneinander stießen. Nach dem Gebrauch wurde der Kamm auf den Kopf gesteckt, wo er teils zur Befestigung der geordneten Haare, teils zum Schmucke diente; unmeutlich von den Frauen. So entwickelte sich aus dem primitiven einzinkigen Kamm die lange goldne Nadel, der oft die Form eines Pfeils oder eines Degens gegeben wird, und die man in den Zöpfen der Italienerinnen und der Rheinländerinnen sieht. Aus der Gabel entstand die unscheinbare Haarnadel, und aus dem gewöhnlichen Kamme der gebogne Einsteckkamm, der der Rundung des Hinterkopfes folgt. Die Chignon- kämme sind gar keine Kämme mehr, sie dienen nicht nichr zum Kämmen, man hat ihre ursprüngliche Bestimmung ganz vergessen. Von Rom aus wurden die Kämme in der ganzen Welt verbreitet, und die Barbaren wurden damit beschenkt. Namentlich liebten es die Päpste, fremden Königinnen und Kaiserinnen dieses Präsent zu machen, das heutzutage anzüglich erscheinen würde, im Mittelnlter aber großen Effekt gemacht haben mag. Im siebenten Jahrhundert bekam die Königin der Langobarden Theodelinde von Gregor dem Großen einen goldnen Kamm geschenkt, der im Dom zu Monza aufbewahrt wird — um dieselbe Zeit bekam die Prinzessin Ethelburga, die Tochter des ersten christlichen Königs von England, die Braut Edwins, von Bonifatius dem Fünften einen elfenbeinernen Kamm geschenkt — und im elften Jahrhundert bekam die deutsche Kaiserin, die heilige Kunigunde, vom Papst Benedikt dem Achten einen Kamm geschenkt, der im Domschatz zu Bamberg zu scheu ist. Im Dome zu Osna¬ brück wird der Kamm Karls des Großen, im Schatze zu Quedlinburg der Bart- kämm Heinrichs des Ersten aufbewahrt. Seitdem vervielfältigten sich die Kämme auch bei uns, obgleich sich ihre Form uicht mehr verändert hat; nur ein neues Material ist zu den bisher benutzten hinzugetreten, das Hartgummi, das die Eigen¬ schaften des Horns hat. In Schwaben geht die Sage, daß die heilige Jungfrau Radegundis, die im dreizehnten Jahrhundert auf dem Schlosse Wellenburg, eine Stunde von Augsburg, als Magd diente, den Armen und Kranken der Nachbar¬ schaft heimlich Speise zugetragen, und daß sich, als ihr Herr sie einmal dabei er¬ tappte, das Brot in ihrer Schürze in Kämme verwandelt habe, ein Wunder, das an die Rosen der heiligen Elisabeth erinnert. Sie wird sie wahrscheinlich bei der Krankenpflege gebraucht und bei sich getragen haben, wie sie jetzt in ihrem Reliquien¬ schrein eingeschlossen sind. So ist dem armen Volke die Hand selbst dnrch die Kultur in Kämme verwandelt worden, durch die es gesuudete, und deren es als¬ bald die Hülle und die Fülle hatte. Und seitdem ging es nicht mehr an, alle Rudolf Rleinxaul über einen Kamm zu scheren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/770>, abgerufen am 01.09.2024.